Nordkorea
Schon wieder ein Fall für die „Neue Weltordnung“
Nordkorea will auch nach dem Kalten Krieg sein Staatsprogramm weiterführen und gegebenenfalls mit Gewalt behaupten – das allein ist für die USA inzwischen eine nicht hinnehmbare Provokation. Als ein Vehikel der US-Aggression dient der Atomwaffensperrvertrag, der zum einseitigen Instrument der USA zwecks Kontrolle von Atomenergie und Atombewaffnung – idealiter gegenüber dem Rest der Welt – weiterentwickelt werden soll. Der übliche US-Anspruch, als Subjekt gültiger weltgemeinschaftlich verbriefter Normen zu agieren, verlangt von diesem Rest und besonders von den Regionalmächten Russland und China deren Ein- und Unterordnung auf diesem Schauplatz der Neuen Weltordnung.
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Nordkorea
Schon wieder ein Fall für die „Neue
Weltordnung“
Souveränität heute
„Die Regime von Iran und Irak, Nordkorea, Kuba und Libyen haben […] alle den Kalten Krieg überlebt, ohne ihre Couleur grundlegend zu verändern. Der Unterschied [zum Zeitalter des Kalten Krieges] ist, daß diese Bedrohungen nun nicht miteinander verbunden, weit entfernt und unabhängig voneinander sind. Es gibt niemanden im Hintergrund, der sie verknüpft, sie mit Waffen beliefert, ihre Aktionen koordiniert oder begrenzt. Dennoch sind sie ernst. Jede dieser Nationen könnte ihre Region in Instabilität, Aufruhr und Krieg stürzen. […] Ich bin auch der Meinung, daß Eindämmung ein Leben nach dem Kalten Krieg hat […] Sie stellt […] eine selektive oder gar situationsgebundene Antwort dar, die aggressive Regime einengen, Stabilität und Frieden in bestimmten Regionen bewahren und unsere Verbündeten schützen soll. In der Praxis wenden wir diese Strategie bereits gegenüber Nordkorea, Iran, Irak und Kuba an.“ (Gen. John Shalikashvili, Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs: Die US-Militärstrategie für die 90er Jahre. In: Amerika-Dienst 12/23.03.1994)
Der Chief of Staff gibt die von ihm ausgemachten Sicherheitsfälle in der heutigen Welt als ganze fünf Restposten des Kalten Krieges aus. Was er ihnen vorwirft, straft jedoch die Behauptung Lügen, daß das amerikanische Problem in diesen paar Staaten besteht, und daß es sich den Überbleibseln des anderen Lagers verdankt, die es sich erlaubt haben, zu überleben. Zunächts überrascht, daß der General die neuen Objekte der Abschreckung als keine Gefahr für die USA einstuft: klein, isoliert, von keiner zur Herausforderung der USA wirklich befähigten Macht ausgerüstet oder konzertiert. Zweitens bezeichnet er sie als „ernste Bedrohung“, aber nicht wegen ihrer Taten. Vorwürfe, wie sie der Couleur dieser Staaten entsprechen würden, kommen gar nicht: den „aggressiven Regimes“ werden weltrevolutionäre Aktivitäten und sozialistische Umsturzversuche gar nicht zur Last gelegt, sondern das, was sie eventuell „könnten“. Daß diese Staaten über Mittel verfügen ihre – nur ihre – „Region in Krieg zu stürzen“ ist das Verbrechen, das die USA nicht dulden wollen. Nur, welcher Staat könnte das nicht? Wenn sich so die Feinde der US-Weltordnung qualifizieren, dann bestehen sie nicht aus den genannten fünf, sondern aus allen Staaten auf dem Globus. Alle sind wegen ihrer Fähigkeiten potentielle – nur um Potenzen geht es ja – Störenfriede, und die großen Mächte wie Frankreich, Rußland, Deutschland „könnten“ natürlich noch viel mehr „Aufruhr“ bewirken als die kleinen. Sie alle bekommen mitgeteilt, daß ihre militärischen Fähigkeiten eine Herausforderung an die USA sind und deshalb ihr Gebrauch eine Sache, die mit Washington abgestimmt und von ihm genehmigt sein muß. Deshalb geraten die Restbestände des einstigen sozialistischen Lagers bzw. die paar arabisch-islamischen Staaten, die sich im Schatten der Blockkonfrontation eigene Wege herausgenommen haben, ins Visier: Daß sie ihre Couleur nicht ändern, daß sie sich ihre Staatsräson nicht in Washington abholen, ist unerlaubter Widerstand. Und daß sie das auch noch können, daß sie über gewisse Mittel der Selbstbehauptung verfügen, ist der Skandal, der die ganze Neue Weltordnung unhaltbar zu machen droht. Die USA bestehen darauf, daß es fremde Hoheit nur noch als beschränkte, von ihnen lizensierte gibt. Offenbar hat es tatsächlich die sowjetische Gegenmacht gebraucht, um überhaupt das – nicht gerade anti-imperialistische – Prinzip souveräner Staaten zu etablieren, die äußeren Respekt verlangen und sich innere Einmischung verbitten können. Daß der Verkehr zwischen Staaten deren Willen respektiert und ihn nur durch Angebote an sein Kalkül beeinflußt, diese Verkehrsform halten die USA jedenfalls für eine überlebte Beschränkung ihrer Aufsichtsrolle, die nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr nötig ist. Sie müssen ihren Standpunkt nur noch durchsetzen – gegen alle.
Die Verbrechen Nordkoreas
Nordkorea ist, auch das teilt der General mit, kein Feind der USA, der diese in bestimmter Weise stören würde, weil er Bestimmtes will; es ist ein Fall neben anderen im Rahmen der Durchsetzung der beanspruchten amerikanischen Rolle. Ähnlich wie heute Nordkorea haben sich die USA vor drei Jahren den Irak exemplarisch als Verletzer ihrer Weltordnung herausgegriffen, und an ihm demonstriert, wie es denjenigen ergeht, die eine „Wiedervereinigung“ ohne amerikanischen Segen anstreben und sich dafür die Machtmittel zulegen. Jetzt scheint schon wieder Bedarf für ein Exempel entstanden zu sein.
Dafür, daß es diesmal Nordkorea traf, hat dieses Land nicht viel und schon gleich nichts besonders Ungewöhnliches tun müssen. Es hat erstens, wie gesagt, überlebt und nach dem Ende des Ostblocks nicht gleich auch seine eigene Selbstauflösung beschlossen. Es hat zweitens aus dem Verlust des Schutzes gelernt, den die Blockkonfrontation und das sozialistische Lager dem stets angefeindeten, im Koreakrieg 1948 von den USA geteilten Land geboten hatten. Es hat gelernt, daß es seinen bedrohten Bestand selbst schützen muß; es unterhält eine große Armee, betreibt eine beachtliche und moderne Rüstungsindustrie, die auch Mittelstreckenraketen zustande bringt, und es forciert ein Atomprogramm, sicher auch mit militärischen Perspektiven. Welcher Staat, der auf sich hält und kann, tut so etwas nicht?[1]
Die zweite Sünde, die die USA Nordkorea ankreiden, besteht darin, daß das Land seine guten Waffen nicht nur für sich produziert, sondern wie alle anderen Nationen auch Rüstungsexport betreibt – und zwar an die Kunden, die es eben hat: Iran, Irak, Pakistan, usw. Als Ausrüster der Parias dieser Weltordnung, werden sie zum Schuldigen dafür gemacht, daß es diese Staaten überhaupt noch gibt.
Drittens schließlich versuchte Nordkorea nach dem Kalten Krieg, die Feindschaft des Südens loszuwerden. War dieser bis dahin vom Norden als Spalter und Lakai des US-Imperialismus beschimpft worden, so sah er sich nun mit dem Angebot umworben, die Einheit der Nation wiederherzustellen. Die Koreanische Volksdemokratische Republik (KVDR) stellte sich die Wiedervereinigung jedoch nicht nach dem Vorbild Deutschlands vor. Sie dachte nicht daran, zu kapitulieren und ihr sozialistisches System wegzuwerfen, um sich dem kapitalistischen Süden anzuschließen. Die KVDR forderte vielmehr die südliche Republik Korea dazu auf, sich nicht mehr als Militärbasis der USA herzugeben und mit dem Norden in Verhandlungen darüber einzutreten, wie die staatliche Einheit herzustellen sei. Dies war umgekehrt aber auch keine Kapitulationsforderung an den Süden, sondern – verbunden mit der Anerkennung als gleichberechtigter koreanischer Staat – ein Angebot, sich aus der Unterordnung unter die USA zu lösen und gemeinsam mit dem Norden nach einem Weg zu einem „wirklich unabhängigen Korea“ zu suchen.[2]
Das Wiedervereinigungsangebot ist für die USA eine doppelte Herausforderung. Sie würden den Stützpunkt und das Aufmarschgelände verlieren, das Südkorea ihnen bis heute für den ganzen asiatischen Raum bietet. In einem vereinigten Korea würde außerdem ein nicht untergeordneter Staat entstehen, dessen Militärpotential dasjenige Nordkoreas bei weitem überstiege – und das ist den USA ja schon zu groß.
Nordkorea ist also längst kein kommunistischer Vorposten mehr, sondern auch so ein Staat, der nach 40 Jahren Existenz und angesichts seiner Potenzen gar nicht einsieht, warum er aufgeben soll. Das ist sein Verbrechen. Alle Versuche der Selbstbehauptung, der militärischen Sicherung und der Überwindung seiner politischen Isolation sind den USA Grund genug, den Kalten Krieg um Korea nicht nur nicht zu beenden, sondern Schritt für Schritt an die Grenze des heißen zu treiben.
Das Land isolieren und in die Ecke treiben …
Es geht den USA um die Brechung des nordkoreanischen Selbstbehauptungswillens. Dafür wird das Land einem System abgestufter Erpressungen unterworfen; dafür werden die – vor kurzem zur Entspannung – abgesetzten Großmanöver der US-Army mit südkoreanischen Streitkräften, die jederzeit in einen militärischen Überfall umschlagen können, wieder aufgenommen. Es geht darum, Spannung zu erzeugen. Dafür werden dann Batterien von Patriot-Raketen, die gegen den Irak erfolgreich waren, an der Waffenstillstandslinie postiert. Der Norden soll bedroht, provoziert und in eine dauernde Beinahe-Kriegs-Situation manövriert werden, damit er dann sich vor der Welt als das unberechenbare und aggressive Regime entlarvt, das zu sein er bezichtig wird. Der Aufmarsch soll ihn sowohl zu kriegerischen Aktionen reizen wie ihm die Chancenlosigkeit der Gegenwehr beibringen.
So feindselig das Vorgehen, so prinzipiell ist der amerikanische Angriffspunkt in der Sache. Die US-Regierung wendet sich nicht gegen diese oder jene politische Willenskundgabe Nordkoreas, sondern gegen die Mittel seiner Souveränität als solche, also die militärische Fähigkeiten des Landes, seinem Willen überhaupt irgendeine Geltung zu verschaffen. Das Instrument für diesen grundsätzlichen Angriff war daher nicht zufällig ein hochgespielter Konflikt des Landes mit der Internationalen-Atom-Energie-Behörde, einer Institution, die den atomaren Habenichtsen unter dem Atomwaffensperrvertrag die zivile Nutzung der Kernspaltung unter der Bedingung internationaler Kontrolle ermöglicht – eine Nutzung, die sich bekanntlich ziemlich umstandslos für den militärischen Gebrauch umwidmen läßt. Die Forderungen der USA haben die Inspektoren der IAEO frech gemacht und lauter Konflikte zwischen der internationalen Behörde und dem souveränen Staat erzeugt, der sich Kontrollen gefallen lassen soll, wie sie bisher unter dem Regime des Atomwaffensperrvertrags nirgendwo üblich waren.[3] Der Verdacht der USA, ihr Insistieren auf immer neuen Inspektionen und die hinhaltende Verweigerung Nordkoreas haben es dahin gebracht, daß nun der Verdacht, es baue die Bombe, offiziell ist und die USA die Beweislast umkehren. Das Land soll beweisen, daß es nicht tut, was man ihm unterstellt – und das ist unmöglich: alle Labors des Landes, alle High-Tech-Einrichtungen sind nun mögliche Verstecke und mögliche Orte der Kontrollen – die dadurch nie mehr mit einem entlastenden Ergebnis enden können. Das Bedürfnis Nordkoreas, sich durch „zivile Nutzung“ der Kernenergie ein Stück aus seiner devisenzehrenden Abhängigkeit vom Öl zu befreien und die notorisch mangelhafte nationale Energieversorgung zu steigern und zu sichern – immerhin bisher anerkannter Gesichtspunkt des nordkoreanischen Atomprogramms –, findet in diesem Fall keinerlei Anerkennung mehr. Im Verlauf der Eskalation hat Nordkorea deshalb den Atomsperrvertrag kündigen wollen, der so sehr zum Instrument der Unterordnung, der Spionage und Entwaffnung des Landes benutzt wird. Die USA haben klargemacht, daß eine Kündigung keineswegs die Kontrollrechte der Außenwelt streichen, sondern vielmehr den Kontrollbedarf noch viel dringlicher machen würde. Sie haben damit den Vertrag erläutert als eine Einrichtung, die keineswegs verschiedene Seiten aus gemeinsamem Interesse eingegangen sind, sondern als ein Recht der USA auf Kontrolle anderer – der sich entziehen zu wollen, die schlimmste Feindschaftserklärung ist. Nordkorea hat daraufhin auf die Kündigung verzichtet.
Wie grundsätzlich der Angriff ausfällt – wie wenig die Sache für Nordkorea also erledigt wäre, wenn es in umfassende und bedingungslose Kontrollen einwilligte –, macht die amerikanische Diplomatie im Umgang mit koreanischen Kompromißangeboten deutlich. Der von den USA immer noch nicht anerkannte Feindstaat hat versucht, seine Zustimmung zu weiteren Kontrollen – und damit die ihm unterstellte Atomwaffe – zum Verhandlungsmittel zu machen; darüber in ein direktes Verhältnis zu den USA zu treten und sich von den USA die Anerkennung seiner territorialen Integrität zusichern zu lassen, die bislang die Waffen sichern mußten. US-Verteidigungsminister Perry hat dagegengehalten, daß Nordkorea aus seinen Atomplänen „keinerlei Vorteil ziehen“ darf – auch nicht aus deren Aufgabe. Ein Tausch, der Nordkorea die Zusicherung einbrächte, in Ruhe gelassen zu werden, wäre in seinen Augen glatt eine „Belohnung“ der nordkoreanischen Geheimniskrämerei um seine Atomanlagen. In der Neuen Weltordnung der USA hat sich kein Land den Respekt der USA zu erzwingen; er wird ihm entweder von Washington im Falle der Unterordnung gewährt, oder es verdient nicht, „Mitglied der Völkerfamilie“ zu sein.
… im Namen des Atomwaffensperrvertrags
Wie damals beim Krieg gegen Saddam Hussein tragen die USA ihren Angriff nicht als Sache einer nationalen Feindschaft gegen Nordkorea vor, sondern als Weltordnungs- und Völkerrechtsfall. Sie nehmen in diesem Fall Bezug auf den Atomwaffensperrvertrag, machen an seinen Bestimmungen den Rechtsbrecher aus – und verlangen vom Rest der Staatenwelt, sie müsse die USA zum Anwalt, Richter und Vollstrecker des Völkerrechts ernennen, ihnen also in ihren Feindschaften freie Hand lassen und dabei allenfalls Hilfsdienste leisten. Mit diesem Auftreten machen sie den Vertrag nicht nur formell zum Objekt ihrer Aufsicht und sich zum Richter über Vertragstreue und Bruch der Vertragsstaaten[4] – wo sie Verstöße entdecken, sind welche, wo nicht, nicht; wo sie es angebracht finden den Respekt vor dem Vertrag zu erzwingen, ist es eine Forderung der „Weltgemeinschaft“; wenn sie Krieg dafür nötig finden, ist er ein Gebot des Völkerfriedens. Sie geben dem in Bälde auslaufenden Vertrag[5] damit, daß sie ihn zu ihrer Sache machen, einen ganz neuen Inhalt. Der alte Sperrvertrag war in seinem Kern eine Abmachung zwischen den Hauptfeinden des Kalten Krieges, USA und UdSSR, mit dem Zweck, ihren Rüstungswettlauf im Griff und berechenbar zu halten. Die Feinde einigten sich darauf – es war der erste Vertrag zur Rüstungskontrolle und Teil der Entspannungspolitik –, ihren jeweiligen Bündnispartnern nur den Atomschirm zu leihen, ihnen aber, soweit nicht schon geschehen, keinen weiteren nationalen Zugang zu diesen Waffen zu schaffen und zu verhindern, daß immer mehr Staaten nationale Kalkulationen bis hin zum heißen Einsatz mit ihnen anstellten. Es war ja schon zwischen den verantwortlichen Hauptfeinden schwer genug, diese Waffen als reine Abschreckungsinstrumente zu definieren. Die Seite der Monopolisierung des Atomwaffenprivilegs gegenüber Dritten hatte der Vertrag zwar auch – besonders darüber, daß die Verlierer des 2. Weltkriegs, Japan und Deutschland, sich kein eigenes atomares Bedrohungspotential und damit die Mittel zu einer möglichen Revision ihrer Niederlage zulegten, waren sich die drei westlichen Siegermächte mit dem Hauptfeind und ehemaligen Verbündeten im Osten einig. Aber die von Atombewaffnung ausgeschlossenen Staaten standen doch einerseits durch ihre Bündnissysteme unter dem Schutz vor atomarer Erpressung und brauchten andererseits zur Durchsetzung ihrer ins Bündnis eingebetteten internationalen Interessen keine speziell nationalen Kriegsmittel der obersten Güteklasse.
Jetzt – nach dem Abtreten des für die kapitalistischen Mittelmächte übermächtigen Gegners – schützt sie die US-Atomrüstung gegen niemanden mehr, am allerwenigsten gegen die USA selbst. Mit der Selbstaufgabe der Sowjetunion als konkurrierender Weltmacht ist das Bemühen um Sicherungen beim Rüstungswettlauf erledigt; geblieben ist allein die Monopolisierungsfunktion des Vertrags, die in ihm enthaltene Vereinbarung, daß die Noch-Nicht-Atommächte es auch zu bleiben haben. Die USA sind ihrem alten Ideal des atomaren Monopols so nahe wie nie mehr seit Hiroshima – und zugleich weiter entfernt als je. Es war ja auch in den Zeiten des Kalten Krieges nicht die Leistung der Vertragsparagraphen, daß andere Staaten vom Drang nach diesen Waffen abgehalten wurden; es war die Blockdisziplin auf beiden Seiten, das Interesse der Vormacht, auf die die „Mittelmächte“ wegen der Feindschaft zum für jede einzelne übermächtigen Feind angewiesen waren – und es war der Schutz vor atomarer Erpressung, den das Bündnis gegen den Feind gewährte, der das ohnehin löchrige Monopol ein Stück weit wahrte. Jetzt ist beides dahin; der Grund für Atomwaffen und die Freiheit, sie sich zuzulegen, ist für viele Staaten weit gediehen. Die „Last“ von Verhinderung und Kontrolle fremder Atombewaffnung fällt ganz auf die USA, das Interesse daran allerdings auch. Sie wollen ihr Monopol hüten und tun nun so, als könnte und müßte heute der Vertrag leisten, was er nie hat leisten können: Sicherstellen, daß alle denkbaren Kriege schon dadurch zu Gunsten der USA vorentschieden sind, daß Amerika allen anderen Staaten Schranken ihrer Bewaffnung diktiert und sich so seine Überlegenheit sichert. Natürlich leistet das gar nicht der Vertrag, sondern entweder die überlegene Kriegsmacht der USA, die alle atomaren Emporkömmlinge niederhält, oder gar niemand.
Der Kampf um den Sperrvertrag, seine Erneuerung und Fortschreibung, den die USA mit der Brandmarkung Nordkoreas eingeleitet haben, ist darum aber nicht weniger wichtig: Die USA wollen sich ihren Anspruch auf das mit den offiziellen Atommächten Frankreich, Großbritannien, Rußland und China geteilte Monopol – an der Abrüstung der Russen wird gearbeitet – vom Rest der Staatenwelt als ihr Recht unterschreiben lassen, als das Recht, auf alle die draufzuhauen, die sich am Atommonopol vergehen.
An Nordkorea statuieren sie das Exempel, daß der Vertrag, der in knapp einem Jahr ausläuft, unkündbar ist und sich die Feindschaft der USA zuzieht, wer kündigt. Sie machen damit eine schöne Vorgabe für die Verhandlungen, die bald über Auslaufen oder Fortschreibung dieses Vertrages stattfinden müssen. Nicht nur die sogenannten atomaren Schwellenländer dürfen sich da angesprochen fühlen, sondern auch die in der ökonomischen Konkurrenz ebenbürtigen atomaren Habenichtse Japan und Deutschland.[6] Die Amerikaner wollen den gegenwärtigen Status aller Staaten zementieren, die imperialistische Rangordnung unumkehrbar machen und das alles auch noch als internationales Recht allseitig verbindlich machen.
An alle anderen: Einordnung und Mitmachen gefordert!
Das amerikanische Aufmischen gegen Nordkorea stellt damit für alle anderen Mächte in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung dar. Als Atommächte oder Nicht-Atommächte sind sie mit dem Anspruch der USA konfrontiert, das Maß der Souveränität anderer Staaten an den letzten Waffen zu definieren. Als Mitüberwacher angesprochen, sind sie in Wirklichkeit unmittelbar Betroffene des amerikanischen Verbots, sich gegen den Willen Amerikas militärisch mit den schlagkräftigen Mitteln auszurüsten, die in der Konkurrenz der Staaten zählen. Darüberhinaus sollen sie im Namen der Vertragstreue und Kontrolle auch gleich noch das feindselige Vorgehen Amerikas gegen Nordkorea billigen und mittragen. Zwar tun die USA so, als ginge es um die Feststellung von Interpretationsdifferenzen über die Kompetenzen der IAEO-Inspektoren; gemeint und von allen Staaten verlangt ist aber viel mehr: Sie sollen sich vorbehaltlos hinter die amerikanische „Auslegung“ stellen und die Konsequenzen mittragen, bis hin zur Vollstreckung einer Feindschaft, die sich aus Inspektionsstreitigkeiten unmöglich ergeben kann. Damit sind aber zweitens auch alle Beziehungen, die andere Staaten zu Nordkorea unterhalten, von Amerika in Frage gestellt. Jeder Staat, der gewohnheitsmäßig die Souveränität Nordkoreas respektiert, weil er mit diesem Land geschäftlich verkehrt oder ins Geschäft kommen will, der sie womöglich unterstützt und ausstattet, weil er sich davon nützliche politische Beziehungen verspricht, jeder also, der an einem funktionierenden Nordkorea und am Fortgang geregelter zwischenstaatlicher Verhältnisse interessiert ist, weil er davon profitiert, unterläuft und schädigt nach der amerikanischen Logik das prinzipiell feindselige US-Interesse, bekommt also umgekehrt mit ihm störend zu tun. Andere Mächte sind also gezwungen, sich mit der US-Offensive gegen Nordkorea wohl oder übel zu befassen, weil ihre eigenen Beziehungen gefährdet oder ausdrücklich bestritten sind.
Rußland und China, die als regionale oder kontinentale Vormächte jede auf ihre Weise die alte Blockkonfrontation national beerben wollten, sehen sich in ihrem nächsten Einfluß- und Bündnisbereich herausgefordert. Sie müssen sich, das jedenfalls wollen die USA, hinter ihrer Führung einreihen, ihr einseitiges Vorgehen sanktionieren und den eigenen Rang als untergeordnete Macht bestätigen – oder sie müssen sich mit allen Konsequenzen für ihre Beziehungen zu den USA dagegenstellen und sich als Feind der Weltordnung zu erkennen geben. Beides wollen sie nicht, sie merken wohl, wie sehr sie in ihrem eigenen Recht tangiert sind, aber vermeiden, so gut es geht, die Konfrontation. Auf die prinzipielle Gegenposition – „Nichteinmischung in die Souveränität eines anderen Landes!“ und entsprechende Anklagen gegen die USA – sind sie nicht verfallen. Sie haben sich praktisch herausgefordert gesehen, ihre Interessen zu wahren, ohne den Schein der Gemeinsamkeit im Kontrollanliegen zu kündigen und den USA umstandslos ihr Vorgehen zu bestreiten.
Rußland hat – wie Gorbatschow im Fall Irak – die alte Schutzgarantie der Sowjetunion für Nordkorea nicht erneuert. Zugleich hält es an seinem regionalen Ordnungsanspruch fest. Es hat den Beistandspakt zwischen der UdSSR und der KVDR immerhin in die Diskussion gebracht, wenn auch ohne ausdrückliche Bürgschaft für die Sicherheit Nordkoreas. Andererseits signalisierte Rußland, daß es zu den Prinzipien des Non-Proliferation-Treaty steht und hat im Weltsicherheitsrat die nordkoreanische Weigerung, seine Atomanlagen so kontrollieren zu lassen, wie es die USA wünschen, mit verurteilt – wenn auch ohne die von den USA gewünschte Androhung von Konsequenzen.
Der Volksrepublik China muten die USA zu, sie solle den bisherigen Verbündeten, den die USA zum Feind erklärt haben und gegen den sie sich in der unmittelbaren Nachbarschaft Chinas militärisch aufbauen, als eigenen Feind behandeln und bei dessen Erpressung eine Schlüsselrolle spielen. Die Zwickmühle, die Washington Peking damit eröffnet hat, besteht darin, daß es entweder das Verlangen der USA zurückweist und sich damit selbst in die Schußlinie bringt oder der amerikanischen Offensive zustimmt, sich den Charakter seiner Beziehungen zur Nordkorea von den USA vorbuchstabieren läßt und damit Kriterien der Ächtung der nordkoreanischen Volksrepublik unterschreibt, die ohne weiteres auch auf China angewendet werden können. Am direktesten angegriffen, hat China am deutlichsten von allen Staaten das amerikanische Ansinnen zurückgewiesen, freilich ohne die Titel der gemeinsamen Weltordnung und Atomkontrolle anzugreifen, eventuell als Instrumente amerikanischen Interesses zu entlarven und offen zurückzuweisen. Trotz einer gewissen Zurückhaltung haben die Chinesen zu den US-Pressionen dabei gegensätzliche Positionen bezogen. Sie haben akzeptiert, daß es ein Recht der IAEO auf Kontrolle der Nichtatommächte unter den Unterzeichnerstaaten gibt, aber sie haben verlangt, daß Streitfragen darüber, wieweit Kontrollen gehen dürfen, diplomatisch und nicht mit Kriegsdrohungen geschlichtet gehören. Damit vertreten sie das – allerdings schon ein gutes Stück relativierte – Prinzip, daß nationale Souveränitäten respektiert werden müßten, zumindest bei solch grundsätzlichen Kontrollfragen auf Einvernehmen und Gleichgewichtigkeit geachtet werden müsse. Weil die USA dagegen immer weiter bohrten, verstanden sie sich später noch zu einer weiteren Position: Sie ließen verlautbaren, China habe sich schon vor Jahren davon überzeugt, daß Nordkorea keine Atombomben baue, und es würde auch dagegen einschreiten, wenn dies doch der Fall wäre; weil dem aber nicht so ist, sei weiterer Druck auf Nordkorea unberechtigt und kontraproduktiv. Auch dies eine Klarstellung, die den USA das nationale Recht bestreitet, den Exekutor internationaler Rechtsfragen zu spielen. Wenn schon Aufsicht, dann hat der Nachbar China sie längst viel befugter wahrgenommen.
Andere Länder, vor allem Japan, rechnen, seit die Blockkonfrontation erledigt ist, neu und freier mit Nordkorea. Sie sehen sich jetzt vom amerikanischen Vorgehen blockiert. Die Exportnation Japan treibt mit jedem Handel, auch mit Nordkorea. Japan ist die wichtigste Devisenquelle Nordkoreas. Viele von den im 2. Weltkrieg nach Japan verschleppten koreanischen Zwangsarbeitern und von deren Nachkommen unterhalten familiäre Bande nach Nordkorea und hegen z.T. beträchtliche Sympathien für den Unabhängigkeitskurs dieses Teils der ehemaligen japanischen Kolonie. Die finanzielle Unterstützung ihrer in Nordkorea lebenden Verwandten durch die Japankoreaner und Spenden der Sympathisanten unter ihnen bringen der devisenarmen Volksrepublik harte Währung. Diese Abhängigkeit soll nach dem Willen der USA jetzt als Erpressungshebel gegen Nordkorea in Anschlag gebracht werden. Neben Rußland und China sieht sich vor allem Japan zu einem Handelsembargo aufgefordert, auf das es auf Grund seiner eigenen Interessenlage in Ostasien nie verfallen wäre, versucht es doch seit geraumer Zeit, bei den benachbarten „kleinen Tigern“ und bei China für eine eigenständige „ostasiatische Rolle in der Welt“ zu werben, die automatisch die amerikanische Hegemonie in diesem Raum relativieren würde. Insofern sieht sich Japan durch Amerikas Programm gegen Nordkorea auf seinem Weg, sich von den USA zu emanzipieren, zurückgeworfen.
Selbst die Führung Südkoreas, das seine staatliche Existenz der antikommunistischen Roll-back-Politik verdankt und sich im Kalten Krieg immer als Vorposten der USA verstanden hat, steht nicht uneingeschränkt hinter der amerikanischen Drohung gegen die feindlichen Brüder im Norden. Immerhin enthält dieses Vorgehen auch ein grundsätzliches Veto gegen die auch im Süden nicht unattraktive Perspekive einer koreanischen Wiedervereinigung, die beiden Teilen in einer größeren Republik Korea neue Optionen eröffnen würde. Nach der Beilegung des Ost-West-Gegensatzes ist es auch für das südkoreanische Regime keine Überlebensfrage und daher auch keine Selbstverständlichkeit mehr, sich als Aufmarschgebiet der USA herzugeben. Und die Sorge darum, was aus der Nation wird, wenn die USA ihren offen angedrohten Krieg gegen den Norden wahrmachen, ist nur allzu berechtigt. So nimmt es nicht Wunder, daß neben bedingungsloser Zustimmung zum US-Kurs von Seiten der Hardliner aus dem Militär manche in der südkoreanischen Regierung zur Mäßigung rieten. Der Präsident reiste nach Tokio und Peking und schwankte zwischen auftrumpfenden Tönen, der Süden könne den eventuellen Krieg gewinnen, und der Suche nach einem „asiatischen Standpunkt“, der Amerika bremst.
Bremsen ist der übereinstimmende Standpunkt bei allen Staaten – angesprochen sind ja nicht nur die vier asiatischen Nachbarn; alle merken, wie sehr sich das US-Ansinnen gegen ihre Rechte und ihren Status richtet – und alle wollen sie das Recht Amerikas dazu nicht herausfordern, die Weltordnungspolitik der USA nicht der Parteilichkeit überführen und selbst Gegenpartei werden, weil sie die Feindschaft der USA zu fürchten haben. Aber einfach Ja sagen, sich unterwerfen und mitmachen, das wollen sie auch nicht. Sie versuchen die USA mit ihren Anträgen auf Eskalation hinzuhalten und ins Leere laufen zu lassen.
Die Tücken einer Weltherrschaft, die Mitmachen erzwingen will
Die USA wollen die Welt dadurch beherrschen, daß sie durch die Isolation von Störenfrieden und durch ihre Initiative für deren Bestrafung immer wieder Mitmachen erzwingen, auch von allen anderen. Ein für alle Mal erledigt ist diese Unterordnung der „Partnerstaaten“ nie, wie schon der Wiederholungsbedarf kaum drei Jahre nach dem Golfkrieg zeigt. Unmittelbar gegen die als Mitmacher gewollten Partner richtet sich die Feinderklärung nie; aber sie konfrontiert sie mit einem dringlichen Antrag auf Gefolgschaft: Sie sollen sich gegen einen Outlaw der Weltordnung vereinen und dabei das exklusive Vorrecht Amerikas sanktionieren, Rechtstreue und Rechtsbruch in der Völkerfamilie festzustellen, den Rechtsbrecher zu identifizieren und zum Einscheren zu zwingen. Das aber können diese Staaten nicht wollen, weil es auch ihre Rechte – im Fall der Atomwaffen sogar die auf die höchsten Hoheitsmittel – bestreitet. Das beschert auch der Vormacht ihr Leiden: Das glanzvolle Verfahren gegen den Irak, das der letzte Test auf den weltpolitischen Rückzug von Gorbatschows Sowjetunion war, fand den Westen halbwegs geeint und geriet militärisch so überzeugend, daß Quertreibereien und alternative Wege gleich keine Chance bekamen. Das alles läßt sich aber so einfach nicht wiederholen. Schon der UNO-Beschluß zur Eskalation gegen den Rechtsbrecher Nordkorea kommt nicht wunschgemäß zustande.
Das provoziert Auseinandersetzungen in den USA über die Zweckmäßigkeit des Vorgehens.
Die eine Partei warnt davor, der diplomatischen Offensive gegen Nordkoreas Atomprogramm Sanktionen folgen zu lassen, die Pjöngjang schon im Vorfeld einer Kriegserklärung gleichsetzt und auf die es mit Krieg reagieren würde. Geheime Pentagon-Studien errechnen, daß, wenn es zu Krieg kommt, ein Sieg der Nordkoreaner – wenn überhaupt – nur unter furchtbaren amerikanischen und südkoreanischen Opfern zu verhindern wäre. Manche Außenpolitiker geben zu bedenken, daß weiteres hartes Vorgehen gegen Nordkorea dem amerikanischen Einfluß in Ostasien schaden könnte, weil es den „Stolz“ der Asiaten herausfordert. Diese Partei mißt einen eventuellen Krieg an seinem höheren globalen Zweck und stellt von daher den Erfolg in Frage: Es geht nicht einfach darum, Nordkorea zur Subordination zu zwingen, es geht darum, die Welt dadurch hinter den USA aufzustellen. Womöglich produziert ein allzu unmißverständliches Drängen auf Gefolgschaft das Gegenteil, Widerstand und Quertreiberei – zumal dann, wenn der Waffengang eine Auseinandersetzung der höchsten Sorte zu werden verspricht, Alternativen Raum gibt und die Nachbarn in Aufruhr versetzt. Diese Partei empfiehlt, die USA sollten auf die Bereitschaft Pjöngjangs eingehen, auch die letzte, bisher unzugängliche Anlage unter irgendwelchen Bedingungen den IAEO-Kontrolleuren zu öffnen. Schließlich wäre ja dadurch das atomare Produktionspotential Nordkoreas auch unter Kontrolle.
Die Gegenpartei greift genau das als für die amerikanische Führungsrolle gefährliche Selbsttäuschung an: Das garantiert ja nur eine bedingte Zustimmung zu den Ordnungsansprüchen der USA, also nur eine bedingte Kontrolle der Rechtsbrüche; statt dessen erwirkt man nur lauter Lippenbekenntnisse, während die „unreliable allies“ in Wirklichkeit gegen die Vormacht konkurrieren und an ihrer Sonderstellung sägen – mit diesem Versuch, Zustimmung und Mitmachertum in der Staatengemeinschaft zu erhalten, verspielt man man letztlich die amerikanische Vorherrschaft, statt sie zu sichern. Diese Partei erinnert an die großen Zeiten, in denen die USA die moralischen Werte vorgaben, Freund und Feind definierten und – deshalb, so meinen ihre Anhänger – Gefolgschaft fanden. Sie empfehlen kompromißloses Eskalieren gegen Nordkorea – eine Kriegslage werde zwischen Freundschaft und Feindschaft keinen dritten Weg erlauben und die Partner schon zu eindeutiger Gefolgschaft zwingen.
Auf die erpresserisch bewirkte Zustimmung setzen oder garantierte Unterordnung erzwingen, das sind die Alternativen, in denen sich die Auseinandersetzung in Amerika bewegt. Einig ist man sich dabei, daß am Respekt vor dem amerikanischen Weltordnungsanspruch kein Weg vorbeiführen darf. Das stiftet entsprechenden Handlungsbedarf.
[1] Das gilt schon gleich für die USA selbst. Was wäre, wenn andere Staaten sich einfallen ließen, aus US-Raketen, die geeignet sind, Tausende Kilometer vom amerikanischen Kontinent entfernt andere Staaten zu vernichten, auf ein aggressives Regime in Washington zu schließen und die Verschrottung dieses Geräts zu fordern?
[2] Ein vereinigtes Korea mit ca. 70 Mio. Einwohnern würde im Norden über ansehliche Rohstoffvorkommen und (Rüstungs-)Industrie, im Süden über eine weltmarktfähige Exportindustrie und eine Gesamtkorea selbstversorgende Landwirtschaft, sowie über eine riesige vereinigte Streitmacht verfügen. Für Nordkoreas Programm einer Vereinigung der beiden koreanischen Staaten gibt es offenbar im Süden durchaus Parteigänger. Jedenfalls steht Nordkorea in den Augen eines Teils der Bevölkerung des Südens – anders als die DDR bei der DDR-Bevölkerung – nicht als der Spalter der Nation da; im Gegenteil: Es war immer der Vorwurf des Nordens an die nach dem 2. Weltkrieg von den USA eingesetzte Regierung in Seoul, sich zur Spaltung der Nation hergegeben zu haben. Im Süden ist es verboten, diese mit dem historischen Gang der Dinge auf der koreanischen Halbinsel übereinstimmende Auffassung öffentlich zu vertreten; ebenso stehen Reisen nach Nordkorea immer noch unter Strafe.
[3] Die Nordkoreaner beklagen sich nicht zu unrecht über die parteiliche Handhabung der Kontrollinstrumente. „Unterdessen erhob Nordkorea heftige Vorwürfe gegen die IAEO und Japan. Die Atomenergiebehörde ignoriere vorsätzlich, daß Japan die Entwicklung von Atomwaffen betreibe, hieß es. Die Behörde sei ein politisches Werkzeug der USA und spiele Beschuldigungen gegen Nordkorea hoch, während es Hinweise auf Japan unbeachtet lasse. Japan hatte in der vergangenen Woche eingeräumt, daß 70 Kilogramm Plutonium, die sich im Lauf der Zeit als Abfall in seinen Kernbrennanlagen angesammelt hätten, nicht erfaßt worden seien. Verlorengegangen sei davon nichts, hieß es in Tokio.“ (SZ, 16.5.1994). Gegenüber Nordkorea sind 58 Gramm nicht nachgewiesenen Plutoniums der Streitgegenstand.
[4] Was die Nichtvertragsstaaten betrifft, so gibt es genug, die an Atombomben basteln, allen voran Israel. Da hätten die USA im engeren Bereich ihrer Partnerstaaten einiges zu kontrollieren, wenn sie wollten. Auch das zeigt noch wie vorgeschoben das Argument mit dem Vertragsbruch ist: Nur Staaten, die es versprochen haben, müssen auch auf Atomwaffen wirklich verzichten.
[5] Im Vertrag zur „Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen“ verpflichteten sich alle Atomwaffenmächte dazu, keine Atomwaffen bzw. Produktionsanlagen für derartige Waffen an andere Staaten weiterzugeben; alle Staaten, die 1967 nicht über Nuklearwaffen verfügten, verpflichteten sich auf den Verzicht darauf, Atomwaffen zu erwerben, anzunehmen oder selbst herzustellen. Dafür wurde ihnen einerseits der Zugang zur friedlichen Nutzung der Atomenergie unter der Bedingung internationaler Kontrollen des Brennstoffkreislaufs, insbesondere des Verbleibs von waffentauglichem Plutonium, eröffnet und andererseits atomare Abrüstung der Großen versprochen, die natürlich nie eingehalten wurde. 25 Jahre nach seinem Inkrafttreten, im April 1995, sollte eine Konferenz der Vertragsparteien über eine befristete oder unbefristete Verlängerung des Vertrages entscheiden.
[6] Einen Vorgeschmack der neuen universellen Politik der atomaren Monopolisierung bekommt auch die deutsche Politik, die das amerikanische Streben nach Entfristung des Atomwaffensperrvertrags noch niedrig hängt, seit der Neubau eines Forschungsreaktors in Garching, der mit hoch angereichertem Uran U235 betrieben werden soll, von den USA, dem bisherigen Lieferanten des Stoffs, als Verstoß gegen die internationale Abmachung behandelt wird, die Benutzung dieses unmittelbar atomwaffenfähigen Materials wegen „Mißbrauchsmögichkeiten“ aufzugeben. Vielleicht liegen die öffentlichen amerikanischen Verdächtigungen, Deutschland wolle sich Verfügung über diesen brisanten Spaltstoff sichern, gar nicht so falsch. Wie wenig sich das neue Deutschland sogar auf einem scheinbar so kompromißfähigen Feld – alternative Forschungsreaktoren sollen das Gleiche leisten – von der einstigen Vormacht beschränken lassen will, zeigt die Reaktion: Von deutscher Seite denkt man laut über alternative Lieferanten nach und läßt durchblicken, daß man mit den Russen bereits in entsprechenden Verhandlungen steht.