Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Piraten am Horn von Afrika
Ein interessanter Fall für Weltordnungshüter und Nationen, die es werden wollen
Nicht nur hierzulande wird das Publikum einige Wochen lang darüber in Kenntnis gesetzt, dass an der „wichtigsten Schifffahrtslinie zwischen Europa und Asien“ vor Somalia die Piraterie ausufert und die Politik sich darüber Sorgen macht. Da bleibt das Verständnis dafür nicht aus, dass sich auch unsere Kriegsmarine am Horn von Afrika um die Ordnung kümmern und den Seeräubern den nötigen Respekt vor fremder Fracht und Touristen beibringen muss. Was täten wir nur ohne unser Militär!
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Piraten am Horn von Afrika – ein interessanter Fall für Weltordnungshüter und Nationen, die es werden wollen
Nicht nur hierzulande wird das Publikum einige Wochen
lang darüber in Kenntnis gesetzt, dass an der
wichtigsten Schifffahrtslinie zwischen Europa und
Asien
vor Somalia die Piraterie ausufert und die
Politik sich darüber Sorgen macht. Da bleibt das
Verständnis dafür nicht aus, dass sich auch unsere
Kriegsmarine am Horn von Afrika um die Ordnung kümmern
und den Seeräubern den nötigen Respekt vor fremder Fracht
und Touristen beibringen muss. Was täten wir nur ohne
unser Militär!
*
Die Piraten leben an einem Ort, der in die unterste Staatskategorie, als ‚failed state‘, eingestuft wird. Die früher einmal existente somalische Staatsgewalt hat sich seit längerem aufgelöst. Nach jahrelangen Kämpfen zwischen rivalisierenden Clans, einer vorübergehenden Befriedung durch fromme Milizen und einer vom Westen in Auftrag gegebenen Intervention Äthiopiens gibt es inzwischen eine so genannte Übergangsregierung ohne eigene Geschäftsgrundlage und Anerkennung im Land; ihre Existenz beruht auf Überweisungen und Anweisungen des interessierten Auslands. Die Bevölkerung überlebt dank Hilfslieferungen der Vereinten Nationen, wenn überhaupt.
Die anarchischen Zustände locken allerlei Geschäftsleute an. In den Hoheitsgewässern ohne Hoheit gibt’s keine Lizenzgebühren und Fangquoten. Nicht nur europäische Fangflotten fischen regelmäßig mit ihren Fabrikschiffen und Ladekapazitäten von tausenden Tonnen die Bestände weg. Entsorgungsfirmen aller Herren Länder, italienische vorneweg, verklappen ihre giftige Fracht und sparen sich Müllentsorgungskosten. Vergiftete Fische und wachsende Krebsraten der Einheimischen sind im Preis mit drin.
Diese Art der Geschäftemacherei gehört zu der globalisierten Weltmarktwirtschaftsordnung schlicht dazu, ohne dass ein Aufheben davon gemacht wird. Zum Störfall wird die Anarchie, weil somalische Überlebenskünstler die allgemeine Rechtlosigkeit und Abwesenheit irgendwelcher Strafverfolgungsbehörden ihrerseits nutzen. Die ortsansässigen Fischer, ihrer natürlichen Nahrungsquelle zunehmend beraubt, verlangen von den auswärtigen Berufsfischern zunächst ‚Zölle‘ und ‚Steuern‘, bis sie zum Kapern übergehen. Daraus entwickelt sich eine kleine Schiffsentführungsindustrie, bestehend aus etwa fünf Seeräuberbanden mit mehr als tausend Mitgliedern und fünf Dutzend Booten & Schiffen, die 2008 etwa 110 Schiffe angreifen, 42 kapern, Dutzende Geiseln nehmen, mehrere Seeleute töten und geschätzte 100 Mio. US $ Lösegeld kassieren. Ganze Sippen ernähren sich davon, in gewissen Landesteilen wird ein nie gekannter Aufschwung erzeugt. Gemessen an der Zahl der passierenden Schiffe bewegen sich die Überfälle im Promillebereich, allerdings erfolgen sie immer weiträumiger, die Prisen werden immer fetter (Hilfslieferungen des UN-Welternährungsprogramms, Weizen für Iran, amerikanische Ölbohrausrüstungen) und spektakulärer (Panzer aus Sowjetbeständen, ein zum „9/11 der Weltmeere“ hochstilisierter saudischer Ölsupertanker), die Londoner Versicherungsprämien immer höher und die Vereinten Nationen, Reederverbände und Touristikunternehmen zunehmend nervös. Erste Schiffseigner sehen sich bereits zu der weit kostspieligeren Fahrt um Südafrika gezwungen.
Die imperialistische Ordnung ist gestört – und vor Ort existiert einfach keinerlei zuverlässige Garantiegewalt, die sich für die Interessen europäischer und asiatischer Handelsnationen haftbar machen ließe und gegen die Räuberbanden vorgehen könnte. Dass sich die Bedürftigen in einem gescheiterten Viertweltstaat zusammenrotten und bei Gelegenheit das Lebensnötige zusammenklauen oder Geld von denen holen, die es haben, darf nicht zur Gewohnheit werden. Auch und gerade unter den schwierigsten Überlebensbedingungen haben die Ortsansässigen an jedem Weg und an jedem Ufer Wegerecht zu gewähren. Deshalb sind die führenden Nationen herausgefordert, Sitte und Ordnung wieder herzustellen und ihren Prinzipien von Person, Eigentum und der Freiheit der Meere praktisch Geltung zu verschaffen. Damit weitet sich die Piraterie zu einer internationalen Affäre aus.
*
Frankreich geht voran, um nicht nur
seine Rolle als Ordnungskraft für Afrika zu bekräftigen,
sondern auch um seinen Anspruch auf den Status eines
führenden Weltpolizisten umzusetzen. Als erste darf sich
die in der Nähe stationierte französische Marine der
Piraten aktiv annehmen
. Anlässlich der Entführung
einer französischen Jacht mobilisiert der
Ministerpräsident 5000 Mann, befiehlt Kriegsgefangene
zu machen, um zu zeigen, dass sich Verbrechen nicht
lohnen
, und lässt die Piraten unter großzügiger
Auslegung des Völkerrechts durch somalische
Hoheitsgewässer jagen, im Landesinneren fangen und nach
Paris verfrachten, um ihnen den Prozess zu machen. Als
ständiges Mitglied aktiviert Frankreich den
Sicherheitsrat, das oberste Beschlussgremium der
Vereinten Nationen, um sein martialisches Vorgehen auch
noch als Muster für künftige Ordnungsstiftung zu
legitimieren und ihm den Rang eines neuen internationalen
Rechtszustands und eine institutionelle Form zu geben.
Paris fordert die Aufstellung einer aus EU und USA
zusammengesetzten „internationalen Meerespolizei“, die in
allen unsicheren Hoheitsgewässern Piraten jagen darf. Der
auch von Spanien und Griechenland unterstützte Vorstoß
für eine neuartige US/EU-definierte Welt-Innenpolitik der
suspendierten Souveränitätsrechte dienstunfähiger oder
dienstunwilliger Staaten wird jedoch abgeblockt. China
weist diese supranationale Law&Order-Politik auch im
Namen anderer Insel- und Küstenstaaten mit
piratendurchsetzten Hoheitsgewässern zurück.
Die USA sehen sich durch die
anarchischen Zustände in Somalia nicht nur als Hüter der
Freiheit der Weltmeere, sondern noch prinzipieller als
die Oberaufsichtsmacht der westlichen Weltordnung
herausgefordert. Im Rahmen ihres weltweit geführten
präventiven War on Terror
haben sie bereits die
als „strategisch sensibel“ eingestufte Gegend unter den
Generalverdacht eines Rückzugs- und Rekrutierungsraums
für Gruppen mit extremistischer Agenda
oder
Beziehungen zum internationalen Terrorismus
gestellt, ein Waffenembargo auch über Somalia verhängt
und ihre Verbündeten mit der Nato-Operation Enduring
Freedom
in Stellung gebracht. Seit dem erfolgreichen
Vordringen islamischer Dschihadisten hat sich die
amerikanische Lageanalyse weiter drastisch zugespitzt:
Die Situation in Somalia gilt als Bedrohung des
Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in der
Region
. Die Vereinten Nationen anerkennen diese
Beurteilung der Lage (UNO-Resolution 1724 aus dem Jahr
2006). Seitdem halten die USA einen Ordnungskrieg in
Somalia für überfällig, den willige Staaten im Auftrag
der Vereinten Nationen durchkämpfen sollen. Außer
vorübergehend Äthiopien und einer unterausgestatteten
Ordnertruppe der Afrikanischen Union (AU) findet sich
allerdings bisher niemand dazu bereit. Die Piratenaffäre
nehmen die USA zum Anlass für einen erneuten Versuch, ihr
zentrales Anliegen voranzubringen: Für die kriegerische
Installierung eines westorientierten Staatswesens wollen
sie die europäischen und asiatischen Welthandelsmächte
gewinnen, indem sie das Junktim aufmachen: Ohne einen
Kriegseinsatz in Somalia würden sie die
Bedrohung ihrer Hauptseeroute vor Somalia
niemals los, denn Piraten und Terroristen wären nur zwei
Sumpfblüten derselben Anarchie. Einen Beschluss zu einer
alle Nationen verpflichtenden UN-Peacekeeping-Mission in
Somalia erreichen sie zwar nicht, der Sicherheitsrat
verschiebt die Beschlussfassung auf Juni 2009. Allerdings
schließen sich die Sicherheitsrats-Mitstreiter
konstruktiv der Sicht der USA an. Und immerhin bekräftigt
der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erneut die
amerikanische Definition Somalias als
weltfriedensbedrohlicher ‚failed state‘, stuft das
Piratenproblem hoch zu einer Verschärfung
der Lage
und stellt deren bewaffnete Überfälle faktisch mit
kriegerischen Handlungen gleich. Die „fähigen
Staaten, Regionalorganisationen und
internationalen Organisationen“ werden
aufgefordert
, sich zunächst für ein Jahr mit
Marinefahrzeugen und Militärluftfahrzeugen
in, vor
und über Somalia aktiv am Kampf
gegen die
Seeräuber zu beteiligen und deren Wasserfahrzeuge und
Waffen bei hinreichend begründetem Verdacht
zu
beschlagnahmen
und zu beseitigen
(UNO-Resolution 1851 aus dem Jahr
2008).
Alle Beteiligten wissen, dass die Übergangsregierung in
Somalia keine Hoheit über das Land besitzt. Gleichwohl
wird der gescheiterte Staat vom UN-Sicherheitsrat
respektvoll behandelt. Souveränität, territoriale
Integrität und Luft- und Gewässerhoheit Somalias werden
völkerrechtlich korrekt aufgehoben, indem sich der
Sicherheitsrat von der ohnmächtigen Übergangsregierung
durch ein dringendes Hilfeersuchen
beauftragen
lässt, zwecks Sicherheit der internationalen Schifffahrt
das somalische Hoheitsgebiet und den Luftraum zur
Piratenjagd zu benutzen. Auf Antrag Chinas und anderer
Staaten, die wissen, wie der Westen mit auslegungsfähigen
UN-Resolutionen Politik macht, wird in der Resolution
ausdrücklich vermerkt, dass die aufgehobene Souveränität
Somalias keinen Präzedenzfall darstellt und kein
Völkergewohnheitsrecht begründet: Beim nächsten Fall will
China wieder gefragt werden! Die in der Staatenwelt
übliche diplomatische Heuchelei des verantwortlichen
Helfens kommt auch nicht zu kurz: Inszeniert als
gemeinsame Hilfe für ein handlungsunfähiges Mitglied der
Staatenfamilie, läuft eine große Beistandsaktion gegen
die Piratenplage an.
*
Im Auftrag der Weltgemeinschaft und auf Grundlage einer völkerrechtlich einwandfreien Lizenz kann damit das Ordnungsstiften am Horn von Afrika eröffnet werden. Das höchste Organ der Staatenwelt erteilt den Nationen das Recht auf Gewalt außerhalb des eigenen Territoriums und fordert sie auf, ihre Kompetenz dazu unter Beweis zu stellen: mit militärischen Mitteln gegen einen militärisch gar nicht satisfaktionsfähigen Feind. Die Gelegenheit lässt sich keine der besonders wichtigen Nationen entgehen: Mehr als zwei Dutzend Staaten können sich ihrer Verantwortung nicht entziehen und beteiligen sich. Einige ergreifen die Chance, sich erstmalig – zwar nur in einer unterklassigen Affäre, immerhin aber in einer strategisch brisanten Weltgegend und mit einer risikolosen und dennoch weltweit wahrnehmbaren Demonstration – ins Weltordnungsgeschäft einzuschalten, unternehmen die Seereise zum Golf von Aden und kümmern sich gleich vor allem einmal um eine logistische Basis, mit der sie sich in der Region einnisten. Manche sind als Ordnungskräfte bereits routiniert mit verschiedenen Kommandos vor Ort tätig, haben längst ihre Auslandsniederlassung und brauchen bloß ihre schon präsenten Schiffe per Beflaggung umzuwidmen. Und wieder einmal sind die Amerikaner die Allerzuständigsten, weil sie ihre Militärmacht längst in diese heikle Weltgegend „projiziert“ haben.
In schöner Einigkeit übernehmen diese Staaten den
UN-Auftrag, die Lebensmittelhilfe des
Welternährungsprogramms vor Piraten zu schützen,
schließlich gehört das Füttern der somalischen Stämme
und Entitäten
(Außenminister
Steinmeier) zur Elendsverwaltung einer
Weltordnung, deren Nutznießer sich das als ihre edle
Seite hoch anrechnen. Damit hat sich’s jedoch bereits mit
der Solidarität der vereinigten Piratenjäger. Denn
natürlich wissen sie Anlass und Moral auf der einen
Seite, ihr Interesse mitzumischen, wo gewaltsame
Ordnungseinsätze laufen, auf der anderen Seite
auseinanderzuhalten. Entsprechend argwöhnisch beobachten
sie einander, registrieren kritisch, wer von wo mit
welchen Gerätschaften am Horn von Afrika auftaucht, von
wem wer Stützpunktrechte erhält, wer mit wem
zusammenarbeitet, und schätzen ab, was der jeweils andere
politisch im Schilde führt. Denn jeder Staat und
Staatenverband weiß vom andern, wie berechnend Weltmächte
jede Affäre ausnützen, um sich ein Stück Respekt zu
verschaffen. Und genau so richten sie ihre Intervention
auch ein:
Die USA stellen aus der gewaltigen Streitmacht, die sie in der Region zusammengezogen haben (u. a. die 5. Flotte im Persischen Golf), mehrere Kriegsschiffe ab, die sich als „Vereinte Eingreiftruppe 151“ anbieten, diverse Einheiten anderer Nationen einzusammeln, um im Golf von Aden, im Indischen Ozean und im Roten Meer gemeinsam Patrouille zu fahren: auch da ein bisschen „Allianz der Willigen“.
Die NATO stellt im Namen der
Energiesicherheit einen Flottenverband auf, weil der
Transport des arabischen Öls durch den Golf von Aden für
die westlichen Staaten von höchster Bedeutung ist und
nicht durch Piraten gefährdet werden darf.
(Generalsekretär J. de Hoop
Scheffer) Das ist das Bündnis seinem Anspruch auf
globale Zuständigkeit schuldig.
Die Europäische Union nutzt die Gelegenheit, um nach der Kongo-Mission zum zweiten Mal in Richtung afrikanischer Nachbarkontinent aufzubrechen. Durch ihren ersten maritimen Auftritt als autonomes Weltordnungssubjekt kommt sie mit ihrer „Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (ESVP) wieder einen Schritt voran: Die Mission ‚Atalanta‘ demonstriert ihren Willen, sich von der Angewiesenheit auf das transatlantische Militärbündnis zu emanzipieren. Mit der Öffnung von ‚Atalanta‘ für Drittstaaten präsentiert die EU sich außerdem ihrerseits als Führungsmacht, die willens und in der Lage ist, Bündnispartner um sich zu sammeln, und markiert so ihre Konkurrenz zu den USA.
Großbritannien, ehemalige Kolonialmacht Somalias, bei den Kriegen der USA immer an vorderster Front mit dabei, stellt erstmalig die Kampfkraft der königlichen Kriegsmarine in den Dienst der EU und setzt sich als erste Kommandomacht der Euroseestreitkräfte gleich an die Spitze von ‚Atalanta‘, nicht ohne seinem special ally zu versichern, die britisch-europäische Gemeinschaftsaktion sei selbstverständlich keineswegs antiamerikanisch gemeint.
Deutschland weiß, was es an Europa hat
und mit der EU vorhat, und nimmt selbstverständlich an
der europäischen Antipiratenmission teil.
Verantwortungsvoll und gewissenhaft wie in sonst kaum
einem Land wird der Einsatz vorbereitet. Weil gegen die
Piraten die Kriegsmarine eingesetzt werden soll, ringt
die Politik um Klarheit bei der Arbeitsteilung zwischen
den Exekutivgewalten: Die Schmach
wird ausgemalt,
wenn unsere topausgebildeten und topausgerüsteten
Seemannschaften, die als NATO-Partner seit Jahren im Golf
von Aden das Waffenembargo durchsetzen, tatenlos den
bewaffneten Überfällen auf fremde Staatsbürger und Fracht
zusehen müssten, weil sie kein Schussrecht gegen
nicht-staatliche Missetäter haben, was die Seepolizei
hätte, der es aber wieder an Schiffen und Kanonen
mangelt. Drei Tage lang sorgt sich die Nation um
Verfahrensfragen und die Einhaltung des Instanzenwegs auf
Hoher See. Das Hin und Her zwischen Militärgewalt und
Polizeigewalt, zwischen Schießen-Wollen, -Können und
-Dürfen mündet endlich!
in die Lizenz zur freien
Handhabung des Gewaltmitteleinsatzes. Der
Parlamentsvorbehalt für militärische Auslandseinsätze
wird ausgeräumt: Die Regierung überzeugt die
Volksvertreter mit dem selten harmonischen Zusammenfallen
von internationaler Verantwortung, humanitärer
Zielsetzung und Staatsmaterialismus bei der
Antipiratenmission. Der Außenminister verweist auf den
Nutzen von ‚Atalanta‘: Von den 20 000 Schiffen
,
die den Golf von Aden passieren, gehören viele davon
deutschen Reedereien oder transportieren Fracht aus oder
für Deutschland
. Mit sehr großer Mehrheit beschließt
der Bundestag ein robustes Mandat
, ausgedeutscht:
Das schließt ausdrücklich die Anwendung von Gewalt
ein
(Außenminister); es
geht um echte Kampfeinsätze
(Verteidigungsminister). Günstig
andererseits, dass die Piratenmilitanz ‚asymmetrisch‘ ist
und mit nennenswerter Gegenwehr nicht gerechnet zu werden
braucht: Deutschland erobert sich ein wenig kriegsmäßigen
Fortschritt, ohne deswegen gleich in einen Krieg zu
geraten. Kundige Berliner Weltpolitiker denken gleich
noch weiter, nämlich was sie immer denken: Vielleicht
nützt ein ebenso „robuster“ wie humaner und
menschenrechtlich einwandfreier – es darf kein
Guantánamo auf hoher See geben
(Jung) – Kampfeinsatz ja etwas für den
angestrebten ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat,
schließlich hat der Kontinent mit seinen über fünfzig
Staaten ein hohes numerisches Gewicht in multilateralen
Organisationen und Institutionen
(von Klaeden, CDU).
Indien, bereits in etlichen UN-Friedensmissionen als Ordnungsstifter mit vielen Soldaten auf dem afrikanischen Kontinent präsent, schickt an die strategische Gegenküste seine Marine – die macht kürzesten Prozess und versenkt ein Schiff – und empfiehlt sich so als Schutzmacht des Indischen Ozeans, die afrikanischen Geschäftspartnern mehr zu bieten hat als Geld. Gar nicht nebenbei gelingt es, in Oman Anlegemöglichkeiten für Kriegsschiffe zu erhalten. So wird der Raum markiert, in dem das indische Militär ‚vitale Interessen‘ der Nation zu verteidigen hat.
China demonstriert, dass ihm heimische
Landesverteidigung, Küstenschutz und Aufstieg in Asien
nicht mehr genügen. Es beendet seine fast 600jährige
Abwesenheit auf den Weltmeeren und schickt seine beiden
modernsten Zerstörer mit sophisticated
(China Daily) Raketentechnik
und Elitetruppen. Mit dem Besten aus eigener Produktion
dokumentiert Peking seinen Willen und seine Fähigkeiten,
weit im Westen Flagge zu zeigen. Ausgerechnet mit Teheran
ist es übereingekommen, auf einer Insel im Persischen
Golf einen Militärstützpunkt einzurichten: eine deutliche
Mitteilung, dass die Volksrepublik sich nicht
vorschreiben lässt, mit wem sie Kooperationen eingeht.
Diese Botschaft richtet sich an die USA und die EU und
ebenso an die vielen afrikanischen Rohstoffländer, denen
Peking Partnerschaften und damit Alternativen zur
Abhängigkeit von den alten Weltmächten anbietet.
Japan stellt klar, dass es exakt so
viele gute Gründe für die Antipiratenmission hat wie die
anderen großen Nationen auch. Für den Fall, dass Tokio
dieser Verantwortung ausweichen sollte und nicht als
volltaugliches, gleichberechtigtes und gleich befähigtes
Staatenmitglied vor Afrika dabei ist, sieht ein
ehemaliger Verteidigungsminister das ökonomische
Interesse der zweitgrößten Handelsnation
gefährdet
und das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft
(Nakatani) schwer beschädigt.
Durch die berühmte pazifistische Verfassung, die nur die
Selbstverteidigung der eigenen Staatsbürger, Schiffe und
Frachten erlaubt, darf sich die zweitgrößte Kriegsmarine
im asiatisch-pazifischen Raum jedenfalls nicht länger
fesseln lassen. Für die juristisch noch notwendigen
Regelungen bieten die Schiffsüberfälle vor Afrika eine
passende Gelegenheit: Eine „antipiracy legislation“ ist
in Arbeit.
Russland begleitet mit seinen Marineeinheiten ebenfalls die Schiffe der UN-Nahrungsmittelhilfe und etliche kommerzielle Fahrten diverser Nationen und handelt mit der Übergangsregierung einen Vertrag über einen Stützpunkt in Somalia aus; die Errichtung weiterer Stützpunkte – im Jemen, in Syrien und in Libyen – wird sondiert. So arbeitet Moskau daran, aufgegebene Basen zurückzugewinnen und nach 20jähriger Abstinenz ein ehemaliges sowjetisches Einflussgebiet wieder dauerhaft als Aktionsraum für die Kriegsmarine zu erschließen. Das russisch-indische Seemanöver ‚Indra 2009‘ vor der Küste Somalias signalisiert den neuen solidarischen Willen zweier aufstrebender Großmächte, das Weltordnen nicht den einstweilen noch größeren Rivalen zu überlassen.
Der Iran, ebenfalls angewiesen auf
gesicherte Handelswege für seine Ölausfuhren und Importe,
ist auch mit zwei Zerstörern vor Ort, ist also auch
fähig
im Sinne der UNO-Resolution, aber deswegen
noch lange nicht berechtigt, sich den übrigen
Ordnungshütern solidarisch anzuschließen. Aus
maßgeblicher amerikanischer Sicht ist die Präsenz
persischer Kriegsschiffe nichts als der untaugliche
Versuch, Kontrolle über die Region zu gewinnen. Ohnehin
betätigt Iran sich als Ober-Störenfried in der Region,
nimmt sich zu viel heraus und gehört schon längst
‚eingedämmt‘. Nicht zuletzt deswegen hält sich
schließlich die 5. Flotte im Persischen Golf für alle
Eventualitäten bereit. Die frische „Vereinte
Eingreiftruppe 151“ ist auch zum Aussortieren und
Aufspüren von falschen Waffenladungen am Golf von Aden.
Dass Teherans logistische Basis ausgerechnet ein Hafen in
Eritrea ist, bestätigt vollends eine Verdachtskette,
wonach aus dem Iran stammende Waffen über Eritrea zu den
kämpfenden Islamisten in Somalia geschmuggelt werden.
*
Nebenbei gibt es schließlich auch noch eine Initiative,
die ausnahmsweise mehr mit den Piraten zu tun hat als mit
den weltordnungsdiplomatischen Berechnungen, die die
imperialistisch kompetenten und ambitionierten Nationen
mit der Entsendung von Kriegsschiffen ans Horn von Afrika
verbinden: Die Internationale
Seeschifffahrts-Organisation (IMO) der UNO
verpflichtet neun arabische und afrikanische Staaten im
Djibouti Code of Conduct
dazu, Informationen über
potenzielle Seeräuber auszutauschen, sie zu verfolgen,
vor Gericht zu bringen und einzusperren. Dafür müssen sie
sich wechselseitig erlauben, mit Militär in die
Hoheitsgewässer der je anderen einzudringen. Der
Bequemlichkeit beim Piratenfang dient ebenso das Abkommen
der EU mit Kenia über die gerichtliche Entsorgung
eingesammelter Störenfriede. Die würden nämlich sonst nur
stören – bei dem großen Seemanöver, für das ihre
Missetaten den Anlass hergeben, das aber einen
politischen Inhalt hat, von dem die Piraten sich mit
Sicherheit nichts haben träumen lassen: Nationen, die als
wichtige Seemächte zur Kenntnis genommen und als für die
Region zuständige Ordnungsmächte anerkannt werden wollen,
zeigen Flagge.