Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Rot-grüner Koalitionsstreit um „Garzweiler II“:
Ein Lehrstück in Sachen Standort, Macht und Demokratie
Kapitalistische Heimatpflege am Standort NRW / Herrschaft über ein Stück Volk / Zank um die Macht als Mittel demokratischer Volksbetörung.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Rot-grüner Koalitionsstreit um
„Garzweiler II“:
Ein Lehrstück in Sachen Standort,
Macht und Demokratie
Mitte Dezember genehmigt NRW-Wirtschaftsminister Clement den Rahmenbetriebsplan für das neue Braunkohlenfeld Garzweiler II. Damit stellt er demonstrativ klar, daß das Aushängeschild nordrhein-westfälisch sozialdemokratischer Wirtschaftsförderung ungebremst vorankommt und der grüne Koalitionspartner, der gegen das Projekt ist, für die SPD-Mehrheit kein Hindernis ist. Der Partner erklärt sich daraufhin für „düpiert“ und überlegt, die Koalition aufzukündigen.
Mitte Januar ist grüner Sonderparteitag in Jüchen. Die Delegierten beschließen den Verbleib in der Koalition; zufällig mit genau dem 60:40-Verhältnis, das seit Wochen als passender Beweis für die Glaubwürdigkeit des Ringens der Partei um ihre Glaubwürdigkeit ventiliert wurde. Wahnsinnig „zerrissen zwischen Macht und Moral“, kommen die Flügel überein, es ihrer Moral schuldig zu sein, sich vor der Macht „nicht zu drücken“: Sie bestätigen ihre ablehnende Haltung zu Garzweiler durch den Beschluß, in der Regierung zu bleiben, die das Projekt voranbringt. Das große Loch wird gegraben, die Luft verpestet, die Bevölkerung umgesiedelt, aber: mit Beteiligung grüner Bedenkenträger, was bekanntlich besser ist als ohne. Das staatstragende Argument, das sie für diesen von demokratischer Reife zeugenden Lehrsatz bemühen und mit dem sie ihre Kritiker abkanzeln, ist dasselbe, mit dem sie früher selber traktiert wurden: Veränderungen der Gesellschaft sind nur möglich, wenn man sie regiert! Sie stehen unter der unhintergehbaren Bedingung, sich auf die Staatsräson beziehen zu müssen: Was einzig zählt und woran sich alles andere zu messen und zu relativieren hat – das sind die Notwendigkeiten und Abwägungen, die das staatliche Interesse, hier: in Sachen nationaler Energiezufuhr und Kapitalstandort, gebietet. Die Grünen legen Wert auf die Feststellung, daß ihr Einspruch gegen Garzweiler II sich diesen Notwendigkeiten zuordnen lassen und dafür eine Alternative bieten muß; sonst ist er ihnen nichts wert.
Den streitenden Parteien ist es mit Garzweiler also um folgendes gegangen:
1. Kapitalistische Heimatspflege am Standort NRW
Keine der Parteien hat ihren Standpunkt vollständig erklärt, bevor sie bei der nationalen und ökonomischen Bedeutung des Lochs von Garzweiler gelandet ist: Es ist für Deutschland und seine Wettbewerbsfähigkeit von höchster Wichtigkeit. Hier definieren die regionalen Entscheidungsträger die „Lage“, der sie sich „stellen“, einheitlich so: „Unsere Wirtschaft“ braucht den ungehinderten Zugriff auf alle Lebensbedingungen, damit die Maschinen laufen und die Schlote qualmen; sie verdient alle Förderung, weil Deutschland Kapitalstandort ist, mit auswärtigen Standorten konkurrieren muß und darin erfolgreich sein will; sie gebietet Rücksichtslosigkeit gegen Wohn- und Atembedürfnisse der Leute. Auch keine Differenzen haben sie darin, daß in Bund und Land diesbezüglich viel staatlicher Handlungsbedarf existiert. Wie der erfolgversprechendste Weg aussehen soll, die Konkurrenzbedingungen der Nation und gleichzeitig die Konkurrenzlage des größten Bundeslandes in der Nation gegen die anderen zu verbessern: darum geht der Streit.
Mit dem Vorwurf der Grünen, daß ihr Koalitionspartner
hemmungslos Partei für „die Großindustrie“ nimmt, kann
die SPD gut leben. Sie bestätigt ihn
offensiv: Das muß so sein wg. Standort. Was wäre
das ganze Land sonst wert? Wie käme sonst Geld unter die
Leute? Die kritische Nachfrage: ‚aber muß es denn die
große Industrie sein?‘ kommt da sehr gelegen;
als Steilvorlage für die Antwort: Was denn sonst? Soll
NRW sein Geld mit Rüben verdienen? Und die andere Frage
stellt ja keiner, weil sie sowieso aus einer anderen Welt
wäre oder jedenfalls ein ziemlich gründlicher Einwand
gegen die wohlgeordnete Welt, am Niederrhein und
anderswo: Muß der Abbau von Braunkohle denn ausgerechnet
deswegen stattfinden – und dann natürlich in gigantischen
Löchern zu Bedingungen, die rentablen Arbeitseinsatz
verbürgen –, damit auf die Art Geld verdient
wird?; damit die Gewinne eines Kohle-Konzerns stimmen und
das Eigentum seiner Eigentümer wächst? Einwände gegen das
Mittel des Energiegeschäfts, den
großindustriellen Braunkohleabbau, taugen nichts und sind
daher sehr willkommen, weil der Zweck der
Veranstaltung damit außer Diskussion bleibt, als
sakrosankt unterstellt ist – und so auch noch die
wüstesten Begleiterscheinungen beim Mitteleinsatz
heiligt. Und die SPD-Verantwortlichen tun sich
leicht mit zusätzlichen und höheren Gesichtspunkten, die
allesamt großzügigsten Aufwand fordern und rechtfertigen
– gesicherter Zugriff auf Energie, billige Versorgung der
übrigen Industrieunternehmen, Aufträge für zugeordnete
und nachgelagerte Wirtschaftszweige: Rheinbraun
verfügt über weltweit führende Förder-, Kraftwerks- und
Umwelttechnologie
: Gesichtspunkte, die alle die alles
entscheidende Banalität weglassen, um die es bei alledem
doch bloß geht: daß die kapitalistischen
Privateigentümer in Deutschland im allgemeinen und
im Bundesland NRW im besonderen immer reicher
werden. NRW muß Modell sein für Modernisierung, vom
Stahl bis zur Gentechnik
, propagieren Fraktionschef
und Wirtschaftsminister den Sachzwang „Standort
Deutschland“, für dessen Herrschaft sie
einstehen. Darum verbitten sich seine politischen
Betreuer dieses „ständige Mißtrauen in die Industrie“,
mit deren Wohl und Wehe ganze Regionen wie das rheinische
Braunkohlerevier stehen und fallen – entweder wird
gebaggert oder nichts geht mehr –, und rücken
Bedenken gegen die Menschenfreundlichkeit der modernen
Riesenschaufel, die Tausende von Leuten gegen ihren
Widerstand wegräumt, in die Nähe des Landesverrats.
Kein Rheinbraun-Bagger darf
, bloß wegen ein paar
Widerständen, stehen bleiben
(Clement); das
Kapital muß rollen. Dafür verwendet sich die SPD – im
Namen der Bergleute, versteht sich, also mit den
gebräuchlichen ideologischen Schäbigkeiten: Wer im Boden
wühlen darf (das Fünftel Lohnempfänger eben, das seit
1989 im Braunkohle-Bergbau übrig geblieben ist), genießt
die Gnade eines Arbeitsplatzes; und die
Technologien, die es wegen solcher Dreckschleudern
überhaupt erst braucht, sind ein einziger Segen für die
trübe Umwelt. In dieser Übung sind die
Sozialdemokraten Meister: Kein kapitalistisches Interesse
und kein nationaler Anspruch, die nicht als Fürsorge für
diejenigen gerechtfertigt würden, die davon den Schaden
haben. Sozial und umweltgerecht ist, was umstandslos dem
Standort Deutschland nützt.
Die Grünen können das alles auch. Sie
rechnen den nationalen Energiebedarf der nächsten Jahre
etwas niedriger aus; kennen alternative Energien, die dem
Staat Umweltschutzkosten ersparen und weltweit ein
Exportschlager werden sollen; sehen den nationalen
Zugriff auf Energie durch den Zugriff auf ganz Europa
gewährleistet – sind also denselben unbefragten, weil
fraglos herrschenden Interessen mit Alternativen zu
Diensten, die sie nach deren Maßgabe
ausgetüftelt haben. Die Konkurrenzfähigkeit des „Energie-
und Produktionsstandorts Deutschland“ fest im Blick; mit
jeder Rechnungsart des engagierten Kapitals nicht nur
vertraut, sondern zutiefst einverstanden; alle
Gewinnkalkulationen des Unternehmens so sehr als Beitrag
zur Arbeitsplatzsicherung begrüßend, daß sie gar nicht
extra vorkommen – schon gar nicht kritisch; auf diese
Weise in jede Regierungsnotwendigkeit eingekauft, kommt
die Partei zu dem verantwortlichen Schluß: Nach ihren
Berechnungen muß das Loch gar nicht sein. Ebenfalls
konkurrenzfähig erweist man sich in der Abteilung
Ideologie: Gegen die Arbeitsplatzrechnungen der SPD mit
Rheinbraun und Garzweiler setzen die Grünen die
„Schaffung innovativer Arbeitsplätze“ durch alternative
Technologien, gegen die „vorschnelle“ Billigung des
Rahmenbetriebsplan die supergründliche „Prüfung der
Wasserrechte“. Den berechnenden Vorwurf ihrer
Koalitionsfreunde, daß so mit ihnen kein Staat zu machen
ist, weisen sie empört zurück. Man versteht sich auf das
billige Geschäft der Retourkutsche: Wer ist denn von
gestern?! Die SPD ist es, die „Modernität predigt“, aber
„alte Industriestrukturen“ pflegt. Und: Man kann den
Menschen im Lande nur so viel, wie das in Garzweiler
geplant ist, zumuten, wenn das energiepolitisch sinnvoll
wäre.
(Umweltministerin Höhn) Dann aber allemal so
viel, wie grüne Politik für sinnvoll hält. Diesen
Standort wollen beide, nach seinen
Notwendigkeiten, regieren. Diesen Standort wollen aber
auch sie regieren; darum hat die Sache
noch eine zweite Seite:
2. Herrschaft über ein Stück Volk
Die Öffentlichkeit befaßt sich fasziniert mit der für Koalitionen etwas unüblichen Härte des Streits zwischen SPD und Grünen. Und in der Tat ist es ja so, daß die alternativen Gutachten zur Sache – Standort D/NRW – die Erbitterung und Unversöhnlichkeit des öffentlich ausgetragenen Streits nicht begründen. Aber woran entzündet er sich dann? Ist es so, daß es „denen da oben“ wieder mal, statt um „die Sache“, bloß um die Macht geht? Und das am Ende so sehr, daß sie über ihrem Machtkampf glatt das Regieren vergessen?
Keine Sorge: Das Regieren haben beide Parteien
fest im Blick; und die Macht, um die es ihnen
geht, ist ganz bestimmt nichts, was den Zusatz
bloß
verdienen würde. Ihr Streit geht um die
Sache aller Politik: Herrschaft über andere Leute;
die Entscheidung über deren Lebensbedingungen nämlich;
die Mittel, Dienstbarkeit an der nationalen Sache zu
erzwingen und diese selbst zurechtzudefinieren.
„Staatsräson“, „Standortpolitik“ – das klingt so schön
sachlich, hat aber gar keinen anderen Inhalt als die
zweckmäßige Unterwerfung der Gesellschaft unter die
Fortschritte des kapitalistischen Eigentums und die
hoheitlichen Interessen der Nation daran. Dieses
Interesse zu personifizieren, Subjekt der Staatsräson zu
sein, mit jeder politischen Entscheidung Hoheit zu
exekutieren – das ist die Macht, um die es
Politikern geht. So führen sie sich auch auf. Sie
streiten – in ihrem nordrheinwestfälischen Winkel, aber
schon der hat es in sich – um Energiepolitik,
also um die Definition eines Stückchens
Staatsräson; und eben deswegen und in eben diesem Streit
geht es ihnen um Energiepolitik, nämlich um die
Machtfrage, wer der Herr im Staat ist.
Das bringt die allseits bestaunte Schärfe in den
Streit der Koalitionäre.
Die SPD hat in Gestalt von Clement und Matthiesen gleich zwei Obergenossen fürs „Spalten statt Versöhnen“ abkommandiert, die plakativ und physiognomisch Führungsqualität verkörpern. Die dabei gezeigte Gehässigkeit wird die Profis von den Grünen sicher weniger wundern als wohlmeinende Demokratieidealisten, die bei einer Koalition an Gemeinsamkeit und irgendwie gedeihliche Zusammenarbeit denken. Parteien, die sich dafür aufstellen, das staatliche Gewaltmonopol auszuüben, sehen das wesensgemäß ein bißchen anders. Sie konkurrieren um diese schöne Einrichtung, die den Machthabern freie Verfügung über die Lebensumstände der Regierten einräumt, nicht deswegen, um sie hinterher teilen zu müssen. In diesem Anspruch auf Herrschaft übers Land – gibt es einfach keine Schnittmenge mit der Konkurrenz. Das nehmen die Rivalen ums Gewaltmonopol auch durchaus persönlich. Was diese „Politiker mit Leib und Seele“ dann doch in die Koalition treibt, ist der mißliche Umstand, daß die alleinige Regierungsmacht oft nicht zu haben ist. Für die Bündnispartner wider Willen ist eine Koalition deshalb von Haus aus eine einzige Zumutung; für die Sozialkunde-Weisheit der wechselseitigen Kontrolle und Befruchtung sind sie nicht zu haben.
Schon gleich nicht die zwei großen Volksparteien, die
„traditionell“ so viele Stimmen fangen, daß sie sich fürs
Alleinregieren geboren wähnen. Wie die SPD in NRW. Wenn
man das Land ein paar Legislaturperioden geführt hat,
wird es in den Augen der gewählten Herrscher zum
Stammland der SPD und die zur Staatspartei des Landes –
und das hat gefälligst so zu bleiben. So totalitär ist
der Wille zum Regieren allemal, daß er es zu seinem
moralischen Recht ausbaut, dabei noch nicht mal von einem
Mit-Regenten gestört zu werden. Deshalb hat es die SPD
tief getroffen, daß sie mit der letzten Wahl andere für
ihr „Weiter so, NRW!“ braucht. Kein Wunder, daß man auf
die erstbeste Gelegenheit giert, Rot-Grün wegzuschmeißen;
wie Schröder in Niedersachsen, als es mit einem Mandat
für die SPD-Alleinregierung reichte. In NRW reicht’s aber
nicht. Die Grünen erweisen sich als
kongeniale Alternative. Mit dem altehrwürdigen Spruch,
der jede Koalitionsintrige und -ranküne ins rechte Licht
setzt: „Koalitionen sind keine Liebesheirat!“, erweisen
sie sich als Profis der Materie. Die Logik der Macht
beherrschen sie vorwärts und rückwärts: Um die Nation auf
die richtige Erfolgsspur zu lenken, müssen sie an die
„Schalthebel der Macht“ kommen; und um die souverän im
Griff zu behalten, darf man nicht dogmatisch auf dem
eigenen Herrschafts- und Erfolgsrezept bestehen. Probleme
gibt es da höchstens, wenn die Parteibasis mal wieder
alles falsch versteht, Herrschaft mit der Ermächtigung zu
Wohltaten für Mensch und Natur verwechselt und sich in
dem Dilemma wähnt, um des unerläßlichen „Mittels“, der
Macht, willen von deren vorgestelltem
menschenfreundlichen Zweck Abstriche machen zu müssen. Da
ist dann ein wenig Nachhilfeunterricht über das wahre
Verhältnis zwischen der politischen Sache und ihrer
gewichtigen Verkörperung vonnöten. Ungefragt verkündet
die Umweltministerin, „keiner Bürgerinitiative“
vorzustehen, sondern an der Spitze „einer Verwaltung“,
die sich auftragsgemäß um das Wohl des großen Ganzen
kümmert. An der Vorstellung, verlängerter Arm
einer außerparlamentarischen Bewegung zu sein, will die
Frau nicht mehr gemessen werden, wo sie nun von Amts
wegen die kleinen Sorgen der Bürger regiert. Die alten
Betroffenheitsbilder taugen dennoch: War der „GAU“ einst
Synonym für eine pflichtvergessene Politik, die kein
Risiko für Mensch und Umwelt scheut, so droht eine
Verseuchung des Klimas heute nur in den höheren Etagen
der Politik selber: Der GAU läge in einer Koalition
Clement/Linssen, der Super-GAU wäre Clement/Möllemann
(Bauminister Vesper), also darin, von dem einzigen Platz
verstoßen zu sein, wo politisch was geht
: die
Produktion und Administration von Risiken, Schäden und
Opfern nämlich. Dafür verkraftet man sogar das hämische
Etikett, das im Falle des „Nachgebens“ zwecks Erhaltung
der Macht dem kleineren Partner vom großen immer
angehängt wird: „Ihr Umfaller!“ (die FDP freut sich
kindisch, daß das mal einen anderen trifft) – und schenkt
sich mit 60:40 die „harte Oppositionsbank“.
So wird am Tag nach der Vermeidung des GAU wieder
„vertrauensvoll zusammengearbeitet“ (Rau). Der Zank ist
zu einem nie zur Disposition stehenden, guten Ende
gebracht – Garzweiler wird verwirklicht. Das bestätigt
meine Linie. Das ist nicht mehr zu stoppen. Das haben die
Grünen eingesehen
(Clement) – und bekommt
darüberhinaus noch eine weiterführende Perspektive:
3. Zank um die Macht als Mittel demokratischer Volksbetörung
Düsseldorf ist nicht Bonn, wo im Herbst das ganze, das nationale Gewaltmonopol zu haben ist. Also wird die Garzweiler-Affäre, während sie noch in aller Erbitterung tobt, von den übergeordneten Instanzen der Parteien auf die höhere Ebene der Bundestags-Wahlkampfstrategie gehoben und die damit verbundene Berechnung sogar öffentlich ausposaunt: Das wahlberechtigte Publikum soll den Streit in seiner geballten Giftigkeit und im Lichte seiner vorläufigen Beilegung als wohlinszenierten Beweis dafür würdigen, wie ernst es den Parteien um beides geht: um ihre Glaubwürdigkeit im Einsatz für den Standort Deutschland, so wie sie ihn jeweils parteimäßig eingerichtet haben wollen – und um die Glaubwürdigkeit ihres Willens, die Macht im Land zu übernehmen. Garzweiler – ein „Test für Bonn“? Die Derbheit der Auseinandersetzung spricht für den unbeugsamen Herrschaftswillen der beteiligten Führungspersönlichkeiten; ihr intellektueller Scharfsinn, die Option auf den Gipfel der Macht keiner Baugrube in der Provinz zu opfern, qualifiziert Rot-Grün zur Ablösung von Kohl.
Die SPD beweist sich als moderne
ökologische Wirtschaftspartei. An den Grünen wird
klargestellt, daß man auf niemanden Rücksicht nimmt, bloß
weil man ihn eventuell braucht – als Handlanger für den
Machtanspruch in Bonn. Die Grünen
beweisen sich als moderne wirtschaftliche
Ökologiepartei, die sich durch ihren
sozialdemokratischen Partner nicht den Weg nach Bonn
verbauen läßt. Denn Grün ist der Wechsel
– eine
semantisch gelungene Klarstellung, worauf es bei Grün
ankommt: Die Roten allein schaffen es nicht. So
rückt die Konkurrenz der zwei Parteien um die
Befehlsvollmacht im Staate ins Licht eines stimmigen
Ergänzungsverhältnisses von Fachleuten: Wunderbare
Symbiose zweier Reformparteien; die eine kann es mehr mit
der Industrie, die andere mit der Umwelt; und beide
wollen nur das Beste für den Kapitalstandort Deutschland
– nämlich vor allem mal sich an der Macht.
Wo Rot-Grün im vorläufigen Ausgang der Episode Garzweiler
ein „gutes Zeichen für Bonn“ erblickt, ist es sich die
dort amtierende Regierung natürlich schuldig, das
„NRW-Beispiel besonders abschreckend“ zu finden. Vom
Standpunkt derer, die um jeden Preis an der Macht
bleiben wollen, ist es ganz besonders
abschreckend, sie kriegen zu wollen: Die
Grünen haben bewiesen, daß sie jeden Preis zu zahlen
bereit sind, um im Bund an die Macht zu kommen
(Kohl). Wie Kohl zu sein und regieren zu wollen, das ist
in diesem Fall kein Ausweis für grüne „Politikfähigkeit“,
sondern einfach widerlich. Und wo der Kanzler recht hat,
hat er recht.