Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts bekräftigt Bagatellkündigungen:
Achtung vor dem Eigentum – auch eine Anstandsfrage!
Im Laufe des Jahres 2009 häufen sich fristlose Kündigungen zum Teil langjährig Beschäftigter wegen der Entwendung oder Unterschlagung von Getränkebons im dreistelligen Cent-Bereich, für den Abfall bestimmter Maultaschen oder einzelner Frikadellen. Dem daraufhin sich erhebenden öffentlichen Volksgemurmel über Fragen der Gerechtigkeit im Allgemeinen sowie – im Besonderen – über die angemessene Behandlung treuherziger Arbeitnehmer einerseits und ruchloser Bonusempfänger des Finanzgewerbes seitens der deutschen Rechtspflege andererseits tritt die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes zum Jahreswechsel mit klaren Worten entgegen.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts
bekräftigt Bagatellkündigungen:
Achtung vor dem Eigentum
– auch eine Anstandsfrage!
Im Laufe des Jahres 2009 häufen sich fristlose Kündigungen zum Teil langjährig Beschäftigter wegen der Entwendung oder Unterschlagung von Getränkebons im dreistelligen Cent-Bereich, für den Abfall bestimmter Maultaschen oder einzelner Frikadellen. Dem daraufhin sich erhebenden öffentlichen Volksgemurmel über Fragen der Gerechtigkeit im Allgemeinen sowie – im Besonderen – über die angemessene Behandlung treuherziger Arbeitnehmer einerseits und ruchloser Bonusempfänger des Finanzgewerbes seitens der deutschen Rechtspflege andererseits tritt die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes zum Jahreswechsel mit klaren Worten entgegen. Der stark ins Grundsätzliche weisenden Frage ihres journalistischen Stichwortgebers –
Wird nicht die Würde des Menschen verletzt, wenn wegen
– sagen wir – 2,39 Euro seine Lebensleistung nichts mehr
gilt?
(SZ, 29.12.09) –
weicht sie nicht aus, sondern fragt offensiv zurück:
„Meine Frage ist eine andere: Wie kommt man eigentlich dazu, ungefragt Maultaschen mitzunehmen? Warum solche Eigenmächtigkeiten? Das hat was mit fehlendem Anstand zu tun ...Ein Arbeitgeber erwartet, dass ein Arbeitnehmer das Interesse des Unternehmens mitdenkt. Wenn diese Beziehung gestört ist, dann kommt es dazu, … dass ein Arbeitgeber auch bei Kleinigkeiten die Vertrauensfrage stellt.“ (ebd.)
Zum einen kommt es der Richterin darauf an, die
jahrzehntelange Rechtssprechung des BAG zu bestätigen,
mit der das „Vertrauen“ des Arbeitgebers als rechtliches
Prüfkriterium für den korrekten Dienst am Eigentum der
Firma anerkannt wird, ganz getrennt von der Größe des
„Vermögensschadens“, den diese durch einen
„Vertrauensbruch“ des Angestellten erlitten haben mag.
Rechtlich gesehen ist diesem Dienst folgerichtig die
Vorstellung von einem „Bagatelldelikt“ ganz fremd:
Entweder man hat Respekt vor fremdem Eigentum oder man
hat ihn nicht! Und wenn in dieser Frage Zweifel
aufkommen, dann muss es dem betroffenen Eigentümer
erlaubt sein, in sich hineinzuhören, die Verletzung
seiner vertraulichen Beziehung
zu seinem
Angestellten frei zu bewerten und am Ende mit dem Segen
des BAG gegen den Arbeitnehmer geltend zu machen, dass im
Rahmen des Arbeitsvertrages das Eigentumsrecht absolut
gilt, insofern auch keiner kleinlichen Relativierung,
etwa durch den geringen Umfang des geldwerten Schadens,
zugänglich ist. So maßlos und radikal ist – mit
höchstrichterlicher Unterstützung – der Anspruch des
Betriebes an seine Belegschaft, diese habe allzeit das
Interesse des Unternehmens mitzudenken.
Zum anderen sieht sich die hohe Frau offenbar herausgefordert – aus gegebenem Anlass und gegen öffentliche Zweifel –, auf der Identität von Recht und gelebter Sittlichkeit zu bestehen.
Dass bei geringwertigen Vermögensdelikten gegen den
Dienstherrn oder Arbeitgeber nur noch bei einer
Beschäftigtengruppe die Beendigung des
Beschäftigungsverhältnisses zugelassen wird, nämlich bei
den Arbeitnehmern, … nicht aber bei Vorstandsmitgliedern,
Geschäftsführern, Beamten oder Soldaten
(Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, zit. nach
FAZ, 24./25.10.09) widerspricht dem nicht.
Selbstverständlich tut auch auf dem Feld hochkomplexer
Vermögensdelikte, der Korruption und dubioser
Milliardenpleiten gerechte Strafe not, die die guten
Sitten des Kapitalismus auch gegenüber der Klasse der
systemrelevanten Delinquenten hochhalten soll, selbst
wenn das manchmal ein schwieriges Geschäft ist. Aber, so
scheint sich die Gerichtspräsidentin zu fragen, soll man
deswegen Abstriche machen bei der Verteidigung von
Anstand und Rechtlichkeit dort, wo die Verhältnisse
übersichtlich und die Anforderungen so klar sind wie bei
den simplen Arbeitnehmern
? Das ist nicht ihre
Sache, weshalb sie die niederen Stände einschlägig
belehrt: Die neigen ja häufig zu der Auffassung,
angesichts der notorischen Drangsale, in die sie ihre
soziale Stellung bringt und des Anstandes, mit dem sie
sie ertragen, würden ihnen mehr Unrecht und weniger
Anerkennung zuteil als sie verdienten. Sie müssen sich
von der Richterin nachdrücklich daran erinnern lassen,
dass auch massenhaft schlechte Lebenslagen in
aller Regel der Rechtslage entsprechen und
insofern keinerlei Rechtfertigung liefern, die im
Arbeitsrecht kodifizierte Sittlichkeit der werktätigen
Klasse schleifen zu lassen. Auf den Anstand der Arbeiter
hat der Arbeitgeber ein Recht als allgemeine
Nebenpflicht des Arbeitsvertrages. Und die
besteht eben auch im skrupulösen Respekt noch vor den –
wertmäßig – kleinsten, maultaschen- oder
frikadellenförmigen Eigentumspartikeln des Dienstherrn.
An diese fundamentalistisch strengen Anforderungen des
privaten Reichtums haben sich die Arbeitnehmer am
Arbeitsplatz ebenso zu halten wie die höchsten
Arbeitsrichter bei der Prüfung jedes Einzelfalles. Dafür
hat sie das BAG vermittels seiner Rechtssprechung
schließlich zur Rechtslage gemacht.