Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Aus dem Werkzeugkasten der Demokratie:
Die Rücktrittsdrohung
Die Rücktrittsdrohung ist der große Test des Kanzlers auf seine politische Führungsfähigkeit. Abgeordnete mit inhaltlichen Einwänden sollen die Klappe halten und zustimmen, damit die Partei Geschlossenheit demonstriert. „Politische Willensbildung“ in demokratischen Parteien bedeutet in diesem Fall, dass die Führung es schafft, den Gehorsam des Parteivolks zu erzwingen.
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Aus dem Werkzeugkasten der
Demokratie:
Die Rücktrittsdrohung
Dem aktuellen Kanzler nicht besonders wohlgesonnene Kreise aus der Öffentlichkeit unken schon, dass er als der „Rücktrittsdrohungs-Kanzler“ in die Geschichte eingehen werde. Acht Mal, hat die FAZ jetzt laut mitgezählt, hat Schröder nun schon zu diesem Mittel eines Regierungschefs gegriffen, und diese Beobachter der Berliner Szene machen kein Hehl daraus, dass sie das für einen inflationären Gebrauch eines ansonsten legitimen und durchaus sinnvollen Mittels eines demokratischen Regierungschefs halten. Schröder, vermerken aufmerksame Journalisten da kritisch, müsse alle paar Monate seine eigene Partei erst noch auf Linie bringen, anstatt als nationaler Führer sie eindeutig im Griff zu haben. Diesmal ging es um die Verabschiedung von Teilen seiner „Agenda 2010“, den ein „rotes Sechserpack“ wegen inhaltlicher Differenzen einfach nicht zustimmen wollte. Aber was spielt das noch groß für eine Rolle für Demokraten, die sich bei diesem „brutalen Machtpoker“ im Wesentlichen die Frage stellen, ob die Rücktrittsdrohung überhaupt noch zieht.
Was da noch ziehen soll, ist nämlich jedem Demokraten sonnenklar und auch gar kein großer Stein des Anstoßes: Die „Abweichler“ sollen auf Geheiß ihres Parteiführers ihren inhaltlichen Dissens vergessen, die Klappe halten und zustimmen, und die „innerparteiliche Diskussion“ soll damit schlagartig beendet sein. Das hohe Gut der „Geschlossenheit“ einer Partei, die regierungsfähig sein will, braucht hin und wieder auch mal eine solide Erpressung: Einmal kommt in einer demokratischen Partei ein inhaltlicher Streit von praktischem Belang fürs Regieren auf und der Regierungschef stellt seine dissidierenden Gefolgsleute vor die Wahl: Entweder läuft der Regierungsladen so, wie ich will, oder er läuft ohne mich. Mit diesem freundlichen „Angebot“ stellen demokratische Führer unmissverständlich klar, was in letzter Instanz die „politische Willensbildung“ in demokratischen Parteien mit dem Ziel der „Geschlossenheit“ bedeutet: den Gehorsam erzwingenden Durchgriff der Führung aufs Parteivolk. So, nämlich als Verpflichtung der Parteimitglieder auf die von oben angesagte politische Sache, definiert sich Einigkeit in den Parteien, die regieren (wollen). Deren alleiniger Zweck ist, sich als Manövriermasse der Führung beim Regieren zu bewähren, und ein inhaltlicher Dissens, der praktische Geltung beim Abstimmen, also Mit-Regieren, beansprucht, ist mit diesem Geschäft offenbar unvereinbar.
Bedenken der Art, dass diese Drohung bei den Adressaten die dankbare Annahme des Rücktritts auslösen könnte – schließlich wären die ihren ärgsten Gegner erst einmal los –, scheint ein demokratischer Regierungschef normalerweise nicht hegen zu müssen. Zwar beklagen die sog. „Abweichler“, dass sie und ihr „freies Abgeordnetengewissen“ „gebrochen“ werden sollen vom Parteichef, aber von eigentlich fälligen Konsequenzen – man trennt sich von solchen Partei„freunden“ oder ficht die Differenz bis zur endgültigen Klärung aus – ist in demokratischen Parteien in solchen Fällen eigentlich wenig zu hören. Kein Wunder. Die „Abweichler“ passen nämlich zur von oben aufgemachten Erpressung. Auch sie bekennen sich zu der urdemokratischen „Einsicht“, dass die Partei auf das jetzige „Zugpferd“ beim Wähler gesetzt und sich von ihm als Garanten für die Erringung der Macht abhängig gemacht hat. Auch sie wissen, dass sich eine demokratische Partei, in der „kakophon“ diskutiert wird, beim Wähler unmöglich macht. Auch sie anerkennen, dass „politisches Gestalten“ in der Demokratie nur durch die Inbesitznahme und Ausübung der Macht im Lande geht, auf die die ganze Partei „geschlossen“ hinzuarbeiten hat. Und deswegen arbeiten sie normalerweise auch tagein tagaus geräuschlos als Manövriermasse beim Zustimmungsdienst an den Regierungsvorlagen mit. Und aus haargenau denselben Gründen, weshalb sie sonst immer zustimmen, melden sich ab und an Abgeordnete als „Abweichler“ zu Wort: Als Politiker einer Partei aus der zweiten oder dritten Reihe sind sie nämlich auf der Suche nach dem richtigen Führer ihrer Partei, und ein monatelanges „Umfragetief“ der Partei mit lauter neuen Rekorden nach unten stiftet da so manchen Zweifel. Den melden sie an als Zweifel an der vom Führer vertretenen Sache und sie meinen damit ihn. Dann zetteln sie einen kleinen Test von unten an, ob sie und die Partei noch gut fahren mit ihrem jetzigen Führer und melden „inhaltliche Änderungen“ an der „Agenda“, oder was eben gerade anliegt, an. Und den Zweifel beantwortet der Parteiführer mit dem großen Test auf seine (noch) vorhandene Führungsfähigkeit, verbindet sein „politisches Schicksal“ mit seiner Linie und fragt mal kurz nach, ob ihnen ihre inhaltlichen Einwände tatsächlich den Verlust ihres Führers wert sind. Zumindest solange kein alternativer, mehr Erfolg versprechender Partei- und Regierungschef in Sicht ist, setzen sich dann die „Abweichler“ mit denen, die ihnen „das Rückgrat brechen wollen“, wieder an einen Tisch und bemühen sich in „harten Verhandlungen um die Sache“ um die Einheit der Partei. Die Führung findet sich bereit, den „Abweichlern“ ihre Einwände gegen ein paar „Zugeständnisse“ abzukaufen, dafür versprechen diese, ihren Dienst an Partei und Regierung wie gehabt zu verrichten.
Die Sache der Führung könnte damit nicht schöner dastehen: Nun hat sie sogar noch eine „kontroverse innerparteiliche Diskussion“ durchlaufen und sich darin bewährt. Also gibt es darüber auch nichts mehr zu diskutieren.