Leserbrief
Nachtrag zum Artikel „Klein v in Deutschland“
Leserzuschrift: Kritik der Auffassung, die Armut der normalen Lohnempfänger in Deutschland sei überzeichnet, indem man das höhere Niveau ihres Konsums im Vergleich zu den „wirklich“ armen Weltgegenden unterschlägt.
Antwort der Redaktion: (weltweite) Unterschiede im Konsumniveau sind Beweis für die Prinzipien der Ausbeutung und ihrer „Spielräume“, welche durch das „historisch-moralische Element“ im Wert der Arbeitskraft bestimmt werden.
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Leserbrief
Nachtrag zum Artikel „Klein v in Deutschland“[1]
Leserzuschrift
1.
Der auf S.85 angeführte „demokratische Konsens im Lande“, daß sich vom deutschen Lohn leben läßt, hat seine Grundlage darin, daß ein deutscher Lohnempfänger besser lebt, als über 95% der Menschen auf der Welt, wozu nicht nur die Bewohner der Hungerleidernationen, sondern auch die Durchschnittsproleten in Staaten wie USA oder GB zählen. Diese Tatsache, die in vielen Fernsehreportagen bebildert wird, läßt sich weder mit dem abstrakten Diktum, daß ein Vergleich immer ein Fehler ist, noch mit dem auf S.108 angeführten umgekehrten Vergleich, daß der Lohn für Privatflugzeug und High-tech-Küchen nicht reicht, relativieren.
2.
Der angeführte objektive Maßstab für Armut, der geschaffene Reichtum, „von dem die Lohnarbeiter, die ihn schaffen, ausgeschlossen sind“ (S.113), hat den Mangel, daß die Zuordnung dieses Reichtums als Produkt der hiesigen Lohnarbeiter so nicht möglich ist. Die erfolgreiche ökonomische Benutzung der Welt durch das deutsche Kapital, hat zum Ergebnis, daß bei so gut wie jedem Produkt, das hiesige Fabrikhallen verläßt, Rohstoffe und Rohprodukte aus anderen Ländern in erheblichem Umfang eingegangen sind. Einen ökonomischen Grund, warum der geschaffene Reichtum nur dem letzten Produktionsschritt zuzuschreiben sein soll, kann ich nicht erkennen. Wo das Kapital bei der Produktion keine nationalen Schranken mehr kennt, kann man nicht bei der Begutachtung der Resultate die nationale Brille aufsetzen.
Diese nationale Begutachtung von Reichtum und Armut hat die Politiker und das gewöhnliche Volk der Ostblockstaaten dazu gebracht, in Anbetracht der besseren Ausstattung mit Machtmitteln und Konsumgütern der Ersten Welt auf die Einführung dieses erfolgreichen Systems zu setzen. Hätten sie die Dritte Welt als integralen Bestandteil der kapitalistischen Staaten betrachtet, wäre die Rechnung sicher nicht so eindeutig ausgefallen. So erhalten sie jetzt vom IWF und anderen kompetenten Institutionen die Quittung ausgestellt: weite Teile der ehemaligen Zweiten Welt taugen nur als Dritte Welt, und die wenigen Ausnahmegebiete haben erst einmal ein Jammertal von zehn bis zwanzig Jahren zu durchlaufen.
3.
Auch der Hinweis, daß viele der Güter, wie PKW, Kühlschrank, Fernseher etc., durch deren Besitz sich ein deutscher Arbeiter von Arbeitern anderer Nationen unterscheidet, „zum Bereich der notwendigen Bedürfnisse“ (S.115) zählen, ohne deren Befriedigung die Arbeit an hiesigen Hochleistungsarbeitsplätzen nicht auszuhalten wäre, überzeugt nicht. Ein südostasiatischer Arbeiter in einem Zuliefererbetrieb der deutschen Elektroindustrie ist, was Intensität anbelangt, einer mindestens ebenso hohen Belastung ausgesetzt – von der Extensität einmals ganz abgesehen – und dennoch reicht sein Lohn nur für einen Bruchteil der Güter, die sich ein deutscher Lohnempfänger leisten kann. Die manchmal anklingende Unterstellung, je moderner ein Arbeitsplatz desto höher die physische und psychische Ausnutzung der daran tätigen Arbeitskraft, und weil in Deutschland die Arbeitsplätze besonders modern, deshalb die intensivste Ausnutzung hierzulande, ist falsch. Insofern läßt sich daraus auch keine Begründung der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Gebrauchsgütern in den verschiedenen Regionen der Welt ableiten.
4.
Im Bemühen, die Zufriedenheit deutscher Lohnarbeiter zu erschüttern, kommt es zu manchen schiefen Charakterisierungen ihrer Lebensverhältnisse: was Lebensmittel anbelangt, kommt man nur zu dem Urteil, daß „dem Luxus der reicheren Schichten dessen Karikatur zu Händen der minder Bemittelten zu Seite“ (S.114) steht, wenn man unterstellt, daß ein guter Wein z.B. erst beim Lafite Rothschild beginnt und ein Frühstück ohne Kaviar ein Witz ist. Gerade in diesem Bereich reicht der Lohn durchaus zu Genußmitteln, die früher als unerschwinglicher Luxus galten, wie Kaffee, Tee, Wein etc. Der Versuch der reicheren Schichten, sich im Konsumbereich von den Massen wieder abzuheben, führt zu Erscheinungen, für die exakt das zutrifft, was auf S.108 über die Sphäre der Kunst ausgesagt wird. Auch in anderen Konsumbereichen arbeitet sich der Lohnarbeiter nicht nur „an lauter Notwendigkeiten“ ab, sondern hat durchaus die Freiheit zu wählen, ob er seinen PKW mit Spoilern aufmotzen oder sein Geld lieber für eine neue HiFi-Anlage ausgeben will oder seinen nationalen Gefühlen bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Stockholm frönen will.
Die relative Freiheit im Konsumbereich verdankt sich nicht zuletzt der zunehmend erfolgreicheren Ausbeutung der Länder der Dritten Welt durch das deutsche Kapital, die nicht nur die Preise für Genußmittel immer weiter herabdrückt (das Pfund Kaffee kostet statt 12 DM vor zehn Jahren heute nur noch die Hälfte), sondern auch ehemalige Luxusprodukte wie handgeknüpfte Perserteppiche bei einem Quadratmeterpreis von 150 DM auch für Leichtlohngruppen erschwinglich macht.
5.
Die Überzeichnung der Armut bei den westdeutschen Lohnarbeitern läßt auch die Differenz zu den wirklich Armen in diesem Lande verschwinden. Für die Alten, Arbeitslosen u.a. passen alle Beschreibungen, die für Lohnempfänger aus den oben genannten Gründen nicht zutreffen. Insofern beschreibt der Begriff der „Zwei-Drittel-Gesellschaft“ einen Zustand, ohne ihn im mindesten erklären zu wollen (geschweige denn zu können). Die Erklärung dafür, daß der Anteil der fürs Geschäft Unbrauchbaren notwendig steigt (solange nicht ein größerer Krieg für grundlegend neue Geschäftsbedingungen sorgt), findet sich in der erforderlichen Klarheit auf den S.97 ff. Die Wirtschaftswissenschaftler haben ihre liebe Not damit, zu erklären, warum nach acht Jahren Hochkonjunktur auch die Arbeitslosigkeit Hochkonjunktur hat. Mit der Verwaltung der Folgen sind alle erfolgreichen kapitalistischen Staaten beschäftigt. Die Lösung geht überall ähnlich: obwohl an potentiellen Arbeitskräften kein Mangel, wird die „Lebensarbeitszeit“ verlängert (Erhöhung des Rentenalters); dabei wird gar nicht unterstellt, daß ein nennenswerter Anteil von Lohnarbeitern wirklich bis 65 arbeitet, aber wer früher ausscheidet muß sich eben mit einer geringeren Rente begnügen und trägt so zur Kostenersparnis bei. Für alle noch Gebrauchten „lohnt“ sich so die Arbeit weiterhin.
6.
Um einem Mißverständnis vorzubeugen: mir geht es nicht darum, kapitalistische Ausbeutung im modernen Deutschland zu leugnen, sondern auf Schwächen in der diesbezüglichen Beweisführung hinzuweisen. Und da scheint mir der Hinweis auf den Konsum, den der Lohn eines deutschen Durchschnittsarbeiters zuläßt, aus den oben genannten Gründen als Beweismittel am wenigsten geeignet. Viel interessanter ist die Seite, was ein Lohnempfänger leisten muß (dazu findet sich alles wesentliche im GegenStandpunkt), weshalb aus dem Konsum, den sich ein Lohnarbeiter leisten kann, eben kein Genuß wird. Dies und die Tatsache, daß trotz aller Leistung, die zu erbringen ist, ein Auskommen nur gesichert ist, wenn weder betriebsbedingte Entlassungen, noch Krankheit, noch Alter dazwischenkommen (und letzteres kann nur der vermeiden, der den Löffel freiwillig mit 50 oder 55 abgibt), reicht in meinen Augen als Kritik an der Lohnarbeit völlig aus. Überzeichnungen der kritisierten Art erleichtern es dem Leser nur, die Autoren für ideologisch verbohrte Spinner zu erklären.
7.
Eine methodische Bemerkung zum Schluß: ich habe den Verdacht, daß die Abwehr von Ideologien wie z.B. der Konsumkritik (die heute nur noch wenige Verfechter hat), zu den oben kritisierten Fehlurteilen beiträgt – gegen die Kritiker des Konsums die Bestreitung, daß für deutsche Lohnempfänger Konsum möglich ist. Ähnliche Tendenzen stelle ich teilweise bei den Artikeln zu den Themen „Umwelt“ oder „Dritte Welt“ fest.
Antwort der Redaktion
„Sie fragen mich, was die englischen Arbeiter von der Kolonialpolitik denken? Nun genau dasselbe, was sie von der Politik überhaupt denken…die Arbeiter zehren flott mit von dem Weltmarkts- und Kolonialmonopol Englands.“ (Engels an Kautsky, 12.9.1882)
1.
Die Behauptung steht, die Lohnarbeiter in Deutschland 1992 zehren flott mit von der Stärke Deutschlands auf dem Weltmarkt. Wirklich?
– Die Mieten sind unerschwinglich hoch, immer mehr Leute sind auf Wohngeld angewiesen.
– Es gibt zu wenig Schuldnerberatungsstellen – nicht nur in den neuen Ländern.
– Die Gemeinden stöhnen unter der Last der steigenden Zahl von Sozialhilfeempfängern.
– Die Krankenkassen zahlen nur noch einen Teil der Krankheitskosten, Brillen, Zahnersatz etc. müssen die Versicherten aus eigener Tasche zahlen.
Ein paar täglich in den Zeitungen nachzulesende Hinweise auf das flotte Leben deutscher Proleten?
Natürlich kann sich ein Opel-Arbeiter mal eine Stereoanlage oder einen Spoiler für seinen Manta leisten, v.a. wenn er sein Sparbuch ein bißchen anknabbert. Wenn er es von seinen 4000 DM brutto im Monat auch noch schafft, mit Frau und Kind einen 14tägigen Urlaub auf Mallorca hinzukriegen, hat er selbst als erster die Überzeugung, sich ein flottes Leben zu leisten. In diesen Kreisen hält sich nämlich verbissen die Vorstellung, daß es gar nicht selbstverständlich ist, daß sich ein Arbeiter solchen „Luxus“ leisten kann.
Die Ausmalung des Wohlstands deutscher Arbeiter lebt entweder von dieser Unterstellung oder – was heutzutage durchaus noch Mode ist – von der Überzeugung, daß der hierzulande betriebene Konsum übertrieben ist, nach dem Motto: Jeder (Prolet) leistet sich inzwischen „früher unerschwingliche Genußmittel wie Kaffee, Tee und Wein“, hat einen Kühlschrank, einen Fernseher und sogar einen PKW, muß das denn sein? – Warum sollen das eigentlich keine Selbstverständlichkeiten sein, die jedermann nötig hat?
Im übrigen: Wo laufen sie denn eigentlich rum, diese wohlsituierten deutschen Lohnarbeiter mit ihren gut gefüllten Brieftaschen?
2.
Der Vorschlag lautet, statt sich auf die Beschränktheit des Konsums zu kaprizieren, sollte man – zwecks glaubwürdigerer Argumentation – Ausbeutung lieber daran festmachen, daß die Arbeiter für ihren Wohlstand so viel leisten müssen, daß aus dem Genuß nichts Gescheites mehr wird. Günstiger sei es auch, mit der Unsicherheit der Existenz zu argumentieren.
Unbestreitbar werden diese beiden Momente des Arbeiterdaseins vom Publikum eher als „problematische“ Erscheinungsweisen unserer Wirtschaftsweise akzeptiert. Es ist nämlich anständiger, sich darüber zu beklagen, daß man vor lauter Schaffen zu nichts mehr kommt und daß man sich um seine Zukunft sorgt, als den Standpunkt zu beziehen, man wolle was vom gesellschaftlichen Reichtum haben und nicht davon ausgeschlossen sein. – Nur: soll man wegen der Glaubwürdigkeit auf Klarheit verzichten?
Der Sache nach ist die aufgemachte Trennung von: Lohn = ok und Leistung = unmenschlich – ohnehin nicht übermäßig glaubwürdig. Das wäre ja auch zu seltsam, daß die Quelle des Einkommens zwar nichts taugt, ihr Ertrag aber durchaus ansehnlich sein soll. Lohn ist nichts anderes als das Verhältnis: Geldsumme pro Leistung. Beide Momente gehören zusammen und unterliegen als solche auch der Kalkulation des Kapitals.
3.
Die Überlegung, wie man möglichst glaubwürdig das Elend der Ausbeutung belegen kann, geht an der Intention des Artikels vorbei. Er will ja gar kein erschütterndes Sittengemälde von der Lage der arbeitenden Klasse entwerfen, sondern erklären, was es mit der Einkommensquelle v in der kapitalistischen Gesellschaft auf sich hat. Dabei wird zunächst einmal festgehalten, daß Lohnarbeit dazu da ist, Kapital – abstrakten Reichtum – zu vermehren. Für dessen Akkumulation ist die Arbeit, die konkrete Gebrauchswerte herstellt, nur Mittel, an Geld heranzukommen, und sind die Bedürfnisse nur interessant als Zahlungsfähigkeit. Der Lohn hat zum durch die Arbeit produzierten Reichtum nur einen Bezug, er ist eine Bedingung dafür, daß der Reichtum zustandekommt, er ist für das Kapital notwendige Kost. Wie hoch die ausfällt, hat an dem geschaffenen Reichtum überhaupt kein Maß, sondern bestimmt sich lediglich danach, für wieviel Geld die Arbeitskraft zu haben ist. Es ist darum sehr sachfremd, Gerechtigkeitsfragen nach dem Muster aufzuwerfen: Wer hat was geschaffen, und was steht darum wem eigentlich zu?
4.
Dabei sind die Lohnarbeiter mangels Alternativen bei der Besorgung ihres Lebensunterhalts ziemlich erpreßbar. Was zur Folge hat, daß der Lohn bestenfalls dazu reicht, sich das kaufen zu können, was zum Bereich der „notwendigen Bedürfnisse“ des Lohnarbeiters gehört. Daß das zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern unterschiedlich viel ist, veranlaßte Marx dazu, beim Wert der Arbeitskraft von einem „historischen und moralischen Element“ zu sprechen.
Weder Marx noch wir haben behauptet, daß „die zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel“ mit dem Existenzminimum gleichzusetzen sind. Wenn schon, dann sehen das die Kapitalisten so. Sie bemühen sich nach Kräften, zwecks Senkung ihrer Kosten diese Gleichsetzung praktisch herzustellen. Ihr Argument für die Streichung bisheriger Lohnbestandteile lautet allemal: Das braucht’s nicht; es geht auch ohne; Luxus, den wir uns nicht leisten dürfen. Daß die Löhne in Südostasien niedriger sind als hier, wird den arbeitenden Staatsbürgern derzeit täglich unter die Nase gerieben, als Begleitmusik zur konzertierten Lohnsenkung, die Kapital, Gewerkschaften und Staat durchziehen.
Für manche Leute sind solche Lohndifferenzen kein Beweis für die Gesetze der Ausbeutung und ihre Spielräume, sondern der Beleg für einen flotten Lebensstandard und seine Quellen in einem nicht ganz so hohen Anderswo.
5.
Der Gedanke, daß „die erfolgreiche Benutzung der Welt durch das deutsche Kapital“ die Grundlage für das flotte Leben deutscher Proleten abgibt, hat – s.o. Engels – Tradition. Lenin hat ihn zu der Bestechungstheorie weiterentwickelt, womit erklärt sein sollte, warum die Proleten in den imperialistischen Ländern keine Revolution machen.
Aber worauf will der Leserbrief hinaus? Soll der deutsche Lohnempfänger sich eigentlich ein schlechtes Gewissen machen, weil er durch die „Ausbeutung der Länder der Dritten Welt durch das deutsche Kapital“ zu seiner „relativen Freiheit im Konsumbereich“ kommt, oder soll er wenigstens aufhören, sich über die Höhe seines Lohns zu beklagen?
Unseres Erachtens sollte er lieber einfach zur Kenntnis nehmen, warum der handgeknüpfte Perser im deutschen Warenhaus für 150,– DM pro Quadratmeter, das Pfund Kaffee inzwischen für 6,– DM zu haben ist. Nämlich weil das Kapital (und nicht er/wir Deutschen) eben die Macht hat, die Arbeiter dort zu erpressen und zu Hungerlöhnen auszubeuten.
Die Wirkung für die hiesigen Arbeiterhaushalte ist die, daß gewisse Dinge des täglichen Bedarfs billiger, vielleicht sogar überhaupt erst erschwinglich werden. Andererseits macht sich das Kapital die Verbilligung der Lebensmittel durch die Produkte der Dritten Welt so zunutze, daß es hier seit Jahren mit Erfolg die Löhne drückt. Und während der Kauf gewisser Güter das Portemonnaie des Lohnarbeiters inzwischen weniger belastet, schlagen andere Posten – wie z.B. Mieten – um so mehr rein.
Fürs Kapital sieht der Nutzen der „Ausbeutung der Dritten Welt“ ein wenig anders aus. Direkte Wirkung: Sie kommen billig an Waren heran, die sie mit Profit hier verscheuern können. Indirekte Wirkung: Wenn die Reproduktionskosten der Arbeitskraft sinken, spart das Kapital Lohnkosten und steigert seinen Gewinn.
Der deutsche Arbeiter steht also zu den Hungerleidern in der 3. Welt bloß in einem praktischen Verhältnis: über Handelskapital und Warenbörse.
6.
Die Problematisierung des „objektiven Maßstabs für Armut, der geschaffene Reichtum, von dem die Lohnarbeiter, die ihn schaffen, ausgeschlossen sind“, durch den Verweis auf „die Benutzung der Welt“, aus der die Rohstoffe und Vorprodukte stammen, lebt von einer gängigen falschen Vorstellung über die „Ausbeutung der Dritten Welt“. Es ist nämlich keineswegs so, daß die Verkäufer der Rohstoffe und Vorprodukte um den Wert ihrer Waren geprellt, die Proleten in den anderen Ländern unter Wert bezahlt würden und die ungeheure Akkumulation von Reichtum hier das Resultat von diesem Beschiß wäre. Selbst wenn sich mit Schaubildern belegen läßt, daß ein durchschnittlicher Traktor früher für 100 Sack Kaffee, heute für 300 zu haben ist, ist nicht Ungerechtigkeit eingerissen, sondern hat das Wertgesetz gewirkt. Es geht den Produzenten in der 3. Welt nicht viel anders als dem Leineweber des 19. Jahrhunderts aus Marx’ Kapital Bd.1, dem die Erfindung des mechanischen Webstuhls die Lebensqualität versaute. Enorm viel Arbeitszeit, die in der 3. Welt geleistet wird, schafft eben weniger Wert als die Arbeitsstunde in einer modernen Fabrik, obwohl sie für eine satte Portion Mehrwert auf dem Konto der Plantagenbesitzer gut ist. Die Rohstoffe und Vorprodukte, die das Kapital dort einkauft, haben keinen anderen Wert, als den Preis, den der Kapitalist dafür zahlt. Sie fungieren als konstantes Kapital, das – auch wenn es ganz wenig kostet – im Produktwert bloß unverändert wiedererscheint.
Die Vorstellung vom vorenthaltenen „eigentlichen“ Wert verharmlost den Imperialismus, die weltweite Geltung des Wertgesetzes. Da kriegt keiner „zu wenig“ – wie Moralisten mitleidheischend bei Kapitalisten und demokratischen Politikern meinen einklagen zu müssen – sondern genau den Wert: Das, was der Umstand, Mittel von Kapital zu sein, in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt ergibt.
7.
Warum soll man schließlich die Differenz zwischen der Lage der Lohnarbeiter und der „der wirklich Armen in diesem Lande“ betonen? Es ist doch ein dicker Widerspruch zu sagen: Gekündigte, verrentete, invalide etc. Proleten haben ein wirklich beschissenes Leben, andererseits: Von Lohnarbeit in Deutschland läßt sich gut leben. Lohnarbeit schließt nun mal „Arbeitsplatzbesitzen“ wie Rausgeschmissenwerden ein.
Die SPD- und Gewerkschaftsphrase von der „Zwei-Drittel-Gesellschaft“ ist weder eine korrekte Beschreibung der Lage der arbeitenden Klasse, noch eine unzulängliche Erklärung, sondern eine Ideologie: Sie erklärt das vorhandene Elend zu einem Skandal, der eigentlich zu unserer schönen Gesellschaft nicht paßt.
Marxisten jedenfalls unterscheiden sich von den Sozis und der Caritas dadurch, daß sie den Normalfall kritisieren, statt die Pauper in den Status der Ausnahme zu erheben.