Die Produktivkraft der demokratischen Opposition für Deutschlands „Zeitenwende“
Die Regierung dekretiert eine „Zeitenwende“ hin zu einer militärischen Konfrontation mit Russland und vollstreckt, was sie ansagt: seit einem Jahr Schritt für Schritt ein zunehmend intensives Engagement im Ukraine-Krieg als Finanzier, militärischer Ausstatter, weltpolitisch aktiver, moralisch hyperaktiver Unterstützer des rücksichtslosen ukrainischen Verteidigungskriegs. Und sie versieht dies mit der zusätzlichen Perspektive, Deutschland überhaupt ganz neu zu einer großen militärischen Macht in Europa aufwachsen zu lassen. Die beiden großen demokratischen Oppositionsparteien tragen das von Beginn an vorbehaltlos mit.
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Die Produktivkraft der demokratischen Opposition für Deutschlands „Zeitenwende“
1.
Die Regierung dekretiert eine „Zeitenwende“ hin zu einer militärischen Konfrontation mit Russland und vollstreckt, was sie ansagt: seit einem Jahr Schritt für Schritt ein zunehmend intensives Engagement im Ukraine-Krieg als Finanzier, militärischer Ausstatter, weltpolitisch aktiver, moralisch hyperaktiver Unterstützer des rücksichtslosen ukrainischen Verteidigungskriegs. Und sie versieht dies mit der zusätzlichen Perspektive, Deutschland überhaupt ganz neu zu einer großen militärischen Macht in Europa aufwachsen zu lassen.
2.
Die beiden großen demokratischen Oppositionsparteien tragen das von Beginn an vorbehaltlos mit:
„Sie wissen, dass wir sehr darum bemüht sind, mit Ihnen und den Sie tragenden Koalitionsfraktionen einen gemeinsamen Weg in dieser Zeit einer großen Herausforderung zu gehen... Deshalb, Herr Bundeskanzler, bieten wir Ihnen und Ihrer Regierung an dieser Stelle heute umfassende und konkrete Hilfe und Unterstützung an.“ (Friedrich Merz, 27.2.22)
Weil die Unionsparteien denjenigen Teil der parteienmäßig organisierten, im Parlament vertretenen Opposition darstellen, der seiner Größe nach überhaupt als Alternative zur gegenwärtigen Regierung infrage kommt, seinem Standpunkt nach genau das und nichts anderes sein will: künftige Regierung, steht die Union mit ihrer ohne jedes Zögern erteilten Zustimmung zur Kanzlerlinie praktisch dafür ein und sorgt dafür: Eine Alternative in der Sache, in der quasi-kriegerischen Ausrichtung und Handhabung der deutschen Staatsgewalt, gibt es nicht nach den Regeln der deutschen Demokratie. Abweichende Meinungen, kritische Standpunkte gibt es so einige; die einzige relevante alternative politische Kraft im Prozess der Festlegung und Durchführung der beschlossenen Zeitenwende ist sie. Und weil sie nicht von der Linie der Regierung abweicht, macht sie diese zur verbindlich gültigen Sache der Nation.
3.
Mit ihrer kritischen Masse sorgt sie aber nicht nur dafür, jede potenzielle Alternative zur Zeitenwende in den Bereich des politisch Irrelevanten zu drücken. Sie nutzt das Stück Macht, das ihr nach der demokratischen Geschäftsordnung zukommt, um am Handeln der Regierung in deren Sinn praktisch mitzuwirken. Der Staatshaushalt – dessen Diskussion und Verabschiedung, wie man weiß, das „Königsrecht des Parlaments“ darstellt – mitsamt den verfassungsmäßig vorgeschriebenen Bedingungen seiner Finanzierung bietet ihr die Gelegenheit dazu.
Denn die Wucht der von der Union komplett für richtig gehaltenen Neuausrichtung deutscher Machtentfaltung, die die Regierung anlässlich des Ukraine-Kriegs für nötig hält und in die Wege leitet, und der Umfang der damit verbundenen finanziellen Ansprüche an den staatlichen Haushalt sorgen dafür, dass die Regierungskoalition mit ihrer politischen Entschlossenheit an die Schranken ihrer politischen Macht stößt: Vor die außerordentliche Freiheit von den üblichen Zwängen des Haushalts, die sich Scholz für sein Um- und Aufrüstungsprogramm der deutschen Militärmacht per Sondervermögen verschaffen will, setzen die Verfahrensvorschriften für die Ausstattung der von ihm richtlinienkompetent zu verwendenden staatlichen Finanzmacht eine ebenfalls außerordentliche Hürde: die Pflicht zur Zweidrittelmehrheit für eine nötige Verfassungsänderung. Damit soll, so die List des Grundgesetzes, die staatspolitische Vernunft der Verwendung der vielen neuen Schulden objektiver sichergestellt sein als durch die einfache Mehrheit der paar Parteien, die im Ergebnis der letzten Wahlen und der daraufhin stattgehabten Regierungsbildungsdiplomatie im Moment gerade regieren.
Was der Koalition fehlt, hat die Union zu bieten: die nötigen Stimmen für das Auffüllen der Zweidrittelmehrheit. Damit ist und sieht sich die Unionsfraktion in der Position, dass die verfassungsmäßigen Grenzen der Macht des Regierungslagers an ihr und durch sie praktisch wirksam werden. Im Sinne ihrer Zustimmung in der Sache verspricht sie konstruktive Mitwirkung. Das ist eine Sternstunde für die Christenopposition, weil ihr damit – anders als im parlamentarischen Normalbetrieb – eine Rolle zukommt, die für sie als Opposition eigentlich ja gerade nicht zu haben ist: wirkliches Mitregieren. Den Umstand, dass sie als Union nicht erst bis zur nächsten Wahl warten muss, um dann – durch den Wähler vom schlimmen Los oppositioneller Untätigkeit befreit – tatsächlich legislativ Hand anlegen zu können, verkündet Merz gleich so herum, dass unter seiner Führung die Union gerade bei allem Mitwirken auch gar nicht aufs Opponieren verzichtet. Seine Erfüllungshilfe beim großen nationalen Auftrag versieht er von Beginn an mit dem Zusatz, dass seine Fraktion sich dabei nicht auf die Rolle des Erfüllungsgehilfen wird festlegen lassen. Er verweigert von vornherein jegliche
„Arbeitsteilung, dass wir für Sie bei den unangenehmen Dingen den Kopf hinhalten und Sie in ihrer Koalition unverändert alle Wohltaten weiter zulasten der jungen Generation verteilen, Herr Bundeskanzler. Das machen wir dann nicht!“
Der Vorbehalt, den der Fraktionschef seiner Unterstützungszusage auf dem Fuß folgen lässt, hat mit der Zeitenwende, die er mittragen will, nicht direkt zu tun: „Wohltaten“ in dem Sinn stehen an der Stelle ja wirklich nicht zur Entscheidung an. Sein kämpferisches „aber“ bezieht sich auf die Lasten, die gemäß seiner staatsmännischen Vernunft als Konsequenz von Deutschlands weltpolitischem Aufbruch keinesfalls nur die „junge Generation“ treffen werden; und zwar nicht nur in dem Sinne, dass er die ausdrücklich mittragen will. Gerade weil das eine deutlich werden soll: dass die Opposition das zweifelsfrei Fällige und Notwendige aus der Opposition heraus voranbringt, beschwört er in der Frage des Preises für das Fällige und Notwendige vorauseilend einen Streit mit der Regierung und kündigt an, in dem nicht klein beizugeben: Mit der Union gibt’s die Zeitenwende nur zu dem Preis der Härten fürs Volk, den er dafür fest einkalkuliert, weswegen er verspricht, dafür zu sorgen, dass der Kanzler diesen Preis dem Volk auch wirklich abverlangt – und nicht etwa durch noch mehr Schulden für „Wohltaten“ ein bisschen erspart. So nutzt er aus, dass ohne die Union, obwohl gerade nicht an der Macht, das von der Regierung Beschlossene nicht geht. Auf diese Weise präsentiert sich die Opposition in dieser großen Sache als Garant der Regierungsfähigkeit der Regierung und insofern regierungsfähiger als die Regierung selbst; das ist ihr Erfolg als die große demokratische Alternative für Deutschland. Zugleich, das ist ihr Erfolg für die große demokratische Sache, realisiert und verbürgt sie deren alternativlose Durchsetzung. Diesen oppositionellen Doppelwumms bringt die C-Gruppe nicht bloß deklaratorisch auf die Parlamentsbühne, sondern macht ihn praktisch wahr:
„Sie werden in Zukunft für jedes Gesetz, das Sie hier im Bundestag verabschieden wollen, eine eigenständige Mehrheit brauchen, die CDU-CSU-Bundestagsfraktion ist nicht die Ersatzbank, von der Sie sich beliebigerweise mal Ersatzspieler aufs Spielfeld holen können, wenn Sie Ihre eigenen Mehrheiten nicht bekommen...
Wenn wir überhaupt zu einer Grundgesetzänderung kommen, dann füllen wir das in der Weise auf, dass dann eine Zweidrittelmehrheit zustande kommt, aber nicht so, dass dann einige von Ihnen hier sagen: ‚Da machen wir nicht mit, die Union wird’s ja schon richten.‘ Nein, wir richten es nicht – Sie werden mit jedem einzelnen Abgeordneten ‚ja‘ sagen müssen zu dem, was dann mit der Grundgesetzänderung verbunden sein wird, mit jedem einzelnen!“ (Merz im Bundestag am 23.3.22)
Der Oppositionschef mit seinem Zugriff auf seinen Parlamentarierhaufen erpresst die Regierung gemäß seinen Bedingungen zu dem, was die unbedingt will – ein Highlight demokratischer Gewaltenteilung!
4.
Die Mischung aus legislativ praktizierter Zustimmung und erpresserischer Definition von Bedingungen dafür zielt erkennbar darauf, dass sich die Christen-Fraktion als die überhaupt viel bessere Alternative zu denen präsentiert, die sie kraft ihres parlamentarischen Gewichts zur totalen Konsequenz bei der Umsetzung der gemeinsamen Linie bugsieren und gegebenenfalls nötigen will. Ihre tätige Mitwirkung an der gegenwärtigen Politik ist zugleich ihr Einstieg in die – in der Demokratie bekanntlich immerwährende – Agitation dafür, dass sie die zukünftige Politik wieder von den echten Regierungsbänken aus gestalten darf. Denn es bleibt ja dabei: Als Opposition sind die C-ler nur die Ersatzbank, als die behandelt zu werden Merz ausdrücklich ablehnt. Umso mehr kommt es für sie darauf an, auf der Bühne des Parlaments wie überhaupt in der nationalen Öffentlichkeit ihre unentbehrliche Funktion als die Kraft herauszustreichen, ohne die die amtierende Regierung permanent das richtige Regieren schuldig bleibt – was, wie gesagt, zwei Effekte hat: Sie wirbt für sich selbst als die bessere Alternative für den Vollzug der Zeitenwende – und bekräftigt so zugleich deren absolute Alternativlosigkeit.
In diesem Doppelsinn inszenieren Merz & Dobrindt sich und die von ihnen geführte Fraktion als die eigentlich zuverlässige Stütze der zweifelsfrei gebotenen Zeitenwende, als die parlamentarischen Einpeitscher in Sachen Geschlossenheit, die es wegen der – genau damit an die Wand gemalten – Unzuverlässigkeit der Regierungsfraktionen und der damit ebenfalls als offenkundig vorgeführten Führungsschwäche des Kanzlers unbedingt braucht.
Das ist dann auch die Vorgabe für die Stoßrichtung der unionsoppositionellen Anti-Regierungs-Kritik in jedem einzelnen Unterfall. Die zielt noch stets darauf, Schwächen der Regierung bei der Durchsetzung ihrer Politik aufzudecken, anzuprangern, notfalls zu erfinden, im besten Fall – nämlich wenn die Regierung wieder auf die Zustimmung der Opposition angewiesen ist – praktisch auszunutzen.
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Verlauf und Stand des Krieges auf dem ukrainischen Schlachtfeld lassen es den um dessen antirussische Leistung bemühten Planern und Strategen auch in Berlin irgendwann als notwendig erscheinen, die Ukraine auch mit Kampfpanzern aus eigenen Beständen und Fabriken auszustatten. Alle wissen, dass das ein bedeutender Fortschritt des westlichen Engagements in einem Krieg ist, der immer noch kein westlicher sein und werden soll. Alle wissen, was daran nicht nur an Aufwand hängt, der die eigentliche Lieferung der feinen Gerätschaften weit überschreitet, sondern auch, dass damit das Risiko steigt, dass Russland diese nächste Eskalation endgültig als Kriegseintritt Deutschlands auffassen und beantworten könnte.
Angesichts dessen lässt es sich die C-Opposition angelegen sein, jedes Moment von Abwägung neuer konfrontativer Entscheidungen als Entscheidungsschwäche zu beschimpfen und jede Form des Bemühens um bündnisinterne Koordination aller Eskalationsschritte als, bestenfalls, unverständliches Zögern – „Wir wissen ja gar nicht, warum Scholz so zögert.“ (Merz) – oder, schlimmstenfalls, als Feigheit – „Die Feigheit von Scholz ... hat bereits viele Tausende Menschen das Leben gekostet.“ (Michael Brand, Fuldaer Zeitung, 25.1.23) Der Umstand, dass auch die deutsche Regierung im Laufe des letzten Jahres ihre Risikofreude gesteigert und die damit verbundenen ‚roten Linien‘ weit verschoben hat, kann eine solche Opposition natürlich nicht milde stimmen: Gerade darin sieht sie jede ihrer vorangegangenen Nörgeleien im Nachhinein durch die Regierung selbst ins Recht gesetzt. So streicht sie auf Basis der geteilten Feindschaft gegen Russland immer wieder neu heraus, dass nicht nur diese Feindschaft selbst, sondern auch die ihr offenbar innewohnende Logik der Eskalation alternativlos und damit sie als Opposition eigentlich deren besserer Sachwalter ist, weil sie immer schon – gegen die Regierung! – auf die Konsequenz im Standpunkt drückt, die es dafür braucht. So sieht am Ende der Leopard-2-Beschluss wenigstens ein bisschen wie die Leistung eines christdemokratischen Machtworts aus der Opposition heraus aus.
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Eine andere Variante seines Auftritts als die bessere Scholz-Alternative lässt sich Merz zu der Einrichtung eines ersten LNG-Terminals einfallen, für deren rasante Erledigung die Regierung sich selbst heftig lobt, womit sie dem oppositionellen Standardvorwurf „Tut nix und wenn, zu langsam“ zuvorkommt.
„Den Neubau der A45-Brücke Rahmedetal jetzt ebenso stark zu forcieren wie die Errichtung des gerade eingeweihten LNG-Gasterminals in Wilhelmshaven: Mit dieser Forderung im Gepäck will der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz in der kommenden Woche nach Lüdenscheid kommen. ‚Meine Botschaft wird sein: Was in Wilhelmshaven möglich war, muss auch in Lüdenscheid möglich sein‘, erklärte Merz am Samstagmittag in Menden-Lendringsen.“ (Westfalenpost, 17.12.22)
Auf ein LNG-Terminal in Norddeutschland zu verweisen, um sich über den Dauerstau bei Lüdenscheid zu beschweren, ist nur auf den ersten Blick ein verwirrter Gegenstandswechsel, in Wahrheit Bestandteil des Geschäfts einer seriösen demokratischen Opposition. Sie nimmt die Gelegenheit wahr, eine sehr allgemeine und grundsätzliche, leicht abrufbare Unzufriedenheit mit der nationalen Infrastruktur und ihrer Verwaltung aufzuwecken und kritisch auf die Regierung, nämlich ausgerechnet auf deren über jede auch oppositionelle Kritik erhabene Glanzleistung bei der Erdgasbeschaffung zu beziehen. Sie bringt damit sich als Anwalt der wie auch immer Unzufriedenen und Anwalt des Bürgerrechts auf Unzufriedenheit mit „den Behörden“ in Erinnerung, wie es zu den langweiligen Standardaufgaben einer demokratischen Oppositionspartei gehört. Sie setzt die Regierung ganz extra ins Unrecht mit dem Hinweis, dass an einer wirklich wichtigen Stelle doch geht, was die Regierung an so vielen anderen, ebenfalls wichtigen Stellen sträflich verabsäumt. Und was – leider nur ausnahmsweise – geht, wenn die Regierung einmal, wenigstens ein Mal, dem oppositionellen Effizienzgebot Folge leistet, ist damit einmal mehr als alternativlos gute Sache bestätigt: eine Ohrfeige für Putin, der die Deutschen frieren lassen wollte!
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So richtig in ihrem Element ist die C-Fraktion da, wo es ganz direkt um die einzige Frage geht, die wirklich vom Wahlvolk zu entscheiden ist: die periodisch fällige Bestellung des für die Herrschaft an der Spitze nötigen Personals. Sie hilft bei der Urteilsfindung, ob die regierungsamtlich Zuständigen auch Anerkennung als zum Regieren geeignetes Personal verdienen, indem sie sich alle Mühe gibt, die Amtsinhaber als Versager schlechtzumachen, sodass der Wähler sich seiner Obrigkeit schämen muss. Dafür nimmt die Opposition sich die Verteidigungsministerin vor, die das Aufrüstungsprogramm der Regierung verantwortlich verwaltet und als Person repräsentiert. Alles, was die Opposition an Mängeln bei der Durchführung des Programms aufdeckt und anklagt – zu wenig, zu langsam ... –, macht sie nicht nur als Schwäche der Frau Lambrecht im Amt, sondern als persönlich verschuldetes peinliches Versagen dingfest. Alle Momente ihrer Amtsführung im engeren und weiteren Sinn werden für die Opposition zum Ausweis dessen, dass Lambrecht als Mensch ungeeignet ist für das Amt, das sie – leider und leider rechtmäßig – innehat. Entscheidungen, die sie von Amts wegen trifft, leisten nach dem gehobenen Geschmack christlicher Kommissköpfe diesen Beweis gerade so deutlich wie die Garderobe, in der sie das Amt ausübt, oder gewisse Unschärfen bei der ordnungsgemäßen Durchführung und Abrechnung von Dienstreisen. Die oppositionellen Wehrexperten und Ersatzminister geben sich monatelang dem Genuss hin, die Amtsperson zum Gegenbild dessen zu stilisieren, was nach ihrer Auffassung das Recht des Amts ist: „mit dem Auftrag fremdelnd“, „an der Truppe nicht interessiert“, „mit der Materie unvertraut“, „im eigenen Hause unbeliebt“ ... und zum Schluss noch das selbstdarstellerische „Peinlich-Video“, mit dem sie nicht nur sich, sondern „Deutschland blamiert“...
Was kommt dabei heraus? Als Erstes eine Apotheose des Amtes, vor dessen Anforderungen sich die Ministerin so gründlich blamiert; auf die Art einmal mehr die Heiligung der Aufgaben, die dem Amt mit der Zeitenwende der Nation gestellt sind. Und ganz praktisch ein neuer Amtschef von der Art, wie der eminent wichtige Posten und dessen erstrangig wichtige Sache es brauchen und verdienen; eine glaubwürdige Charaktermaske des Gewaltapparats, unter dessen Runderneuerung das Volk sich sicher fühlen darf. Der Nachteil für die Opposition, die sich mit dem negativen Personenkult um Frau Lambrecht so viel Mühe gegeben hat: Ausgewählt und eingesetzt hat den Mann der Kanzler. Was der auf seine Art als seine souveräne Entscheidung auch vorführt – ja bis hinein ins Getue um Ort und Zeitpunkt der Verkündung der frohen Botschaft „Wir haben einen Pistorius!“ regelrecht zelebriert. Aber immerhin: Er hat auf eine Kritik der Opposition reagiert – musste schließlich doch auf einen Vorwurf reagieren –, die auch ihn im Rückblick ganz schlecht aussehen lässt:
„Scholz habe ursprünglich mit Lambrecht die Truppe weiter schwächen wollen. Frau Lambrecht sollte ja den Kurs der SPD in der Verteidigungspolitik mit dem ungeliebten Kind Bundeswehr fortsetzen: unauffällig, ambitionslos und mit einem immer weiter sinkenden Etat. So hatte es der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz in der Finanzplanung für die Bundeswehr ja auch vorgesehen.“ (Merz lt. Merkur, 14.1.23)
Insoweit haben Merz & Co in dieser Herzensfrage eines glaubwürdig wehrhaften neuen Deutschland doch wieder mitgewirkt.
5.
Die kleinen Oppositionsparteien – AfD und Linkspartei – sind in ihrer Position nicht minder wichtig.
Sie repräsentieren die von der großen Oppositionsfraktion nicht aufgegriffene und bediente Unzufriedenheit im Wahlvolk; in all der Freiheit, die ihnen wegen ihrer Ferne von der Macht, also von der Chance zu aktiver Mitwirkung am Regierungsgeschäft zukommt, also mit viel potenzieller Ausstrahlung bis weit hinein in die linken und rechten Ränder von Volkes politischem Gemüt. Im gegebenen Fall artikulieren sie die Bedenken gegen die „Zeitenwende“. Die AfD kritisiert das Fehlen jedes nationalen Nutzens und sieht gar einen extremistischen Internationalismus im Spiel, der die Bündnissolidarität über die Belange des deutschen Volkes stellt und die geliebte deutsche Nation einem seit Ende der Blockkonfrontation nicht mehr dagewesenen strategischen Risiko aussetzt. Die Linkspartei sieht einen Bruch mit jeder nunmehr nur noch einsam von ihr hochzuhaltenden Tradition ziviler, auf Ausgleich setzender Außenpolitik in alle Himmelsrichtungen, beschwört ebenfalls die Gefahr unkontrollierbarer Eskalation und stellt die unter Linken üblichen Aufrechnereien von Rüstung mit Kita-Plätzen, Schwimmbädern und Pflegepersonal an – jetzt eben auf dem von Regierungskoalition und CDU/CSU-Opposition vorgegebenen Niveau dreistelliger Milliardenbeträge.
Das Entscheidende an dieser Sorte von fundamentalen bzw. fundamental begründeten Einwänden: Sie repräsentieren solche Unzufriedenheit als machtlose Kleinparteien. Sie realisieren damit den Stellenwert dieses Nicht-Einverständnisses mit der Macht in der Demokratie, nämlich als rechtlich zulässige, mit den jeweils vorgesehenen parlamentarischen Rede-, Kontroll- und Fragerechten versehene und gerade auf diese Weise praktisch irrelevante Minderheitsposition. So beheimaten sie die von ihnen Vertretenen in der Demokratie, die deren Bedenken in Sachen Krieg und Rüstung praktisch ungültig macht.
Die wirkliche, in ihrer parlamentarischen Randständigkeit politisch formvollendete Irrelevanz kompensieren sie auf der einen Seite durch agitatorische Manöver mit dem Ziel, auf sich als aufrechte Vertreter vernachlässigter bis unterdrückter abweichender Meinungen aufmerksam zu machen. Die Kluft zwischen politischem Anspruch und parlamentarisch-rechtlicher Wirklichkeit füllen sie dabei agitatorisch zielgerichtet mit allerlei Versuchen, die eigene Minderheitenrolle als umso entschiedenere Vertreterschaft für einen eigentlichen Volkswillen erscheinen zu lassen, dem sie darum gern auch die Größenordnung einer schweigenden oder vom Establishment einfach nicht gehörten Mehrheit nachsagen. Auf der anderen Seite besitzen sie dann doch auch wieder genügend demokratische Reife und den entsprechenden Realismus, um der Logik des Machtkampfs zu folgen, den die Demokratie für Oppositionelle bereitstellt: Der Machtkampf ist einer um Wählerstimmen für Parlamentsmandate; und seine Logik ist die der immanenten Kritik, die die regierenden Konkurrenten am Ideal effizienter Amtsausübung misst und schlechtmacht, um die eigenen Leute als die bessere Besetzung zu empfehlen. In ihrem aktuellen Bemühen, ihre Position als ohnmächtige Minderheit wenigstens zu konsolidieren, hauen AfD und Linkspartei deswegen nicht nur auf den Putz, bis – derzeit nur rechts außen – der Verfassungsschutz vorbeischaut, sondern äußern sich daneben zum Beispiel so:
„Die Regierungsmitglieder Scholz, Habeck und Lindner werden sich dafür loben, das Terminal in Rekordzeit erstellt zu haben. Aber die hausgemachte Energiekrise ist dadurch nicht gelöst. Fünf Milliarden Kubikmeter Flüssiggas pro Jahr decken nur sechs Prozent des deutschen Gasbedarfs. Woher und mit welchen Spezialschiffen das benötigte Gas künftig nach Wilhelmshaven geliefert wird, ist nicht abschließend geklärt.“ (Tino Chrupalla)
Oder so:
„Die Linkspartei warnt davor, dass die Bürger:innen für die teure Finanzierung des rasch vorangetriebenen Ausbaus der LNG-Infrastruktur aufkommen müssen. ‚Der Steuerzahler darf am Ende nicht die Kosten für die extrem teuren schwimmenden Terminals bezahlen, während private Gasimporteure das große Geschäft machen‘, sagte Victor Perli, der haushaltspolitische Sprecher der Linksfraktion, der taz. Für die staatlichen LNG-Terminals sind im Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums 10 Milliarden Euro vorgesehen – ursprünglich waren es 3 Milliarden Euro. ‚Ein Ende der Kostenexplosion ist nicht in Sicht, zumal die Ampelkoalition sich über Jahrzehnte binden möchte und überdimensioniert einkauft.‘“ (taz.de, 24.1.23)
So ergänzen die radikalen Minderheitsparteien ihre „Fundamentalopposition“ gegen die stellvertreter- und wirtschaftskriegerische deutsche Konfrontationslinie gegen Russland um den Vorwurf an die Regierung, bei der Bewältigung, ja überhaupt bei der Eindämmung und Beherrschung der Folgen dieser neuen, strategisch risikoreichen und ökonomisch teuren Generallinie zu versagen. Damit verknüpfen sie den Standpunkt radikaler Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik nach rechts und links mit dem konstruktiven Angebot an verärgerte Patrioten und enttäuschte Zukurzgekommene, sie hätten – wenn sie dürften – die Zeitenwende und ihre Konsequenzen besser im Griff als die andern. Den Widerspruch, den sie sich damit leisten, wickeln sie ab in Fraktions- und Flügelkämpfen – und landen praktisch bei den zwei komplementären Arten nachzuweisen, dass der letzte Sinn und Zweck des Opponierens darin liegt, als Opposition glaubwürdig die eigene Regierungsfähigkeit zu inszenieren. Und dass Regierungsfähigkeit aus der Opposition heraus nichts anderes heißt als mehr Effizienz beim Regieren einzufordern und zu versprechen – was denn auch sonst.