Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Nach einer Serie von Wahlniederlagen veranstalten die Bündnisgrünen einen ,Krisenparteitag‘
Die regierenden Basisdemokraten ringen um Professionalität im demokratischen Glaubwürdigkeitsgeschäft

Grünenstar Joschka Fischer kennt sich aus und bringt die Devise „professionell werden“ und „regieren lernen“ unters grüne Parteivolk. Dazu gehört, das „Imageproblem“ zu lösen – jeder Verdacht von Miesmachertum muss ersetzt werden durch ein hoffnungsfrohes, jungdynamisches Erscheinungsbild.

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Nach einer Serie von Wahlniederlagen veranstalten die Bündnisgrünen einen ‚Krisenparteitag‘
Die regierenden Basisdemokraten ringen um Professionalität im demokratischen Glaubwürdigkeitsgeschäft

Auf ihrem Erfurter Parteitag, an sich als Auftakt zum Europawahlkampf gedacht, rufen die Bündnisgrünen die Krise aus. Was die Partei in helle Aufregung versetzt, ist nicht etwa die – späte – Einsicht, daß ihre urgrünen Anliegen in der Regierung so gut wie keine Rolle spielen, sondern die in den letzten Wahlkämpfen gewonnene Erfahrung, daß die Partei in der Gunst der Wähler eine immer geringere Rolle spielt, und daß ihre Teilhabe an der Regierungsmacht folglich keineswegs fest etabliert ist. Damit die Serie von Denkzetteln sich nicht fortsetzt und womöglich zur Existenzkrise der Partei führt, wollen sie klar und schnell denken und handeln (Gunda Röstel, FR, 22.2.). Die heftigen Auseinandersetzungen erinnern – rein äußerlich – an die alten Fehden zwischen Realos & Fundis; zur Debatte stehen jetzt allerdings nicht ‚fundamentale‘ oder ‚realistische‘ Politikalternativen, sondern die ganz methodische Frage, mit welcher neuen Gesamtstrategie unsere Partei wieder auf den grünen Zweig kommt. (ebd.) Die Deutung der Parteifarbe als Erfolgssymbol kennzeichnet das gemeinsame Anliegen der Auseinandersetzung: Die verloren gegangenen Prozente müssen zurückerobert werden.

„Unsere Wurzeln im Westen waren Umwelt und Frieden, im Osten die Bürgerrechtsbewegung … Aber wir müssen nüchtern feststellen: Dies alles reicht nicht mehr automatisch. Die klassischen Stärken in ihrer klassischen Vermittlungsform tragen uns offenbar immer weniger. … Wir werden von jungen Leuten nicht mehr wahrgenommen als die Partei der Kämpfe und der Kämpfer für die Zukunft, sondern als die Partei der alten Kämpfer, die sich für früher brennende Probleme weiter abarbeiten, obwohl andere Probleme auf der Tagesordnung stehen. … Wenn die zentralen Probleme heute Arbeit, Wirtschaft, Globalisierung, Ausbildung sind, dann müssen auch wir unser Hauptengagement dorthin wenden.“ (Gunda Röstel FR, 22.2.)

So erfährt man nebenbei, daß die alten grünen Markenzeichen von der Umwelt bis zum Frieden so ernst nie gemeint waren; als Mittel der Stimmenbeschaffung sollten sie dazu „reichen“, die grünen Kandidaten an die Schaltstellen der Macht zu „tragen“. Dort angekommen, empfehlen die neuen grünen Machthaber die alten grünen Wahlschlager mit dem Argument zur Ausmusterung, daß sie nicht mehr „automatisch“ dazu taugen, sie auf ihren Posten zu halten. Die in der demokratischen Konkurrenz so entscheidende Kategorie der Glaubwürdigkeit zeigt hier ihre Tücken: Einer Regierung mit basisdemokratischen und fundamentalkritischen Idealen ans Bein zu pissen und sich damit beim kritisch-alternativ gesonnenen Jungvolk einen guten Ruf und ein paar Prozent Stimmen zu verschaffen, ist eine Sache; eine ganz andere ist es, als gewählter und verantwortlicher Machthaber den Imperativen der demokratischen Staatsräson vor den kritischen Augen einer national gesonnenen Wählerschaft – und in der Hinsicht ist auch das grüne Wählerpotential alles andere als alternativ eingestellt – gerecht zu werden. Da stehen nun einmal „andere Probleme auf der Tagesordnung“. Der Antrag, das grüne „Hauptaugenmerk“ jetzt auf diese Probleme zu richten, verdankt sich dabei keineswegs der Überzeugung, daß man als Grüner dazu was Bedeutendes beizutragen hätte. Umgekehrt: Zu allen Themen, die gerade aktuell sind, soll etwas beigetragen werden, damit man etwas beigetragen hat; die Demonstration von Zuständigkeit für die großen nationalen Projekte, die sich offenbar von selbst auf die Agenda der Regierung gesetzt haben, soll einen Beitrag zu einer gelungenen Öffentlichkeitsarbeit der Partei leisten. Vertrauen gewinnt ein Politiker mit Regierungsverantwortung eben als kundiger Vollstrecker des als lauter ‚Sachzwänge‘ vorgegebenen nationalen Handlungsbedarfs und nicht als alternativer Besserwisser. Grünenstar Fischer kennt sich da aus und bringt schon längst die Devise

‚professionell werden‘ und ‚regieren lernen‘

unters grüne Parteivolk. Nach den jüngsten demokratischen „Denkzetteln“ macht nun auch die Partei endgültig den Übergang dazu, nur noch so zu denken und grünen Ballast abzuwerfen. Wenn der Parteitag angesichts des schleichenden Vertrauensverlusts (Rezzo Schlauch, Welt, 9.3.) nach den in Wahlstimmen übersetzbaren emotionalen Herzensanliegen der Bürger (Gunda Röstel, ebd.) forscht, kommt er zielsicher auf die altbewährte Grundformel des Nationalismus, nämlich auf den Anspruch der Bürger auf eine gescheite Regierung:

„Wir haben sehr kritische Wähler. Sie schauen sich jedenfalls die Regierenden und ihre Programme anders an. Sie schauen sich an, wie professionell die Mädels und Jungs sind. Können sie das eigentlich? Sitzen sie zu Recht in der Regierung? Vertrauen wir denen?“ (Joschka Fischer, Spiegel 9/99)

Mit seiner Frage, ob die Grünen das in den Augen der Wähler überhaupt können, gibt Fischer zu Protokoll, daß es auch für grüne Amtsträger keine Alternative für ein professionelles, d.h. an den Erfordernissen der Nation ausgerichtetes Regieren gibt. Das bringt die alten Basisdemokraten ins Fahrwasser der real existierenden Demokratie, die überhaupt keinen Bedarf an alternativen Denkern hat, sondern immer noch dazu da ist, unter dem alternativen Personal einen legitimen Sachwalter des längst feststehenden Nationalinteresses zu bestellen.

Also muß jedes mögliche Mißverständnis darüber ausgeräumt werden, die alten grünen Ideale könnten als Richtlinie für grüne Minister gemeint sein. Als Staatsmänner müssen die Parteigrößen jetzt was hermachen und nicht als alternative Protestler; wer beim Regieren immer noch so etwas ähnliches wie eine grüne Handschrift erkennen lassen will wie Umweltminister Trittin, gilt in der Öffentlichkeit als schwarzes Schaf des Kabinetts und ist in der Partei umstritten, weil an ihm der alte Stallgeruch hängt:

„Die Partei hat es nicht verstanden, das Image der Verzichtspartei abzulegen. … Sie kann sich nicht dazu aufraffen, jetzt schon wieder das Hüttendorf zu verlassen.“ (Gunda Röstel, ebd.)

Freilich – alles Grüne fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel, ist auch nicht opportun. Neben dem Beweis verläßlicher staatsmännischer Professionalität erfordert die politische Konkurrenz nämlich schon auch noch, sich dem Wahlvolk als anders als die anderen, eben als grün zu präsentieren. Einerseits muß klargestellt werden, daß die alten grünen Standards beim Regieren keine Rolle spielen, andererseits sind sie für die Selbstdarstellung der Partei als was ganz besonderes und wichtiges in der Parteienlandschaft so gut wie unverzichtbar. Die Lösung des Problems: Die nur dem Nationalinteresse verpflichtete Professionalität der Partei und ihre höheren Idealen zugetane grüne Wertewirtschaft müssen fein säuberlich auseinandergehalten werden. Wenn die praktische Politik so von jedem Verdacht der Ideologielastigkeit befreit ist, kann sich der Amtsträger seiner Wählerschaft als Charaktermaske in Grün empfehlen, der seine stinknormale Politik immer im Namen aller möglichen höheren Werte und Visionen mit grünem Copyright macht:

„Wir müssen die Professionalität einer Regierungspartei gleichzeitig mit der visionären Kraft einer programmatischen Reformpartei zusammenfügen.“ (Joschka Fischer, ebd.)

Und schon wird „zusammengefügt“, was das Zeug hält. Mit vereinten Kräften fragt man sich, wie aus der obsoleten „grünen Identität“ ein Erscheinungsbild zu verfertigen ist, das heutzutage möglichst viele Wahlkreuzchen verspricht, und thematisiert sich deswegen als ein einziges

Imageproblem

Selbstkritik ist angesagt, und die nimmt alte Polemiken aus dem konservativen Lager durchaus positiv auf. Wer vom Hüttendorf ins Ministerium umgezogen ist, muß Politik gestalten, muß den Leuten ein segensreiches Regieren versprechen und darf nicht überall herumstänkern. Das Bild der Technikfeindlichkeit (Gunda Röstel) wie überhaupt jeder Verdacht von Miesmachertum muß durch ein hoffnungsfrohes, jungdynamisches Erscheinungsbild ersetzt werden, ‚think positive‘ lautet die neue Devise:

„Die Grünen brauchen eine politisch-strategische Neuorientierung. Wir müssen vom Nein-Sagen wegkommen. Die politischen Ziele der Grünen müssen künftig von der positiven Seite her angefaßt werden. Ein Nein muß immer mit einer positiven Alternative verbunden werden.“ (Antje Radcke, Welt, 5.3.)

Für die erwünschte Anziehungskraft grünen Ja-Sagens reicht dies allerdings noch lange nicht: Das Positive macht sich noch viel positiver, wenn es mit der Attitüde von Begeisterung und Zuversicht an den Mann/die Frau gebracht wird. Wenn die Partei selber mit ganz viel demonstrativem Engagement an ihre Politik glaubt, bis das grinsende Ü des neuen Parteiemblems jedem Mitglied ins Gesicht geschrieben steht, dann müßte sie doch auch dem Rest der Nation glaubwürdig erscheinen:

„Wir müssen Schwung und Zukunftshoffnung ausstrahlen und Lust an der Politik. … Wenn die Menschen merken, daß wir an die Gestaltbarkeit der Zukunft glauben und diese mit Freude angehen, werden sie uns leichter ihr Vertrauen schenken.“ (Gunda Röstel, ebd.)

Wenn der Parteivordenker Fischer anmerkt, daß ausgerechnet auf diese Tour, die so gänzlich ohne Verstand auskommt, speziell die Intellektuellen hereinfallen müßten, dann äußert sich darin seine Vision über die wünschenswerte Natur des parteiinternen Geistes:

„Ich hasse den Begriff ‚Profil‘, das ist ein Marketing-Begriff. Dieses Denken ist in der Politik fehl am Platz. Glaubwürdigkeit ist das Entscheidende. Bin ich von einer Sache überzeugt? Brenne ich dafür? Dann werden wir auch den verlorenen Zugang zu intellektuellen Schichten wiederfinden, die wir so dringend brauchen.“ (Joschka Fischer, Spiegel, 9/99)

Klar, wenn das, was politisch Sache ist, eh schon ohne Alternative ist, dann sollten sich die wahlberechtigten Bürger darüber auch nicht groß den Kopf zerbrechen. In der Konkurrenz um Profil und Glaubwürdigkeit kommt also alles auf eine zugkräftige Ausstaffierung der Politikerpersönlichkeit an: auf den überzeugenden Gestus der tiefsten Überzeugtheit vom eigenen Wollen und Tun. Dafür muß man sich in die Wähler einfühlen; vor allem in diejenigen, auf die man sich bislang immer als Stimmenlieferanten verlassen konnte. So kommt die grüne „Jugendarbeit“ aufs Tapet:

„Wir müssen jetzt endlich auch wieder für Jugendliche attraktiv werden, mit Themen, die für sie interessant sind. Wenn wir diesen Themenwechsel jetzt nicht schaffen, wird es auch in Zukunft schwierig.“ (Kerstin Müller, Welt, 5.3.)

Themen wie Jugendarbeitslosigkeit, Ausbildung und so erscheinen von daher als vielversprechende Vehikel für die Partei, bei ihren untreuen Wählern wieder Popularität zurückzugewinnen. Anstelle von mühseligen sachlichen Ausführungen ist für eine gut gemachte Sympathiewerbung bei den Kids eher auf ein entsprechendes Styling Wert zu legen: Die Diagnose, daß „wir in der Vermittlung unserer Themen zu altbacken sind, um für die Jugend attraktiv zu sein“ (ebd.), ist gleichbedeutend mit dem Appell, sie mit ein paar coolen Sprüchen wieder anzulocken. Bei so einem rigorosen Willen zur Modernisierung bekommen die einstigen Alternativen schließlich – gerade auf dem Sektor ist die Konkurrenz ja unerbittlich – das Problem, sich von ihren Konkurrenten überhaupt noch zu unterscheiden und für die Wähler wiedererkennbar zu bleiben:

„Wir müssen sehr darauf achten, daß wir nicht zwischen den Showmodernisierern der SPD und den Scheinmodernisierern der PDS zerrieben werden.“ (Gunda Röstel, ebd.)

Gut für die Auffrischung des Erscheinungsbilds der zum großen Teil ergrauten Partei der 68iger und Nach-68iger (Kerstin Müller, ebd.) machen sich z.B. ein paar neue jugendliche Köpfe, wie sie in Hessen inzwischen auch schon als personeller Neuanfang nach der verheerenden Wahlniederlage (Rezzo Schlauch) in den Vorstand gewählt worden sind. Aber: „Eine Verjüngung der Parteirepräsentanten reicht bei weitem nicht. Wir müssen vor allem Zukunftsthemen anpacken.“ (Gunda Röstel, ebd.) Also müssen wegen eines gelungenen Erscheinungsbilds der Partei auch noch

neue Inhalte

in die grünen Recyclingpapierprospekte rein. Der Außenminister macht ja tagtäglich vor, wie man mit einer schöpferischen Anwendung der alten grünen Friedensmoral einem NATO-Krieg höhere Weihen verleihen kann. Warum also sollte sich der grüne Klassiker ‚Öko‘ nicht auch auf den Stand des Zeitgeists bringen lassen? Nötig hat er es jedenfalls: Fürs Profil bringt das Lamento über die sterbende Ozonschicht heute, wo dergleichen längst in den Kanon des staatlichen Handlungsbedarfs eingegangen ist und wo längst alle anderen Parteien auch damit hausieren, nicht mehr viel, und obendrein steht ‚Öko‘ im Verdacht der Wirtschaftsfeindlichkeit. Modern aufgepeppt macht das ‚Thema‘ aber die ganze Welt zu einem einzigen Reservoir von Grünen-Wählern:

„Wenn wir ‚grün‘ einmal nicht parteipolitisch definieren, sondern als ‚ökologisch nachhaltig‘, dann finden wir Grüne zuhauf in der Wirtschaft und in den Behörden. Und das auf allen Ebenen, von den Vorstandsetagen bis zu den Forschungsabteilungen … Wir sollten Ökologie als den entscheidenden Innovationsfaktor für unsere Wirtschaft herausstellen. …Sie war früher als ökonomische Bremse verschrieen, aber sie ist inzwischen zum ökonomischen Innovationsfaktor Nr. 1 geworden, auf dem es künftig riesige Exportchancen geben wird.“ (Gunda Röstel, ebd.)

Den geschickten Wurf, Ökonomie und Ökologie „zusammenzudenken“ und das Ideal eines qualitativen Wachstums, das einmal an die Stelle umweltzerstörender Profitmacherei treten sollte, in das Projekt der Profitmacherei auf dem zukunftssicher boomenden Markt für Umweltreparaturmaßnahmen zu übersetzen, hat die Partei längst hinter sich; aber das langt offenbar nicht. Also verzichtet sie gleich ganz auf den Schein, sie wollte Deutschlands Bürger von irgend etwas Umweltfreundlichem überzeugen und klopft ihren Adressaten mit dem Kompliment auf die Schulter, daß sie im Grunde genommen doch schon längst Grüne sind – also auch gefälligst grün wählen sollen. Nach demselben Muster müßten sich auch Offiziere als Pazifisten ansprechen und gewinnen lassen. …

Für diese Sorte Überzeugungsarbeit braucht es allerdings vor allem eins: eine straffe Organisation, die die Identität der Partei mit ihren erhofften Wählern leibhaftig – nämlich: geschlossen, einstimmig, ohne abweichende Zwischentöne, nach dem bewährten Muster der zentralistisch gelenkten demokratischen Akklamation – vorführt. Denn wie könnten die „neuen Inhalte“ überzeugen, wenn sie vom eigenen Haufen mit der alten grünen Streitkultur zerredet anstatt geschlossen hochgejubelt werden? Deswegen bekommt

die Organisationsfrage

auf dem Parteitag so große Bedeutung. Dem neuen Außenminister hat offenbar die Ausländer-Raus-Kampagne der Union so imponiert, daß er an ihrer Fähigkeit, Nationalisten aufzuhetzen, Maß nimmt. So etwas könnte er sich als heute passendes Parteileben gut vorstellen: Leute mit grün gefärbtem Nationalismus auf die Straße zu bringen – wo an sich die Opposition hingehört –, damit sie da aller Welt ihren Enthusiasmus für seinen Gebrauch der Staatsmacht bezeugen:

„Es darf sich nicht wiederholen, daß die CDU kampagnenfähiger ist als die Bündnisgrünen. … Die Organisationsfrage ist ausschließlich eine instrumentelle Frage. Funktioniert sie oder funktioniert sie nicht? Wir müssen uns endlich als Partei organisieren, mit einem oder einer Vorsitzenden statt Doppelspitze, mit einem Präsidium, einen Vorstand, mit Geschäftsführern. Sonst verlieren wir endgültig unsere Kampagnenfähigkeit“ (Joschka Fischer, ebd.)

Mit der scheinbar neutralen Forderung nach einer funktionstüchtigen Partei meint Fischer natürlich nicht das gute Funktionieren der alten grünen Streitkultur. Das, was da funktionieren soll, ist ganz nebenbei und unmißverständlich unterstellt: Das Parteifußvolk soll als verläßliches Instrument der Parteiführung funktionieren. So wird manches, was den alten Demokratieidealisten einmal hoch und heilig war, endlich vom Kopf auf die Füße gestellt: Als Auftraggeber ihrer Mandatsträger wollten sie einmal auf die Politik Einfluß nehmen – jetzt bekommen sie aus den Schaltstellen der Macht den Bescheid, daß sie sich als ganz normales Parteijubelvolk aufzuführen haben, damit „ihre“ Mandatsträger an der Macht bleiben.

„Die Krise bewältigt man nicht, indem man sich eine Parteistruktur leistet, die nicht belastungsfähig ist.“ (Joschka Fischer, ebd.)

Daß das ganze Gedöns mit Doppelspitze, Trennung von Amt und Mandat, Frauenquote und dgl. von einem Parteiverständnis herrührt, das man als regierungsbeteiligter Verein schlicht und einfach nicht mehr brauchen kann – verschiedene Strömungen waren einmal als bunte Mischung wahrer Demokraten, deren Anhängerschaft sich praktischerweise zur Größe der grünen Partei addierte, gern gesehen –, bestätigt ihm auch eine seiner Vorstandssprecherinnen:

„Die zweifache Besetzung von Führungsposten ist kräftezehrend und letztlich die Folge des Strömungsdenkens.“ (Gunda Röstel, ebd.)

Und daß das etwas mit Werten wie Demokratie oder Frauen zu tun hätte, wird heute locker als alte Masche der Partei ad acta gelegt: Die Strömungen sind Karrierevereine geworden. Das wissen eigentlich alle. Das müssen wir überwinden (Heide Rühle, SZ, 9.3.).

Überwunden werden sollen natürlich die für eine straffe Organisation dysfunktionalen Strömungen, nicht das parteieigene Karrierewesen; das hat noch keiner Partei geschadet.

Mehr als einen Einstieg in die Parteireform hat der Parteitag angesichts des teilweise erbitterten Widerstands dann doch nicht zustande gebracht. Der von der Parteiführung bestellte Ruck durch die Partei ist – diesmal noch – ausgeblieben. Von diesem Parteitag geht kein Signal des Aufbruchs aus. (Rezzo Schlauch, ebd.) Für die Demokratieprofis der Partei bleibt also noch einiges zu tun: Sie müssen ihr teils immer noch demokratieidealistisches Fußvolk sowie ihr in Quoten denkendes grünes Weibsvolk auf die Erfordernisse der demokratischen Konkurrenz einstellen. Wo sich die Partei aber schon mal auf diese Problemlage geeinigt hat, wird so ein Signal nicht lange auf sich warten lassen.