Die Leistung der deutschen Gewerkschaft in Kriegszeiten
Friedensstiftung an der Heimatfront

Unter dem Titel „Krieg sofort beenden! Waffenstillstand jetzt!“, unter dem Logo einer Friedenstaube und in gleich fünf Sprachen veröffentlicht der DGB-Bundesausschuss eine Woche nach Kriegsbeginn eine Resolution zum Krieg in der Ukraine.

So weit, so normal für die BRD 2022. Noch eine Ermunterung an die Regierung, den Krieg zu beenden und den Frieden einkehren zu lassen, indem sie genau den militärischen und diplomatischen Kurs fährt, auf den sie die Nation längst eingeschworen hat. Bemerkenswert ist diese Loyalitätserklärung insofern, als sich hier immerhin Gewerkschaften zu Wort melden, die sich als Teil einer „internationalen Gewerkschaftsbewegung“ verstehen, zu deren Ethos der Einspruch gegen Krieg gehört, und die – zwar in denkbar höflicher Zurückhaltung, aber immerhin explizit – daran erinnern, was ihre Klientel im Krieg überhaupt ist: „Hauptleidtragende“ eben.

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Die Leistung der deutschen Gewerkschaft in Kriegszeiten
Friedensstiftung an der Heimatfront

Der DGB verkündet das proletarische Einverständnis mit der Zeitenwende

Unter dem Titel Krieg sofort beenden! Waffenstillstand jetzt!, unter dem Logo einer Friedenstaube und in gleich fünf Sprachen veröffentlicht der DGB-Bundesausschuss eine Woche nach Kriegsbeginn eine Resolution zum Krieg in der Ukraine:

„Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften verurteilen die kriegerische Aggression Russlands auf die Ukraine auf das Schärfste. Dieser Krieg stellt einen beispiellosen Angriff auf die europäische Friedensordnung dar, die auf Freiheit, Menschenrechten, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit basiert. Seine Hauptleidtragenden sind die Zivilbevölkerung und viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer... Wir fordern die russische Regierung auf, die Kämpfe umgehend zu beenden, einem sofortigen Waffenstillstand zuzustimmen, um jede weitere Eskalation der Situation zu verhindern, und die territoriale Integrität der Ukraine durch den Rückzug ihrer Truppen wiederherzustellen... Die letzten Tage lehren uns, dass ein freiwilliges Einlenken des Regimes in Russland nicht erkennbar ist. Deshalb befürworten der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften die scharfen wirtschaftlichen Sanktionen, die von der Bundesregierung, der Europäischen Union und den westlichen Bündnispartnern gegen Russland verhängt worden sind... Die Bundesregierung hat zu Recht verteidigungspolitisch schnell auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert... Es gilt, auch weiterhin gleichfalls an zivilen Strategien der Friedenssicherung und Konfliktverhütung zu arbeiten.“

So weit, so normal für die BRD 2022. Noch eine Ermunterung an die Regierung, den Krieg zu beenden und den Frieden einkehren zu lassen, indem sie genau den militärischen und diplomatischen Kurs fährt, auf den sie die Nation längst eingeschworen hat. Bemerkenswert ist diese Loyalitätserklärung insofern, als sich hier immerhin Gewerkschaften zu Wort melden, die sich als Teil einer internationalen Gewerkschaftsbewegung verstehen, zu deren Ethos der Einspruch gegen Krieg gehört, und die – zwar in denkbar höflicher Zurückhaltung, aber immerhin explizit – daran erinnern, was ihre Klientel im Krieg überhaupt ist: Hauptleidtragende eben. Nicht explizit gemacht wird freilich der Grund, warum sie das sind: Im Krieg werden Lohnarbeiter hauptberuflich als Volk in Anspruch genommen, als Manövriermasse ihrer jeweiligen Staatsgewalt in deren gewaltträchtigen Händeln mit ihresgleichen. Erst recht nicht explizit gemacht wird das, was die leidtragenden Arbeitnehmer – wenn auch immer seltener – als Gewerkschaftsmitglieder sind: immerhin so etwas wie eine gesellschaftliche Macht, die gelegentlich sogar damit angibt, was sie alles sofort beenden kann, wenn sie es darauf anlegt. Die Erinnerung an diese Störungspotenz der gewerkschaftlich organisierten Hauptleidtragenden mag hier gänzlich unpassend erscheinen. Aber nur deswegen, weil deutschen Gewerkschaften der Fehler aller anderen Patrioten dummerweise so geläufig ist, dass die Opfer des Kriegs die Parteinahme im Krieg erzwingen – für die eigene Seite natürlich, die man gar nicht anders kennen will als in Gestalt der höchsten und schönsten Güter, in deren Dienst die eigene Herrschaft laut Selbstauskunft sowieso immer steht, und gegen die andere Seite, über deren Angriff damit schon alles gesagt ist. Angesichts der Güte dieser Höchstwerte kommt auch dem DGB das Wort ‚Krieg‘ gänzlich unpassend vor, sofern es um die Kriegsmaßnahmen der eigenen Seite geht: eine verteidigungspolitische Reaktion, die der DGB auch noch dafür lobt, eine notwendige Strategie der Friedenssicherung neben den zivilen zu sein, die die Regierung dankenswerterweise auch schon verfolgt.

Auf ein solches Plazet seitens des DGB hat die Bundesregierung gewiss nicht gewartet. Aber sie hat in ihm, immerhin der einzigen real existierenden Vertretungsinstanz der arbeitenden Hauptleidtragenden, gerade mit seiner Friedensliebe einen idealen Kronzeugen dafür, dass die Kosten und die Opfer, die bei der Kriegsbeteiligung daheim wie auswärts – nicht nur unter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – anfallen, notwendig und gerechtfertigt sind, eben aufs Konto der unnachgiebigen anderen Seite gehen. Und auch für diese Kosten pflegt der DGB eine vornehm zurückhaltende Formulierung: Die nachteiligen Folgen dieser Sanktionen werden auch an uns selbst nicht spurlos vorübergehen.

Ein Freibrief soll das freilich nicht sein:

„Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften halten daran fest, dass die militärische Friedenssicherung nicht zulasten des sozialen Friedens erkauft werden darf.“

Da ist sie wieder, die versammelte Macht der deutschen Arbeiterschaft.

„Die dauerhafte Aufstockung des Rüstungshaushalts zur Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO wird vom DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften weiterhin kritisch beurteilt. Die dringend erforderlichen Zukunftsinvestitionen in die sozial-ökologische Transformation und in die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates müssen sichergestellt bleiben.“

Dafür ist sie offenbar gut, die Arbeitermacht – nicht nur für ein nachträgliches Lob an die Regierung, sondern auch für zukunftsweisende Ansprüche. Die deutschen Gewerkschaften fordern einen Preis für den Preis, den der Krieg ihrer Klientel abverlangt: Die Regierung, deren Kriegsmaßnahmen sie zur Friedenssicherung erklären, soll vor lauter guten Taten nach außen ihre guten Werke daheim nicht vergessen. Das ist freilich nicht nur eine Forderung an die kriegführende Regierung. Die Gewerkschaft leistet ihren eigenen Beitrag zum Gelingen.

Chemie und Stahl – zwei Tarifrunden, eine Leistung: Sicherheit fürs Geschäft

Angesichts einer Inflationsrate von damals bereits über 5 % und sprudelnder Gewinne der Chemie-Unternehmen war die IG BCE Anfang Februar mit der Forderung nach einer nachhaltigen Stärkung der Kaufkraft in die Tarifrunde gestartet:

„Wir werden bei der prozentualen Erhöhung in eine Dimension kommen, wie wir sie in den vergangenen Jahren nicht erlebt haben.“ (Verhandlungsführer Sikorski)

Was immer daraus geworden wäre, der Krieg kommt dazwischen. Der Tarifpartner buchstabiert der Gewerkschaft vor, was das heißt:

„So wie sich die IG BCE das vor dem 24. Februar vorgestellt hat, werden wir die Tarifrunde unter den neuen Umständen schlicht nicht führen können... Angesichts der extrem unsicheren Gesamtlage stellt sich vielmehr die Frage, ob wir derzeit überhaupt eine wirksame Entgelterhöhung vereinbaren können.“ (BAVC-Verhandlungsführer Oberschulte)

Die Chemie-Arbeitgeber begutachten das Kriegsgeschehen und die Szenarien seiner Fortentwicklung auf eingetretene oder jedenfalls mögliche Wirkungen auf ihr Geschäft – angefangen mit der Frage, ob sie demnächst überhaupt noch ausreichend Zugang zu Energie für ihre Produktionsprozesse haben werden, über das Problem potentiell wegbrechender Märkte bis hin zum Szenario der Lieferkettenstörung wegen des Ausfalls ukrainischer LKW-Fahrer –, um aus lauter Unsicherheitsfaktoren einen geradlinig-sicheren „Schluss“ auf den Lohn zu ziehen: Alle Widrigkeiten, seien sie noch so extraordinär und disparat, sprechen für die reibungslose und billige Verfügung der Unternehmen über den Faktor Arbeit in den deutschen Chemiefabriken. Dafür ist es in Krisen immer besser, miteinander zu reden als nicht miteinander zu reden; einen anderen Gegenstand, darauf bestehen die Arbeitgeber, kann die Tarifrunde nicht haben. Schon gar nicht die eingangs von der Gewerkschaft ins Feld geführte Kompensation der Verarmung der Arbeitnehmer durch Chemie- und andere Unternehmen, die mit den verlangten Preisen nach Kräften ihre steigenden Einkaufspreise weiterreichen und ihre Gewinne steigern:

„Ein automatischer Teuerungsausgleich sei schlicht nicht machbar, stellt Oberschulte heraus. ‚Ich kann nicht einfach sagen, die Preise gehen hoch, also müssen die Entgelte entsprechend steigen oder sogar noch stärker.‘ Sämtliche Preissteigerungen träfen schließlich auch die Unternehmen – und die Chemieindustrie als Großkunden für Energie ganz besonders. Zum Beleg rechnet er vor, dass in Deutschland rund 15 % des gesamten Gasverbrauchs auf die Chemieindustrie entfallen. Sollten Gasimporte ausfallen, drohe Produktionsstillstand. Denn: ‚Käme es zu Engpässen, würde nicht als Erstes den Haushalten die Heizwärme abgestellt.‘ Geeignete Bedingungen für kräftige Tariferhöhungen seien das nicht. Doch selbst ohne die Gefahren einer sich weiter verschärfenden Wirtschaftskrise sehen die Chemie-Arbeitgeber keine Grundlage, Inflationsraten direkt in Lohnprozente umzumünzen: ‚Nicht alle Teile der aktuellen Inflationsentwicklung sind dauerhaft‘, betont Oberschulte. Während sich die Energie auch langfristig deutlich verteuern dürfte, seien Preissteigerungen aufgrund akuter Lieferkettenprobleme vorübergehender Natur. Die Folge für die Tarifpolitik: ‚Mit temporären Mehrbelastungen lässt sich keine Erhöhung der laufenden Entgelte begründen.‘ Diese wirke ja dauerhaft – und damit drohe den deutschen Unternehmen ein dauerhafter Nachteil im internationalen Wettbewerb... ‚Erst einmal geht es um die Frage, inwieweit es derzeit tarifpolitisch überhaupt etwas zu verteilen gibt.‘ Auch die Aussicht dauerhaft hoher Benzin- und Heizkosten für Verbraucher vergrößere in den Unternehmen ja nicht den Spielraum für Lohnerhöhungen.“ (FAZ, 8.3.22)

Einen Automatismus verwerfen, wo die Gewerkschaft einen höheren Preis der Arbeit fordert; die eigenen Einkaufspreise ebenso unvermittelt zum Einwand dagegen erheben wie das Privileg der Arbeitnehmer, im Zweifelsfall nicht erfrieren zu müssen, wenn das Gas knapp wird; temporäre Mehrbelastungen der Arbeitnehmer als Argument mit dem schlichten Hinweis auf das eigene Wettbewerbsinteresse zurückweisen, nur um gleich anschließend auch deren dauerhafte Belastungen daran zu blamieren, dass die – wie auch? – den Unternehmen nicht die Erträge einspielen, aus denen sie den Lohn bezahlen! Viele Varianten, eine Botschaft: Die Lebenshaltungskosten in den Lohn einzupreisen, ist einfach nicht drin. Warum das nicht drin ist, bringt der Chemie-Funktionär noch einmal in dankenswerter Klarheit auf den Punkt:

„Wenn die Unternehmen Probleme mit stark steigenden Energiekosten haben, ist es sicher keine Lösung, die Löhne im gleichen Tempo zu erhöhen.“

Die Lohnkosten, darauf besteht der Mann auch im Angesicht der Folgen des Wirtschaftskriegs gegen Russland, sind für die Lösung der Probleme der Unternehmen da. Im Umfeld einer unsicheren Gesamtlage im Allgemeinen und renditebedrohender Energiekosten im Besonderen hat der Faktor Arbeit nicht zuletzt mit seiner Billigkeit umso mehr für das herzuhalten, wofür er überhaupt gut ist: für die Rentabilität des gesamten Geschäfts.

Mit ihrem Anspruch auf die Sicherung des Geschäfts auf Kosten der Angestellten rennen die Arbeitgeber offene Türen ein:

„Seit dem 24. Februar, dem Angriff Russlands auf die Ukraine, ist alles anders: Der Krieg und seine Folgen lasten schwer auf den Tarifverhandlungen in der chemischen Industrie. Die Tarifpartner sind jetzt doppelt in der Verantwortung: Sie müssen eine Lösung finden, die der unsicheren ökonomischen Lage ebenso gerecht wird wie dem berechtigten Wunsch der Menschen nach Kaufkraftsteigerung. Die IG BCE hat deshalb eine Brückenlösung ins Spiel gebracht, um zunächst über die wirtschaftliche Krisenlage in Folge des Ukraine-Kriegs zu kommen.“ (IG BCE – Fragen und Antworten zur Tarifrunde)

Die IG BCE bleibt sich treu, wenn sie in schweren Zeiten ausdrücklich Verantwortung übernimmt. War ihre ursprüngliche Forderung durch den ausgezeichneten Geschäftsgang der Unternehmen gerechtfertigt, trägt sie nach derselben Logik jetzt eben der unsicheren ökonomischen Lage der Branche Rechnung. Das steht zwar anerkanntermaßen leider in unmittelbarem Gegensatz zum berechtigten Wunsch nach Kaufkraftsteigerung. Aber die IG BCE wäre nicht die IG BCE, hätte sie nicht einen Ausweg: Sie hievt ihren Tarifpartner über eine Brücke über das Tal der Unsicherheit. Man einigt sich auf Vertagung aller Lohnforderungen bis Oktober. Der Preis dafür: eine Einmalzahlung von 1400 € bzw. 1000 € in wirtschaftlich angeschlagenen Betrieben. Die Arbeitgeber erwerben ohne jeden Reibungsverlust die Sicherheit gleichbleibender Tarife, ohne sich ab Herbst auf etwas festzulegen. Und die IG BCE?

„Diese Zwischenlösung ist alles andere als unsere Wunschvorstellung. Aber sie gibt uns die nötige Atempause, um die geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der kommenden Monate abzuwarten und diese Tarifrunde auf Basis einer dann hoffentlich klareren Datenlage im Herbst fortzusetzen.“ (Verhandlungsführer Sikorski)

Die Gewerkschaft unterschreibt in dem Tauschgeschäft gleich mit, dass sie auch in Zukunft ihre Forderungen ganz von der Sicherheit des Geschäfts her stellen wird. Man darf gespannt sein, was im Oktober an Datenlage zum Geschäftsgang vorliegt, aus der dann haargenau die richtig dosierte Tarifforderung gefolgert wird.

Die Blaupause für die krisenbedingte Vertagung der Tarifrunde hat den Chemie-Kollegen 2020 die IG Metall anlässlich von Corona – der letzten großen solidarisch zu stemmenden Herausforderung für die Sicherstellung der Geschäfte – geliefert. 2022 steuert sie in der Stahltarifrunde auf den Beweis zu, dass sich die Kriegslage in Deutschland auch mit einer ganz regulären Tarifrunde gut bewältigen lässt.

In üblicher Manier rechnet sie der Gegenseite vor, dass die Stahlkonzerne nicht nur überhaupt bombig an der gewerkschaftlich verantwortungsvoll verwalteten Arbeit ihrer Beschäftigten verdienen, sondern aktuell von immer weiter steigenden Weltmarktpreisen für Stahlprodukte profitieren – in der Sache also deren Beitrag zu der Inflation, die nicht nur Stahlarbeiter ärmer macht. Auf jeden Fall vollständig gerechtfertigt, kann die IG Metall

„in der Stahl-Tarifrunde ordentlich mehr Geld für die rund 68 000 Beschäftigten der nordwestdeutschen Stahlindustrie verlangen. Ein Plus von 8,2 Prozent – so viel soll es sein, finden die Mitglieder der Tarifkommission... Wir haben in der Corona-Krise eine sehr verantwortliche Tarifpolitik betrieben... Diese Verantwortung erwarten wir jetzt auch von den Arbeitgebern. Die Beschäftigten brauchen soziale Sicherheit – und das heißt mehr Geld. Eine Einmalzahlung ... kommt für uns nicht in Frage.“ (Stahlnachrichten, April 2022)

In ebenso üblicher Manier geht die Gewerkschaft davon aus, dass ihre Rechtfertigung nichts gilt und Verantwortung von den Unternehmen nicht zu haben ist, ohne dass sie zumindest wortreich damit droht, auf alle Eskalationsstufen, ich betone alle (ein IGM-Bezirksleiter, ebd.) vorbereitet zu sein.

Das alles stellt die IG Metall – na klar – unter einen Generalvorbehalt:

„Klar ist aber auch: Die Tarifrunde findet unter außergewöhnlichen Umständen statt. Über allem schwebt der Krieg in der Ukraine, er sorgt für Verunsicherung auch in den Belegschaften... Sollte Putin den Gashahn abdrehen, dann werden wir dieser Situation gerecht und schützen Beschäftigte und Unternehmen.“ (Ebd.)

So kann die deutsche Politik weiter in Ruhe daran arbeiten, Putin den Gashahn abzudrehen. Sollte der dem Vorhaben zuvorkommen, steht die IG Metall bereit, die verunsicherten Belegschaften zu schützen, indem sie mittels des Universalspezifikums Lohnverzicht die Erträge der Unternehmen schützt. Was das für die Tarife dann im Einzelnen heißt, wird sich weisen. Klar ist aber jetzt schon:

„Eine Inflationsrate, die wegen des Kriegs explodiert, können wir nicht allein mit einer Tariferhöhung bewältigen... Daher fordert die IG Metall noch mehr Entlastung von der Politik.“ (Ebd.)

Krieg und Wirtschaftskrieg bedeuten Verarmung, das will die IG Metall ihrem Staat nicht vorwerfen. Sie nimmt sich dessen konstruktiv und mit Augenmaß an. Die kriegsbedingte Verschlechterung der Lage ihrer Leute will sie – aus Rücksicht auf ihre Arbeitgeber – nicht mit einer entsprechenden Tariferhöhung beantworten. Und mit der wirtschaftlichen Vernunft, die sie so beweist, wirbt sie beim Staat dafür, dass er seinen Teil der Verantwortung für die friedliche und geschäftsfördernde Bewältigung der sozialen Kriegsfolgen übernimmt und die bewährten Mittel sozialstaatlicher Abfederung konsequent zum Einsatz bringt.

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So oder so: Die beiden größten deutschen Gewerkschaften leisten ihren Beitrag zur reibungslosen Inanspruchnahme der Ökonomie als Waffe durch die Politik. Ihre im zivilen tarifpolitischen Normalfall erprobten Techniken, den Lohn für alle Fährnisse des Geschäfts passend zu machen, bewähren sich.

Interessenvertretung in Zeiten des Wirtschaftskriegs: Sanktionieren, aber richtig

Als Ende März die Rufe nach einem sofortigen und kompletten Energieembargo gegen Russland lauter werden und einige Ökonomen öffentlichkeitswirksam die Auswirkungen auch beim Gas für handhabbar erklären, wird im Gewerkschaftslager Protest laut. Der kulminiert in einer gemeinsamen Erklärung von DGB-Chef Hoffmann und BDA-Chef Dulger:

„Wir unterstützen die verhängten Sanktionen der deutschen Bundesregierung gegen Russland ausdrücklich. Es ist richtig, auf das System Putin neben militärischem auch wirtschaftlichen Druck auszuüben. Sanktionen müssen jedoch gezielt sein, die Gegenseite unter Druck setzen und möglichst Schaden von der eigenen Wirtschaft abhalten. Beim aktuell diskutierten Gas-Embargo sehen wir das nicht. Die negativen Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung wären momentan in Deutschland höher als die in Russland. Ein schnelles Gas-Embargo hätte in Deutschland Produktionsausfälle, Produktionsstillstand, eine weitere Deindustrialisierung und nachhaltige Arbeitsplatzverluste zur Folge.“

Klar, wofür sich der DGB mit der Seite zusammentut, deren Geschäftsrechnungen noch jede Auswirkung der Sanktionen bei seiner Klientel ankommen lassen: Entgegen den praxisfernen Modellrechnungen der Elfenbeinturm-Ökonomen befürchten die Gewerkschafter bei diesem Sanktionsschritt katastrophale Auswirkungen auf die Beschäftigung in Deutschland. Noch nicht einmal diesen Einspruch gibt es allerdings anders denn als immanente Sorge um den Effekt der extra noch einmal ausdrücklich unterstützten Sanktionspolitik. In deren Logik geht es denn auch weiter:

„Um die Ukraine weiter zu unterstützen und den Druck auf Russland aufrechtzuhalten, brauchen wir eine stabile Wirtschaft und einen stabilen Arbeitsmarkt. Die nächsten Monate werden wir noch viele Herausforderungen stemmen müssen. Das können wir nicht aus der Position der Schwäche heraus.“

Ausdrücklich steht also die Begrenzung der Folgen für die Beschäftigung im Dienst des höheren Zwecks, Russland niederzuringen. Wenn das nationale „Wir“ die Herausforderungen zu stemmen hat, die die Politik ihm gerade bereitet, muss es das auch können. Den deutschen Arbeitnehmern kommt dabei die Rolle zu, auf einem stabilen Arbeitsmarkt die Stärke der Nation zu erarbeiten, aus der heraus es sich unter Nationen am besten erpressen lässt. Was will man mehr? Ach ja, eine Politik, die konsequent das betreibt, was sie ohnehin längst tut, nämlich Deutschland schnellstmöglich aus der Abhängigkeit von russischen Energieträgern lösen, um dann endlich auch noch das Gasembargo ins Werk setzen zu können.

Wenn es um die näheren Details geht, tun sich die Industriegewerkschaften in der konstruktiven Begleitung des Sanktionsregimes besonders hervor. Ihre Experten überprüfen die im Gasnotfallplan vorgesehenen Priorisierungen im Fall von Versorgungsengpässen noch einmal eigenhändig genau auf Folgewirkungen und heben dabei Optimierungspotenzial: Baustahl ließe sich zur Not in China zukaufen, Spezialstähle und hoch spezialisierte Chemieprodukte wären hingegen kaum kurzfristig ersetzbar. Die Gewerkschafter behalten die industrielle Führerschaft deutscher Unternehmen als das Priorisierungskriterium im Auge, an dem die wirklich nachhaltigen Arbeitsplätze hängen. Und auch um die unvermeidlichen Schäden kümmern sie sich mit dem ihnen eigenen Klassenbewusstsein: Energieintensive Industrie braucht stabile Rahmenbedingungen – so überschreiben IG Metall, IG BCE und IG BAU ihr Positionspapier! Von Liquiditätshilfen und Industriestrom und Industriegas zu international wettbewerbsfähigen Preisen (Deckelung) über die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren bis zur – in bemerkenswerter Offenheit als Mittel der Unternehmen geforderten – Möglichkeit der Kurzarbeit bei Produktionsdrosselungen wegen zu hoher Energiekosten ist da an alles gedacht, was die Industrie fürs Geschäftemachen unter widrigen Bedingungen so braucht. Dass das der vornehmste Dienst an den abhängigen Dienstkräften ist, braucht das Papier erst gar nicht zu erwähnen.

Was die darüber hinaus brauchen, mahnt der DGB als Pflicht der Bundesregierung an, umgehend dafür zu sorgen, dass der erwartbare Anstieg der Energiepreise für die Verbraucherinnen und Verbraucher abgefedert wird. Dieser Schaden ist eben eine gewerkschaftlich mitbeschlossene und mitverantwortete Sache; den muss diese Klasse aushalten können.