Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Endlich höchstrichterlich festgestellt:
Auch die Hühnerwürde ist unantastbar!
Anfang Juli erklärt das Bundesverfassungsgericht unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit die geltende „Hennenhaltungsverordnung“ für nichtig, weil diese gegen die Grundsätze des Tierschutzes verstoße…
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Endlich höchstrichterlich
festgestellt:
Auch die Hühnerwürde ist
unantastbar!
Anfang Juli erklärt das Bundesverfassungsgericht unter
großer Anteilnahme der Öffentlichkeit die geltende
Hennenhaltungsverordnung
für nichtig, weil diese
gegen die Grundsätze des Tierschutzes verstoße.
Ob begeisterte Boulevardblätter – Freiheit für 45
Millionen Hennen!
(AZ,
7.7.99) – oder fein-humorige seriöse Zeitungen –
Bonn muß neue Verordnung ausbrüten
(SZ, 7.7.99) –, deren Schreiber vor
lauter Sympathie und Verständnis für die gequälte Kreatur
und ihre Karlsruher Schutzpatrone ziemlich hühnermäßige
Lebensgewohnheiten ausplaudern – auch (!) Hühner
schlafen gern nebeneinander
–: Das Lob für den
Richterspruch ist einhellig. Daß die höchsten Richter der
Republik sich mit der Berechnung der Käfig-Wohnfläche von
Federvieh in Quadratzentimetern befassen und mit der
Einschränkung von dessen Grundbedürfnissen … ohne
vernünftigen Grund
, daß sie dabei nicht jede
Erwägung der Wirtschaftlichkeit der Tierhaltung als
‚wichtigen Grund‘ im Rechtssinne
anerkennen und damit
den Tierschutz über die Wirtschaftlichkeit
gestellt
haben sollen, befriedigt alle
Prozessbeobachter, die schon immer gegen diese
besonders unwürdige Form der Tierhaltung
waren.
Fragt sich nur, warum. Vom Standpunkt der Henne aus ist
mit dem Urteil wenig gewonnen. Ihre Grundbedürfnisse
wie Schlafen sowie Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme
werden zwar grundsätzlich anerkannt. Aber was heißt das
schon! Ihr Lebensraum in der Batterie wird mit dem
exakten Humanismus, wie er dem Recht in allen ähnlich
gelagerten Sozialfällen eigen ist, von jetzt 450
Quadratzentimeter auf etwa 690 Quadratzentimeter
erweitert. Und das erst ab dem Jahr 2003, weil bei der
Rechtsgüterabwägung der Höchstrichter zwar der Tierschutz
auf der einen Seite, aber auch Eigentum und
Berufsfreiheit
der gewerblichen Hühnerzüchter auf der
anderen zu berücksichtigen waren. Die bestehenden
Legebatterien in Europa werden überhaupt erst gegen 2012
verboten. Von wegen also Tierschutz über die
Wirtschaftlichkeit gestellt
! Da geht es dem Huhn mit
seiner Würde auch nicht viel besser als dem Menschen.
Erst einmal ist staatlicherseits alles rechtlich
anerkannt, was nach der Rechnungsweise kapitalistischen
Wirtschaftens „vernünftig“ ist, und was dann von den
Grundbedürfnissen noch übrigbleibt, wenn rentabel
gewirtschaftet wird, gewährt die Staatsmacht ihrem
Viehzeug wie ihrem menschlichen Inventar gönnerhaft als
deren unantastbare, unveräußerliche Rechte.
So braucht, wer den Schaden hat, für den Spott nicht zu
sorgen. Es reicht nicht, daß man als Huhn im Kapitalismus
ziemlich schäbig behandelt wird, anschließend muß man in
der Zeitung auch noch lesen, wie sehr einen die
maßgeblichen Instanzen als Mitgeschöpf anerkennen
(so die grüne Landwirtschaftsministerin von NRW Bärbel
Höhn). Aber es ist schon interessant: Mitten im Zeitalter
der Globalisierung, in dem Politiker und ihre
öffentlichen Verdolmetscher der Menschheit jeden Tag
einbleuen, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft
als oberste Sachnotwendigkeit anzuerkennen ist, finden
dieselben Propagandisten eines staatlicherseits
ungezügelten Kapitalismus plötzlich Gefallen an der
schönen Idee, da wäre doch glatt einmal etwas über die
Wirtschaftlichkeit
gestellt worden. Zeter und Mordio
würden sie schreien, wäre das – womöglich in Bezug auf
die soziale Frage – tatsächlich der Fall. Auf der
Grundlage aber, daß davon ernsthaft natürlich nicht die
Rede sein kann, lassen sie es sich nicht nehmen, wohlfeil
darüber herumzuphilosophieren, daß mit dem Respekt vor
der Kreatur … auch ein Stück Menschenwürde
verlorengeht
, und ihrer Genugtuung Ausdruck zu
verleihen, daß das hohe Gericht dieser Gefahr gerade noch
Einhalt geboten hat. Lauter Humanisten
melden sich da zu Wort, die es angelegentlich eines
Grundsatzurteils zur Hennenhaltung zu der Mitteilung
drängt, daß in dem von ihnen geschätzten Laden nicht
einzig und allein und ausschließlich die Geldgier von
Kapitalisten regiert. Und wie es sich für Humanisten
gehört: allesamt mit einer gediegenen schlechten Meinung
über den Menschen ausgestattet und jeden Materialismus
grundsätzlich mit Verachtung strafend, wollen sie als
Hühnerfreunde dafür einen Anhaltspunkt gefunden
haben: das Leben, diese Abstraktion von jedem
menschlichen Bedürfnis, die sie in den Viechern
dargestellt sehen und als ihren höchsten
antimaterialistischen Wert verehren, soll einen Sieg
errungen haben. Na dann: Wo es in der kapitalistischen
Nahrungsmittelproduktion mit dem Tierschutz vorangeht,
sieht man als intelligenter Zweibeiner doch gerne darüber
hinweg, daß einen die mit ekelhaft schmeckendem und
ungesundem Essen verpflegt, weil sie mit Giftmüll als
Futtermittel, Hormon- und Antibiotika-Doping und
wachstums- bzw. legefördernder Tierhaltung für
schnellstmögliche Marktreife ihres profitträchtigen
Produkts sorgt!