Wie dicke Luft zur Verordnung wird
Die staatliche Abwicklung des Ozons
Ozon ist Nebenprodukt des kapitalistischen Alltags, das Ausmaß der Schädigung muss per staatlichem Grenzwert geregelt werden, um die erlaubte Vergiftungsrate des nationalen Volkskörpers festzulegen. Dass sich dabei allemal die Volksgesundheit dem reibungslosen wirtschaftlichen Betrieb unterzuordnen hat, ist für die Quantifizierung wie Messung des Grenzwerts ausschlaggebend, insofern kommt ein allgemeines Fahrverbot nur als Regelung seiner Ausnahmen infrage. So ist das Entscheidende, nämlich die rechtliche Aufsicht über diese Sphäre, geleistet.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- „Sommersmog“: Eindeutige Wetterlage – ungeklärte Rechtslage
- Ein Grenzwert für die Volksgesundheit
- Die 2 Seiten des Grenzwerts
- Die Logik der Forschung nach einem gerechten Schadensquantum
- Vorkehrungen für gerechte Meßergebnisse
- Die letzte Herausforderung der geistig-moralischen Führungskraft der Politik: Was tun?!
- Vom Fahrverbot zur allgemeinen Fahrerlaubnis
- Fazit
Wie dicke Luft zur Verordnung wird
Die staatliche Abwicklung des Ozons
Neulich hat sich der Staat mal wieder um die Gesundheit gekümmert und eine Ozon-Verordnung erlassen. Öffentlich war nämlich bemerkt worden, daß die Zunahme von Atembeschwerden bei schönstem Sonnenschein doch kein Zufall ist, sondern mit hohen Ozonkonzentrationen in der Luft zu tun hat. Sofort war allen klar: Da muß der Staat als für die Volksgesundheit zuständige Instanz aktiv werden! Er wurde.
„Sommersmog“: Eindeutige Wetterlage – ungeklärte Rechtslage
Zur Bewältigung des Ozonproblems konnte der Staat auf ein bereits vielfach bewährtes Verfahren zurückgreifen. Denn daß das deutsche Volk Arbeitstag und Freizeit unter Umweltbedingungen verbringen muß, die einen permanenten Angriff auf die Gesundheit darstellen, ist wahrlich keine Neuheit, die erst mit dem Ozon auf die Welt gekommen wäre. Folglich ist der Staat im Bewältigen solcher Schäden bestens geübt: In umfangreichen Gesetzen und Verordnungen (Technische Anleitung Luft, MAK-Werte) ist längst geregelt, wieviel von welchem Schadstoff der Menschheit erlaubterweise als „Umwelt“ zugemutet werden darf. Für Ozon in der frischen Luft existierte eine solche Regelung noch nicht; es war noch nicht festgelegt, ob es sich um eine erlaubte oder verbotene Sachlage handelt, wenn die Leute im Sommersmog das Keuchen anfangen; niemand wußte, wo er und seinesgleichen dran sind, wenn es bei schönstem Wetter in den Augen und den Bronchien brennt – denn was hilft es einem Staatsbürger, wenn er alles über dreiatomige Sauerstoffmoleküle und deren ätzende Wirkungen weiß, aber nichts über die Rechtsgrundlage, auf der er sich darüber beschweren darf und die höchste Gewalt sich darum kümmern muß. Eine eindeutige Rechtslage mußte her, und als deren Kernstück ein verbindlicher Grenzwert, der die einzig interessante Frage beantwortet: Darf das sein?!
Ein Grenzwert für die Volksgesundheit
So ein Grenzwert ist eine bemerkenswerte zivilisatorische Errungenschaft. Seine Festlegung geht aus von dem physiologischen Befund, daß Ozon schon in geringen prozentualen Mengen die Schleimhäute angreift; zugrunde liegt eine mehr oder weniger haltbare medizinische Unterscheidung zwischen schädlich
und unschädlich
; aber damit fängt die Hauptsache erst an: eine staatliche Beurteilung, die zwischen erlaubt
und unerlaubt
unterscheidet. Und die hat ihre eigenen Kriterien, jenseits allen naturwissenschaftlichen Materialismus und medizinischen Idealismus: Eine Abwägung von Rechtsgütern findet statt.
Da steht dann auf der einen Seite das hohe gemeinwesentliche Rechtsgut, daß Industrie und Verkehr Abgase in die Luft blasen, weil es sonst nämlich mit dem Industriestandort Deutschland und der dazugehörigen Verkehrsindustrie nicht so bergauf ginge wie für die Weltmarktposition dieser Nation nötig. Mindere, weil bloß individuelle Rechtsgüter, die der Staat seinen Bürgern immerhin auch gewährt, wie z.B. ein staatliches Kopfnicken zum Anspruch auf persönliche Gesundheit oder sogar zum Wunsch nach privatem Wohlbefinden, kommen gegen die Wucht des Gemeinwohls, das bekanntlich vom Wohlbefinden des Kapitals in deutschen Landen abhängt, nicht auf. Der kapitalistische Alltag bringt nun einmal gewisse Wirkungen mit sich; ansehnliche Portionen Gift gehören genauso dazu wie Armut hier und Überanstrengung dort; um der Erträge willen müssen die sein; also verwandelt der Souverän sie durch seine Billigung in „Sachzwänge“, die der geschädigte Mensch sich in staatsbürgerlicher Einsicht und Geduld zumuten lassen muß. Insoweit ist die rechtliche Abwägung eine klare Sache: Der Gemeinnutz des kapitalistischen Ladens geht vor dem Eigennutz seiner Opfer – andernfalls bräuchte es ja gar keine rechtsetzende Gewalt.
Gerade weil die Sache so klar ist und so eindeutig gehandhabt wird, hat sich allerdings nun doch an verschiedenen Stellen, und mittlerweile eben auch am Sommerwetter, eine gewisse Komplikation ergeben: Der kapitalistische Alltag akkumuliert schädliche Ausdünstungen in solchem Umfang, daß gewichtigere Rechtsgüter in Gefahr geraten als der bloße private Gesundheitswunsch – die pünktlich, vollzählig und leistungsbereit versammelte nationale Arbeitskraft nämlich, die es fürs alltägliche Wirtschaftswachstum schließlich auch braucht. Gewiß, ein braves Volk wie das deutsche – samt kulturell integrierten Ausländern – bringt mit seinem sprichwörtlichen Durchhaltewillen, seinem Stolz auf die eigene Zähigkeit, seinem Ausgleichssport und anderen schlechten Gewohnheiten manchen „Umweltschaden“ wieder in Ordnung, indem es ihn individuell kompensiert, bis es endgültig nicht mehr geht. So ganz kann es damit einer umsichtigen politischen Führung aber doch nicht die Sorge ersparen, daß es mit seiner Indolenz seine Leistungskraft womöglich nur um so gründlicher ruiniert – am Ende fehlt wirklich nur noch ein letztes kleines Giftquantum, um die nationale Krankenquote mit einer ausufernden Sommergrippe zu belasten. Auf alle Fälle heißt es für den Staat als Sachwalter aller kapitalistischen Sachzwänge: aufpassen und der Vergiftung gewisse Grenzen setzen.
Die 2 Seiten des Grenzwerts
Eine solche Grenze, ausgedrückt in einem naturwissenschaftlich exakt definierten Grenzwert für Schadstoffanteile, hat auf der einen Seite eine überaus wohltuende, beruhigende Wirkung: Er setzt alle minderen Vergiftungsraten ausdrücklich ins Recht, ganz gleich, wie sehr wieviele Leute doch schon darunter leiden – rechtlich gesehen sind unterhalb des Grenzwerts nie mehr die Schäden zu groß, sondern die Geschädigten selber schuld, weil sie den gesetzlichen Zumutbarkeitsregelungen nicht genügen. Bedenken gegen Industrie- und Verkehrsabgase werden gegenstandslos, Beschwerden zur Unwirksamkeit verurteilt, soweit eben die Sonne bei der Herstellung von Ozon unter den vorschriftsmäßigen Höchstwerten bleibt. Das ist die gute Seite des Grenzwerts: Er schafft Rechtssicherheit für die Abgasproduktion.
Allerdings bleibt die andere, höchst bedenkliche Seite: Mit dem Grenzwert verpflichtet sich die Staatsgewalt dazu, auf ihn zu achten und sich bei Überschreitungen in irgendeiner Form Sorgen zu machen. Deswegen darf der fragliche Wert auf gar keinen Fall leichtfertig angesetzt werden; seine Ermittlung will zweitens genauestens geregelt sein; und allergrößte Vorsicht ist bei der Festlegung praktischer Konsequenzen geboten. Alle drei Gesichtspunkte hat die bundesdeutsche Politik in ihrer Ozon-Verordnung vorbildlich beherzigt.
Die Logik der Forschung nach einem gerechten Schadensquantum
Bei der Ermittlung der passenden Höhe des Grenzwerts – der Streit hat bekanntlich zwischen 240 und 270 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft getobt – muß die Gefahr ernstlicher Störungen des kapitalistischen Alltags auf alle Fälle ausgeschlossen sein. Aus volksgesundheitlicher Sicht ist das schon deswegen vertretbar und leicht zu haben, weil das Volk die bislang angefallenen Werte im Durchschnitt doch recht ordentlich vertragen hat. Unter dieser Vorgabe treten medizinische Erkenntnisse in eine wissenschaftslogisch hochinteressante Konkurrenz mit volkswirtschaftlichen Schadensberechnungen, wirklichen und mutmaßlichen Investitionsentscheidungen, meteorologischen Studien und Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie ein. Und zwar darüber, daß sich für jeden Gesichtspunkt eine demokratische Stimme findet, die daraus ein Hilfsmittel für den politischen Konkurrenzkampf – zwischen den Parteien sowie in der föderativen BRD zwischen Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern – verfertigt. Im Zuge dieses demokratischen Diskurses geht zwar jegliche Klarheit darüber verloren, ob der Gesundheitsschaden, den die Mediziner diagnostizieren, letztlich doch bloß eine aus oppositioneller Berechnung aufgeblasene hysterische Einbildung oder womöglich ein regierungsamtlich heruntergerechneter Sargnagel für die ohnehin umfassend vorgeschädigte Gesundheit der Massen ist. Das Gute ist aber, daß es auf derlei Objektivität sowieso nicht ankommt im freiheitlichen Meinungsaustausch. Da geht es darum, daß Fortschrittsfeinde und Umweltverbrecher einander an Mikrogramm-Ziffern erkennen. Andererseits unterscheiden die Kontrahenten sich auch bloß im Mikrogrammbereich und werden sich daher allemal auch wieder einig, wenn ihre Konkurrenztechnik ihnen den Übergang zum Kompromiß geraten erscheinen läßt. Zwischendurch kommt auf alle Fälle – obwohl er mit Medizin in dem Sinn nun wirklich nichts zu tun hat – der Patriotismus in seinen diversen Spielarten als Hauptgesichtspunkt zu seinem Recht: bei den einen in dem Vorschlag, auswärtige Regelungen durchs deutsche Vorbild zu übertrumpfen und so die Weichen für den Konkurrenzkampf insbesondere auf dem Automarkt richtig zu stellen[1]; bei den anderen in der Sorge, noch das letzte Mikrogramm könnte den Konkurrenzkampf um optimale nationale Standortbedingungen für industrielle Dreckschleudern zuungunsten der deutschen Nation entscheiden; Gegenpositionen, die sich durchaus auch schöpferisch verknüpfen lassen.
Vorkehrungen für gerechte Meßergebnisse
An die Festlegung eines Grenzwerts schließt sich folgerichtig das Problem an, seine Überschreitung rechtsverbindlich zu regeln, also so, daß kein Raum für private Meßwillkür bleibt. Die deutsche Verordnung sieht dafür gleich mehrere Anforderungen vor:
„Der Ozongrenzwert muß mindestens an drei Meßstellen gleichzeitig eine Stunde erreicht werden. Diese Meßpunkte müssen mindestens 50 Kilometer und nicht mehr als 300 Kilometer[2] voneinander entfernt sein. Außerdem muß für den nächsten Tag ein ähnlich hoher Ozonwert vorausgesagt werden.“ (Handelsblatt, 25.5.95)
Die Frage, wann die Ozonkonzentration das als aushaltbar definierte Maß überschreitet, ist damit in ein staatliches Meßwesen überführt, das bis in die technischen Einzelheiten das politische Interesse ausdrückt, nichts zu überstürzen und die volle Hoheit der Regierung über den Ozonalarm zu wahren. Deswegen geht es selbst beim Messen nicht einfach um Exaktheit, geschweige denn bei der Ermittlung der im Lande herrschenden Schadensverhältnisse, sondern um die Erfüllung eines rechtlichen Tatbestands: Die Meßergebnisse an den einzelnen Stationen sind nur Indikatoren dafür, ob und inwiefern eine so großflächige Verschmutzung der Atmosphäre vorliegt, daß ganze Landstriche, also größere Teile des Volkes betroffen sind. Wird an einer Meßstation eine Überschreitung des Ozongrenzwertes ermittelt, so interpretiert der Staat dies erst einmal als „lokales Ereignis“, das zwar die Anwohner betrifft, aber nicht gleich die Brauchbarkeit des Staatsvolks insgesamt in Frage stellt – also: kein Handlungsbedarf. Treffen dann auch von anderen Stationen gemessene Überschreitungen des Grenzwerts ein, dann hält der Staat erst einmal an seinem vorsichtigen Standpunkt fest: Wenn die Region mit der hohen Ozonkonzentration nicht mindestens 50 Kilometer groß ist, fällt dies immer noch unter die Kategorie lokales Ereignis; wenn die Meßstationen mit den hohen Werten mehr als 250 Kilometer weit auseinanderliegen, handelt es sich aus staatlicher Sicht um mehrere lokale Ereignisse. Außerdem zählen die Ozonmessungen nur, wenn sie an verschiedenen Stationen gleichzeitig gemessen werden – auch eine Ozonwolke, die über das Land weht und dabei nacheinander die verschiedenen Regionen überzieht, gilt noch als tolerable lokale Erscheinung. Für den Fall, daß schließlich an den Meßwerten nichts mehr zu rütteln ist und von etlichen Stationen eine gleichzeitige, großflächige Überschreitung des Ozongrenzwertes festgestellt wird, behält sich die staatliche Aufsicht eine letzte Bewertung vor: Erstmal den Wetterbericht abwarten, vielleicht sieht morgen ja schon alles anders aus.
Auch den bürgerlichen Medien, die sich nicht gerade als regierungskritisch verstehen, ist am Regierungsentwurf etwas aufgefallen:
„Nach Berechnungen des Umweltinstituts Heidelberg wäre bei einem Grenzwert von 270 Mikrogramm in den vergangenen zehn Jahren kein Fahrverbot verhängt worden. Niemals seien an mehreren Stationen zugleich über längere Zeit diese Konzentrationen gemessen worden.“ (Handelsblatt, 25.5.95)
Von der politischen Opposition, aber auch von um das Staatswohl besorgten Bürgern wurde daraus gefolgert, die Grenzwerte seien zu hoch angesetzt, die Kriterien für den Ozonalarm zu eng gefaßt. Was diese Kritik wert ist, zeigt ihr Erfolg: Der Grenzwert wurde auf 240 Mikrogramm abgesenkt; der Wert wäre in den letzten 10 Jahren ungefähr dreimal erreicht worden… Etwas anderes kann auch gar nicht herauskommen, wenn der Kritiker den Staatsgesichtspunkt der Volksgesundheit teilt, Grenzwerte für die angebrachte politische Reaktion hält und bloß um deren Höhe und die Art ihrer Ermittlung rechtet: So akzeptiert er den Beschluß, das Ozonthema als Rechtsfrage zu behandeln, für deren Entscheidung niemand anders zuständig ist als genau die Staatsgewalt, die den sommerlichen Vergiftungserscheinungen überhaupt erst den Status eines unabwendbaren nationalen Sachzwangs verliehen hat.
Klar ist jedenfalls das Eine: „Zurückhaltung“, gar „Untätigkeit“ ist der Staatsmacht in der Ozonfrage am allerwenigsten vorzuwerfen. Sie ist im Gegenteil so sehr um den Fortgang der Wirtschaft und der öffentlichen Ordnung besorgt, daß sie auch das Ansteigen der Ozonwerte als einen unzulässigen Angriff auf diese Institutionen auffaßt und unter dem Gesichtspunkt behandelt, daß jeder „falsche Alarm“ unbedingt zu vermeiden ist. Erst wenn die Schädigung „der Umwelt“ ein solches Ausmaß angenommen hat, daß der Staat seine eigenen Grundlagen, das Staatsvolk als Grundlage von Kapital und Ordnungsmacht, vom Ruin bedroht sieht, greift er ein.
Die letzte Herausforderung der geistig-moralischen Führungskraft der Politik: Was tun?!
Wie – das ist die dritte schwierige Entscheidungsfrage, für deren Beantwortung es erfahrene Politiker braucht. Denn was auch immer man zum Zwecke der Abhilfe ins Auge faßt: Alles steht sogleich in Gegensatz zu lauter gesellschaftlichen Anliegen, die der Staat ausdrücklich ins Recht gesetzt hat. Schließlich gibt es kaum eine Tätigkeit im kapitalistischen Deutschland, bei der nicht Ozon oder dessen Vorläufersubstanzen direkt oder indirekt freigesetzt werden: Industrieproduktion, Landwirtschaft und Viehzucht, Verkehrswesen, Kraftwerke, Heizungen … Alle diese Abteilungen des nationalen Geschäftswesens sind hochwichtig, werden mit Subventionen gefördert, sind – z.B. in der Mineralölsteuer – als kontinuierlich wachsende Staatseinnahme fest eingeplant. Und nichts davon darf geschädigt werden, wenn der Fall eintritt, den sich der Staat als drohenden Schadensfall für die Volksgesundheit zurechtdefiniert hat.
Es war also gar nicht so einfach, überhaupt eine Abteilung im nationalen Laden zu finden, in der sich unter dem Gesichtspunkt der Ozonbeschränkung etwas verändern ließ. Industrie, Landwirtschaft, Kraftwerke – all diese Sphären sind als quasi unveränderbare Lebensgrundlagen dieser Gesellschaft anerkannt und fallen aus der Ozondebatte völlig raus. Das Verkehrswesen ist als einzige Abteilung für mögliche staatliche Eingriffe in Erwägung gezogen worden, da es noch am ehesten dem Anschein genügt, hier würden freie Bürger ihrem reinen Privatinteresse frönen, indem sie über die Autobahn brausen.
Dieser Verdacht hat der öffentlichen Debatte, an der zu beteiligen jeder anständige Bürger sich aufgerufen sah, einen kräftigen Schwung gegeben. Die ganze Welt des Straßenverkehrs als eigennütziges Wirken von Privatleuten betrachtet, die „rücksichtslos gegen die Allgemeinheit“ handeln, liefert prächtigen Stoff für die Frage, wem alles was zu verbieten sei. Und diese Frage ist offenbar von unwiderstehlichem Reiz für Leute, die praktisch immer nur Verbote und Erlaubnisse entgegenzunehmen und sich danach zu richten haben. Gerade als loyale Befehlsempfänger scheinen sie besonders klare Vorstellungen darüber zu besitzen, wem sie, wären sie der Gesetzgeber, im Namen des Ozons welche Beschränkungen aufbrummen würden: Für den Porsche des Nachbarn gehört sich ein Tempolimit, gegen die Rostlauben der Ausländer ein totales Fahrverbot… Das ist eben das Schöne an der Moral, daß sie die Unterwerfung unter alle rechtsgültigen Einschränkungen und Drangsale des kapitalistischen Alltags mit einer eingebildeten Richtlinienkompetenz für die Drangsalierung und Einschränkung anderer belohnt.
Das ist freilich auch das Unpraktische daran. Entschieden wird nicht an den Stammtischen; das lassen sich die Profis der wirklichen Gesetzgebung nicht nehmen.
Vom Fahrverbot zur allgemeinen Fahrerlaubnis
Und die arbeiten sich in ihrem demokratischen Meinungsstreit – der alle moralischen Albernheiten des Autofahrergemüts erst sollizitiert, um sie anschließend fürs jeweilige Popularitätskonto einzusammeln – allemal zu dem einzig praxisgemäßen Standpunkt vor, daß das nationale Verkehrswesen nicht eine Frage des Anstands ist, sondern der Abwicklung des Waren- und Personenverkehrs eines kapitalistischen Geschäftslebens sowie der öffentlichen Regierungs- und Ordnungsmacht dient. Kaum haben die Verantwortlichen daher im Verkehrswesen eine Möglichkeit zur Abgasreduzierung entdeckt, da dort ja bloß Privatsubjekte unterwegs sind, denen eine Einschränkung ihrer bloß privaten Anliegen allemal zuzumuten wäre, schon fallen ihnen lauter Funktionen des Straßenverkehrs für Staat und Wirtschaft auf, die von einem Fahrverbot nicht beeinträchtigt werden dürfen. So stellt sich sogleich das Verlangen nach lauter Ausnahmen vom Fahrverbot ein: Nicht bloß öffentlicher Nahverkehr, Sicherheits- und Hilfsdienste müssen weiter funktionieren; auch der Wirtschaftsverkehr muß weitergehen, zumal das Transportgewerbe heutzutage nicht bloß den Transport organisiert, sondern unter dem Titel „just in time“ auch gleich die Lagerhaltung für die Kundschaft; Berufspendler müssen die Tatsache, daß sie sich an ihrem Arbeitsort keine Wohnung leisten können oder an ihrem Wohnort keine Arbeit finden, mit ihrem kunstvoll „flexibilisierten“ Schichtdienst vereinbaren; auch als Urlauber muß der Mensch preiswert weg und pünktlich wieder heim kommen…
Es ist nicht zu übersehen, daß es sich bei all diesen Verkehrsteilnehmern nicht um Ausnahmen, sondern um den Normalfall handelt, der praktisch den gesamten Straßenverkehr ausmacht. Als wollten ausgerechnet die Verkehrspolitiker den Marxisten recht geben, stellen sie bei einem Verkehrsteilnehmer nach dem anderen fest, daß dieser nicht einfach privaten Interessen nachgeht, wenn er herumfährt, sondern darin eine für Wirtschaft und Staat wichtige Funktion ausübt, in der er nicht behindert werden soll. So legen sie Rechenschaft darüber ab, daß ihre ganze Nation von vorne bis hinten funktional für die Bedürfnisse des Kapitals und des Staates eingerichtet ist. Und damit ist klar, daß letztlich auf überhaupt nichts in dem eingerichteten Verkehrswesen verzichtet werden kann. Unsere Gesellschaft verträgt keine Fahrverbote, lautet der amtliche Befund.
Deswegen bleibt am Ende nur der eine Eingriff, der zwar Geld kostet, aber wirklich nur ein paar Privatleute, und der umgekehrt eben auch für einigen zusätzlichen Umsatz im nationalen Kfz-Gewerbe sorgt: Einen 3-Wege-Kat müssen sie haben, die mobilen Deutschen, und einen preiswerten amtlichen Aufkleber dazu…
Fazit
Der Staat ist seiner Rolle als gesundheitsbewußte Ordnungsmacht wieder einmal voll gerecht geworden: Seine Antwort auf die Ozonfrage ist eine neue Verordnung. Wer dagegen einwendet, damit hätte sich doch gar nichts geändert, hat den Witz an der Maßnahme verpaßt. Denn
- hat sich damit das Entscheidende geändert: Das Ozon schwebt nicht mehr im rechtsfreien Raum, sondern unter staatlicher Aufsicht. Der Grenzwert schafft Rechtssicherheit, ab wann die im Sommer auftretenden Atembeschwerden einen staatlich anerkannten Fall beeinträchtigter Gesundheit des Staatsvolks darstellen. Die Luftmeßstellen können sich über neue Meßgeräte freuen, damit kein voreiliger Ozonalarm ausgerufen wird, solange keine staatlich anerkannte Ozonwolke nachgewiesen ist. Der Straßenverkehr bekommt ein neues Verkehrsschild. Und das alles ist
- genau dafür gut, daß sich sonst nichts zu ändern braucht. Die Freisetzung der Abgase soll und kann ungehindert weitergehen, solange nicht der großzügig angesetzte Grenzwert erreicht wird. Und wenn dann doch mal Ozonalarm ausgerufen wird, ist das eine zum normalen Leben der Republik dazugehörige, gelegentliche Störung, auf die sich die Leute ein wenig einzustellen haben – so, als wenn mal wieder die Müllmänner streiken.
[1] So wurde der deutsche Bürger mit der Mitteilung beglückt, die für ihn vorgesehenen Grenzwerte seien sogar niedriger als die für Los Angeles gültigen; und: Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) verteidigte die Pläne als ‚vernünftige Maßnahme‘. Der Grenzwert von 270 Mikrogramm Ozon liege unterhalb der Ozonrichtlinie der Europäischen Union, die ein Eingreifen in den Verkehr erst ab 360 Mikrogramm vorsehe.
(SZ, 26.5.95) Was der NATO-Vergleich der Gesundheit nützt, mag dahingestellt bleiben; dem Vergleich der Exportchancen für Autos nützt er auf alle Fälle.
[2] Der Opposition muß es in zähen Verhandlungen gelungen sein, das Entfernungsmaß auf 250 km zu drücken; die Zahl wird jedenfalls für die endgültige Regelung angegeben.