Jassir Arafat †
Die „Symbolfigur“ der „palästinensischen Sache“ und ihr symbolträchtiger Abgang
Auch beim Ableben des „Führers der Palästinenser“ wird einem Staatsmann ‚die letzte Ehre‘ erwiesen, auch da wird an einer Herrscherperson die Rolle des Subjekts in der Weltgeschichte gewürdigt und für die interessierte Verwechslung von Person und politischer Sache der Herrschaft das fallbezogene Memorandum verfasst. Allerdings fällt bei diesem Politiker die Würdigung erheblich aus dem gewohnten Rahmen. Von maßgeblicher Seite wird sie demonstrativ abwertend vollzogen
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- I. De mortuis …
- II. Die Opfer einer ausweglosen weltpolitischen Lage und ihr hoffnungsloses Projekt einer palästinensischen Staatsgründung
- III. Die Logik des Kampfs um eine palästinensische Eigenstaatlichkeit
- IV. Das „autonome Palästina nach Arafat“: „Demokratie“ und „ein eigener Staat bis 2009“ – zum Zweck der Selbstaustrocknung eines terroristischen Sumpfes
Jassir Arafat †
Die „Symbolfigur“ der
„palästinensischen Sache“ und ihr symbolträchtiger
Abgang
I. De mortuis …
Auch Todesfälle in Reihen der ausländischen
herrschaftlichen Eliten sind Stoff zwischenstaatlicher
Diplomatie. Der verblichene Staatsmann wird politisch
gewürdigt, von seinesgleichen und deren ideellen
Stellvertretern, die daheim die öffentliche politische
Meinung bilden. An der Figur, die die fremde Macht
repräsentiert hat, werden als Saldo ihres
höchstpersönlichen Verdienstes oder Versagens die
politischen Beziehungen zwischen ihrem und dem eigenen
Staat bilanziert. Man bekundet seine Zufriedenheit mit
dem Verstorbenen dort, wo er es einem und den eigenen
Interessen recht gemacht hat, vermerkt Bedenkliches über
ihn da, wo das nicht der Fall war, würdigt mit dem
dosierten Respekt, den man dem Toten bezeugt, also
allemal sich selbst und die Sache der Gewalt gleich mit,
die man repräsentiert. Grundsätzlich ist das beim Ableben
des Führers der Palästinenser
nicht anders: Auch
da will einem Staatsmann ‚die letzte Ehre‘ erwiesen, auch
da will an einer Herrscherperson die Rolle des Subjekts
in der Weltgeschichte gewürdigt und für die interessierte
Verwechslung von Person und politischer Sache der
Herrschaft das fallbezogene Memorandum verfasst werden.
Allerdings fällt bei diesem Politiker die Würdigung
erheblich aus dem gewohnten Rahmen. Von maßgeblicher
Seite wird sie demonstrativ abwertend vollzogen.
Einem wie Arafat auch nur irgendwie von Staatsmann zu
Staatsmann Reverenz erweisen zu sollen: Das hält der
Präsident der Weltmacht für einen Anschlag auf seine
Ehre. Er jedenfalls macht deutlich, dass Arafat die
Lizenz zum Staatsmann nicht gebührt, also wird sie ihm
postum nach allen Regeln, die der diplomatische Knigge
vorsieht, entzogen. Andere politische Repräsentanten von
Rang sehen sich nur bedingt imstande, in dem Chef der PLO
einen der Ihren zu erkennen und dosieren ihre
Respektsbezeugung nach Maßgabe ihrer jeweiligen
Gesichtspunkte in der innerimperialistischen Konkurrenz.
Mit der überlegenen Gewalt, die sie in der
Staatenkonkurrenz repräsentieren, haben sie offenbar auch
das Recht zu entscheiden, wer in der zugelassen ist und
wer nicht.
Damit haben auch die Vertreter der öffentlichen Meinung
die Vorgabe für ihre politische Würdigung des Mannes, und
da der sich beim Sterben Zeit lässt, erfährt man noch vor
seinem endgültigen Abgang alles Nötige über dessen
historische Bedeutung
: Ein politisches Kuriosum
hat man da nach allgemeinem Urteil vor sich, einen
Politiker, der einerseits – wie manch anderer auch – als
Meister des Terrorismus
auszieht, um als
Gründer eines Staates in die Geschichte
einzugehen
, der es andererseits – wie sonst keiner –
am Ende nur zum virtuellen Staatsmann
bringt und
beim Abschluss und Höhepunkt seiner Laufbahn bloß
Repräsentant eines virtuellen Staates
ist. Führer
eines Volkes, das er nicht als Volk regiert, Repräsentant
eines Staates, der keiner ist, nationale Ikone
zur
Anbetung einer Nation, die es nicht gibt: Dass die
geschichtsbewussten Grabredner der FAZ, der
‚Süddeutschen‘ und vom ‚Spiegel‘ damit nur eine der
realen politischen Absurditäten zur Sprache bringen, zu
denen es der moderne Imperialismus bringt, wissen sie
sehr wohl. Dieser Absurdität aber auch nur irgendwie auf
ihren materiellen politischen Grund zu gehen, haben sie
nicht vor. Sie wollen zum Ausdruck gebracht haben, dass
es dem Mann am allerwichtigsten Bestandteil des Respekts,
der seinesgleichen ansonsten gebührt, grundsätzlich
fehlt – weil er die Macht, die er
repräsentierte, gar nicht gehabt hat. Der
Umstand, dass ein Staatsgründer sein Lebenswerk nicht mit
einem respektablen Staat krönt, sondern es nur ins Amt
des Vorstehers einer autonomen Behörde bringt, dass er
entgegen all seinen Anstrengungen nicht die souveräne
Macht einer palästinensischen Nation, sondern nur deren
komplette Abwesenheit als nationales Symbol
auf
zwei Beinen repräsentiert: diese Erfolglosigkeit
seines politischen Bemühens ersetzt für sie jedes Urteil
darüber, womit der Mann eigentlich
woran und warum gescheitert
ist. Für sie
steht daher fest, dass der Mann in seiner Politik lauter
Fehler gemacht
haben muss und daher als
Versager
sein Ende gefunden hat. Zum Zwecke der
Vertiefung dieser Einsicht lassen sie dann 40
Jahre Weltgeschichte Revue passieren. Erwähnung finden
markante Terrorakte
, freilich auch, dass Arafat
selbst nicht hinter allen als Drahtzieher stand; später
hat er sogar dem Terrorismus feierlich
abgeschworen
, den Terror der Intifada
kommandierte er insgeheim freilich immer; seine Rolle
in den diversen Nahostkriegen
spielte er vornehmlich
dadurch, dass er stets auf der falschen Seite, nämlich
auf Seiten der arabischen Kriegsverlierer stand; zwischen
den Kriegen war er gleichfalls rührig, in erster Linie
gab er ein ums andere Mal Proben seiner Kunst,
Hoffnungen zu wecken, um sie dann schwer zu
enttäuschen
; letztlich führte er seine Bewegung
von einem Desaster zum nächsten
, und dennoch hat man
ihm – so oft er den Westen auch enttäuschte und
betrog
– irgendwann einmal doch internationale
Anerkennung
zuteil werden lassen; in der UNO, in Genf
und sogar mit einem Nobelpreis für Frieden; insbesondere
während der letzten Dekade des Kriegs im Nahen Osten, die
allgemein Friedensprozess
heißt, wurde ihm immer
wieder die Hand ausgestreckt
, freilich nur, um
erneut die enttäuschende Erfahrung zu kassieren, dass
Jassir Arafat sich nicht traute, Staatsmann zu
werden
; ein allerletztes Mal verließ ihn da in Camp
David der Mut, und ab dann war er für die zwei
wichtigsten Mächte im Nahen Osten einfach kein
Ansprechpartner mehr
, für alle anderen wichtigen
Mächte daher auch nicht mehr so recht; doch selbst unter
Hausarrest gestellt und abwechselnd mit Ausweisung und
Liquidierung bedroht, mangelte es dem gewieften
Taktiker und großen Träumer nie an Vermessenheit
:
Auch in Ramallah weggesperrt, blieb er ein Mann der
permanenten Revolution
und hetzte in der Berechnung,
die Weltgemeinschaft
werde ihn und sein
palästinensisches Volk schon aus der
selbstgeschaffenen Krise befreien
, seine
Anhängerschaft in die nächste Intifada – womit für seinen
Platz in der Geschichte insgesamt feststeht: Sein Volk
hat er nie zur sicheren Heimstatt in einem eigenen Staat
geführt, vielmehr in eine Sackgasse
nach der
anderen; den Palästinensern hinterlässt er so ein Erbe
aus Hass und Zerstörung
, allen Friedliebenden im
Westen und in Israel hingegen mit seinem insgesamt schon
begrüßenswerten Abgang die Hoffnung am Horizont
,
das Ende der Ära Arafat könnte den Weg zurück zu einem
neuen Friedensanlauf ebnen
…
In 40 Jahren Weltgeschichte hing die Frage von Krieg und
Frieden im Nahen Osten also im wesentlichen an einem
vermessenen J. Arafat und seinen Fertigkeiten beim Umgang
mit Sprengstoff: Man möchte den Verfassern der Nekrologe
raten, einmal einen Blick ins Geschichtsbuch oder auch
nur ins Archiv der Blätter zu tun, für die sie schreiben.
Das aber würde nichts nützen bei Leuten, die sich dem
Vorhaben verschrieben haben, Arafat im
politisch-moralischen Koordinatensystem der
weltgeschichtlichen Epoche zu verorten, die nach dem
Willen ihrer Veranstalter im Zeichen von ‚Krieg gegen
Terror‘ steht. Nur deshalb stilisieren sie ihn zu dem
zentralen Subjekt hoch, das mit seinen
Machenschaften in letzter Instanz den ganzen
Nahostkonflikt
zu verantworten hat – dem daher
auch dessen verfahrener
Status Quo als sein
gescheitertes Lebenswerk
zur Last zu legen ist. Weil
sie ihn mit seinem militanten und intransigenten
Willen zum eigenen Staat
als den seit 1948 bis
heute perennierenden Unruheherd
der Region
dingfest machen wollen, brauchen sie sich gar nicht erst
damit zu befassen, welche wirklich maßgeblichen Mächte
und Interessen sich da in dieser Region gegenüberstanden
und gegenüberstehen und sich aus welchen Gründen mit
welchen Mitteln bekriegten und bekriegen. Und der
Terror
dieses Mannes verhindert für sie nicht nur
den Frieden im Nahen Osten
. Indem er von
seiner Vorstellung einer palästinensischen
Eigenstaatlichkeit einfach nicht abrücken wollte und sich
nicht mit dem palästinensischen Gebilde
zufriedengegeben hat, das ihm die maßgeblichen
Friedensmächte als seinen ‚Staat‘ zugestanden haben, ist
er in letzter Instanz auch verantwortlich für
das Elend, in dem sein Volk gegenwärtig lebt. Denn das
Beste, was dem hätte widerfahren können, wäre eben schon
– Lehre Nr. 1 – gewesen, unter dem Deckel eines
eigenen herrschaftlichen Aufsichtsorgans auf
eine bessere kollektive Zukunft zu hoffen. Freilich hätte
dieses staatliche Organ – Lehre Nr. 2 – ausschließlich
das zu exekutieren gehabt, was man höheren Ortes als
seine Funktion beschlossen hat, nämlich den
Frieden
zu sichern, den die palästinensischen
Volksmassen unter seiner Obhut mit ihrer Neigung zum
Terror beständig gefährden. Denn – die allerwichtigste
Lehre Nr. 3 – dass Gewalt und Terror kein Mittel der
Politik
sind und nie sein können, sieht man ja an dem
Erbe, das Arafat in Gestalt seiner trostlosen
Autonomiebehörde der Welt hinterlassen hat.
*
Dagegen ist festzuhalten, dass es nach allen gültigen Maßstäben der Weltpolitik keinesfalls ein Fehler des Politikers Arafat war, auf Terror und Gewalt als Mittel zur Durchsetzung seines Anliegens zu setzen: Das sind die Mittel aller politisch Ambitionierten, die einen Staat gründen und behaupten wollen; eher schon hat er dafür nach Maßgabe der bestehenden Rangordnung zu wenig Gewaltmittel in Anschlag bringen können. Das weiß auch niemand besser als diejenigen, die Arafat bescheinigen, mit diesem grundverkehrten Mittel Politik gemacht zu haben. Die befinden auf Grundlage der ihnen zu Gebote stehenden Gewalt mit der größten Selbstverständlichkeit darüber, welchen angemeldeten ‚Selbstbestimmungsrechten‘ welcher Völkerschaften zur ‚Eigenstaatlichkeit‘ zu verhelfen sei und welchen nicht. Sie sind es, die sich nach Maßgabe ihrer jeweiligen Interessenlage einmal – auf dem Balkan zum Beispiel – hinter die politische Sache stellen, die da unterwegs ist; die dieselben Umtriebigkeiten aber das andere Mal – etwa im Nahen Osten – wirksam unterbinden, gleichfalls mit nichts anderem als den Mitteln ihrer Gewalt. Es gehört also schon zu den politischen Verlogenheiten der erlesenen Art, wenn diese Herrschaften, die anderen den Zutritt zu der von ihnen kontrollierten Staatenwelt nach Bedarf gewähren oder verweigern, der Gewalt in der Politik eine Absage erteilen: An der stört sie nur, dass andere sie haben und bisweilen von ihr einen Gebrauch machen, der ihre Belange stört. Und ein Gipfel an politischem Zynismus ist es, wenn dieselben Mächte, die 40 Jahre lang alles daran setzten, dass aus einem Anlauf zu einer Staatsgründung nie mehr wurde als ein hoffnungsloses Projekt, dessen maßgeblichem Betreiber nachsagen, er hätte mit seinen gewaltsamen Versuchen zur Korrektur der Landkarte lauter ‚Fehler‘ gemacht und so seiner Sache einen Bärendienst erwiesen: Er hat nämlich in der ‚weltpolitischen Lage‘, in die sie ihn und seine palästinensische Bewegung versetzten, gar keine Chance bekommen, irgendetwas richtig oder verkehrt zu machen.
II. Die Opfer einer ausweglosen weltpolitischen Lage und ihr hoffnungsloses Projekt einer palästinensischen Staatsgründung
Wie bei allen Völkern, die auf der Welt herumlaufen, finden die Menschen auch in Palästina zu einer völkischen Identität erst über das Verhältnis, das sie zu einer staatlichen Macht eingehen. Das gestaltet sich in ihrem Fall allerdings ziemlich komplex. Im Falle der Palästinenser sind es gleich mehrere andere Mächte und machtvolle Interessenten, die auf das Gebiet, auf dem sie sich aufhalten, Anspruch erheben. Palästina steht unter britischer Verwaltung; es ist nach der Auflösung des ‚Osmanischen Reiches‘ Gegenstand der Konkurrenz, die die imperialistischen Staaten um die ihnen genehme Staatenbildung in der Region führen, und diese Konkurrenz hat auch schon ein erstes Ergebnis gezeitigt: nach dem Willen der Weltgemeinschaft sollen dort gleich zwei Völker ihre staatliche Heimat finden, nämlich die dort ansässigen Araber sowie die im beträchtlichen Umfang zuziehenden Juden, die dort, im gelobten Land, ihren Staat Israel gründen wollen. Aktivisten der Sache finden sich in Form einer zionistischen Avantgarde auf der einen Seite, in Gestalt einer politisierten palästinensischen Elite auf der anderen, und beide sehen sich durch den Willen der Weltgemeinschaft in ihr gutes Recht gesetzt. Sie gehen mit Terror gegeneinander los und auch gegen den britischen Mandatar, weil der ja ihrem jeweils angemeldeten Recht im Wege steht; und zwar solange, bis der und die führenden Mächte der Welt ein Einsehen haben in die Unhaltbarkeit des von ihnen verwalteten Zustands: Sie teilen das Land in zwei Hälften und ermächtigen die Juden dazu, in die eine ihren Staat hineinzugründen. Um die weltpolitische Statusdefinition der dort und im Rest Palästinas ansässigen Araber kümmern sie sich nicht weiter, sie wird im Fortgang praktisch ermittelt: Mit der Gründung des Staates Israel wird ihnen ihre ‚völkische Identität‘ negativ verpasst, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Von dem Staat, der nicht der ihre ist, werden sie gewaltsam ausgegrenzt. Arabische Bauern und Händler, Hintersassen der britischen Militärverwaltung und armselige Pächter irgendwelcher Feudalherren beiderseits des Jordans haben zusätzlich zum Unglück ihrer Lebensumstände auch noch das Pech, bei dem Vorhaben, aus Juden ein Staatsvolk mit eigenem Land, einer eigenen Herrschaft und eigenen Volkswirtschaft zu verfertigen, Fremdkörper zu sein, und bekommen das praktisch zu spüren: Jeder Schritt, mit dem die engagierten Zionisten mit den Waffen ihres Geldes und den Mitteln ihrer Gewalt ihr jüdisch-völkisches Staatsgründungsprogramm expansiv vorantreiben und das gegen die arabischen Nachbarstaaten blutig erkämpfte Land so besetzen, wie es Gott ihnen befohlen hat, geht mit der gewaltsamen Vertreibung der Araber aus eben diesem Land einher. Nicht ihr Staat, sondern das gemeinsame Los, der ausgreifenden jüdischen Verstaatlichung des Mandatsgebietes mit Namen ‚Palästina‘ im Weg zu stehen, vereint als erstes die ansässige arabische Bevölkerung zum Kollektiv der ‚Palästinenser‘.
Freilich rottet man die fremdrassischen Elemente nicht aus; in Israel hält man sich zugute, man habe den ansässigen Palästinensern jeden Quadratmeter Land ehrlich abgekauft; und für einen Teil von ihnen findet sich sogar im Judenstaat irgendeine Sorte minderen Bleiberechts und eine Verwendung als ‚Bürger zweiter Klasse‘. Für die große Masse der Vertriebenen aber gilt, dass sie sich woanders ihre staatliche Heimat zu suchen haben, und wo genau, steht für sie auch schon fest: In den vielen arabischen Staaten ringsum, in deren Mitte sich der Staat Israel mit seinem ersten Gründungskrieg hineingepflanzt hat. Dieser Auftrag beschert ihnen dann sogleich ihr zweites, ihre völkische palästinensische Identität gleichfalls negativ begründendes Schicksal: Keine der umliegenden arabischen Nationen ist bereit, sie bei sich einzugemeinden und dem eigenen Staatsvolk zuzurechnen. Den Zutritt verwehrt man den Palästinensern zwar nicht: Teil der großen panarabischen Sache sind sie ja, und – als arabische Opfer israelischer Gewalt – geborene Gegner des Judenstaats gleichfalls. Aber man gewährt ihnen die Aufnahme eben so, wie Staaten allenfalls völkische Fremdkörper größeren Umfangs bei sich zu dulden imstande sind: In Flüchtlingslagern finden die Palästinenser als zwar arabische, aber der jeweiligen Nation fremde Völkerschaft zu Hunderttausenden ihre neue Heimstatt.
Durch Israels von den Weltmächten sanktionierte
Staatsgründung in arabische Heimatländer
vertrieben, in denen sie gleichfalls nichts zu suchen
haben, damit in Palästina wie in den Staaten ringsum
ausgegrenzte Staatenlose zu sein: Diese gegen sie
vollstreckte doppelte Ausgrenzung stiftet den
weltpolitischen Status der Palästinenser, ihre völkische
Identität hat der Sache nach einen rein negativen Inhalt.
Ihre Tat ist, aus dem ein positives Programm zu
machen. Unter Anleitung ihrer politisierten und schon
kämpfenden Speerspitze gelangen sie zu der Auffassung,
dass sie zur Befreiung aus ihrer elenden Lage und zum
Schutz vor den Anfeindungen, denen sie ausgesetzt sind,
einen eigenen Staat brauchen – und sie
entschließen sich, ihn gegen die Macht, der sie
unterlegen sind, zu erkämpfen; mit der nötigen Gewalt,
versteht sich. Auf ziemlichen Umwegen gelangen die
Palästinenser also zum Grundsatz aller staatsbürgerlichen
Vernunft.
Ein ‚palästinensisches Volk‘ das sich als solches
versteht und den Willen zum ‚eigenen palästinensischen
Staat‘ fasst, begreift die Subsumtion unter die
Gewalt einer Staatsmacht als seinen höchsten
Daseinszweck. Die praktisch-gewaltsame Degradierung aller
materiellen Interessen und Bedürfnisse, die man als aus
Palästina Vertriebener erfahren hat, will durch die
selbst vollzogene Abstraktion von allem materiellen
Interesse geheilt werden, die von dem, was einer ist und
will, nur eines übrig lässt: Teil eines völkischen
Kollektivs zu sein und damit, zusammen mit allen anderen
gleichen Schicksals, anerkannt zu sein als Untertan einer
staatlichen Herrschaft, die über einen verfügt.
Der und damit endlich den eigenen
Herren dienen zu können: Das bildet man sich als seine
Befreiung
ein, dafür, dieser Macht zur Existenz zu
verhelfen, setzt man sich ein, wenn es sein muss, unter
Aufopferung der eigenen und auch der Existenz all jener
Volksgenossen in spe, die man unter dem Dach einer
eigenen Nation vereinen möchte.
Doch hat man das palästinensische Volk nicht einmal so
normal, wie es in der modernen Staatenwelt nur werden
wollte, werden lassen. Sein Wille zu einem ‚eigenen
Staat‘ hat nun einmal den entscheidenden Geburtsfehler,
vom Verlierer der Konkurrenz um das
Mandatsgebiet Palästina angemeldet zu werden: Die Macht,
die sich erfolgreich etabliert hat und mit der Vollendung
ihrer Staatsgründung noch lange nicht fertig ist, verbaut
ihnen mit Gewalt den Weg, den sie mit einer
palästinensische Eigenstaatlichkeit
zu ihrer
Befreiung
gehen wollen. Zudem hat diese
palästinensische Sache
auch noch das Pech, in
keiner politisch maßgeblichen Macht den potenten
Unterstützer zu finden, der ihr Handikap wettmachte und
den sie schon bräuchte, damit aus ihr mehr wird als nur
ein hoffnungsloses Streben nach Emanzipation aus einer
ausweglosen Lage: An allen Mitteln, auf die die
Palästinenser zur Beförderung ihrer Sache setzen, genauso
wie an den weltpolitisch-diplomatischen Konjunkturen, die
der Palästinenserfrage
beschert werden, lässt sich
studieren, wie wenig Chancen einem Volk, das schon als
ein einziges Opfer imperialistischer Berechnungen
gegründet wird, beschieden sind, doch noch und trotz
allem Staat zu machen.
III. Die Logik des Kampfs um eine palästinensische Eigenstaatlichkeit
1. Von der Speerspitze einer „panarabischen Sache“ zum Opfer der politischen Berechnungen der arabischen Brudervölker
Dass sie als Verlierer der Konkurrenz gegen Israel in das
ehrgeizige Projekt einer Staatsgründung einsteigen, ist
den Palästinensern unter ihrem Führer Arafat freilich
bewusst. Dass da bloßer Ehrgeiz nicht reicht, das noch so
engagiert angegangene Vorhaben vielmehr nur in
Kombination mit Erfolg versprechenden Gewaltmitteln zum
gewünschten Ziel führt, wissen sie nicht zuletzt von
ihren siegreichen Nachbarn. Diese Mittel aber haben die
palästinensischen Befreiungskämpfer gerade nicht. Sie
suchen sich daher Unterstützer ihrer Sache, und ihre
allerersten Adressaten sind naturgemäß die
arabischen Staaten, in denen sie sich
aufhalten und von denen sie ausgehalten werden –
naturgemäß, weil sie ja in der Tat die Gegnerschaft zu
Israel eint. Dass aus der gemeinsamen Sache aller
Araber gegen Israel etwas für sie und
ihr Projekt zu machen sein müsste, ist ihre
erste Berechnung. Die ist von ihrem Standpunkt aus
betrachtet politisch zwar ganz logisch, geht aber
praktisch nicht auf. Denn die arabischen Nationen sind
kein panarabisches
Kollektiv, sondern ein Haufen
von Staaten, von denen jeder einzelne um seinen
nationalen Erfolgsweg kämpft; sie sind Staaten, die
gegeneinander um ihre Macht und ihren Einfluss in der
Region konkurrieren und sich in dieser regionalen
Konkurrenz zugleich der großen Konkurrenz zwischen den
Lagern der ‚Freiheit‘ und des ‚Sozialismus‘ zuordnen, von
der die politische Welt überhaupt bestimmt wird. In ihrer
Gegnerschaft zu Israel sind sie zwar als Mitglieder einer
‚Arabischen Liga‘ vereint; was sie mit und aus dieser
Gegnerschaft jeweils machen, entscheidet aber schon jeder
dieser Staaten für sich; und zwar ganz nach Maßgabe der
Berechnungen, die er mit Blick auf den Stand des
Kräfteverhältnisses zwischen dem Westen und dem Osten –
weltweit wie vor Ort – anstellt; die ihm – je nach dem,
wie diese Kalkulation für seine nationale Sache
ausgeht – eine politische Annäherung
an die eine
oder andere Seite nahelegen und eine Eskalation oder doch
eher die Deeskalation der Feindschaft zum Judenstaat
lohnend bzw. ratsam erscheinen lassen.
Diese Berechnungen bringen es nicht nur mit sich, dass
die bedingungslose Unterstützung, die sich die
Palästinenser für ihre Sache erwarten, allenfalls bedingt
ausfällt: Sie selbst werden darüber zum Objekt,
mit dem die arabischen Regierungen ihre berechnende
Politik mit Israel und mit dem Westen treiben. In Händen
der Diplomatie arabischer Staaten wird die
palästinensische Sache
zum Rechtstitel,
auf den diese sich nach ihrem Bedarf berufen;
den sie hoch handeln, solange sie sich noch ausrechnen,
vom Judenstaat besetztes Gebiet zurückzuerobern; den sie
aber im Arsenal ihrer diplomatischen Mittel auch ganz
weit zurückstufen, sobald in ihnen die Einsicht
heranreift, dass sich in Anbetracht der Macht, die ihnen
in Israel als dem Vorposten des gesamten
imperialistischen Westens gegenübersteht, Feindschaft
nicht lohnt. Immerhin hat ihnen Israel seine
Überlegenheit in etlichen Kriegen eindrucksvoll bewiesen.
Zudem hat die westliche Führungs- und Schutzmacht Israels
ja auch noch Angebote parat, ihnen den Frieden mit dem
Judenstaat sowie das Abrücken von
sozialistisch-volksrepublikanischen und anderen
nationalistischen Irrwegen schmackhaft zu machen.
Auf der anderen Seite wird den arabischen Staaten das
palästinensische Streben nach Eigenstaatlichkeit in ihrem
Innern zum Problem, gegen das dann auch noch sie
gewaltsam vorgehen. Manchmal stören die Palästinenser in
dem Staat, in dem sie sich als Flüchtlinge aufhalten,
allein schon dadurch, dass sie sich wie ein Staat im
Staat
aufführen; erst recht unangenehm fallen sie
auf, wenn sie das gastgebende Volk gegen die eigene, im
Kampf gegen Israel allzu nachgiebige
Regierung
aufhetzen; und spätestens dann, wenn sie aus ihren Lagern
heraus ihren Kampf führen, werden sie in den
Machtkämpfen, die in ihren Gastländern um die Definition
der ‚nationalen Linie‘ toben, zum ‚Machtfaktor‘ und in
das Schlachten mit einbezogen. So wird aus dem Vorhaben
der PLO, mit der eigenen Feindschaft gegen Israel als
Katalysator einer arabischen Vereinigung zu wirken und
sie als gesamtarabische Front substantiell werden zu
lassen, das Gegenteil: Arafat und seine PLO werden selbst
zum Objekt und Opfer der arabischen Staaten und ihres
Taktierens, mit der Macht Israels auf der einen, der des
Westens auf der anderen Seite.
2. Vom Terror-Kampf um Anerkennung zum Friedensnobelpreis als Lohn für Gewaltverzicht
Es entgeht den Palästinensern nicht, an welchen
politischen Fluchtpunkten sich die Berechnungen ihrer
arabischen Bruderstaaten orientieren. Auf die
Führungsmächte des Westens sehen sich die
Vertreter der PLO daher auch selbst als ihren Adressaten
verwiesen; wiederum logischerweise, denn die – vor allem
die USA – sind es ja, die mit ihrer massiven
Unterstützung Israels einerseits, mit unmittelbar gegen
die Araberstaaten gerichteter politischer Erpressung zur
Eindämmung sowjetischen Einflusses in der Region
andererseits, das arabische Lager
so wirkungsvoll
zersetzen. So wollen auch sie sich in dieser Konkurrenz
zwischen den Blöcken und in der, die im westlichen Lager
selbst herrscht, Respekt und Unterstützung für das eigene
Anliegen verschaffen und der Palästinenserfrage
darüber eigenständiges weltpolitisches Gewicht
verleihen; und über die Mittel, in geeigneter Weise auf
sich aufmerksam zu machen, verfügt man auch als
palästinensische NGO: Terror ist allemal das
Mittel der Wahl, um in eine Welt von Staaten mit einem
eigenen konkurrierenden Gründungsprojekt einzusteigen.
Nachhaltig und möglichst eindrucksvoll Unruhe zu stiften,
den jeweiligen staatlichen Monopolisten praktisch seiner
Unfähigkeit zu überführen, kombiniert mit dem Angebot,
bei Berücksichtigung der eigenen nationalen Sache wieder
Ruhe zu geben: Damit will man die Mächte, die an der
Ordnung in der Region interessiert sind, zur Anerkennung
des Rechts der Palästinenser auf einen eigenen Staat
bewegen; als potente Macht zur Unruhestiftung möchte man
sie zu der Berechnung nötigen, der Fortsetzung des
Terrors dessen politisches Anliegen vorzuziehen und es
als „Faktor“ des Ordnungszustandes zu berücksichtigen,
für den sie einstehen. Wie erfolgreich Terror als Waffe
im politischen Kampf um den eigenen Staat funktionieren
kann, wenn man nur die richtigen Unterstützer hinter sich
und seine Sache bringt, haben die Kommandos der PLO ja in
der Karriere vor Augen, die ihr israelischer Feind
hingelegt hat – warum sollte ihnen nicht dasselbe
gelingen?!
In der Tat verrechnen sie sich da auch nur in einem,
allerdings entscheidenden Punkt: Die Unterstützung, auf
die sie spekulieren, bekommen sie nicht. Der Terror ihres
Befreiungskampfs
, mit dem sie in Israel, aber auch
in anderen Ländern des Westens auf ihr Recht aufmerksam
machen, und die daran geknüpfte Verheißung, sich gegen
die Konzession eines eigenen Staates in die
Nah-Ost-Ordnung einzufügen, bringt keine imperialistische
Macht dazu, sich darauf einzulassen. Sie müssen erfahren,
dass alle im Westen vereinten Mächte ein
gemeinsames Interesse an Israel als der militärischen
Abschreckungsmacht haben, die im Nahen Osten gegen den
feindlichen Block die Ordnung garantiert,
arabisch-volkssozialistische Experimente eindämmt und
auch die störenden Ambitionen eines (gesamt-)arabischen
Nationalismus klein hält. Insbesondere die amerikanische
Führungsmacht der westlichen Allianz macht mit ihrer
rückhaltlosen Unterstützung des israelischen Staates
deutlich, wie sehr sie sich von jeder
Verschiebung des regionalen Kräfteverhältnisses
zuungunsten ihres Schützlings negativ betroffen sieht:
Mal lassen die USA UN-Resolutionen, die Israel
verurteilen, an ihrem Veto scheitern; mal sorgen sie
dafür, dass sich Israel ungestraft über UN-Beschlüsse
hinwegsetzen kann. Dies hinterlässt im ganzen Rest der
Völkergemeinschaft, das große sozialistische Lager
eingeschlossen, ausreichend Eindruck, so dass sich keine
Macht von nennenswerter Bedeutung findet, die sich für
die Palästinenserfrage
im Sinne ihrer militanten
Vorkämpfer stark machen und damit ernsthaft gegen Amerika
aufstellen wollte.
Allein auf der Ebene der UNO wird von verschiedenen
Seiten – von Seiten der arabischen Staaten, des
sozialistischen Lagers, der Blockfreien, der europäischen
Staaten – darauf hingewirkt, dass eine
palästinensische Eigenstaatlichkeit
in den Rang
eines völkerrechtlich beachtlichen Rechtstitels erhoben
wird. Sie wird in den Schacher auf der diplomatischen
Börse der Weltgemeinschaft eingebracht – als Materie, an
der ausgetestet wird, wie weit sich das Prozedere der
Völkergemeinschaft zum Einspruch gegen die amerikanische
Weltmacht verwenden lässt. Der einzige Erfolg, zu dem es
Arafat mit dem Terror seiner PLO und anderer Vereine
bringt, besteht so darin, sich einsichtig zeigen und dem
Terror abschwören zu können, um seine ganze Hoffnung
darauf zu setzen, was in der Diplomatie der
UNO aus seiner Sache wird. Damit ist die
heiße Frage eines eigenständigen Palästinenserstaates
wieder glücklich bei der Instanz angelangt, die sie mit
ihren Kompromissformeln
der berühmten Resolutionen
194 ff. auf die Agenda der Weltpolitik und –diplomatie
gesetzt hat, nur dass inzwischen in Bezug auf die Lösung
dieser Frage ein schon sehr eindeutiger Bescheid ergangen
ist: Aus ihr wird einfach nur das, was die für den Nahen
Osten verantwortlichen Aufsichtsmächte auf Grundlage
ihrer übergeordneten Interessen aus ihr machen.
Das ist nunmehr weltgemeinschaftlicher Konsens – und der
findet auch durch Arafats PLO offiziell Anerkennung.
Die kleine Hochkonjunktur, die Arafat und seiner Sache in
der UN-Diplomatie beschert wird, ist daher schon wieder
nur ein Derivat weltpolitischer Entscheidungen ganz
anderer Dimension und Tragweite. Nach dem Abtreten ihres
mächtigen sowjetischen Gegenspielers nehmen sich die USA
die Freiheit, in eigener Regie die ‚Nah-Ost-Ordnung‘ auf
den Weg zu bringen, die ihren strategischen Interessen in
dieser Region und in der sich weiter östlich
anschließenden entspricht. Das Interesse der Weltmacht in
ihrem ersten Golfkrieg, die arabischen Staaten in die
Front gegen Saddam Husseins Irak mit einzubeziehen, führt
zu einer demonstrativen Rückstufung Israels: Um arabische
Staaten nicht mit der Zumutung zu verprellen, Seite an
Seite mit ihrem – nach wie vor – erklärten Hauptfeind in
Amerikas Allianz einrücken zu sollen, wird Israel, obwohl
betroffene Partei im Krieg, das Zuschlagen gegen Saddam
verboten. Der weitergehende Übergang Amerikas, in dieser
auch für die nächsten sich abzeichnenden Kriege
strategisch so bedeutsamen Region auf Stützpunkten in
arabischen Staaten militärisch selbst präsent zu sein,
lässt es darüber hinaus den USA ratsam erscheinen, den
Konflikt auf diplomatischem Wege zu befrieden
, der
nach wie vor den Nahen Osten fraktioniert und einen
letztlich doch ganz überflüssigen Graben zwischen dem
altbewährten Haudegen der Weltmacht und ihren neu
gewonnenen arabischen Partnern aufreißt.
Also schlägt der Diplomatie die große Stunde: Amerika
vermittelt. Israel wird zu dem Zugeständnis
gezwungen, Arafat überhaupt als einen Verhandlungspartner
zu akzeptieren, mit dem man in einem Raum sitzt; nach
noch längerem Hin und Her auf geheimen und weltöffentlich
gemachten Tagungen – in Madrid, Oslo, Camp David, Taba …
– rauft sich eine israelische Regierung sogar zu der
Formel ‚Land für Frieden‘ durch
– als Titel eines diplomatischen Tauschgeschäfts, dessen
Einzelheiten dann freilich schon noch auszumachen wären.
So viel geballte Verzichtserklärung auf den Einsatz von
Gewalt hat die Weltgemeinschaft jedenfalls schon lange
nicht mehr gesehen. Entsprechend leicht fällt dem
Nobelpreis-Komitee für Frieden denn auch diesmal die
Entscheidung: Man muss eben erst gescheit Terror machen,
um dann, wenn man ihn lässt, als Friedenskämpfer geehrt
zu werden. Die Entscheidung über Krieg und Frieden
freilich liegt nach wie vor in anderen, bewährten Händen.
Frieden jedenfalls findet sich nicht darüber ein, dass
man das Wort ‚Prozess‘ dranhängt und die Kriegsparteien
ihren der Sache nach unversöhnlichen Gegensatz auf dem
Verhandlungsweg
in Nichts auflösen lässt. Denn was
die Weltgemeinschaft als Riesenerfolg der Diplomatie
feiert, ist ein Witz: Ohne von dem Standpunkt abzurücken,
keinesfalls einen souveränen palästinensischen Staat auf
dem Gebiet zu dulden, das es besetzt hält und munter
besiedelt, gibt Israel dem Druck Amerikas
nach und
konzediert, dass die Palästinenser, wenn sie in
den Besatzungsgebieten endlich ‚Frieden‘ geben, gewisse
Teile davon als ihr palästinensisches Land betrachten
dürfen. Als Gegengabe dafür, endlich das Existenzrecht
Israels anzuerkennen und nie wieder gewaltsam gegen es
vorgehen zu wollen, erhält Arafat die unter israelischer
Aufsicht und Kontrolle stehenden Palästinensergebiete zur
autonomen Verwaltung
, darf sich also in bestimmten
Grenzen eigenverantwortlich um die Beseitigung des
Störfaktors kümmern, den seine Palästinenser für Israels
Sicherheit
und – nach übereinstimmender Meinung
der westlichen Mächte – damit für den Frieden
im Nahen Osten
darstellen. Zudem darf er darauf
hoffen, dass zur Bestimmung des endgültigen Status
der palästinensischen Eigenstaatlichkeit
der
weitere Verhandlungsweg
offen steht. Auf dem ist
von Seiten Israels jedoch nur mehr eines im Angebot: Ein
zerstückeltes Terrain, umzingelt von Siedlern,
Militärbasen und Pufferzonen und durchpflügt von
Umgehungsstraßen unter israelischer Kontrolle – das soll
der Führer der Palästinenser als seinen Staat
interpretieren und in einem Endabkommen
soll er
Israels Annexion aller Restgebiete einschließlich
Jerusalem vertraglich sanktionieren. Das ist für ihn
etwas zu viel an Zumutung – für Israel wie für die
diplomatisch vermittelnde Weltmacht dagegen ist sein Nein
der Beweis, dass er unverantwortlicherweise das größte
Angebot
ausgeschlagen hat, das ihm jemals
unterbreitet wurde.
3. Vom diplomatischen Partner zum politischen Gefangenen Israels
Auf den Verhandlungsweg
mit Israel setzt Arafat
freilich weiter als Mittel, seine palästinensische Sache
voranzubringen – und gerät im selben Maß, in dem die USA
und Israel ihm deren Aussichtslosigkeit praktisch zu
verstehen geben, auch gegenüber seinem eigenen Anhang in
ein Dilemma. Israel vollendet den Friedensprozess
in seinem Sinn und beendet dessen nach Oslo zirkulierende
Lesart. Es besetzt mit Siedlern immer ausgreifender das
Land, auf dem es seine Soldaten den Frieden vor den
Palästinensern sichern lässt. Und je mehr es praktisch
und gewaltsam die Fakten schafft, die die grundsätzliche
Unvereinbarkeit des Staates Israel mit einem souveränen
Staat der Palästinenser festschreiben, desto mehr sehen
sich Teile des palästinensischen Volkes und Fraktionen
seiner Befreiungsbewegung nachhaltig durch die Ergebnisse
frustriert, zu denen es die Friedens-Diplomatie ihres
Häuptlings bringt. Die autonome Verwaltung
trostloser Elendsgebiete hinter Stacheldraht und
Sperrwällen, ökonomisch wie politisch nicht lebensfähig
und auch ohne Perspektive, es jemals zu werden: Das
halten sie nicht gerade für eine geglückte Verwirklichung
ihrer Vorstellung vom eigenen Staat. Ohne Rückendeckung
ihres in Ramallah einsitzenden Chefs oder auch mit
verschaffen sie ihrem nach wie vor unerfüllten Recht mit
denselben Mitteln Gehör, mit denen sie dies schon immer
taten – und werden das wahrscheinlich letzte Mal Opfer
der weltpolitischen Weichenstellungen, die in Washington
getroffen werden. Wieder kämpfen sie den hoffnungslos
ohnmächtigen Kleinkrieg einer
‚Intifada‘ durch, wollen den
Staat Israel mit den Opfern, die sie in seiner
Bevölkerung schaffen können, zu Entgegenkommen bewegen;
noch immer ist ihnen die Gründung des eigenen Staates die
Aufopferung der Menschen und die Preisgabe der
allerletzten Überlebensmittel derer wert, die in ihm
glücklich werden sollen: Diesmal aber findet der Terror
niemanden mehr, der auch nur irgendwas für das mit ihm
verfolgte politische Anliegen übrig hätte. Stattdessen
trifft er auf ein Israel, das sich in den von Amerika
ausgerufenen ‚Krieg gegen den
Terror‘ eingeklinkt hat und sich ins Recht
gesetzt sieht, ihn mitsamt seinen Wurzeln auszurotten.
Mit seiner überlegenen Militärmacht führt Israel einen
Vernichtungsfeldzug gegen praktizierende Vertreter wie
offizielle Repräsentanten des palästinensischen
Staatsgründungswillens, zerschlägt Führung wie
Infrastruktur der Terror-Kommandos
, die sich in
nichts von der Infrastruktur der Autonomiegebiete
unterscheidet – und stellt die Suspendierung seines in
jeder Hinsicht ‚asymmetrischen‘ Anti-Terror-Kriegs nur
unter einer Bedingung in Aussicht: Wenn die Palästinenser
Frieden
geben, sich vollständig und unwiderruflich
allen für sie unannehmbaren Bedingungen unterwerfen, die
man ihnen für den Aufenthalt in ihren Ghettos diktiert,
dann und nur dann können sie damit rechnen, dass ihnen
etwas von ihren autonomen Gebieten übrigbleibt, in dem
noch ein Stein auf dem anderen steht.
Ihrem Führer Arafat wird dies von Israel und Amerika als
seine allerletzte Chance übermittelt, sich noch die
teilweise Suspendierung der Ächtung zu verdienen, mit der
ihn die Weltgemeinschaft belegt. Während die Israelis
alle Mittel einer Aufsicht über seine autonomen Gebiete
zerschlagen, soll Arafat aus dem Knast heraus für
Sicherheit
sorgen und seine militanten Brigaden
und Milizen befrieden. Die sind schließlich ihm
aus dem Ruder gelaufen, und erst dann, wenn er ordentlich
als verlängerter Arm des israelischen Militärs und
Geheimdienstes funktioniert und sich ganz dem Dienst an
den Sicherheitsinteressen Israels
verschreibt,
wäre er wieder der wahre und würdige Vertreter der
palästinensischen Sache, mit dem man einen Verkehr in
Erwägung ziehen könnte! Da fällt er dann doch lieber ins
Koma.
IV. Das „autonome Palästina nach Arafat“: „Demokratie“ und „ein eigener Staat bis 2009“ – zum Zweck der Selbstaustrocknung eines terroristischen Sumpfes
Bedingungslose Kapitulation und
Unterwerfung unter Israels Gewaltmonopol über
das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan – oder
Zerschlagung allen Widerstands und Zerstörung auch noch
der letzten Symbolismen einer palästinensischen
Eigenstaatlichkeit: Das ist der Endpunkt, auf den die
imperialistischen Mächte die palästinensische
Volksbefreiungsbewegung
von Jassir Arafat am Ende
reduzieren, und zwar allesamt. Vorneweg ihr souveräner
Ableger im Nahen Osten, dessen Projekt, ‚Großisrael‘, wie
es im Buche steht, zu erobern, mit jedem Zwischenerfolg
immer anspruchsvoller wird und als das Maximum von
Zugeständnissen an die Palästinenser vorsieht, diese auf
Inseln im eigenen Hoheitsgebiet wegzusperren; die USA,
die in ihrem militanten Vorposten erst ihren Verbündeten
im Kampf gegen den realsozialistischen Machtbereich, dann
ihren Partner im ‚Krieg gegen den Terror‘ gefunden haben
und ihm alle nötigen Freiheiten der effektiven
Kriegsführung gewähren; sowie die Staaten der EU, die mit
ihrer Diplomatie im Kielwasser ihrer Führungsmacht
einerseits immer ganz viel für eine ‚palästinensische
Eigenstaatlichkeit‘ übrig hatten, andererseits bei ihren
kühnsten diplomatischen Vorstößen nie einen Zweifel daran
ließen, dass die sich selbstverständlich mit Israels
Sicherheit zu vertragen habe: In Händen dieser Mächte
lag, was in 40 Jahren jeweils aus der
Palästina-Frage
wurde, und liegt, was sie heute
ist. Mit ihren machtvollen Entscheidungen beschieden sie
den Palästinensern, wann und mit wie viel Terror sie
hinlänglich Eindruck machten, um die Anerkennung ihrer
Sache und deren Aufnahme in den Umkreis der Themen von
weltpolitischer Bedeutung zu erzwingen; und was aus
dieser ‚Frage‘ als Stoff der Weltdiplomatie dann jeweils
wurde, entschieden anschließend dann schon wieder sie.
Sie haben jeder politischen Perspektive einer
palästinensischen Gegengewalt gegen Israel eine
grundsätzliche Abfuhr erteilt, und damit den Kampf der
Palästinenser um ihren ‚eigenen Staat‘ auf die Formen
reduziert, in denen er heute bloß noch geführt wird: Weil
sie ihm jede Anerkennung als ‚politisches Druckmittel‘
gegen Israel verwehren, ist der Terror der
palästinensischen Intifada einfach nur noch ohnmächtige
Gegengewalt, bloß noch Symbol des Willens, im Protest und
Widerstand gegen die Übermacht durchzuhalten.
Und in dem Maße, in dem sie die Palästinenser entmachtet
haben, entziehen sie deren aufständischen Umtrieben jede
Legitimität – sie sind nur noch illegitime Gewalt,
Terrorismus, wie er heute international geächtet
ist. Daher kommt ihnen der Tod der Symbolfigur allen
palästinensischen Widerstands wie gelegen. Denn daran,
dass mit dem Mann für sie auch die politische Sache
mitbeerdigt worden ist, an der er auf seine Weise noch im
Hausarrest in Ramallah festgehalten hat, lassen sie
keinen Zweifel. Die für den Nahen Osten maßgebliche
Aufsichtsmacht genauso wie die europäischen Mächte, die
gegen diese um Einfluss in der Region konkurrieren, gehen
mit allergrößter Selbstverständlichkeit davon aus, dass
mit Arafat auch jeder Rechtstitel auf eine
palästinensische Eigenstaatlichkeit
untergegangen
ist, der auch nur in irgendeiner Weise von den
Palästinensern selbst geltend gemacht werden könnte.
Pietätvoll, wie sie sind, warten sie genau einen Tag ab,
bis Arafat unter der Erde ist und sich eine
Nachfolgeregelung abzeichnet – dann lassen sie die neuen
palästinensischen Führer unmissverständlich wissen, wie
ihr autonomer Nachlass zu verwalten ist: Was der
Erblasser Arafat beständig schuldig geblieben ist, sollen
sie endlich in Angriff nehmen und erledigen, also ihre
Herrschaftsräson an allererster Stelle in dem Auftrag
erkennen, für Sicherheit
in den Schuttbergen zu
sorgen, die Israel ihnen hinterlassen hat. Sie sollen
endlich entschlossen gegen die radikalen Kräfte
in
den eigenen Reihen vorgehen und so gewährleisten, dass
die Zivilisten in Israel, die Siedler auf ihren
vorgeschobenen Posten in den Besatzungsgebieten und die
offiziell uniformierten Repräsentanten der
Besatzungsmacht vor palästinensischen Steinewerfern und
Sprengstoffgürteln sicher sind. Dieses im Hinblick auf
die Sache der Palästinenser rein negative Programm ist
der ganze Inhalt der Eigenstaatlichkeit, die die
Aufsichtsmächte den Palästinensern zugestehen: Sie
enthält nicht das leiseste Versprechen auf eine irgendwie
geartete Perspektive – eine Art selbstverwaltetes
Volksgefängnis soll es werden. Dafür kriegen sie die
nötigen Hilfen
, aber eben genau dafür.
Damit die garantiert diesem und keinem anderen Zweck mehr
dienen, haben sie für Transparenz
in ihrer
Kontoführung zu sorgen, Kontrolleuren der ‚Geberländer‘
gegenüber also wirksam und auf Dauer den Verdacht zu
entkräften, die geschenkten Gelder würden in den dunklen
Kanälen einer Korruption
versickern. Ein in dem
Zusammenhang eigenartiger Vorwurf – immerhin wird mit dem
auf der Trennung von persönlicher Bereicherung und der
Sache des Staates bestanden; eine Trennung, die im Falle
der Palästinenser mit der Schaffung eines Staates
überhaupt erst herzustellen wäre, aber für sie ja gerade
nicht vorgesehen ist. Gemeint ist: Eine charismatische
Persönlichkeit, die ihr Volk im Griff hat, soll die
palästinensische Selbstverwaltung übernehmen und als
erstes dafür sorgen, dass palästinensische Führer ihre
Subsidien nicht mehr für ihre Sache verwenden.
Ab sofort fließen Dollar und Euro nur, wenn sie dafür
bürgen, dass mit ihnen nicht Terror finanziert
wird, und im selben Sinn sind sie auch über die
Verwendung der Gelder grundsätzlich
rechenschaftspflichtig, die ihnen über das arabische
Spendenwesen zukommen. Und wenn sie sich dann als diese
palästinensischen Funktionäre in Diensten des westlichen
Anti-Terror-Kriegs nachträglich auch noch erfolgreich von
ihrem eigenen Volk per Wahl ermächtigen lassen, dann wäre
sie schon halbwegs beisammen, die palästinensische
Demokratie
. Denn wenn das klappt, hätten ja nicht nur
sie, sondern auch ihr ganzes palästinensisches Volk dem
Terror die Absage erteilt, die in der Staatenwelt von
heute die allererste staatliche Existenzbedingung ist.
Der dann eventuell noch nötige Kampf gegen ihn könnte
dann garantiert selbstbestimmt im Namen des Volkes
stattfinden, das seine Führung ermächtigt und damit auch
jeden Bürgerkrieg gegen uneinsichtige Fatah-, Hamas- und
sonstige Milizen ins Recht gesetzt hat. Das mag Opfer
kosten. Aber erstens kennt dieses Volk das ja, und
zweitens käme es über die Säuberung seiner Reihen von den
eigenen terroristischen Elementen dann endlich zu einer
politischen Identität, an der im Westen keiner mehr
Anstoß nimmt und in Israel keiner mehr Anstoß zu nehmen
braucht. Vorausgesetzt natürlich erstens, dass die
richtige Partei den Bürgerkrieg gewinnt, wenn er denn
kommt. Und zweitens dass die sich nach ihrem Sieg, was
den Raum ihrer demokratischen Entfaltung betrifft, auf
die ihr zugewiesenen Aufenthaltszonen beschränkt und die
für die geltende Hausordnung respektiert. Daran darf sich
das palästinensische Volk unter seiner neuen Führung
abarbeiten – und sich so die unendliche Gnade verdienen,
dass die imperialistischen Mächte ihre befriedeten
Ghettos dann eventuell sogar einen ‚palästinensischen
Staat‘ nennen!