Aus der Reihe „Was Deutschland bewegt“
Die große Koalition arbeitet am Lieferkettengesetz
Eine Plüschgranate gegen weltweite Ausbeutung
Der Entwicklungsminister prangert die Sauereien des globalen Kapitalismus an. Er fordert nicht nur das Ende der „Ausbeutung von Mensch und Natur“, sondern hat im Unterschied zu anderen wohlmeinenden Weltverbesserern als Politiker auch ein unbestreitbares Machtmittel dazu in der Hand: Ein Gesetz muss her, das die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht.
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Die große Koalition arbeitet am
Lieferkettengesetz
Eine Plüschgranate gegen weltweite
Ausbeutung
„Globale Wertschöpfungsketten machen 80 Prozent des Welthandels aus und sind Existenzgrundlage für über 450 Millionen Menschen. Keine zweite große Industrienation ist so intensiv in internationale Lieferketten eingebunden wie Deutschland... Im Zuge der weiteren weltwirtschaftlichen Verflechtung wanderten die umweltschädlichen, mit schmutziger Arbeit verbundenen Industrien in andere Weltregionen ab, beispielsweise nach Südostasien. Die hochproduktiven Industrien sind hier geblieben, wie beispielsweise die Verarbeitung von Rohstoffen. Die Produktion verursacht nun in den Entwicklungs- und Schwellenländern sehr hohe Belastungen von Mensch und Umwelt, von denen viele von uns nichts wissen wollen. Eigene Wirtschaftszweige gehen ein, illegale Chemikalien verseuchen Flüsse, Flächen werden enteignet, Menschen und immer wieder Kinder ausgebeutet. Sei es in Textilfabriken, in Minen oder Steinbrüchen oder auf Baumwollfeldern, Bananen- oder Kakaoplantagen. Mehr als 70 Millionen Kinder arbeiten unter diesen ausbeuterischen, gefährlichen Bedingungen. Wir hierzulande profitieren davon, dass Menschen weltweit unter solch verheerenden Bedingungen arbeiten... Wir dürfen nicht länger zulassen, dass unser Wohlstand aufgrund von Ausbeutung von Mensch und Natur erkauft ist! Wir müssen menschenwürdige Arbeit und den Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen weltweit durchsetzen: Das ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts!“
Hier spricht keine globalisierungskritische NGO, sondern
die Aufklärung erfolgt im Auftrag des christsozialen
Bundesentwicklungsministers Dr. Gerd Müller
höchstpersönlich (Themenseite „Faire globale Liefer- und
Wertschöpfungsketten“ des Ministeriums, bmz.de; die
folgenden Zitate daraus). Er prangert die Sauereien des
globalen Kapitalismus in den schrillsten Tönen an – und
er fordert nicht nur das Ende der Ausbeutung von
Mensch und Natur
, sondern hat im Unterschied zu
anderen wohlmeinenden Weltverbesserern als Politiker auch
ein unbestreitbares Machtmittel dazu in der Hand. Ein
Gesetz muss her, das die Verantwortlichen zur
Rechenschaft zieht:
„Wer Schäden anrichtet, muss dafür Verantwortung übernehmen – das gilt auch für Unternehmen. In den vergangenen Jahren ereigneten sich weltweit immer wieder Katastrophen, an denen deutsche Unternehmen durch ihre Geschäftstätigkeit direkt oder indirekt beteiligt waren.“
Mit seinem Gesetzesvorschlag verfolgt der Minister die
Spur der für die Verheerungen in der Dritten Welt
verantwortlichen Subjekte entlang der Lieferketten
zurück. Er landet damit – erfrischenderweise – nicht bei
uns allen
als geizgeilen Verbrauchern, sondern
beim wirklichen ökonomischen Endpunkt der Kette: bei den
inländischen Unternehmen aus allen möglichen Branchen,
die damit unbescholten ihr Geschäft machen. Bis jetzt!
Ein Schnellschuss aus moralischer Aufwallung ist diese
Initiative freilich nicht. Schlappe 90 Jahre hat es
gedauert, bis aus der Forderung des Völkerbundes nach
internationalen Arbeits- und Sozialstandards
UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und
Menschenrechte
hervorgegangen sind, die klare
Mindestanforderungen für soziale und ökologische
Lieferketten ohne Kinderarbeit und Umweltschäden
setzen; und ab da keine zehn Jahre, bis eine deutsche
Gesetzesinitiative herangereift ist, die seit dem Jahr
2020 auch nicht länger auf freiwilliges Engagement
und freiwillige Selbstverpflichtung
der deutschen
Unternehmer setzen will – damit hat die Politik nach
eigener Auskunft allzu schlechte Erfahrungen gemacht.
Zusammen mit dem sozialdemokratischen Arbeitsminister hat
der Entwicklungsminister sich zu dem Einschnitt
durchgerungen, die Unternehmer – jedenfalls wenigstens ab
einer bestimmten, in der Koalition umstrittenen
Betriebsgröße – tatsächlich gesetzlich dazu verpflichten
zu wollen, sich für die elenden Umstände der Produktion,
die unter ihrer Regie bzw. in ihrem Auftrag, auf jeden
Fall zu ihrem Nutzen anderswo geschieht, überhaupt in
sozialer Hinsicht zu interessieren und den Gesetzgeber
darüber in Kenntnis zu setzen, wie ihre diesbezügliche
Selbstkontrolle aussieht:
„Unternehmen müssen darüber berichten, wie sie Risiken in der Lieferkette analysieren, Präventionsmaßnahmen in der Geschäftspolitik verankern, Abhilfemaßnahmen ergreifen und einen Beschwerdemechanismus etablieren.“
Versprochen wird ihnen dafür, dass das Geforderte
unheimlich günstig für sie zu haben sein wird, sodass
die Kosten für Großunternehmen bei nur
durchschnittlich 0,009 Prozent des Umsatzes liegen
werden. Für den Fall, dass die Unternehmen der Forderung
trotzdem nicht nachkommen, droht das Gesetz mit dem
scharfen Schwert der Rechtsgewalt – mit Bußgeldern. Das
bewirbt das Ministerium gerechterweise gleich als die
Relativierung, als die es gemeint ist: Bei Verstößen
droht den Unternehmen strafrechtliche Verfolgung
,
wird ein völlig zu Unrecht häufig genannter Irrtum
über das Gesetz zitiert. Antwort: Richtig ist: Niemand
muss ins Gefängnis. Ein Verstoß gegen die Berichtspflicht
führt zum üblichen Bußgeld.
Eine Strafmaßnahme, die
sich praktischerweise sofort als schnöder Kostenfaktor
darstellt, der sich gegen die 0,009-Prozent-Kosten der
Kontrollmaßnahmen im Sinne freier
Unternehmerkalkulationen abwägen lässt.
Außerdem soll das Gesetz den in den Entwicklungsländern ausgebeuteten Kindern und sonstigen Arbeitskräften endlich so etwas wie einen Rechtsschutz einräumen, denn
„Die Verletzung von Menschenrechten darf kein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen sein. Die Rechte von Betroffenen müssen besser beachtet werden. Betroffene von Menschenrechtsverletzungen brauchen Zugang zu Gerichten.“
Freilich muss den Betroffenen der Nachweis, dass gegen
ihre heiligen Menschenrechte verstoßen wird, erst einmal
gelingen, bevor sie einen Schadenersatz vor einem
deutschen Gericht einklagen können. Auch hier ist
Entwarnung angesagt: Deutschen Unternehmen steht eine
riesige Klagewelle bevor.
Ach wo! Richtig ist: Es
gilt das Subsidiaritätsprinzip – die Beweislast liegt bei
den Klägern und diese müssen sich zunächst an ihren
unmittelbaren Arbeitgeber vor Ort wenden.
Vielleicht
kriegen sie von denen ja eine Bescheinigung über ihren
Missbrauch ausgestellt, den sie dann an einem deutschen
Arbeitsgericht einreichen können?
Das Gefälle zwischen dem Impetus der Beendigung der
skandalösen Zustände und der geradezu grotesken Laschheit
des gesetzlichen Heilmittels, in deren Namen für das
Gesetz geworben wird, zieht sich durch den gesamten
Vorstoß. Die Architekten des Gesetzes achten eben sehr
genau darauf, dem unternehmerischen Geschäftsinteresse,
das der Adressat ihres regelnden Eingriffs ist und sein
soll, nicht zu nahe zu treten. Kostspielige
Einschränkungen seiner Freiheit sind ihm keinesfalls
zuzumuten, insbesondere wenn es um den internationalen
Vergleich der Freiheiten und Bequemlichkeiten geht, die
politische Standortverwalter ihren Unternehmen einräumen,
den letztere in Fragen ihrer Standortwahl immerzu
praktizieren. Die Weltverbesserer aus dem
Entwicklungsministerium versprechen, wirklich an alles
gedacht zu haben: Damit kein Standortnachteil entsteht,
sollen die Vorgaben möglichst europa-, am besten weltweit
gelten – Um ein level playing field für alle
herzustellen, wird parallel auch an einer EU-Verordnung
und Regeln auf UN-Ebene gearbeitet
–, und die
bestehenden deutschen Engagements in der Dritten Welt
wollen sie damit auch auf keinen Fall behindern, im
Gegenteil: Das Gesetz soll explizit den Grundsatz
‚Befähigung vor Rückzug‘ befördern und Unternehmen dabei
unterstützen, sich langfristig – auch in
Entwicklungsländern – zu engagieren.
Im Interview mit der FAZ (12.10.20) rechnet der Entwicklungsminister noch einmal anhand eines einschlägigen Beispiels vor, dass sich wirklich niemand zu fürchten braucht:
„Eine Jeans kostet hier im Laden 50 oder 100 Euro. In Bangladesch wird sie für gerade einmal 5 Euro produziert. Wenn Mindeststandards wie die vom Grünen Knopf gelten, dann kostet sie einen Euro mehr. Und die Näherinnen verdienen statt 15 Cent rund 30 Cent – und müssen nicht hungern.“
Das Angebot des Ministers zur Lösung des Weltausbeutungsproblems mag billiger sein als jedes T-Shirt im Discounter. Das hält die angegriffene Unternehmerschaft nicht davon ab, Zeter und Mordio zu schreien:
„Mit einem Lieferkettengesetz wird die Axt an das bisherige Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft mit stark internationalisierten Wertschöpfungsketten und einer starken Produktion im Ausland gelegt... Ich schaue mit großem Entsetzen auf das Lieferkettengesetz... Das führt zu einer massiven Belastung. Das Ganze hat durchaus das Potenzial, uns über Jahre so zu belasten, dass die Wirtschaftsentwicklung wesentlich geschwächt wird.“ (Lars Feld, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsrats der CDU und Kuratoriumsmitglied der Impuls-Stiftung des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer, dpa, 26.8.20)
Nicht einmal die weichgespülteste Variante eines Gesetzes
gegen die Ausbeutung in der Dritten Welt kann die
deutschen Unternehmer versöhnlich stimmen. Der Herr
Minister muss sich wie jeder andere Weltverbesserer von
ihnen sagen lassen, dass zu ihrem Geschäftserfolg, den
schließlich auch er will und braucht, die globalen
Ekelhaftigkeiten für Mensch und Umwelt quasi
sachzwangmäßig dazugehören. Sie bestehen geradezu darauf:
Den Kapitalismus, den sie als die Wirtschaft
weltweit veranstalten, gibt es nur so.