Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Gysis bunte Truppe proudly presents:
Demokratischer Sozialismus 98 – charakterlos, dumm und unterwürfig
Die PDS wird strikt aus dem Lager der herrschenden Demokraten ausgegrenzt. Für die Partei kein Anlass, sich mit Sinn und Funktionsweise der Toleranz in einer Demokratie auseinander zu setzen, sondern für einen „offenen Brief“. 6 vergangenheitsbewältigende Bekenntnisse der Partei zur bundesdeutschen marktwirtschaftlichen Nation, die einem die Socken ausziehn.
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Gysis bunte Truppe proudly
presents:
Demokratischer Sozialismus 98 –
charakterlos, dumm und unterwürfig
Eine sensationelle Botschaft läßt die PDS-Spitze durch einen offenen Brief verbreiten: Neulich waren wir noch für die DDR, jetzt sind wir für die BRD.
Diese Mitteilung halten Gysi und Co. allen Ernstes für einen Wahlkampfknüller. Als Anlaß nehmen sie einen Artikel von Richard v.Weizsäcker her, in dem der graumelierte elder Statesman sich gegen die „Rote-Socken-Kampagnen“ seines Parteigenossen Hintze ausgesprochen und gleichzeitig von der PDS eine „unzweideutige Distanzierung vom Unrecht der Diktatur der SED“ und einen „erkennbaren Willen zur deutschen Einheit“ gefordert hat. Darin sehen die Vertreter des demokratischen Sozialismus eine wunderbare Gelegenheit, sich als „unumkehrbar“ geläuterte Demokraten zu präsentieren. Denn 8 Jahre nach der Einheit haben sie nach wie vor vor allem ein Haupt- und Generalproblem mit ihrer neuen Heimat: Sie sind damit konfrontiert, daß sämtliche etablierten demokratischen Parteien die PDS strikt aus dem Lager der ehrenwerten Demokraten ausgrenzen. Daraus zieht die Führungsriege der PDS keinesfalls einen Rückschluß auf Sinn und Funktionsweise der Toleranz in einer lebendigen Demokratie. Sie sieht nicht den geringsten Anlaß, sich ein bißchen mit Demokratiekritik zu beschäftigen, sondern betreibt nur um so entschlossener ihre Eingrenzung in den demokratischen Zirkus.
Die Auslassungen des Ex-Bundespräsidenten kommen ihr da gerade recht. Der hatte zwar streng genommen auch nur wiederholt, was alle kämpferischen Demokraten gegen die PDS ins Feld führen; den Verdacht nämlich, in deren Reihen ließe die „unzweideutige Distanzierung vom Unrecht der SED-Diktatur“ zu wünschen übrig. Aber die PDS-Wahlkampfstrategen nehmen die Sache positiv und interpretieren das Ganze als zukunftsweisendes Angebot eines über jeden Zweifel erhabenen westdeutschen Edel-Demokraten, die demokratische Ausgrenzungsfront gegenüber der PDS aufzulockern. Die führenden Köpfe des neuen deutschen Sozialismus tun so, als hätte Weizsäcker nur ein paar Bedingungen formuliert, unter denen man auch „ehemalige SEDler“ in den erlauchten Kreis der echten Demokraten aufnehmen könnte, und haben nichts Besseres zu tun, als einen „langen Diskussionsprozeß“ anzuleiern, als dessen Ergebnis ein offener Brief präsentiert wird, der einem die Socken (welcher Farbe auch immer) auszieht.
„. …Bis September 1989 hatten das von uns verinnerlichte Fraktionsverbot und verschärfte Parteiverfahren dazu geführt, uns in dieser auch selbstverschuldeten Unmündigkeit gegenüber der Diktatur der SED-Führung zu halten. Es bedurfte neben den Ideen der Perestroika der lange unterdrückten Bürgerbewegungen, der Flucht vieler junger Menschen aus der DDR und der Massendemonstrationen, damit wir endlich aufbegehrten und das Schicksal der Partei, der wir angehörten, zu bestimmen begannen. Es lastet auf unserem Gewissen, daß wir dies spät, zu spät taten. Aber wir haben durch Demonstrationen und innerparteiliche Erneuerung das Politbüro und das Zentralkomitee in den Rücktritt gezwungen und im Dezember 1989 einen auf demokratischer Grundlage konstituierten Parteitag durchgeführt. Es war für uns eine Befreiung.
Dieser von uns frei bestimmte Parteitag begann mit der Entschuldigung für das Unrecht in der DDR und brach mit der staatskommunistischen Diktatur und der kommunistischen Kaderpartei, die eine führende Rolle beanspruchte. Dieser Bruch ist unumkehrbar… Es ist für uns eine bittere Erkenntnis, daß viele von uns um großer Ideale willen Strukturen der Unterdrückung mitgetragen und Verfolgung Andersdenkender zugelassen haben. Dafür stehen wir in einer andauernden moralischen Verantwortung…
Die Wahrung der im Grundgesetz der Bundesrepublik verbürgten Grundrechte ist für uns unverzichtbar geworden. Menschen, die diesen Prinzipien gegenüber feindlich eingestellt sind, haben keinen Platz in unserer Partei…
Als deutlich wurde, daß die Vereinigung der beiden deutschen Staaten der Integration Osteuropas in die Europäische Union vorangehen würde, haben wir uns für einen Vereinigungsprozeß ausgesprochen, der sich auf der Basis der Gleichberechtigung und der größtmöglichen Nutzung der eigenen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Potentiale der Ostdeutschen vollzieht…
Eine solche Politik der PDS stellt das genaue Gegenteil eines Schürens antiwestlicher Stimmungen durch die PDS dar… Gestatten Sie uns die Zuspitzung: Wer die offenkundig bestehende Benachteiligung Ostdeutscher beseitigen will, vereinigt, wer die Benachteiligung rechtfertigt und zementiert, der spaltet.
Der Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaften des Staatssozialismus hat uns davon überzeugt, daß die Beachtung marktwirtschaftlicher Prinzipien eine Grundbedingung für wirtschaftliche Effizienz und Innovationsfähigkeit darstellt und zur sozialen Freiheit beitragen kann. Aber wir haben auch erfahren, daß die Orientierung auf den „Markt pur“ gefährlich ist. Der Markt muß sein, aber nicht so, wie er ist. Und er kann sozial verantwortungsvolle Politik nicht ersetzen, sondern ist auf sie dringend angewiesen, sonst zerstört er die Gesellschaft nicht weniger, als dies totalitäre Diktaturen taten…
Gerade die permanente Aushöhlung des Grundgesetzes durch Mehrheiten von Regierung und Bundesrat bringt die Opposition, also auch uns, zunehmend zu dem für Sie vielleicht überraschenden Selbstverständnis, die eigentlichen Verfassungspatrioten zu sein… Wir nehmen uns das Recht, mit demokratischen Mitteln die politischen und sozialen Menschenrechte zu verteidigen. Darin sehen wir unseren Beitrag zur Lösung der substantiellen Fragen unseres Landes.“
Prof. Dr. Lothar Bisky, Bundesvorsitzender der Partei des Demokratischen Sozialismus, Dr. Gregor Gysi, Vorsitzender der Bundestagsgruppe der PDS, Rosemarie Hein, Landesvorsitzende der PDS Sachsen-Anhalt, Helmut Holter, Landesvorsitzender der PDS Mecklenburg-Vorpommern, Petra Pau, Landesvorsitzende der PDS Berlin, Prof. Dr. Peter Porsch, Landesvorsitzender der PDS Sachsen, Wolfgang Thiel, Landesvorsitzender der PDS Brandenburg, Gabi Zimmer, Landesvorsitzende der PDS Thüringen (Frankfurter Rundschau, 6.8.98)
Die PDS-Führung hat kapiert und akzeptiert, daß eine Abrechnung mit dem alten DDR-Sozialismus ansteht und eine glaubwürdige Demonstration ihrer Läuterung zum einzig menschenwürdigen System, das nun mal – unübersehbar spätestens seit 1989 – in der marktwirtschaftlichen bundesdeutschen Nation zu Hause ist. Daß das nicht mit dem sachdienlichen Hinweis zu erledigen ist: „Jawoll, wir sind jetzt echte Demokraten und schwer für die Marktwirtschaft!“ versteht sich von selbst. Eine Runde Schämen für vergangenes „SED-Unrecht“ will demokratisch glaubwürdig in Szene gesetzt, also echte menschliche Zerknirschung vorgeführt werden. Dabei gilt es unbedingt, die Hauptregel zu beherzigen: Die eigene Rolle in der Vergangenheit auf gar keinen Falle beschönigen – weil nämlich nur so die Beschönigungen, die man für seine Rechtfertigung anzubieten hat, echt glaubwürdig rüberkommen.
So können wir aus erster Hand erfahren, wie die mutigen sozialistischen Erneuerer von der PDS sich vom „Alten“ gelöst haben und zu ihrem derzeit gültigen politischen Erkenntnisstand gelangt sind. Bis September 89 konnten sie sich irgendwie nicht viele eigene Gedanken machen. Man war zwar Mitglied der Partei, aber durch „verinnerlichte“ äußere Zwänge so verdruckst und blockiert, daß man sich unmöglich über das Programm der Partei, in der man aktiv war, ein Urteil bilden konnte. Wir haben es also mit bekennenden Knechtsnaturen zu tun, die in ihrer „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ noch jahrelang unverdrossen „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ skandiert hätten, wenn sie dann nicht endlich zum Aufbegehren gezwungen worden wären. Auf diese schöne Sorte Aufstand halten sie sich enorm viel zugute: Von selber sind sie zwar auf keine einzige nennenswerte Kritik an den DDR-Zuständen gekommen; aber kaum war klar, daß der Laden nicht mehr zu halten war, da wußten irgendwann auch sie, daß es so nicht weitergehen konnte! Kaum hatte sich Gorbatschow an die Auflösung des Ostblocks gemacht – „die Ideen der Perestroika“ –, kaum hatte Ungarn seine Grenzen für das nationalistisch aufgehetzte deutsche Ostzonenvolk geöffnet, da machten sich die bis dato „selbstverschuldet Unmündigen“ an ihre Befreiung. Daß sie dabei schon wieder als Knechte äußerer Umstände aktiv wurden, dafür können sie nichts – das lag einfach an den übermächtigen Umständen. Und die haben sie immerhin diesesmal nicht zur Unmündigkeit, sondern zur Befreiung gezerrt – der Mensch muß halt Glück haben mit den „Mächten des Schicksals“; denn die machen den Unterschied zwischen Unmündigen und Befreiungshelden.
Offensichtlich haben die befreiten Sozialisten dann vor lauter Begeisterung gar nicht mehr gemerkt oder erst gar nicht zur Kenntnis genommen, welche katastrophalen Resultate die Durchsetzung der von ihnen auch heute noch so lobend erwähnten „Ideen der Perestroika“ auf dem Boden der ehemaligen SU hervorgebracht hat. Genausowenig scheint es sie in ihrem rückblickenden Beifall für die „lange unterdrückten Bürgerbewegungen“, die sie zum Geburtshelfer ihrer großartigen Befreiung aus der Unmündigkeit erklären, zu stören, daß deren Mitglieder mittlerweile größtenteils als Hinterbänkler bei der CDU herumdümpeln und von dort Hetztiraden gegen die PDS loslassen. Aber lassen wir das, Gysi und seiner Truppe geht es schließlich erklärtermaßen nicht um eine politische Analyse des Zeitgeschehens, sondern um die politische Selbstdarstellung als „spät, zu spät“, dafür aber gründlich geläuterte Demokraten.
Und wie stellt man diese Läuterung besser dar als so, daß man der schmerzerfüllten Selbstanklage kontraststark den bescheidenen Verweis auf mittlerweile erbrachte demokratische Leistungen folgen läßt:
Leistung Nr. 1: Im Dezember 89 das Politbüro und Zentralkomitee der SED in den Rücktritt gezwungen! – Während also in Bonn die Anschlußpläne für die Ostzone schon ziemlich fix und fertig waren, haben sich mutige Parteigenossen in der DDR an den Sturz von Krenz und Genossen gewagt?! Es ist, gelinde gesagt, eine etwas gewagte Geschichtsschreibung, die ziemlich trostlose Reaktion der „durch die Umstände“ eines Besseren belehrten Partei-Erneuerer von 1989 als Befreiungsschlag auszugeben, der das Kippen der alten „SED-Diktatur“ herbeigeführt hätte. Aber das war ja nur der Auftakt zu
Leistung Nr. 2: Ganz alleine einen Parteitag „auf demokratischer Grundlage“ organisiert, dort ganz „frei bestimmt“ diskutiert – und zu erstaunlich orginellen Ergebnissen gelangt. Nämlich ungefähr zu denselben demokratisch fundierten Urteilen über den Kommunismus, die in den Mutterländern der Demokratie schon seit mindestens 50 Jahren ganz und gar frei bestimmt in Umlauf sind: „Führende Partei“ = eine diktatorische Anmaßung; Kaderpartei = staatssozialistische Diktatur = Unterdrückung. Von wegen Glaubwürdigkeit der eigenen Läuterung geht dieses Lob der ganz „frei bestimmten“ demokratischen Erkenntnis natürlich nicht ohne nochmalige Selbstbezichtigung ab, mit der man gleichzeitig einen moralischen Rechtsanspruch auf mildernde Umstände einschleifen kann: Ja, man hat selber Dreck am Stecken, aber doch nicht nur Dreck. Denn immerhin hat man zwar früher alles falsch gemacht, aber doch mit lauter guten Absichten. Das Bild von den „großen Idealen“, die – keiner weiß, wie – in den Sumpf der „Strukturen der Unterdrückung“ gezerrt wurden, ist doch immer wieder praktisch. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Das Bekenntnis zur eigenen Schuld beinhaltet gleichzeitig die eigene moralische Rechtfertigung.
Die beiden einzigen wirklich spannenden Fragen haben die Theoretiker des demokratischen Sozialismus mit dieser Tour der Selbstbezichtigung und -entschuldigung ganz selbstverständlich ausgespart: Wie und wieso sind aus historischen und dialektischen Materialisten eigentlich dermaßen hartgesottene Idealisten geworden, daß sie sich noch heute auf ihren einstigen Wertehimmel berufen; und: Was hat es wohl mit Idealen auf sich, in deren Namen sich so reibungslos der Übergang zu widerlichen Unterdrückungsstrukturen machen läßt, daß es die Verfechter des „Wahren, Guten und Schönen“ überhaupt nicht merken? Solche kritischen Nachfragen kommen den Leuten, die Sozialismus schon immer mit einer Art Frömmigkeit verwechselt haben, gar nicht in den Sinn. Sie bemühen sich weder um eine Kritik ihres verflossenen Idealismus noch um eine Erklärung des Übergangs von da zu verwerflichen „Strukturen“. Nein, endlich befreit von diesen „Strukturen“, sind sie so frei, aus ihrer „andauernden moralischen Verantwortung“ für den Mist, den sie bis neulich mitgemacht haben, den heroischen Schluß zu ziehen, ab jetzt nur noch an der Verwirklichung der großen Ideale des regierenden Antikommunismus zu arbeiten. Der demokratischen Toleranz zum Beispiel: Dieser Tugend sind sie nicht nur voll und ganz verpflichtet, sie dokumentieren auch gleich eindrucksvoll, daß sie begriffen haben, wie sie funktioniert. Nämlich mit
Leistung Nr. 3: Ganze 2 Zentimeter drüber im Text war die Unterdrückung Andersdenkender noch eines der schlimmsten Verbrechen des Kommunismus; jetzt wissen sie ganz genau, welche Andersdenkenden sie heute im Namen des hochheiligen Grundgesetzes und seiner „großen Ideale“ aus ihren Reihen hinaussäubern müssen. Das ist demokratische Toleranz und frei bestimmte demokratische Auseinandersetzung im Klartext – Streit um das richtige politische Programm, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit gegnerischen Positionen, all das hat nichts zu suchen bei diesen gelehrigen Demokraten. So wie sie sich früher auf die Lehren des ML berufen haben, um Kritiker mundtot zu machen, berufen sie sich jetzt eben auf das Grundgesetz wie eine Bibel, die doch wohl fraglos für sich spricht. Eine Begründung, was denn dieses Grundgesetz so über jeden Zweifel erhebt, halten sie jedenfalls nicht für erforderlich. Es scheint sie nicht im mindesten zu interessieren, was alles mit seinen Paragraphen an Lebensbedingungen festgelegt ist – immerhin nicht mehr und nicht weniger als ein ganzes kapitalistisches Produktionsverhältnis. Nein, für die PDS steht fest: Das Grundgesetz gilt jetzt; was gilt, ist in Ordnung; also haben seine Kritiker die Schnauze zu halten. Es ist schon interessant, wie lässig Leute, die sich gerade noch als unkritische Mitläufer einer Diktatur bezichtigt haben, ihr Bekenntnis zum neuen Mitmachertum im politischen Betrieb ihrer Ex- und Noch-Feinde ablegen. Es wäre doch wirklich nicht so abwegig gewesen, aus der Erkenntnis, welch trostloser Mitläufer man in der Vergangenheit war, den Schluß zu ziehen, ab jetzt keiner Staatsverfassung mehr unbesehen den Persilschein auszustellen, geschweige denn gleich nach ihren Herrschaftsregeln, an führender Stelle mitwirken zu wollen. Aber offensichtlich sind die Herrschaften, die gerade „die bittere Erkenntnis“ verdaut haben, daß sie „um großer Ideale willen“ bei einem ziemlichen Scheiß mitgemacht und mit dem am Ende verloren haben, sich sicher, ab jetzt auf der Seite der Sieger der Geschichte zu stehen, wo ihnen ein solcher Fehlgriff nicht mehr passieren kann. Denn aus der Geschichte lernen – das haben sie gelernt. Und so geht es konsequent weiter mit
Leistung Nr. 4: Gnadenlos realitätstüchtig sind sie bei der PDS. Sobald „deutlich wurde“, daß ihre schönen Vorstellungen von „einer Integration beider deutscher Staaten in die Europäische Union“ sich am politischen Programm der westdeutschen Regierung blamierte, fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen. Ab da waren sie die erklärtesten Anhänger der deutschen Einheit. Strenggenommen sogar die einzigen wirklichen Vertreter der deutschen Einheit: immer besorgt, daß die beleidigten Zonis sich nicht länger als „Deutsche zweiter Klasse“ fühlen müssen; ständig darum bemüht, deren „Benachteiligungen“ anzuprangern, ohne auch nur im Traum daran zu denken, diese „Benachteiligungen“ eventuell auf die Verwandlung eines Volkes von sozialistischen Werktätigen in eine marktwirtschaftliche Arbeiterklasse zurückzuführen. „Benachteiligungen“ der Ostdeutschen sieht die PDS vielmehr einzig und allein in Sachen „Gleichberechtigung“ beim Dienst an der Nation; die Forderung nach „größtmöglicher Nutzung“ der ostdeutschen Tugenden und Tüchtigkeiten als nationales Potential hat sie sich auf ihre sozialistisch-kritische Fahne geschrieben. Das ist doch wenigstens mal eine unmißverständliche Auskunft darüber, wie sich in einem gesunden Verhältnis von Volk und Nation die Rollen von Diener und Nutznießer zu verteilen haben.
Bleibt die Frage: Gibt es außer der Beschwerde, daß die PDS hierzulande immerzu so schlecht behandelt wird und die Nation die dienstwilligen Zonis zu wenig einspannt, eigentlich sonst noch Kritik an den hiesigen Zuständen? Keine Sorge, in den letzten beiden Abschnitten des Briefes zeigt die PDS ungeschminkt, was sonst noch an kritischem Potential in ihr steckt. Nämlich
Leistung Nr. 5: Die Kunst der demokratischen Kritik haben die Theoretiker der PDS ganz und gar „verinnerlicht“. Kritik – das ist die relativierende Fußnote, die nach der prinzipiellen Zustimmung zu den herrschenden Verhältnissen kommt. Bevor man also am „Markt“ herumnörgeln kann, muß erstmal ein dickes Lob her für die marktwirtschaftlichen Prinzipien mit ihrer wunderbaren „Effizienz und Innovationsfähigkeit“, gegenüber deren Leistungen die real-sozialistische Planwirtschaft echt alt ausgesehen hat – sonst wäre sie ja nicht untergegangen: Noch so eine unwidersprechliche „Lehre der Geschichte“ für Sozialisten, die offensichtlich nicht den Schimmer einer Ahnung mehr davon haben, daß ihre Partei früher einmal einen Systemgegensatz gegen die kapitalistische Profitmacherei eröffnen wollte – und auf ihre verquere Art auch zustandegebracht hat; daß mit der Übernahme ihrer verflossenen „Zentralverwaltungswirtschaft“ durch die Herren des freien Marktes ein kompletter Systemwechsel vollzogen wurde; und daß es nun in der kapitalistischen Marktwirtschaft schlicht und ergreifend um völlig andersgeartete wirtschaftliche Erfolge geht als in der ehemaligen real-sozialistischen „Produktionsschlacht“. Sonst würden sie nämlich nicht von „Effizienz und Innovationsfähigkeit“ daherfaseln, ohne auch nur eine kleine Andeutung für nötig zu halten, welcher ökonomische Zweck da eigentlich immer effektiver verfolgt wird. Aber was kann man schon von Leuten erwarten, die ihre Überzeugungen grundsätzlich immer ganz unmittelbar dem entnehmen, was sowieso passiert. Kaum bricht ihr Laden zusammen, schon haben sie eine fix und fertige ökonomische Theorie darüber entwickelt: Zentralverwaltungswirtschaft schlecht, weil kaputt; Marktwirtschaft gut, weil erneuerbar… So können die studierten Herrschaften des demokratischen Sozialismus, die den offenen Brief stolz mit ihren diversen Prof.s und Dr.s unterzeichnet haben, den Rexrodts und Stollmännern geistig die Hand reichen: Diese Fachmänner der Marktwirtschaft beschwören auch ständig deren einzigartige „Innovationsfähigkeit“, ohne je auf den Gedanken zu kommen, daß „Erneuerungsfähigkeit“ an sich – so ganz ohne Sinn und Zweck – auch eine ziemlich matte Angelegenheit wäre. Bloß müssen diese Gestalten sich solche schwierigen Gedanken auch nicht machen, weil eben fraglos unterstellt ist, was sich hierzulande ständig auf Weltniveau erneuern muß: die Rentabilität des Kapitals.
Nach dem anerkennenden Lob der Marktwirtschaft folgt – ganz gemäß der Logik des demokratischen Kritisierens – die Einschränkung: „Markt muß sein, aber nicht so, wie er ist!“ Da sind wir echt platt – dafür hat es gerade noch die PDS gebraucht, daß die jetzt auch noch die Botschaft in die Welt posaunt, die seit Ludwig Erhard jede unzufriedene Oma und jeder christliche Pfaffe auf Lager hat: „Markt pur ist von Übel – soziale Marktwirtschaft, das bringt’s!“ Dankenswerterweise erfährt man auch noch, für wen es eine „sozial verantwortliche Politik“ bringt. Auf die ist nämlich nicht die Arbeiterklasse oder sonst irgend ein minderbemittelter Dödel „dringend angewiesen“, sondern kein geringerer als „der Markt“ selbst. Und wir werden auch nicht im Dunkeln darüber gelassen, was Entsetzliches passiert, wenn man den „Markt pur“ sich selbst überläßt: Dann „zerstört er die Gesellschaft“. Welche Gesellschaft? Das hätte man ja schon auch noch ganz gerne gewußt. Sollte es etwa die Klassengesellschaft sein, die durch eine „sozial verantwortliche Politik“ aufrechterhalten wird? Und wenn ja, warum soll man sich als kritischer Sozialist dann ausgerechnet für eine solche Politik stark machen? Aber wahrscheinlich denken die PDSler schon längst an jene „Gesellschaft in uns allen“, die jeder soziologisch verbildete Mensch zutiefst verinnerlicht hat – und der „der Markt“, vorausgesetzt er ist „nicht pur“, als kongeniale Entsprechung der „Menschennatur“ so unnachahmlich entsprechen soll.
Von der Existenz einer Klassengesellschaft, geschweige denn einer Kritik derselben, wollen die Schreiber des offenen Briefes jedenfalls nichts wissen. Stattdessen gefallen sie sich in der Zuspitzung ihres banalen affirmativ-kritischen Geschmarrs vom „Markt pur“, der gesellschaftlich gesehen von Übel sei, zur rhetorischen Figur der Retourkutsche: „Totalitäre Diktaturen“ zerstören „die Gesellschaft“ – gebongt, wir schämen und entschuldigen uns; aber der „Markt pur“ ist auch nicht besser! Das sitzt – davon wird sich „der Markt“ so schnell nicht erholen. Und schon folgt
Leistung Nr. 6: Die tiefschürfende Erkenntnis, daß das Grundgesetz echt affengeil ist, aber seine Aushöhlung schlecht. Mit diesem schier unerschöpflichen Thema demokratischer Erbauung haben sich schon Generationen westdeutscher Oberschüler bei der Abfassung von Besinnungsaufsätzen herumgequält, als die Führungsgenossen der PDS, noch ganz in „selbstverschuldeter Unmündigkeit“ verstrickt, ihren Histo-Mat studiert haben. Jetzt sind sie also auf der Höhe der Zeit und präsentieren sich – Schluß- und Höhepunkt ihres Bekenntnisschreibens – ganz cool dialektisch als Opposition, die sich gerade durch alles, was ihr als eventuelle Gegnerschaft zur Nation ausgelegt werden könnte, als einzig wahrer Verfechter der Verfassung erweist. Im Namen aller demokratischen Ideale sind die von ihrem verflossenen Idealismus geläuterten PDSler bedingungslos für die real-existierende deutsche Demokratie.
Mit dieser gelungenen Kombination von Idealismus und Opportunismus meint die PDS-Spitze schlagend bewiesen zu haben, daß kein Hintze oder Westerwelle sie länger aus dem Konsens der westdeutschen Demokraten ausschließen darf. Damit liegt es dann freilich einzig und allein an deren Berechnungen, ob sie es weiterhin für opportun halten, das trotzdem zu tun. Die PDS selbst jedenfalls hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um sich in die bundesdeutsche Demokratie einzureihen: Sie bietet Opposition als Inbegriff des Dafürseins. Das hat in Deutschland in der Tat gerade noch gefehlt! Dieses mutige Bekenntnis wird den Weizsäcker zu Tränen rühren, dem Hintze das Maul stopfen und das bundesdeutsche Wahlvolk garantiert vom Hocker reißen.
PS: Sarah Wagenknecht von der „Marxistischen Plattform“ innerhalb der PDS hat sich von diesem Brief distanziert und ihn als „Geste der Unterwürfigkeit“ kritisiert. Sie leidet offenbar darunter, daß ihre Parteiführung die – nicht einmal taugliche – Taktik der Anbiederei verfolgt, um sich im bundesdeutschen Parlamentarismus einzuhausen. Daß ihre führenden Parteigenossen außerdem aber genau so denken, nämlich in den Kategorien des bundesdeutschen Polit-Opportunismus, das scheint die Plattform-Kommunistin nicht gemerkt zu haben. Jedenfalls kritisiert sie das nicht, stattdessen aber, daß der Beichtbrief der Parteispitze „nicht durch Parteibeschlüsse gedeckt“ sei. Und wenn er es wäre? – was übrigens, so wie wir den PDS-Verein kennen, für die Parteiführung leicht zu erreichen wäre: für Gysi und Bisky eine lockere Übung, für dieses Machwerk die überwältigende Mehrheit der Partei hinter sich zu bringen. Ginge dann die Unterwürfigkeit gegenüber dem System von Demokratie und Marktwirtschaft in Ordnung?