Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Politische Debatte über Werkverträge:
Das Parlament als Bühne des Klassenkampfs von oben
In diesem Land verlieren Monat für Monat Tausende von Arbeitskräften ihren Job und finden sich auf einer niedrigeren Stufe des Arbeitsmarkts wieder, auf einem jener Arbeitsplätze, die keine ‚Normalarbeitsplätze‘ sind, doch längst normal geworden sind: einem der unsicheren und besonders schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnisse im ‚Billiglohnbereich‘, die für kein normales Lohnarbeiterdasein reichen, den Minijobs, der Frist- und Leiharbeit. Die unterste Stufe dieser Beschäftigungs-‘Gelegenheiten‘ bildet neuerdings in wachsendem Maße ein Werkvertrags-Arbeitsplatz. Kaum ist nämlich die Leiharbeit mit einem Mindestlohn von 8,– Euro rechtskräftig geregelt, machen sich Firmen vermehrt daran, Leiharbeiter zu entlassen und Arbeitskräfte auf Basis von Werkverträgen mit anderen Firmen oder als ‚freie Mitarbeiter‘ anzustellen – nicht selten dieselben, die sie als Leiharbeiter ausgestellt haben. Das erlaubt ihnen, den offiziellen Mindestlohn noch einmal kräftig nach unten zu drücken, und bietet ihnen neue Freiheiten zur Anstellung von Arbeitskräften ohne jede Beschäftigungsverpflichtung.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Politische Debatte über Werkverträge:
Das Parlament als Bühne des Klassenkampfs von oben
In diesem Land verlieren Monat für Monat Tausende von Arbeitskräften ihren Job und finden sich auf einer niedrigeren Stufe des Arbeitsmarkts wieder, auf einem jener Arbeitsplätze, die keine ‚Normalarbeitsplätze‘ sind, doch längst normal geworden sind: einem der unsicheren und besonders schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnisse im ‚Billiglohnbereich‘, die für kein normales Lohnarbeiterdasein reichen, den Minijobs, der Frist- und Leiharbeit. Die unterste Stufe dieser Beschäftigungs-‘Gelegenheiten‘ bildet neuerdings in wachsendem Maße ein Werkvertrags-Arbeitsplatz. Kaum ist nämlich die Leiharbeit mit einem Mindestlohn von 8,– Euro rechtskräftig geregelt, machen sich Firmen vermehrt daran, Leiharbeiter zu entlassen und Arbeitskräfte auf Basis von Werkverträgen mit anderen Firmen oder als ‚freie Mitarbeiter‘ anzustellen – nicht selten dieselben, die sie als Leiharbeiter ausgestellt haben. Das erlaubt ihnen, den offiziellen Mindestlohn noch einmal kräftig nach unten zu drücken, und bietet ihnen neue Freiheiten zur Anstellung von Arbeitskräften ohne jede Beschäftigungsverpflichtung.
So geht Klassenkampf von oben. Die Kapitalisten nehmen an den von ihnen geschaffenen und vom Staat verrechteten prekären Arbeitsverhältnissen Maß, nutzen die Freiheiten, die ihnen die staatlichen Regelungen mit ihren Erlaubnissen bieten, unterlaufen die Beschränkungen, die sie in den rechtlichen Bestimmungen des Billiglohnsektors ausmachen, setzen so die rechtlich verbindlich gemachte Niedriglohngrenze neuerlich außer Kraft – und schaffen damit neue Fakten: Sie stiften eine neue Abteilung von working poor und machen so gegenüber dem Staat ihren weiterreichenden, nie zufrieden zu stellenden Bedarf nach absoluter Billigarbeit praktisch geltend. Die Politik ist also herausgefordert, zu prüfen, wieweit sie diese Fortschritte der Lohnarbeiterverarmung, die ihre Kapitalisten stiften, für in Ordnung oder für zu weitgehend hält. Eins steht im Vorhinein fest: Was da im Zweifelsfall politisch neu zu regeln ist und so zur neuen gültigen Normalität wird, ist allemal die erweiterte Freiheit der unternehmerischen Verfügung über die nationale Lohnarbeitermannschaft.
*
Diese Prüfung ist, wie es sich in einer Demokratie
gehört, nicht nur eine praktisch politische Frage,
sondern Gegenstand öffentlicher parlamentarischer
Debatten. So auch in diesem Fall. Ende Juni stellen Linke
und Grüne Anträge an die Regierung, die neue Praxis der
Unternehmen als Missbrauch von Werkverträgen
einzustufen und durch geeignete Regelungen das
Lohndumping einzudämmen
(Die
Linke) bzw. von der alten Leiharbeit
abzugrenzen
und die Kontrollen zu
verstärken
(Die Grünen).
Den angemeldeten Handlungsbedarf, der – lächerlich genug
– auf Eingrenzung der neuen Lohndumpingmethoden dringt,
lehnt die Regierungskoalition nicht nur geschlossen
umstandslos ab, sie nimmt das parlamentarische Begehren
der Opposition als Steilvorlage für ein paar
grundsätzliche Klarstellungen über den nationalen Nutzen
von Billiglöhnen und die Verantwortungslosigkeit
oppositioneller Einwände. Da wird das Parlament zur Bühne
des Klassenkampfs – ganz anders als Linke sich das einmal
vorgestellt haben.
Erstens, so die Vertreter der
Regierungskoalition, gibt es das, was die Kritiker da
behaupten, gar nicht. Von Missbrauch von
Werkverträgen
, den man verhindern
müsste,
nichts zu sehen. Pure Behauptungen, ohne Grundlage, weil
es an Zahlen
fehlt. Wenn ein linker Abgeordneter
am Beispiel der Drogeriekette Rossmann mit einem Haufen
Zahlen beweisen will, wie das System funktioniert
,
und sich darauf beruft, dass der Missbrauch
mittlerweile öffentlich diskutiert wird
, dann fällt
das selbstverständlich auf den Mann selbst zurück: Sie
können hier nicht irgendwelche Beispiele bringen, die Sie
vom Hörensagen kennen. Es gibt keine Verifizierung Ihrer
Aussagen. Das alles sind Vermutungen.
(U.Lange, CDU/CSU) Die
Regierungsvertreter wissen dagegen ohne Hinsehen und
Zahlen ganz zweifelsfrei, wie es in der Wirtschaft
wirklich zugeht: Die Realität sieht anders aus.
(H. Kolb, FDP)
Zweitens, falls es doch so was geben sollte,
dann ist das jedenfalls nicht die Realität, sondern bloß
ein verschwindend kleiner Bereich, der keiner Rede wert
ist: Gerade 1,7 Prozent der Erwerbstätigen sind in
Werkverträgen.
(ders.)
Und wenn die Opposition moniert: Es geht nicht um
einzelne schwarze Schafe, sondern um eine sehr
systematische Angelegenheit
, dann gilt in Wahrheit
genau das Gegenteil: Es kann sich höchstens um ein paar
Ausnahmefälle handeln, die keiner weiteren Befassung wert
sind; das Parlament hat schließlich wichtigeres zu tun.
Wer das nicht einsehen will, missachtet das hohe Haus:
Ich möchte hier nicht auf einzelne schwarze Schafe
eingehen, weil wir hier keine Einzelfalldebatte führen.
Wir als Gesetzgeber führen eine Debatte über
grundsätzliche Regelungen.
(U.Lange, CDU/CSU) Im Übrigen sind die
paar Missbrauchsfälle, so es sie geben sollte, kein
Aufhebens wert, denn jedem vernünftigen Abgeordneten
müsste ja wohl klar sein, dass so etwas immer vorkommt,
also ganz normal ist, und insofern prinzipiell kein Grund
zur Beschwerde besteht: Dass Missbrauch nicht
ausgeschlossen ist, ist eine Tatsache, die es im
Rechtsleben überall gibt.
(ders.)
Drittens: Natürlich gibt es das alles, aber das
gehört sich gerade so. Richtig betrachtet handelt es sich
bei den eben noch verschwindend seltenen Praktiken
nämlich um eine hervorragende Entwicklung am
Arbeitsmarkt
(P. Weiss,
CDU/CSU) und ein entscheidendes, unverzichtbares
Instrument erfolgreichen Wirtschaftens: Gerade
Werkverträge sind elementare Grundlage einer
arbeitsteiligen Wirtschaft. Sie können zur Senkung der
Kosten eines Unternehmens beitragen.
(D. Jasper, CDU/CSU) Und dieser Zweck
heiligt ja wohl alle Mittel. Die massenhafte Anwendung
von Werkverträgen beweist, dass das Werkvertragsrecht als
Instrument zur Lohnsenkung genau das richtige ist. Die
beklagten Zustände sind von daher keine fehlerhafte
Entwicklung, kein Schlupfloch Werkverträge
, im
Gegenteil: Wir brauchen die ganze Bandbreite von
Beschäftigungsmöglichkeiten in Deutschland.
(U. Lange, CDU/CSU) Also
handelt es sich nicht um Missbrauch, sondern gerade
umgekehrt um den richtigen Gebrauch unternehmerischer
Freiheit. Und von der profitieren nicht so sehr die, die
ihren Profit machen, sondern insbesondere die, die sie
dafür arbeiten lassen. Werkverträge, die die Kosten
senken, nützen denen am meisten, deren Lohn so gesenkt
wird, dem arbeitenden Volk. Seine verbilligte Anwendung
ist getreu dem Leitsatz Sozial ist, was Arbeit
schafft.
(J. Wadepuhl,
CDU/CSU) in Wirklichkeit ein Dienst, den die
Unternehmen und der Staat, der ihre Lohndrückerei
befördert, denen leisten, die auf Lohnarbeit angewiesen
sind und zunehmend keine andere als diese elenden
Beschäftigungsbedingungen kriegen: Die Realität sieht
anders aus. Teilzeitarbeit, befristete
Beschäftigungsverhältnisse, Zeitarbeit sowie Mini- und
Midi-Jobs tragen dazu bei, dass wir so erfolgreich auf
dem Arbeitsmarkt sind, wie es die aktuellen Zahlen
widerspiegeln.
(D. Jasper
CDU/CSU)
Viertens: Weil es die beklagte schlechte
„Realität“ also gar nicht gibt, sondern all diese neuen
Formen der Ausbeutung der Wirtschaft nutzen, insofern
recht besehen eine soziale Errungenschaft für
Lohnabhängige darstellen, also der Regierung recht und
von ihr so gewollt sind, fallen die Klagen auf die
Ankläger zurück: Nicht die kritisierten Zustände, die
Kritiker sind kritikabel. Deren Einwände sind ein
hinterhältiger Angriff auf eine rundum ehrenwerte
Unternehmenspraxis: Marschieren Sie nicht einfach los,
um flächendeckend einen ganzen Wirtschaftszweig unter
Generalverdacht zu stellen.
Wenn die Kritiker nicht
umstandslos den wirtschaftlichen Erfolg zum Maßstab
machen, sondern soziale Gesichtspunkte ins Spiel bringen,
dann betreiben sie Schlechtmacherei aus Prinzip: Die
Opposition will diese Ergebnisse schlechtreden... Mit der
Aufbietung von vielen kleinen Problemen versucht man, die
hervorragende Entwicklung am Arbeitsmarkt
kaputtzureden.
(P. Weis,
CDU/CSU)
Und überhaupt: Wer die Unternehmerfreiheit nicht
als den alles rechtfertigenden Sachzwang erfolgreichen
Wirtschaftens bedingungslos anerkennt, sondern an der
ausgreifenden Ausbeutungspraxis herummäkelt und sie
staatsdienlich reglementieren will – der will gar nicht
das, sondern verfolgt in Wahrheit eine einzige grundböse
Absicht: Wenn von Oppositionsseite Beschwerde geführt
wird – Hier findet Lohndumping statt... Da hört die
unternehmerische Freiheit auf.
(B. Walther-Rosenheimer, Die
Grünen) –, muss man also endlich auch einmal
klarstellen, was hier wirklich im Argen liegt, am besten
gleich gegenüber dem politischen Hauptfeind, der
Linkspartei: Man kennt sie ja, „die Linken“: Sie
zeigen einmal mehr, dass sie letztlich ein Abrücken von
unserer sozialen Marktwirtschaft wollen, dass sie nicht
bereit sind, unternehmerische Freiheit zu akzeptieren.
Die unternehmerische Freiheit ist Grundlage unseres
Wirtschaftssystems; sie hat dieses Land groß und stark
gemacht.
(U. Lange,
CDU/CSU)
Die Regierungsparlamentarier argumentieren nicht für das System, sondern mit ihm: Wer für dieses Land ist, der hat auch für sein Wirtschaftssystem zu sein, und wer dafür ist, der hat dann auch das Prinzip unternehmerischer Freiheit mit all seinen Konsequenzen zu achten und zu fördern. Die gelungene Ausbeutungspraxis hat der selbstverständliche Maßstab der Politik zu sein, die gilt es zu schützen und voranzubringen; wer dagegen soziale Gesichtspunkte anmeldet, staatliche Korrekturen und Einschränkungen fordert, der vergeht sich an dieser „Realität“. Eine solche Kritik mag noch so konstruktiv sein – sie ist einfach systemgefährdend. Ein schönes Bekenntnis zur Rücksichtslosigkeit des Systems der ‚sozialen Marktwirtschaft‘ und ein würdiges Schlusswort einer Sternstunde des demokratischen Parlamentarismus!
*
Und der richtige Auftakt für die weitere parlamentarische
Arbeit! Der Antrag der Linken auf Nachzählen, d.h. auf
statistische Ermittlung des Einsatzes von
Werkverträgen und Leiharbeit in Unternehmen
, wird an
die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Derweil schaffen
die Unternehmen in aller Freiheit die Fakten, um deren
Nachweis und politische Regelung die Opposition mit der
Regierungsseite in den Parlamentsgremien streiten darf
und will.