Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Das neue Luftsicherheitsgesetz:
Feuer frei für den „finalen Rettungsabschuss“
Die Bundesregierung rechnet mit Luftverkehrsterrorismus über ihrem eigenen Boden und sieht sich herausgefordert: Sollten Feinde Deutschlands ein Flugzeug gekapert haben, um es als Waffe gegen den deutschen Staat einzusetzen, dann kann der Verteidigungsminister ab sofort anordnen, durch „die unmittelbare Einwirkung von Waffengewalt“ ein Verkehrsflugzeug samt Passagieren abzuschießen.
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Das neue
Luftsicherheitsgesetz:
Feuer frei für den „finalen
Rettungsabschuss“
Seitdem die Bundesregierung beschlossen hat, den
weltweiten Terrorismus mit zu bekämpfen, um auch die
deutsche Freiheit global zu verteidigen, seitdem weiß
sie, dass sie sich neue Feinde macht. Sie
rechnet mit Luftverkehrsterrorismus über ihrem eigenen
Boden und sieht sich herausgefordert: Sollten Feinde
Deutschlands ein Flugzeug gekapert haben, um es als Waffe
gegen den deutschen Staat einzusetzen, dann hat die
rotgrüne Bundesregierung in Zukunft eine klare Antwort
auf Lager: Der Verteidigungsminister kann ab sofort
anordnen, durch die unmittelbare Einwirkung von
Waffengewalt
ein Verkehrsflugzeug samt Passagieren
abzuschießen, „wenn nach den Umständen davon
auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von
Menschen eingesetzt werden soll, und sie (die
Ausübung der Waffengewalt) das einzige Mittel zur
Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist.“
(Luftsicherheitsgesetz § 14,
Abs. 3) Das genehmigt sich die rotgrüne Regierung
selbstverständlich nur, um den möglichen zusätzlichen
Tod Tausender von Menschen zu verhindern.
(Schily, SZ, 13.1.05) Und
dafür lässt sie schon mal ein paar hundert Leute ganz
sicher über die Klinge springen. Sorgenvolle
Bedenken von Piloten- und Passagiervereinigungen – über
unbewohntem Gebiet, weit weg von möglichen Zielen sei
doch noch gar nicht klar, was aus der Entführung wird,
und ein Abschuss über einem Stadtgebiet richte mit
Sicherheit mindestens so viel Schaden an wie der vorerst
nur mögliche durch einen Terroranschlag – können den
zuständigen Innenminister in seinem Gesetzgebungsdrang
nicht beirren. Ihm und seiner Regierung ist es nämlich um
ein Stück ‚asymmetrischen‘ Kriegsrechts zu tun, vor dem
sich solche Sorgen recht kleinlich ausnehmen: Eine solche
politisch motivierte Flugzeugentführung nimmt die
deutsche Regierung ab sofort als Kriegserklärung
an Deutschland. Auf die antwortet sie mit überlegener
Gewalt, wie es Staaten, deren Freiheit von
feindlicher Gewalt herausgefordert wird, immer tun. Da
darf die Politik – wie im Krieg eben – dann auch keine
Sekunde Rücksicht auf eigene Opfer
nehmen, im Gegenteil: Bevor Terroristen
massenhaft über Leichen gehen, um einen Staat zu
beeindrucken, macht das die Staatsgewalt gleich selber
und betätigt so ihre unumschränkte Freiheit des Handelns.
Von Terroristen lässt sich ein Staat die Entscheidung
über Leben und Tod eben nicht aus der Hand nehmen.
Im Sinne dieser Kriegslogik
, an die sich mancher
rechtskundige Bedenkenträger nicht ganz zu Unrecht
unangenehm erinnert fühlt, erteilt sich die rotgrüne
Regierung im Vorhinein schon mal die allgemeine
Erlaubnis zum Abschuss, indem sie ihrem unbedingten
Willen zur Unerpressbarkeit die Form des Rechts
gibt, mit dem erst in einem Rechtsstaat alles seine
Ordnung hat.
*
Das verabschiedete Gesetz wird dem neuen
Bundespräsidenten zur Unterschrift vorgelegt – und der
zögert. Monatelang lässt Köhler das Gesetz auf seinem
Schreibtisch liegen, schreibt Briefe an Kanzler und
Innenminister, in denen er seine Bedenken, die ihn
umtreiben, mitteilt. Mit dem wohlgezielten Abschuss eines
Verkehrsfliegers durch eine Bundeswehrmaschine und dem
damit verbundenen hundertfachen Ableben unbeteiligter
deutscher Staatsbürger sieht der Bundespräsident nämlich
mindestens zwei hochrangige Rechtsgüter der
Bundesrepublik mitgetroffen: den Art. 2, Abs. 2
Grundgesetz, mit dem der deutsche Staat unbescholtenen
Deutschen freundlicherweise das Recht auf Leben und
körperliche Unversehrtheit
gewährt, und den Art. 35
Grundgesetz, mit dem sich deutsche Regierungen den
Einsatz ihres schlagkräftigsten Gewaltapparates im Innern
der Republik nur bei Naturkatastrophen erlauben. Das neue
Luftsicherheitsgesetz erlaube in letzter Konsequenz
den Tod Unbeteiligter an Bord und Boden
, und
das geht für den obersten Repräsentanten der zu
allem entschlossenen Nation sachlich voll in Ordnung,
auch er will den notwendigen zusätzlichen
Sicherheitsanforderungen für die Abwehr von
terroristischen Bedrohungen
(Köhlers Begleitbrief zur Unterschrift)
keinen Stein in den Weg legen.
Nur wird der Gleichung, dass der Schutz, den der
Staat dem Recht auf Leben
zuteil werden lässt,
seine Verfügung darüber bis zur Tötung
einschließt, mit diesem Gesetz doch eine recht drastische
Klarstellung hinzugefügt; und außerdem wird damit fast so
etwas wie ein eigenes Rechtsregime für die
Bundeswehr
geschaffen. Insofern greift das neue
Gesetz zweimal dermaßen tief in den Verfassungsbestand
der BRD ein, dass das rechtsstaatliche Niveau der
Erlaubnis nicht ausreichen könnte. Das Gesetz gehört
daher auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand; die
Ermächtigung zum finalen Rettungsabschuss
(Burkhard Hirsch, FDP) soll
das höchste deutsche Rechtsprechungsorgan
beglaubigen. Der verehrte Bundespräsident unterschreibt
daher im Januar das Gesetz und macht damit den Weg
frei für eine verfassungsrechtliche Überprüfung.
*
Letztere wollen Schilys Kollegen aus den unionsgeführten
Ländern unter der Führung des Bayern Beckstein auch und
das Gesetz in seiner jetzigen Fassung zu Fall bringen.
Den christlichen Herren über die innere Sicherheit geht
nämlich die Ermächtigung, die das aktuelle Gesetz zum
Inhalt hat, nicht weit genug. In den Zeiten des
Antiterrorkriegs können sie sich noch viel mehr
Gelegenheiten vorstellen, die feine deutsche Militärmacht
im Lande selbst zu gebrauchen, und stricken die „Logik“
des rotgrünen Gesetzes konsequent fort: Wenn man schon
Kriegsmittel gegen Terroristen unbedingt einsetzen will,
dann muss man aber auch mal den Einsatz der Bundeswehr im
Lande aus der verfassungsrechtlichen Grauzone
(FAZ, 13.1.) herausholen und
die alte, aus dem Geist des Antifaschismus geborene
verfassungsrechtliche Beschränkung im Gebrauch der
Bundeswehr nach innen wegschmeißen. Für Beckstein und Co
ist es einfach ein Unding, einen überlegenen
Gewaltapparat zu haben und über ihn im heimischen
Antiterrorkrieg nicht frei verfügen zu können: Derzeit
hat die Polizei die Befugnis zum Eingreifen, aber nicht
die Möglichkeiten, die Bundeswehr hätte zwar die
Möglichkeiten, aber nicht die Befugnis.
(Beckstein, Tagesspiegel, 15.1.) Dieses
Drangsal soll ein für alle Mal grundgesetzlich ausgeräumt
werden, wie schon damals bei den Auslandseinsätzen der
Bundeswehr, damit die obersten Rechtsgrundsätze deutscher
Politik auch innen wieder zu den gestiegenen Ansprüchen
im freiheitlichen Gebrauch von Gewalt passen.
*
Jetzt wissen alle deutschen Patrioten, wie prinzipiell
ernst es ihren Politikern mit ihrer
Gewaltbereitschaft im laufenden Anti-Terror-Krieg ist.
Und die politische Klasse insgesamt hat eine
Rechtsdiskussion, in der einer den anderen übertrumpft –
in der rechtsstaatlich saubersten Planung eines
„Extremfalls“, der laut BM Schily dermaßen
unwahrscheinlich, nahezu ausgeschlossen
ist
(Schily, SZ, 13.1.), dass er
gleich vorauseilend als neuer gesetzlicher Tatbestand
geregelt werden muss.