Leserbrief
Sprachhygiene: Kein Nebenkriegsschauplatz, sondern antikritische Political Correctness

Die Sprache der Politik ist moralisch verseucht, Wörter für Rassen, Völker und soziale Stände ganz besonders. Das Politisieren ist und wird verstanden als eine Sphäre des Rechtens und Parteinehmens: Wer sich zu Wort meldet, will das Recht oder Unrecht eines Standes oder nationalen Kollektivs verkünden, also seiner Parteilichkeit Gehör verschaffen; Leser und Hörer suchen ihrerseits nach Erkennungsmerkmalen der Parteilichkeit, um zu wissen, woran sie mit einer Wortmeldung sind. Schön zirkulär vergleichen sie die entdeckte Parteilichkeit eines Autors mit den eigenen sympathisierenden Vorurteilen oder Antipathien und finden dementsprechend die Stellungnahme gelungen oder unmöglich.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog

Leserbrief
Sprachhygiene
Kein Nebenkriegsschauplatz, sondern eine antikritische Political Correctness

Ein Leser zitiert aus einem Weblog und kommentiert die Wortmeldung:

„Dass der GSP es gegenüber linken Israel-Fans schwer hat, dürfte hauptsächlich an seiner Sprache liegen. Das ist übrigens eine Geschichte, die ich auch immer noch nicht verstehe, obwohl ich dem GSP mittlerweile doch in vielen Punkten zustimme: Warum, verdammt noch mal, muss in einem sonst doch eigentlich ziemlich korrekten Artikel über den Nahostkonflikt von einer „vorläufigen Endlösung der Palästinenserfrage“ geschrieben werden? Und das ist nur das Beispiel Nahost, es gäbe weitere („Neger“, „Miezen“, „Homos“). Okay, wenn der GSP bei demokratischen Staaten von „Führern“ und ihrer „Wehrmacht“ schreibt, will er die Gemeinsamkeiten von Demokratie und Faschismus herausstreichen, das verstehe ich. Aber warum rassistische Begrifflichkeiten verwenden, wenn man Rassismus kritisiert? Auf die Art lenkt man bloß vom Inhalt ab, das ist doch kontraproduktiv. Außerdem lädt man so geradezu zur Denunziation ein („Der GSP ist eine deutsche Burschenschaft“ etc.). Der GSP sollte die Fans von Israel und Palästina vielleicht mal parallel in einem Artikel kritisieren, um die Gemeinsamkeiten von „Anti-Imperialisten“ und „Anti-Deutschen“ aufzuzeigen. Dann kann nämlich kein Israel-Fan sagen, „eigentlich“ ergreife man ja doch Partei für die Palästinenser.“

Natürlich ist die Sprache des GegenStandpunkt nicht der Grund für die offene Feindschaft der antideutschen Glaubensgemeinschaft. Der ist schon in deren „unbedingter Israelsolidarität“ zu suchen (Israel gut wegen Auschwitz!). In einem Punkt hat der Verfasser des Kommentars m.E. aber Recht: die z.T. flapsige Wortwahl (s.o.) macht es euren linken Gegnern unnötig leicht, sich um die Auseinandersetzung mit euren Argumenten herumzudrücken und auf den Nebenkriegsschauplatz der Sprachhygiene auszuweichen (oft genug selbst erlebt!). Der Hinweis, dass es sich um einen solchen handelt, ist bekannt und wird auch regelmäßig gebracht. Dennoch hielte ich es für angebracht und hilfreich, wenn ihr euch einmal zu diesem Thema äußern würdet.

Antwort der Redaktion

1.

Der Leserbrief spricht eine Schwierigkeit an, mit der wir zu tun kriegen und umgehen. Die Sprache der Politik ist moralisch verseucht, Wörter für Rassen, Völker und soziale Stände ganz besonders. Das Politisieren ist und wird verstanden als eine Sphäre des Rechtens und Parteinehmens: Wer sich zu Wort meldet, will das Recht oder Unrecht eines Standes oder nationalen Kollektivs verkünden, also seiner Parteilichkeit Gehör verschaffen; Leser und Hörer suchen ihrerseits nach Erkennungsmerkmalen der Parteilichkeit, um zu wissen, woran sie mit einer Wortmeldung sind. Schön zirkulär vergleichen sie die entdeckte Parteilichkeit eines Autors mit den eigenen sympathisierenden Vorurteilen oder Antipathien und finden dementsprechend die Stellungnahme gelungen oder unmöglich. Schon durch die gewählte Kennzeichnung der diversen Kollektive signalisieren Autoren Achtung oder Verachtung für die damit Bezeichneten; schon daraus erkennt das Publikum den vertretenen Standpunkt. Das gezielt eingesetzte Schimpfwort oder die ehrende Benennung ersetzen bzw. sind häufig das ganze Urteil. Wer z.B. den Unternehmer Kapitalist nennt, gibt sich als Kritiker der besitzenden Klasse zu erkennen, der er die Ausbeutung der Arbeitskräfte unterstellt; wer den Kapitalisten Unternehmer nennt, gibt seine Wertschätzung der wichtigen Rolle dieser Spezies zu Protokoll, von deren Tatkraft das ganze Gemeinwesen abhängt; wer ihn schließlich Arbeitgeber nennt, anerkennt die soziale Rolle der Profitmacherei ausdrücklich im Namen der davon abhängigen Arbeitskräfte. Mit der Wortwahl ist alles gesagt – und alles verstanden.

Das ist unsere Sache nicht. Wenn wir Aktionen, Interessenlagen, finanzielle oder kriegerische Konflikte erklären, dann wollen wir keine vorgängige Parteinahme für die eine oder andere Konfliktpartei abrufen und wir landen auch nicht dabei, den einen oder anderen Recht zu geben und im Lichte dieses Rechts die Gegenseite zu verurteilen. Mit der Ehre haben wir es im Übrigen schon gleich nicht, weder mit der eigenen noch mit fremder. Für die Rollen der kapitalistischen Stände und imperialistischen Akteure haben wir zu wenig übrig, um jemanden am Maßstab der entsprechenden edlen Aufgaben entehren zu wollen. Genauso wenig wollen wir die allgemeine Ehr- und Anerkennungssucht bedienen und bestärken. Deshalb sind wir mit Bezeichnungen – um das Schwächste zuerst zu sagen – nicht heikel. Neger oder Schwarzer, Ami oder Amerikaner, „Kapitalist“ oder „Unternehmer“ leisten dasselbe, wo es um nichts als eine Kennzeichnung geht. Das, was wir über die bezeichneten Kollektive zu sagen haben, sagen wir sowieso nicht per Nennung des Satzsubjekts, sondern mit dem Prädikat und dessen Begründung, dem Argument. Wir hoffen sehr, dass man in unseren Texten das Argument nicht durch auf- oder abwertende Ausdrücke ersetzt findet.

Zugleich können wir nicht umhin, uns der ideologisch versauten Sprache zu bedienen. Dabei suchen wir nach Wegen, uns von der inkorporierten und erwarteten Wertung sowie vom ideologischen Charakter vieler Bezeichnungen zu distanzieren. Mancher greift da zum exzessiven Gebrauch von Anführungszeichen, die die Redaktion im Interesse der Lesbarkeit dann wieder herausstreicht. Wir hätten ja auch zu tun, wollten wir jeden Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Wirtschaftsweisen, Verteidigungsminister, Friedensprozess und so fort in Gänsefüßchen setzen. Ohne Zeichensetzung gerät das Anspielen auf rassistische und soziale Vorurteile zum impliziten Zitat, so dass erst der Sinn des Satzes klarstellt, dass nicht wir eingewanderte Türken für Kanaken und Sozialhilfeempfänger für Schmarotzer halten, sondern dass die bürgerliche Welt sie so behandelt und wir dies herausstellen. Bisweilen beziehen wir uns auf die moralische Aufgeladenheit von Wörtern, indem wir diese durchs Hinzusetzen scharf kontrastierender Attribute sowohl thematisieren wie konterkarieren („blutige Friedensmission“; „Soldaten als Wahlhelfer“, „Damen und Herren Proleten“), oder indem wir Wörter gegen die Tendenz der ihnen eingeschriebenen Wertungen verwenden („frommer Antiimperialismus“ für islamistische Attentäter, „den Völkern der Welt Demokratie spendieren“ für den kriegerischen regime change der USA). Wenn diese Sprache Irritation auslöst, womöglich gar zum Nachdenken anregt, ist das gut. Wir sind bemüht, dem selbstgerechten Standpunkt, dass man mit dem Bekenntnis zu einer allgemein anerkannten, unwidersprechlich guten Wertung Zustimmung verdiene und in Sachen Urteilsbildung alles Nötige geleistet habe, die Luft abzulassen.

2.

Die inkriminierte „Endlösung der Palästinenserfrage“ zitiert zunächst nur das feststehende Programm wechselnder israelischer Regierungen, die dafür selbst sogar ähnliche Formulierungen verwenden: Sie machen ja die Palästinenser, deren Land sie erobert haben und die sie aus der Staatsbürgerschaft in ihrem Staat teilweise oder ganz ausschließen, zu einem störenden Volk, dem „Palästinenserproblem“, das sie lösen wollen. Phasenweise setzen sie mehr darauf, die Palästinenser zu vertreiben, mit allen möglichen Formen staatlichen Terrors aus dem Land zu ekeln: Sie schneiden sie vom Wasser ab, vernichten landwirtschaftliche Lebensgrundlagen, sperren sie mit einem riesigen Zaun ein und liquidieren die militante Elite des palästinensischen Staatswillens sowie alle Unbeteiligten, die dabei im Wege stehen; in anderen Phasen setzen sie auf konsequente Abtrennung des störenden Volkes vom eigenen und diktieren ihm die Mischung von Ghetto und staatsähnlicher Selbstverwaltung, die sie um der Abtrennung willen möglicherweise zu gewähren bereit sind. In jedem Fall sind es die Regierungen in Jerusalem, die entscheiden, was aus den Palästinensern wird. Sie überlassen ihre Palästinenserfrage niemand anderem zur Lösung. Und wenn sie den angestrebten Endpunkt – einen weitgehend Palästinenser-freien Siedlungsraum für Juden mehr oder weniger bis zum Jordan – auch noch nicht erreicht haben, dokumentieren sie doch den Willen dazu, indem sie sich mit allen auch von den USA gewünschten Zwischenlösungen höchst unzufrieden zeigen. Und dann haben sie noch Leute in verantwortlichen Staatsämtern, früher Netanjahu neuerdings den stellvertretenden Ministerpräsidenten Lieberman, die nicht nur das für dieses Programm Nötige veranlassen, sondern auch so reden: Lieberman fordert, das Militär solle im Gazastreifen so konsequent aufräumen wie die Russen in Tschetschenien (Netzeitung, 1.11.06) – eine Strategie, für die sich Putins Russland in deutschen Medien schon mal den Vorwurf des Völkermords einfängt.

Einspruch erhebt der Verfasser des Weblog aber sowieso nicht gegen die Darstellung der unversöhnlichen Feindseligkeit des israelischen Staatsprogramms gegen das störende Fremdvolk – „ein ziemlich korrekter Artikel“ –, sondern gegen das dafür gewählte Wort: Endlösung dürfe man nicht sagen – auch wenn es tatsächlich um etwas von der Art geht –, weil Hitler die Vernichtung der Juden unter diesen – übrigens extrem verharmlosenden – Titel gestellt hat. Die Aktionen und Ziele Israels würden so mit Deutschlands „Endlösung der Judenfrage“ auf eine Stufe gestellt; und das – darauf haben sich doch alle anständigen Deutschen mit den Juden geeinigt – sei irgendwie sittenwidrig. Nun ist es ja wirklich nicht so, dass sachlich verkehrte Nazi-Vergleiche hierzulande unzulässig wären; wenn es die Richtigen, nämlich die aus deutscher Optik Bösen trifft, darf man jeden Diktator einen „zweiten Hitler“ nennen; und in warnender oder denunziatorischer Absicht ziehen idealistisch gesinnte Demokraten gerne mal eine Parallele zwischen Maßnahmen einer Herrschaft, auch einer demokratischen, die ihnen zu autoritär vorkommen, und dem Faschismus. (Da geben wir uns jedenfalls mehr Mühe, beim Vergleich der politischen Systeme Identität und Differenz zu ermitteln; und von einer Kritik, die ‚Faschismus‘ oder ‚Hitler‘ als Schimpfworte verwendet und sich damit die Kritik der Sache erspart, halten wir gar nichts.) Im Fall Israel soll sich jede Assoziation in dieser Richtung aber verbieten: Das ist ein Verstoß – nicht gegen die Logik des Vergleichens, sondern gegen eine als allgemein verpflichtend vorausgesetzte gute Meinung über Israel. Diejenigen, die sich an dem Wort „Endlösung“ in Verbindung mit diesem Staat so stören, hören daraus zielsicher einen Angriff auf ihre Gewohnheit und ihre Forderung an die Öffentlichkeit heraus, bei den Taten und Vorhaben des Staates Israel weniger an diese als an die Vernichtung der Juden durch Nazi-Deutschland zu denken und dessen damaligen mörderischen Rassismus als moralische Rechtfertigung für jedes noch so militante Vorgehen der heutigen israelischen Staatsmacht gegen den palästinensischen Quasi-Staat und dessen Volk in Anschlag zu bringen. Provoziert finden sie sich in ihrer prinzipiellen Parteilichkeit für Israel – und das allerdings zu Recht. Wir haben es immer für falsch befunden, die moralischen Rechtstitel, über die jeder Staat in beliebiger Menge verfügt, als den eigentlichen Inhalt oder den wahren Grund einer Staatsräson anzuerkennen; und wir haben an Israel nicht entdecken können, dass es sich da anders verhielte. Auch dieser Staat ist ein auf Machtzuwachs programmiertes Herrschaftsgebilde – wie jedes tatkräftige Mitglied der modernen „Völkerfamilie“. Er agiert mit seiner Landnahme, mit seinem Unterwerfungsanspruch gegen die Palästinenser und mit seinen einschüchternden Militäraktionen nicht als Auftragnehmer von Millionen „Holocaust“-Opfern, sondern als ehrgeizige Regionalmacht mit amerikanischer Rückendeckung – aber das steht ja alles, „ziemlich korrekt“, im vorigen Heft. Natürlich wird es etliche Israelis geben, die die Selbstdarstellung ihrer Staatsmacht als gerechte und einzig adäquate Antwort auf die Judenvernichtung im „3. Reich“ für bare Münze nehmen und ihrerseits keinen Unterschied zwischen Hitlers „Endlösung“ und dem feindseligen Staatsgründungsprojekt der Palästinenserorganisationen oder der erbitterten Machtkonkurrenz ihrer Nachbarstaaten (an)erkennen wollen. Auch denen würden wir aber zu bedenken geben, dass der Rollenwechsel vom Opfer zum Täter – abgesehen davon, dass das die denkbar schlechteste, radikal antikritische Schlussfolgerung ist, die sich aus schlechten Erfahrungen mit einer auf Krieg nach außen und rassistische „Säuberung“ im Innern programmierten Staatsgewalt ziehen lässt – nur in ihrer patriotischen Fantasie stattfindet und mit ihrer wirklichen Rolle als willige Manövriermasse eines (sub)imperialistisch agierenden Staates nur insofern zu tun hat, als auf die Art der Dienst, den sie ihrer Nation als nützliche Helfer und nicht selten auch als Opfer leisten dürfen, zum existenziellen Dienst des Staates an ihnen verklärt wird.

Wir wissen im Übrigen – um auch in dem Punkt keine Frage offen zu lassen –, dass es unter deutschen Patrioten nach wie vor viele gibt, die es aus ideologischer Verbundenheit mit ihrer Nation und deren Geschichte schlecht aushalten, dass dieses Deutschland die Schuld an einem so enormen Völkermord auf sich geladen haben soll, und die sich an den Schändlichkeiten der israelischen Kriegführung moralisch hochziehen, weil sie meinen, damit hätten die jüdischen Opfer und Ankläger sich selber moralisch ins Unrecht gesetzt; hauptsächlich denen möchte der pro-israelische Moralismus, der schon bei dem Wort „Endlösung“ so hellhörig wird, den Mund verbieten. Dadurch wird aber erstens der ideologische Gebrauch, den die Apologeten Israels von den „Holocaust“-Opfern machen, nicht richtiger. Zweitens dürfte jedem Leser unserer Zeitschrift aufgefallen sein – und wenn nicht, dann spätestens jetzt –, dass wir es mit beleidigtem Nationalstolz wirklich nicht haben. Wenn wir uns unseren Vers auf das Weltgeschehen machen, dann tun wir das ganz bestimmt nicht als Deutsche oder „aus deutscher Sicht“ – außer in dem Sinn, dass Deutschland das nächste Objekt unserer Kritik ist – und deswegen schon gleich nicht vom Standpunkt einer ideellen moralischen Rechtsnachfolge des Hitlerreiches. Drittens können wir den Israel-Freunden, die sich und ihre Volksgenossen mit dem Verweis auf die Blutbäder des „3. Reiches“ zu moralischer Wiedergutmachung durch bedingungslose Parteilichkeit für die israelische Sache verpflichten wollen, den Vorwurf der Kongenialität mit ihrem beleidigten deutschnationalen Widerpart nicht ersparen: Wie dieser beurteilen sie die Welt im Lichte völliger und ernsthafter Identifizierung ihres Urteilsvermögens mit dem Standpunkt ihrer deutschen Nation; so als hätten sie alles das in Auftrag gegeben, was die deutsche Staatsmacht im Namen Deutschlands anstellt. Da halten wir doch lieber Distanz – und denken, das würde auch unseren Zeitgenossen ganz gut tun. Den deutschen wie denen in Israel. Und den Palästinensern auch…

3.

Bei „Neger“ und „Homo“ liegt der Fall anders. Hier kritisiert der Leserbrief „rassistische Begrifflichkeit“, wo Schimpfworte und Abwertungen gar nicht vorliegen; aber offenbar von manchen Leuten herausgehört werden. Das zeugt von einer hoch entwickelten Empfindlichkeit in politischen Ehrfragen – und die ist keine lässliche Geschmackssache, sondern eine demokratische Unart.

Das deutsche Wort für Angehörige der schwarzen Rasse, das seiner romanischen Herkunft nach gar nichts anderes bedeutet: niger = lateinisch für schwarz, wird als rassistische Beleidigung empfunden; die analoge Verwendung des Wortes die „Weißen“ – etwa in Südafrika oder den USA – aber wohl kaum. Der Unterschied hat nichts mit den Worten und alles mit der politischen und sozialen Stellung der damit bezeichneten rassischen Kollektive zu tun: Die Weißen sind die Ober- und Herrschaftsschicht, wo immer auf sie als einen besonderen Teil einer Bevölkerung Bezug genommen wird. Die Neger, ehemalige Sklaven oder mittellose Immigranten, sind in den USA wie in allen kapitalistischen Ländern mehrheitlich in die unterste gesellschaftliche Schicht verbannt; Schwarzafrika, wo die meisten von ihnen leben, ist die durchgängige Elendsregion des globalisierten Kapitalismus. Es ist erstens die politökonomische Weltordnung, die ihnen diese miserablen Lebenslagen zuweist; es ist zweitens der Rassismus des politischen Urteilens, der ihnen diese Stellung dann auch noch als ihr Defizit anlastet. Wie immer und überall in der bürgerlichen Gesellschaft beweist derjenige, der in der Konkurrenz scheitert – und irgendwelche müssen ja scheitern –, den anderen seine mangelnde Begabung, fehlenden Ernst, Fleiß, Verantwortungsbewusstsein und Intelligenz. Seine schlechte soziale Stellung wird gerechtfertigt durch eine schlechte Meinung über ihn. Er wird verachtet und als verachtungswürdiges Wesen gesehen. Ursprünglich neutrale Namen für Rassen, Völker, Stände und soziale Charaktere, die in der weltweiten Klassen- und Nationenscheidung unten landen, sinken zu verächtlichen Bezeichnungen herab. Dieses Schicksal teilt das Wort „Neger“, eher in den USA übrigens als in Europa, mit nicht wenigen Völkernamen – Kanaken, Kaffern, Zigeuner –, mit Bezeichnungen niederer sozialer Stände – dem Bauer und dem Proletarier („Du Bauer!“, „So ein Prolet“), mit „Weib“[1], „Krüppel“ und „Asylant“.

Schlimm, so unsere Auffassung, ist nicht der Klang, sondern die Sache. Sie gehört korrigiert. Demokratisch engagierte Zeitgenossen sehen das anders. Sie lauschen den verächtlichen Bezeichnungen einen Verstoß gegen die abstrakte Anerkennung ab, auf die ein jeder in dieser gleichmacherischen Gesellschaft jenseits von Stand und materieller Lage ein Recht hat: Neger, Proleten, Asylanten und Behinderte „sind auch Menschen“ und haben als solche eine respektvolle Benennung verdient. Ihre demokratischen Freunde empören sich mehr über vorhandene oder vermutete Verachtung als über die gesellschaftlichen Verhältnisse, aus deren Bejahung die Verachtung der Erfolglosen erwächst. Für die Opfer suchen sie neue Namen, die einzig und allein eines leisten sollen: Die Verachtung dementieren, die sie aus den vormals neutralen Bezeichnungen heraushören. Die Verwendung ihrer Wortschöpfungen machen die Sprachreiniger dann zum Prüfstein politisch korrekter Gesinnung. Jedermann hat den Hut zu ziehen vor den Mitgliedern der unteren Klassen und elenden Ausländern seine Hochachtung auszudrücken. Dann, meinen sie, sei das größte Unrecht, das denen zugefügt wird, schon mal aus der Welt und der entscheidende Schritt gegen die Ausgrenzung getan.

Die geistigen Verrenkungen, die fällig sind, wenn man aus jeder Kennzeichnung eine Ehrfrage macht, sind einfach drollig. Denn die Sprachreform nützt nicht viel, wenn eine ehrenhafte Namensgebung die Verachtung, die dem Stand oder Individuum gilt, widerrufen soll. Die verbesserten, herabwürdigende Konnotationen korrigierenden Namen nutzen sich schnell ab, eben weil sich an der Sache, der Lage und der tatsächlichen Einschätzung der Verachteten ja nichts ändert. Die Verfallsgeschichte des englischen „nigger“, das zunächst auch nur eine germanische Aussprachevariante von „negro“ war, ist dafür beispielhaft: Nach dem Verbot des Sklavenworts war „Colored People“ politisch korrekt, bei dem man jedoch bald einen verhohlenen Rassismus herauszuhören meinte, der sich vor dem Aussprechen der blamablen Hautfarbe drückt; „Blacks“, das Farbwort aus dem angelsächsischen Wortschatz, war dann schon besser, inzwischen ist man bei „African-Americans“ gelandet. Der deutsche „Krüppel“ ist zum „Behinderten“ geworden, bis auch der untragbar wurde und nun „Mensch mit Behinderungen“ heißt, damit niemand vergisst, dass der Behinderte ein Mensch ist, und niemand den Menschen durch seine Behinderung charakterisiert sieht, auch wenn dessen privates und soziales Dasein davon bestimmt ist. Aus demselben Grund wurden die gastarbeitenden Ausländer erst zu „Migranten“, dann zu „Menschen mit Migrationshintergrund“. Ein vorläufiges Ende erfährt der Abnutzungsprozess politisch korrekter Namen erst, wenn die verachtete Gruppe einen dieser Namen adoptiert, sich selbst stolz so nennt und ihre Selbstachtung durch die allgemeine Verwendung des Wortes gewürdigt sieht. Manche, die weiblichen Homosexuellen z.B., bestehen auf dem Dudenwort und wollen den ehrenwerten Stand der lesbisch Liebenden Lesben genannt sehen. Die männliche Variante bekennt sich nach dem Prinzip der Umwertung aller Unwertworte – wie seinerzeit die Black Panther mit ihrem „Black is beautiful“ – zu einem besonders bösartigen Schimpfwort und erhebt es zum neuen Ehrennamen: Sie wollen „schwul“ genannt werden – die umlautlose Form von „schwül“, was dasselbe Bild wie „warmer Bruder“ nahelegt.[2] Im Lichte der von den Betroffenen autorisierten Umwertung empfindet der Verfasser des Weblogs die Abkürzung des griechisch-lateinischen Fremdworts für Gleichgeschlechtlichkeit „Homo“ (wie „Studi“ und „Prof“) schon wieder als Schimpfwort. Da heißt es also auf der Hut sein, damit man den Umschwung vom Ehrentitel zum Schimpfwort und umgekehrt nicht verpasst. Endgültig verwirrend wird es, wenn dasselbe Wort in verschiedenem Mund einmal den einen und einmal den anderen Charakter annimmt. Der Staat Israel etwa will, wie erwähnt, keine säkulare Hoheit sein, die die Bewohner ihres Territoriums ohne Ansehen von Religion und Rasse als Staatsvolk reklamiert und beherrscht: Die Zugehörigkeit zum Volk Israels wird auf die biologisch ererbte Religion („Kind einer jüdischen Mutter“) gegründet. Seine Liebhaber verstehen, dass der Staat der Juden, den sie auch so nennen, keine Majorisierung durch eine gebärfreudige palästinensische Bevölkerung innerhalb seiner Grenzen zulassen kann. Wenn andere diesen staatlichen Rassismus nicht gutheißen und dem Judenstaat nicht jede Annexion, Vertreibung und Unterdrückung als unvermeidliche Konsequenz jüdischen Lebens abkaufen, dann fangen sie sich den Vorwurf der rassistischen Wortwahl, wenn nicht des Antisemitismus ein.

4.

Wie untauglich Protest gegen Sprachgebräuche zur Verbesserung der Lage ist, zeigt sich schlagend, wo er auf ganzer Linie Erfolg hat, bei der holden Weiblichkeit. Seit vielleicht 25 Jahren lehnen ihrer Emanzipation bewusste Frauen Schriftliches und sogar Mündliches ab, sofern nicht Kapitalisten, Männer und andere groß geschriebene Dinge durch ein angehängtes „-Innen“ verfremdet sind. Seitdem nämlich fühlen sie sich in Berufe, Stände und sonstige Allgemeinheiten bezeichnende Worte (Student, Arbeiter, Bürger, Zuschauer) nicht mehr eingeschlossen und insofern missachtet. Wenn von Pflichten, Interessen, Stipendien „des Studenten“ oder „der Studenten“ die Rede ist, soll ein Totschweigen und Ausschließen der Studentinnen vorliegen, als ob die männlichen Exemplare und nicht die Eigenschaften und Lagen des Standes angesprochen worden wären; Bestimmungen immerhin, die mit dem Geschlecht seiner Angehörigen nichts zu tun haben. Wenn feministische Sprachkritiker die Grammatik korrigieren, verwechseln sie selbstbewusst das grammatische und das biologische Geschlecht, als ob sie nicht wüssten, dass die Sonne keine Frau und der Mond kein Mann ist; in den romanischen Sprachen übrigens ist das Genus ohne Schaden umgekehrt verteilt – il sole, la luna –; es ist mit dem Sexus eben nicht identisch. Wenn sprachreformerische Frauen und männliche Sympathisanten allen Kollektivbezeichnungen weibliche Endungen anhängen, bekennen sie sich dazu, dass der Sexus der allerwichtigste Gesichtspunkt ihrer eigenen Urteilsbildung ist: Mitten im Kapitalismus mit seiner abstrakten und gleichmacherischen Unterwerfung der Menschen unter das bürgerliche Gesetzbuch und die Herrschaft des Geldes dreht sich in ihrer Welt alles um den Kampf der Geschlechter: Frau oder Mann – wer ehrt, missachtet, beherrscht wen? Dem Antrag, dass der weiblichen Hälfte der Menschheit immer und überall extra die Ehre der Erwähnung zu erweisen sei, wird stattgegeben. Der Duden, eine neue Bibelübersetzung „in gerechter Sprache“ und noch der letzte CSU-Macho verbeugen sich vor diesem Gesslerhut politischer Korrektheit: Vor allem von den Politikern vergisst keiner Bürgerinnen und Bürger, Wählerinnen und Wähler zu sagen, wenn er auf weibliche Zustimmung spekuliert. Außer der ehrenden Anrede hat sich an der Lage der Frauen, wegen der einmal eine Frauenbewegung aufgebrochen ist, nichts gebessert. Im Gegenteil, im emanzipatorischen Vierteljahrhundert ist durch zunehmende weibliche Berufstätigkeit die Doppelbelastung der Frauen immer größer geworden.

5.

Nach Umwegen über die demokratische Protestkultur ist das Bemühen um eine politisch korrekte Sprache also „angekommen“, bei der gesellschaftlichen Elite nämlich, die mit den Imperativen der Sprachhygiene so sachgemäß antikritisch umgeht, wie es ihrem Sinn entspricht. Stellvertretend für alle Erniedrigten und Beleidigten verwahren sich Politiker und Unternehmer öffentlich dagegen, dass weniger hochgestellte Mitbürger mit herabsetzenden Ausdrücken belegt werden: „Proletarier“ oder „Unterschicht“ darf man nicht sagen! Da machen sich diejenigen, die von den Unterordnungsverhältnissen profitieren, zu Anwälten der Ehre derer, die diese Ordnung auf die schäbige Rolle der ausgenutzten Arbeitskraft festlegt oder sie sogar noch von diesem Privileg ausschließt. Sie wissen, dass die Ehre, die einer in sich als Arbeiter, Arbeitsloser oder sonst etwas setzt, nichts anderes ist als ein durch und durch affirmatives Verhältnis zu dem Stand, in den es ihn verschlagen hat: Stolze Arbeiter lassen sich viel gefallen! Die Elite bedient und fördert die Anerkennungssucht der Schlechtergestellten: „Ware Arbeitskraft“ braucht sich kein vollwertiger Mensch schimpfen zu lassen, der korrekt als „Arbeitnehmer“ gewürdigt ist. Dass er zu den unselbstständigen Personen gehört, die nicht einmal arbeiten können, wenn nicht ein Vermögender ihnen Arbeit gibt, darf er sich in dem Sinn zugute halten, dass er mindestens ebenso wichtig ist wie der Arbeitgeber dafür, dass „die Arbeit erledigt wird“.

Naiv oder berechnend, in allen aufgeführten Fällen hat Sprachhygiene den Charakter einer Abwehr unerwünschter Urteile – und zwar ohne dass die, geschweige denn ihre Begründung, überhaupt zur Sprache kämen. Kritik der Umstände, in die Leute gestellt sind, und der Rollen, die sie spielen, wird als Beleidigung der Träger dieser Rollen gedeutet und damit zurückgewiesen. Es ist nicht so, dass wir leichte Vorwände liefern, unsere Argumente abzulehnen, es ist die feststehende Ablehnung, die sich ihre Vorwände sucht. Dagegen ist nun mal kein Kraut gewachsen, dass einer einen Text nur danach liest, was er in ihm sucht. Und wenn er ihn daraufhin absucht, ob er den erwarteten, landesüblichen Respekt für die Macher und die Opfer der kapitalistisch und imperialistisch sortierten Welt darin ausgedrückt findet, dann entdeckt er eben, dass das nicht der Fall ist. Wer das Warum dann schon nicht mehr wissen will, weil er schon genug weiß, dem ist eben nicht zu helfen. Deshalb wollen wir dem Zensurstandpunkt einer Sprachkritik, die eine inhaltliche Ablehnung ist, sich dazu aber nicht bekennt, nicht entgegenkommen und vorauseilend Kreide fressen.

[1] „Weib“ war noch bis ins 19.Jahrhundert die neutrale Bezeichnung für Menschen weiblichen Geschlechts. Das Wort, das die rechtlich nicht voll selbstständige, dem Mann untertane, für Haushalt und Kinder zuständige Lebensgefährtin bezeichnet, nimmt im Lichte der heraufziehenden bürgerlichen Gleichheit eine abwertende Bedeutung an; zur Abhilfe greift die Gesellschaft zu dem Wort Frau, mittelhochdeutsch ‚frouwe‘ = Herrin, das zunächst adeligen Weibern vorbehalten war.

[2] Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Wolfgang Pfeifer, Akademie Verlag Berlin 1993. Stichwort „schwül“