Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Gute Presse für Protestpartei:
„Streng öffentlich!“ – Piraten machen aus Parteienverdrossenheit Wählerstimmen

Wenn die etablierten Meinungsmacher sich, Öffentlichkeit und Politik davor warnen, den Berliner Wahlerfolg der Piratenpartei „als Scherz am Rande abzutun“ (SZ, 20.9.11), – wenn sie im Gegenteil der Protestpartei einen ähnlichen Erfolg auf Bundesebene hochrechnen, der die Parteienlandschaft womöglich noch weiter aufsplittert, – wenn sie diesem „Haufen Spinner“ (SZ 20.9.) Ahnungslosigkeit in sämtlichen politisch brisanten Themen bescheinigen, – wenn sie überhaupt das Fehlen eines politischen Programms vermerken, – wenn sie an den Neulingen die realpolitische Professionalität vermissen, – wenn sie ihnen einen utopischen Hang zur direkten Demokratie, wo jeder irgendwie mitbestimmen soll, nachsagen, – und wenn sie sogar davon reden, dass „die neue Bewegung nichts weniger als die Systemfrage stellt“, um „den Politikbetrieb in den kommenden fünf Jahren aufzumischen“ (Spiegel 39, 2011), dann ist daran nur eines ungewöhnlich: dass das alles gar nicht im Tonfall der Beschimpfung, sondern – und da präsentiert sich das Pressespektrum in seltenem Gleichklang – in dem des Wohlwollens, sogar Beifalls vorgebracht wird: Da „kann man nicht anders, als voller Respekt und ohne Ironie den Siegeszug dieser modernen politischen Bewegung zu rühmen“ (faz.net 29.9.). Wie kommen die Rebellen zu der Ehre?

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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Gute Presse für Protestpartei:
„Streng öffentlich!“ – Piraten machen aus Parteienverdrossenheit Wählerstimmen

Wenn die etablierten Meinungsmacher sich, Öffentlichkeit und Politik davor warnen, den Berliner Wahlerfolg der Piratenpartei als Scherz am Rande abzutun (SZ, 20.9.11), – wenn sie im Gegenteil der Protestpartei einen ähnlichen Erfolg auf Bundesebene hochrechnen, der die Parteienlandschaft womöglich noch weiter aufsplittert, – wenn sie diesem Haufen Spinner (SZ 20.9.) Ahnungslosigkeit in sämtlichen politisch brisanten Themen bescheinigen, – wenn sie überhaupt das Fehlen eines politischen Programms vermerken, – wenn sie an den Neulingen die realpolitische Professionalität vermissen, – wenn sie ihnen einen utopischen Hang zur direkten Demokratie, wo jeder irgendwie mitbestimmen soll, nachsagen, – und wenn sie sogar davon reden, dass „die neue Bewegung nichts weniger als die Systemfrage stellt“, um den Politikbetrieb in den kommenden fünf Jahren aufzumischen (Spiegel 39, 2011), dann ist daran nur eines ungewöhnlich: dass das alles gar nicht im Tonfall der Beschimpfung, sondern – und da präsentiert sich das Pressespektrum in seltenem Gleichklang – in dem des Wohlwollens, sogar Beifalls vorgebracht wird: Da kann man nicht anders, als voller Respekt und ohne Ironie den Siegeszug dieser modernen politischen Bewegung zu rühmen (faz.net 29.9.). Wie kommen die Rebellen zu der Ehre?

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Eher nicht wegen des Kampfs fürs freie Internet, der die Piraten bekannt gemacht hat. Vielmehr sind diese dabei, sich Freiheit und Transparenz in einem deutlich allgemeineren und politischen Sinn auf ihre Flaggen zu schreiben, wenn sie die etablierte Politik nicht nur der Gängelung des Individuums im Netz bezichtigen, sondern ihr überhaupt vorwerfen, für den Bürger eine einzige Undurchsichtigkeit zu sein: ‚Im Moment spielt sich Politik doch irgendwo da oben ab‘, sagt (der Pirat) Weisband, ‚das ist kein Zustand, der haltbar ist.‘ (SZ, 6.10.11) Woraus man als Pirat folgert: „Also ging es darum, wie man Politik präsentiert. Die Partei lebt Transparenz vor. Das hat sehr viele Menschen begeistert. Die sind nicht politikverdrossen. Die sind parteienverdrossen.“ (Die Zeit, 29.9.) Jedenfalls will diese Protestpartei dem Land keinen geringeren Dienst erweisen, als der Staatsverdrossenheit entgegenzuwirken (Piratenpartei „Unsere Ziele“).

Und damit – mit dem richtigen Thema zur rechten Zeit (SZ, 14.10.) – findet sie nicht nur Wähler, sondern eben auch Applaus von berufener Seite. Denn das Ideal der Transparenz politischer Machtausübung gefällt der Presse, überhaupt den Profis der medialen Öffentlichkeit, gut. Die spüren die Nähe zu ihrem Geschäft, ist es doch ihr ureigenstes Ethos, den Bürger über Ansagen und Anliegen der politisch Mächtigen lückenlos zu informieren, was schon als Kontrolle der Macht gilt, und so seine Anteilnahme an den Drangsalen der Republik wach zu halten. Wo mündige Subjekte stets Einsicht in die Manöver ihrer Obrigkeit nehmen und diese sie ihnen schuldet und gewähren muss, sind deren Zumutungen an die Bürger – wenn offengelegt – schon kaum mehr Zumutungen; jedenfalls können die Gegensätze zwischen Regierten und Regierenden nicht grundsätzlicher und unüberbrückbarer Art sein, sondern vor allem eine Frage unzureichenden Informationsflusses, fehlender Transparenz eben.

So sehen es die Vertreter der medialen Gewalt. Das Misstrauen, dass die Politiker etwas verheimlichen und es überhaupt an der Vermittlung ihrer Politik fehlen lassen, gehört von daher zu ihrem Berufsstand. Wo es an dieser Transparenz mangelt, kehrt sich ihnen das demokratische Idyll vom vertrauensvollen Miteinander im Gemeinwesen um in ein Gegeneinander von den Machern da oben, denen die da unten gleichgültig, teilnahmslos bis feindselig gegenüberstehen. Um diese Politikverdrossenheit der Bürger sorgen sich die Meinungsmacher seit geraumer Zeit, sie haben für ihre Brisanz mit der Figur des Wutbürgers einen Namen gefunden – und gratulieren nun den Piraten dazu, dass die den Missstand prompt in ihren Erfolg ummünzen. Sie sehen in ihnen den Partei gewordenen Beleg der Dringlichkeit ihres eigenen kritischen Bemühens um Mediation zwischen Volk und Führung.

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Diese Stilblüte demokratischer Politikkultur, dass man aus einem Überdruss an den Parteien schon wieder eine Partei zimmert, finden die Kommentatoren von daher völlig nahe liegend. Denn wenn man das verbreitete Misstrauen in die etablierte Politik dadurch in Vertrauen für sich umwandeln kann, dass man sich als Partei das Profil gibt, sich der Sanierung des brüchigen Verhältnisses anzunehmen, passt das gut zum Befund einer Parteienverdrossenheit, also einer allgemein kritischen Stellung zur herrschenden Politik, die soweit ohne jede Kritik an einem politischen Inhalt auskommt: „Mehr als gegen die Inhalte der anderen Parteien richten sich die Piraten gegen die Art und Weise, wie bislang Politik in Deutschland gemacht wurde.“ (Spiegel 39, 2011)

An die inhaltslose Selbstkritik der etablierten Parteien, die im Falle des Misserfolgs mit dem Versprechen vor den Wähler treten, dass sie daran arbeiten werden, ihr an sich richtiges Programm ihm in Zukunft besser rüberzubringen, also an diese selbst verordnete Bürgernähe als Vermittlungsmethode der politischen Agenda, hängen sich die Piraten dran, um aber die Bürgernähe selbst zum zentralen Programminhalt für sich zu machen.

Diese Eigentümlichkeit registrieren öffentliche Beobachter einerseits etwas befremdet: Die Neuen wirken irgendwie aufregend, irgendwie frisch und irgendwie sympathisch. Aber was zum Kuckuck wollen diese Leute? (Spiegel 39, 2011) Andererseits weicht das Kopfschütteln darüber, dass diese Partei zu Finanzkrise und Afghanistan nichts zu vermelden hat, der Sympathie dafür, wie offen, locker und „undogmatisch“ die Neulinge sich ein paar Inhalte zusammenkratzen, indem sie die Programme der etablierten Parteien entern, dort ein paar Phrasen abstauben, um sie jeweils mit ihrer Forderung nach Transparenz aufzufrisieren. So fordern sie dann z.B. den „transparenten Umgang mit den natürlichen Ressourcen“.

Dass die Partei demnächst – streng öffentlichihr Themenspektrum schrittweise unter breiter Einbeziehung aller Mitglieder erweitert (Piratenpartei, „Unsere Ziele“), gilt dabei bereits als ganz neuer „Politikstil“. Gutgeschrieben wird der Protestpartei auch, dass sie auf das herkömmliche „Rechts-Links-Schema“ nichts gibt, weshalb die Presse Forderungen wie die nach einem bedingungslosen Grundeinkommen oder kostenlosem Nahverkehr gar nicht erst für links hält oder als Inhalt ernst nimmt. Sie findet das eher süß als den unbeholfenen (weil wirklichkeitsfremden) Versuch, überhaupt so etwas wie eine inhaltliche Position vorzuweisen. Mit Nachsicht werden auch Aufrufe wie Der Zwang zum geschlechtseindeutigen Vornamen ist abzuschaffen (Spiegel 39, 2011) zitiert, um großzügig über sie hinwegzugehen.

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Wenn die Kommentare die Piraten gegen ihren Ruf von der bornierten „Ein-Themen-Partei“, nämlich „Internet-Partei“, verteidigen, zielt das also weniger darauf, dass man von dieser Partei thematisch noch einiges erwarten darf. Die Medien haben ihr vielmehr ein anderes Thema, einen höheren Auftrag zugedacht, was sich die Piraten gern gefallen lassen: Kaum hat die Protestpartei einige, die schon ins Reich der Nichtwähler geflüchtet waren (Spiegel 39, 2011), ins Reich der Wähler heimgeholt, wird sie für einen wertvollen Beitrag zur deutschen Politkultur gelobt, als Auffangbecken für Aussteiger (SZ, 14.10.), die sonstwohin abdriften könnten. Dass die Parteienverdrossenheit genau dadurch zu heilen ist, dass man eine Partei wählt, die die Parteienverdrossenheit auf der politischen Bühne repräsentiert, finden die Kommentatoren, wie gesagt, gar nicht sonderbar. Im Gegenteil: Etablierte Journalisten halten Leute, denen die meisten Deutschen vor kurzem nicht mal ihren Dackel anvertraut (Spiegel 39, 2011) hätten, auf einmal für sehr tauglich, das Vertrauen des Wählers (zurück)zugewinnen. Und zwar schlicht damit, dass sie eben nicht etabliert sind. Wo die Piraten selbst den Fingerzeig auf das Alter ihrer Konkurrenz schon für eine Kritik und die eigene Jugend für ein flottes Wahlargument halten, geben die Medien das positive Echo: Die Spezies des jungen, unverbrauchten, unkonventionellen und unprofessionellen Politnovizen erscheint ihnen gerade recht, das stark verkratzte Bild vom glaubwürdigen Politiker aufzupolieren. Realpolitscher Dilettantismus und sachpolitische Inkompetenz – sonst der Ruin politischer Glaubwürdigkeit – eignen sich hier mal bestens als Vertrauenswerbung.

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Diese allgemein anerkannte Eigenschaft der Glaubwürdigkeit, die sehr vom Willen des Wählers abhängt, dem Gewählten zu vertrauen, setzt freilich voraus, dass der Wähler die Macht beim Repräsentanten abgeliefert und weiter nichts zu melden hat. Denn wieso müsste er ihm sonst immerzu glauben und vertrauen? Schließlich ist die damit unterstellte Trennung der politischen Macht von dem ihr unterworfenen Volk der Ausgangspunkt jeder gelungenen Vermittlung.

Diese Trennung liefert den Maßstab, ist sozusagen die Hardware der Politiktüchtigkeit, auf die hin die Piraten eben auch gemustert werden: Kaum sind sie für den neuen Schwung und Stil in der Mediation zwischen Volk und Führung gelobt worden, kriegen sie die Gretchenfrage serviert, wie sie es mit der Souveränität politischer Entscheidungsträger halten. Also wie ernst so Flausen von direkter Demokratie und Jeder kann mitmachen, wann er will und wie er will (faz.net 29.9.) gemeint sind. Die Antwort von einem Oberpiraten: Es geht nicht darum, dass jetzt jeder Bürger über jedes Thema abstimmt, das würde nicht funktionieren. Sondern darum, die repräsentative Demokratie um weitere partizipative Elemente zu erweitern. Die letztendliche Entscheidung wird trotzdem wieder von den Abgeordneten getroffen. Das ist auch in der Piratenpartei so. (Pirat Nerz in: Die Zeit, 29.9.)

Das registriert die Presse einerseits mit Genugtuung, erster Reifetest quasi bestanden. Andererseits bleibt das Misstrauen, ob es diese Neulinge mit dem Öffentlichkeitsidealismus, der ihnen Wählerstimmen bringt, nicht doch etwas zu weit treiben: Werden die Piraten im Sinne der vollkommenen (!) Transparenz auch aus nicht öffentlichen Ausschusssitzungen bloggen? ‚Da gibt es bei unterschiedlichen Leuten unterschiedliche Ansätze‘ wiegelt (der Pirat) Meyer ab. So richtig auf Konfrontationskurs ist sie nicht, diese neue Protestpartei. (SZ, 20.9.)

So vertrauen die Kommentatoren darauf, dass die jungen Wilden, die inhaltlich sowieso mit nichts aus dem Ruder laufen, sich auch mit ihrem Politikstil den Sachgesetzen verantwortlicher demokratischer Realpolitik unterordnen werden. Für die Gelassenheit dieses Befunds spricht auch die ironische Prognose, dass dieselben Rebellen, die sie heute noch großzügig mit ihrer „betont unprofessionellen“ Art punkten lassen, morgen schon etabliert und weniger „sexy“ sein dürften: Sie scheint sich in Windeseile zu vollziehen, diese Metamorphose vom Netzrebellen zum Staatsmann (SZ, 29.9.). Damit trägt die Frischzellenkur der Demokratie, für die sie die Piraten nominiert haben, bereits ihr Verfallsdatum in sich; das relativiert all die Komplimente für das Wie, letztlich zählt eben doch das Was der politischen Räson. In diesem Sinn folgt dem Dankeschön an die Politstylisten für die Brise frischer Wind, über den das Land sich freuen sollte, der spöttische Gruß: Den Piraten ansonsten ein herzliches ‚Viel Spaß!‘ in der Bezirksverordnetenversammlung (SZ, 20.9.).