Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der grüne Umweltminister gerät unter Beschuss und hält eisern die Stellung:
Prinzipienlos für’s grüne Prinzip
SPD-Regierung und Grüne arbeiten sich daran ab, den Fortschritt der Grünen von der Opposition hin zur politikfähigen Regierungspartei, für die das Grüne in die Schublade „Ideale“ gehört, zu bewerkstelligen.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Der grüne Umweltminister gerät unter
Beschuß und hält eisern die Stellung:
Prinzipienlos für’s grüne
Prinzip
Die Verhandlungen über die Bedingungen der Möglichkeit des Ausstiegs aus der Kernenergie finden unter Ausschluß des dafür zuständigen Ministers statt:
„Trittin mußte draußen bleiben, Atomhandel ohne den Minister … Jürgen Trittin ist Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wenn es um das Ende der deutschen Reaktoren geht, spielt er derzeit jedoch keine große Rolle.“ (SZ, 21.6.99)
An seiner Stelle läßt der Bundeskanzler
Wirtschaftsminister Müller mit den Chefs der
Stromkonzerne verhandeln. Bei der nächsten Gelegenheit
erteilt der Regierungschef seinem grünen Umweltminister
die Weisung, in Brüssel eine neue Altautoverordnung zu
Fall zu bringen. Der tut das „gegen seine eigene
Überzeugung“ (Tagesthemen),
indem er als Vorsitzender im Rat der Umweltminister eine
Abstimmung so lange hinauszögert, bis er Großbritannien
und Spanien für eine Sperrminorität gegen die Verordnung
‚gewonnen‘ hat, brüskiert damit die Mehrheit der
‚europäischen Partner‘, die sich über einen noch nie
dagewesenen Mißbrauch der Ratspräsidentschaft
beschweren, und macht sich nicht nur bei seinen Kollegen
unmöglich, denen er erst jüngst einen Brief
geschrieben und darin erläutert (hat), daß die Verordnung
jetzt unverändert passieren könne.
(SZ, 21.6.99)
Kanzler Schröder läßt seinen Umweltminister gleich mehrfach alt aussehen, und die Öffentlichkeit weiß Bescheid: Das Umweltressort ist schlecht vertreten; sein Chef eine Fehlbesetzung; die Koalition in Gefahr; die Grünen in einer Glaubwürdigkeitskrise – kein Schwein nimmt die sachliche Bedeutung der Affären zur Kenntnis, die immerhin Auskunft über den Stellenwert der Umweltfrage in der Politik einer führenden kapitalistischen Nation geben.
Die Klarstellung
Immerhin: Alles, was im Koalitionsvertrag über „ökologische Modernisierung“ steht; daß ein machtvoller Einstieg in den Ausstieg aus der Kernenergie anvisiert wird, weil die „wegen ihrer großen Sicherheitsrisiken mit der Gefahr unabsehbarer Schäden nicht zu verantworten“ sei; daß die Zukunft Deutschlands in der Entwicklung umweltschonender Technologien und der Förderung diverser Recycling-Projekte liege; daß es die ökonomischen Chancen einer ökologischen Erneuerung zu nutzen gelte – all das wird politischerseits schlagartig zur Makulatur erklärt, wenn es in irgendeiner Weise den Kapitalinteressen der Unternehmer im Lande zuwiderläuft; und das ist irgendwie ständig der Fall: Daß die Betreiber von AKWs ihre Anlagen, deren Kosten längst abgeschrieben sind, so lange wie möglich ungehindert als „Gelddruckmaschinen“ laufen lassen wollen, ist für das kapitalistische Gemeinwesen einfach von erheblich größerem Gewicht als die „großen Sicherheitsrisiken“, von denen im Koalitionsvertrag die Rede ist. Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß es nun von einer rot-grünen Regierung verwaltet wird. Selbst dann, wenn die heimischen Automobilfirmen signalisieren, daß sie durchaus auch mit der neuen Altautoverordnung geschäftsmäßig umzugehen in der Lage wären, reicht der Regierung Schröder allein der Umstand, daß den deutschen Autokonzernen durch die Pflicht, ihren Schrott zurückzunehmen, Kosten entstehen würden, die dann in deren Preiskalkulation eingehen, völlig, um das als ökologisch ungemein sinnvoll propagierte Vorhaben zurückzupfeifen.
Von wegen also, da gäbe es was politisch zu vereinbaren zwischen Ökologie und Ökonomie: Letztere will und soll nach dem Willen der Politik in Gestalt der dem Standort Deutschland verbundenen Konzerne keinen Schönheitspreis fürs Sauberhalten der Umwelt, sondern die Konkurrenz um Anteile des Weltmarkts gewinnen. Dabei wird sie von Seiten des Staats nach Kräften mit Kredit und Subventionen sowie überhaupt durch eine Standortpflege unterstützt, die alles dafür tut, um den Standort zu einem Ensemble hervorragender Geschäftsbedingungen zu machen. Neue Umweltvorschriften, die sich allemal in vermehrten Kosten für die nationale Wirtschaft niederschlagen würden, welche gerade mit einem unschlagbar niedrigen Kostpreis ihrer Produkte die Märkte erobern soll, sind da nicht nur den Unternehmern grundsätzlich ein Dorn im Auge, sondern auch den rot-grünen Standortbetreuern ein Problem. In aller Deutlichkeit stellen sie klar, daß Umweltpolitik ein Teil der Standortpolitik ist, ihre Sorge um die Umwelt ihren Platz sachgerecht unter dem generelleren Gesichtspunkt ‚Pflege der Geschäftsbedingungen auf dem Standort‘ hat und eine dementsprechend untergeordnete Rolle spielt: Gemacht wird in Sachen Ökologie erstens, womit sich Geld verdienen läßt, und zweitens, woraus sich mindestens kein Nachteil ergibt, womöglich aber sogar ein Vorteil in der Standortkonkurrenz drechseln läßt. So ist die „Vorreiterrolle“ in Sachen Ökologie, mit der Deutschland ständig angibt, nämlich gemeint: Zum einen ist das Geschäftsfeld ‚umweltschonende Technologien‘ zu erschließen; für und durch deutsche Firmen selbstverständlich; zum anderen gilt es, wenn man als rot-grüner Standortbetreuer schon nicht ganz am Erlaß von Umweltvorschriften vorbeikommt, dabei gleich internationale Standards zu setzen, auf daß sich die Standortkonkurrenten an denen abarbeiten mögen.
Soweit also die Sache: Der Kanzler klärt die ‚EU-Partner‘, die Öffentlichkeit und seinen Koalitionspartner praktisch darüber auf, daß Umweltpolitik in seinem Kabinett Teil der Standortpolitik ist, sich also ganz dem Kampf deutscher Unternehmen um Erträge auf den Märkten unterzuordnen hat. Statt dieser Sache widmet sich
Die Öffentlichkeit
ganz der Art und Weise, in der Schröder sie durchsetzt: nämlich als Degradierung seines Umweltministers, dessen Kompetenzen er beschneidet und dessen Person er demonstrativ unmöglich macht: darauf, als bekennender „Automann“ durch betont rücksichtslose Zurückweisung jedes grünen Umweltanliegens den neuen Geist der Sozialdemokratie glaubhaft in Szene zu setzen, kommt es dem Kanzler bei der Durchsetzung seiner standortpolitischen Richtlinienkompetenz nämlich schon auch noch an.
Hingebungsvoll widmet sich die Presse dem Machtkampf zwischen den beiden „Dickköpfen“, registriert an dem gerade mal, welche Seite die andere schlecht aussehen läßt, und kommt allein daran, wie Schröder mit Trittin umspringt, zu dem Befund, daß Trittin alle Voraussetzungen zur Ausübung seines Amtes abgehen. Dabei ist es völlig egal, ob die Vorwürfe, die an die Adresse des Umweltministers ergehen, überhaupt zusammenpassen; sie breiten nur noch das bereits feststehende Urteil aus, daß der grüne Minister untragbar ist. Nebeneinander, zum Teil in ein und demselben Kommentar findet sich der Vorwurf, er habe völlig überzogene Forderungen aufgestellt, anstatt sich auf das Machbare zu beschränken, und die umgekehrte, ihm widersprechende Kritik, er habe es an Standfestigkeit bei der Durchsetzung seiner grünen Anliegen fehlen lassen:
„Man wünscht der grünen Partei da und dort eine Portion Leutheusser-Schnarrenberger.“ (SZ 28.6.99)
Und was wäre dann? Würde der Kanzler einem anderen
Umweltminister vielleicht mehr ‚Handlungsspielraum‘
einräumen? Wäre den Journalisten, die sich da zu dem
Vorwurf steigern, er habe grüne Ideen gegen den Baum
gesetzt.
(Berliner
Kurier), ein grüner Umweltminister lieber, der mit
Kanzler Schröder Schlitten fährt? Es kommt gar nicht
darauf an, ob die Vertreter der Öffentlichkeit den
Standpunkt teilen, von dem aus sie dem grünen Minister
Versagen bescheinigen. Ihr oberster, nach beiden
Richtungen der geübten Kritik hin auflösbarer
Gesichtspunkt ist nämlich der der Glaubwürdigkeit: Was
auch immer ein Politiker fordert, er muß es jedenfalls
durchsetzen, sonst macht er sich vor der kritischen
Öffentlichkeit total unglaubwürdig.
Während es dem sozialdemokratischen Kanzler mit seiner demonstrativen Rücksichtslosigkeit gegenüber dem grünen Koalitionspartner prompt gelingt, bei der mit diesem Kriterium ausgestatteten Öffentlichkeit diverse Respektbezeugungen für erwiesene Führungsstärke einzuheimsen, versagt dieselbe Öffentlichkeit Trittin die Anerkennung – und das reicht völlig, um
Die Grünen
in eine Glaubwürdigkeitskrise zu stürzen. Die – wie es
heißt – im Kernbereich ihrer Identität
getroffene
Partei stellt sich keineswegs geschlossen hinter ihren
Umweltminister, um ihm bei der Durchsetzung grüner
Herzensanliegen gegen die Angriffe des Kanzlers den
Rücken zu stärken. Vielmehr herrscht auch in ihr
weitgehend Einigkeit, daß ihr Problem Trittin heißt, der
immer mit Maximalforderungen zu Schröder gegangen und
mit Minimalforderungen wieder herausgekommen
sei.
Rücktrittsforderungen werden in der Partei laut. Und zwar
keineswegs deswegen, weil er zu wenig für grüne
Forderungen getan hat, sondern weil er immer noch für
viel zu viel Umwelt-Firlefanz steht. Daß es sich bei der
sogenannten Identität der Umweltpartei in Wirklichkeit um
Ballast
handelt, um muffige Ideologie der
siebziger Jahre
, steht für einen Teil der grünen
Bundestagsfraktion nämlich schlicht und ergreifend damit
fest, daß der Kanzler all das, was die Grünen bis neulich
noch als Daseinszweck ihrer Partei beschworen haben,
kompromißlos für nicht mit dem Regieren kompatibel
erklärt. Die Jungen Wilden, die da angesichts ihres
angeschlagenen Ministers mutig an die Öffentlichkeit
treten, haben genug davon, daß sich die Grünen als
Regierungspartei immer wie eine Oppositionspartei an der
Regierung
aufführen, anstatt sich endlich zur
Ersatz-FDP zu mausern. Bemerkenswert einsinnig lösen
diese neuen Wortführer ihr Glaubwürdigkeitsproblem – das
offenkundig gewordene und für Demokraten unerträgliche
Auseinandertreten von dem, was man fordert, und dem, was
man durchsetzt –, in die eine Richtung auf. Sie machen
sich für die Anpassung des Erscheinungsbilds ihrer Partei
an die Politik, die sie mittlerweile praktisch
durchsetzt, stark. Sie wollen, wie in Sachen Frieden
soeben durchexerziert, künftig auch in Sachen Umwelt
unbedingt jeden Anschein vermeiden, ihre Partei wolle
korrigierend in die Staatsgeschäfte eingreifen; es drängt
sie auch gleich heftig dazu, ihre Partei von Leuten zu
säubern, die diesen Anschein immer noch ein wenig
erwecken wollen – und bekennen sich auf diese Weise
unverhohlen dazu, daß sie nur eines treibt: der Wille,
die Staatsmacht richtig, d.h. so, wie sie es verlangt,
auszuüben.
Mit ihrem „Strategie“vorschlag rennen diese Jungen Wilden einerseits offene Türen ein. Andererseits lösen sie mit ihm – unvermeidlicherweise, wenn das Motto der Veranstaltung zum 1000. Mal heißt: ‚Die Grünen werden endgültig normal!‘ – in der Partei das Bedenk aus, daß die Grünen dann nicht mehr von der FDP unterscheidbar wären. Damit diesem Unterscheidungsbedürfnis einer Rechnung trägt, übt
Der Umweltminister
unverdrossen weiter sein Amt aus. Trittin läßt sich demontieren. Er akzeptiert die Unterordnung seines Ressorts unter die Standortpolitik seines vor Wirtschaftskompetenz nur so strotzenden Kanzlers. Er setzt dementsprechend eine Umweltpolitik durch, die die Geschäftsinteressen der deutschen Auto- und Atomindustrie zum Leitfaden hat. Und stilisiert sich damit zum letzten standhaften Grünen:
„Den Gefallen zurückzutreten, tue ich ihnen nicht.“
Als würde er dem für freie Fahrt für deutsche Unternehmer einstehenden Kanzler, zu dessen nützlichem Idioten er sich machen läßt, das Leben enorm schwer machen, macht dieser Mann auf Standfestigkeit, indem er stur die ihm zugewiesene Rolle im Kabinett weiterhin ausfüllt. Indem er auf seinem Posten durchhält, dabei den Vorwurf des „Verrats an der Umwelt“ ebenso von sich abtropfen läßt wie den der Gefährdung der Regierungsfähigkeit, und öffentlich auch noch damit angibt, wie geschickt er in der jeweils richtigen Dosierung die Duftmarken der beiden Flügel seiner Partei verteilt, symbolisiert er in seiner Person, daß der Standpunkt der grünen Partei doch etwas zählt in der Politik. Solange er den Umweltminister macht, ist er der leibhaftige Beweis, daß grün sein und regieren doch vereinbar sind. Nicht weil er als Inhaber des Umweltamtes etwas Grünes durchsetzt, sondern weil er es ausübt.
Durch die Degradierung Trittins sieht sich
Der andere grüne Minister
herausgefordert, dessen Bemühungen, die Glaubwürdigkeit der grünen Partei zu bewahren, dadurch noch zu überbieten, daß er seinem Parteifreund im Umweltministerium in den Rücken fällt. Fischer nimmt die Verhandlungen mit den Atomindustriellen persönlich auf und spielt damit gegen den in Mißkredit gefallenen Umweltminister seinen Bonus als weithin anerkannter Außenamts-Chef aus. Gegen den ‚Traditionalisten‘ Trittin wirbt er um Vertrauen, indem er den Fortschritt der Grünen von der Opposition hin zur politikfähigen Regierungspartei repräsentiert, für die das Grüne in die Schublade ‚Ideale‘ gehört, auf die man sich beim Ausüben der Staatsmacht beruft – wenn es paßt.
Auch das sitzt Trittin eisern aus.