Die Konkurrenz der Kapitalisten: Kapitel II
§12 Das Dogma vom Wachstum als gutem Zweck allen Wirtschaftens und als Lösung aller Probleme, die es schafft
Ideologien über Nutzen und Notwendigkeit des Wachstums und seine mitunter nicht so schönen Konsequenzen – volkstümlich und wissenschaftlich (BWL/VWL).
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Die Konkurrenz der Kapitalisten
Kapitel II
§ 12 Das Dogma vom Wachstum als gutem Zweck allen Wirtschaftens und als Lösung aller Probleme, die es schafft
Dass Unternehmen in der Marktwirtschaft betrieben werden mit dem Ziel und unter dem Ausschlusskriterium zunehmender Bereicherung ihrer Eigentümer, das ist niemandem ein Geheimnis. Dass also das Privatinteresse einer sehr kleinen Minderheit, das deren Mitglieder in Konkurrenz gegeneinander verfolgen, den Reproduktionsprozess der Gesellschaft insgesamt beherrscht und allen anderen Interessen ihre Erfolgsbedingungen vorgibt, gilt dennoch nicht als Wahrheit über das zeitgenössische Wirtschaftsleben. Dessen eigentlicher Zweck und wahrer Nutzen wird vielmehr, von den Instanzen des Gemeinwohls wie von „der Allgemeinheit“, an einer Gesamtsumme aller ökonomischen Aktivitäten festgemacht, die die amtliche Statistik aus den in Geld bezifferten „Gütern und Dienstleistungen“, die im Land geschaffen und verbraucht werden, als das „Bruttosozialprodukt“, komplementär aus den wie auch immer verdienten Geldeinkommen des Volkes als „Volkseinkommen“ errechnet; einer Größe, die auch der angepasste Menschenverstand unter dem Kürzel „BSP“ in seine Vorstellungswelt einzubauen pflegt – und die sich auf jeden Fall dadurch auszeichnet, dass von jeder näheren Bestimmung der Einnahmequellen und der entsprechenden privaten Interessen der Akteure vollständig abgesehen wird. Die so abstrakt gefasste Wirtschaftsleistung der Nation wird mit der gleichen Selbstverständlichkeit an einem Erfolgsmaßstab gemessen, der der durchaus klassenspezifischen Zielsetzung der kapitalistischen Unternehmer entstammt, freilich ohne deren banalen wirklichen Inhalt, vielmehr verallgemeinert zu einer ihrerseits ganz abstrakten Gesamtgröße: Maßgebliches Erfolgskriterium ist die Frage: Wächst „die Wirtschaft“ oder wächst sie nicht, schrumpft sie womöglich – letzteres das größte anzunehmende Unglück, für das das Stichwort „Minus-Wachstum“ erfunden worden ist. Diskutiert werden alle möglichen Parameter zur angemessenen Messung und Würdigung des Wachstums, die vom schlichten Ursprung der beschworenen Notwendigkeit, dem Unternehmerinteresse an kapitalistischer Bereicherung, weggehen. Manche wünschen sich „das Wachstum“ „qualitativ“, auch „nachhaltig“ sollte es sein. Doch wie auch immer: Entscheidend ist erst einmal die von Staats wegen ermittelte und bekannt gemachte Summe bzw. ihre Veränderung; wenn es mit der nicht aufwärts geht, geht „es“ abwärts, und das ist auf alle Fälle schlecht. Wie schlecht, und als wie gut die festgestellten Wachstumsprozente zu bewerten sind, das ist so strittig, wie es sich für eine freie pluralistische Meinungsbildung gehört. Feste Basis allen Meinungsstreits ist jedoch das fraglose Einverständnis, dass jedenfalls ohne Wachstum „die Wirtschaft schwächelt“ und dass, wenn die Schwäche anhält, das ganze Land tendenziell zugrunde geht.
I. „Das Wachstum“ – volkstümlich betrachtet
1. Wachstum ist fein, denn es mehrt alles, was man so braucht
Der Urteilsmaßstab ‚Wachstum‘ braucht keine Begründung; seine Geltung ist von keinem noch höheren Warum und Wozu abhängig. Das schließt nicht aus, sondern ein, dass dabei zwar an eine Summe, einen Geldbetrag gedacht ist, dessen ungeachtet aber – schließlich wird das Wachstum eines „Produkts“ beziffert, dem sogar das Attribut „sozial“ anhängt! – vor allem an all die notwendigen, nützlichen, angenehmen Dinge zu denken ist – gedacht werden darf und soll –, von denen ein jeder und die ganze Gesellschaft leben: Nichts plausibler, als dass die Vermehrung schöner Sachen selber eine feine Sache ist. Gar nicht plausibel ist bei näherer Betrachtung freilich, dass aus dem Bedürfnis nach und der Freude an brauchbaren Gütern der von jedem wirklichen Bedarf getrennte Imperativ des „immer mehr!“, das Wachstum von Produktion und Güterbergen als selbstverständliche Forderung folgen könnte. Jeder wirkliche materielle Bedarf kennt ein „genug“; bei den Dingen zur Sättigung realer Bedürfnisse gibt es ein „zu viel“ ebenso wie ein „zu wenig“ – wovon nicht erst das Übermaß an Autos in den Städten dieser Welt, sondern schon die Körperfülle ganz vieler ihrer Insassen zeugt... Und jenseits aller Beispiele für Überfluss und Mangel gilt: Der Nutzen nützlicher Güter ebenso wie die Vielfalt der damit bedienten Interessen sind eine qualitative Angelegenheit und mit der Abstraktion auf eine pure Quantitätsfrage nicht zu fassen.
Oder eben doch, weil es, sobald unter den herrschenden ökonomischen Verhältnissen von Nutzen und Bedürfnisbefriedigung die Rede ist, gar nicht um Bedürfnisse und die Mittel ihrer Befriedigung in irgendeinem konkreten materiellen Sinn geht, sondern um die tatsächlich rein quantitativ bestimmte Macht, Bedürfnissen welcher Art und welchen qualitativen Inhalts auch immer Mittel ihrer Befriedigung zu verschaffen. Unter dem Regime des Geldes entscheidet über jeglichen Bedarf und seine Deckung das eine abstrakte Kriterium: die Quantität der finanziellen Mittel, die den Zugriff auf Nützliches jeder Art eröffnen, dafür aber in ausreichender Menge vorhanden sein müssen. Jedem Eingeborenen der Marktwirtschaft steht ganz unmittelbar das Geld als erster unentbehrlicher Bedarfsartikel vor Augen. Ohne schiebt sich gar nichts; in Gestalt des zu zahlenden Preises trennt es das bedürftige Subjekt pauschal von allem, was es braucht und sich wünscht. Mit Geld tritt der Mensch umgekehrt in ein allein quantitativ beschränktes Verhältnis zur Vielfalt der Güter, die die moderne Welt zu bieten hat; das ist die andere, die positive Seite des Geldes und der täglich erfahrenen Abhängigkeit aller Bedürfnisse von der verfügbaren Summe.
Für den erfahrenen Konsumenten folgt daraus einerseits die ganz selbstverständliche Gleichung von materiellem Nutzen und Geld, mit der eben die Abstraktion von den qualitativen Inhalten der verschiedenen Bedürfnisse vollzogen ist, wie sie im Imperativ „Wachstum“ unterstellt ist. Eben dieser Imperativ unterstellt andererseits zugleich eine fundamentale Ungleichung, die den Eingeborenen der Marktwirtschaft ebenso selbstverständlich ist: Von dem Bedarfsartikel Nummer eins gibt es, wenn dessen Vermehrung eine so fraglose Notwendigkeit ist, ganz prinzipiell zu wenig. Als Geldmangel, eben als Quantitätsproblem, kommt der Widerspruch zu Bewusstsein, der durch die positive Seite des Geldes, die darin verfügbare Zugriffsmacht, ja nicht außer, sondern in Kraft gesetzt ist: der Widerspruch zwischen der Vielfalt möglicher Genüsse und der diesen ganz äußerlichen Grenze ihrer erreichbaren Verwirklichung. Beschränkt ist das bedürftige Subjekt ja nicht auf das Maß, das seinen Bedürfnissen ihrer Qualität nach eigen ist – das wäre gar keine Einschränkung, würde auch nicht als Mangel empfunden –, sondern auf das Maß, in dem die verfügbare Geldsumme seinen generellen Ausschluss von allem, worauf sein Interesse sich richtet und richten kann, durchlöchert. Daraus erwächst ihm die lebenslange Aufgabe, sich seine Bedürfnisse und deren Befriedigung nach Maßgabe seiner finanziellen Möglichkeiten einzuteilen. Diese Notwendigkeit begründet das allgemeine Generalbedürfnis nach – immer – mehr Geld. In diesem Sinn ist der Imperativ „Wachstum“ fürs an Marktwirtschaft gewöhnte Individuum gleichbedeutend mit dem Versprechen, den Geldmangel zu überwinden oder jedenfalls zu mindern, als welcher der Widerspruch wahrgenommen wird, der zwischen der in die Möglichkeitsform versetzten Bedürfnislage der Menschen und der Chance, sich der tatsächlich vorhandenen Bedarfsartikel zu bedienen, besteht. Dass dieser Widerspruch durch das wirkliche Wachstum nicht aufgehoben, sondern reproduziert und stets von neuem als Geldmangel bewusst wird, sichert dem Imperativ „Wachstum“ seine Popularität und unbegrenzte Haltbarkeit.
Dabei ist klar, dass der immer neu zu überwindende Geldmangel für die verschiedenen Akteure der Marktwirtschaft nicht bloß ein höchst unterschiedliches Maß, sondern eine ganz unterschiedliche und sogar gegensätzliche Bedeutung hat. Die quantitativen Unterschiede in Einkommen und Vermögen sind bekanntermaßen so groß, dass sie die Qualität der Lebensführung bestimmen. Zur allgemeinen Lebenserfahrung gehört aber vor allem auch, dass diese Unterschiede, jenseits aller persönlichen Zufälligkeiten wie Erbschaften oder anderen Schicksalsschlägen, in der Hauptsache die Konsequenz aus den jeweiligen Erwerbsquellen sind: Die Mehrheit teilt sich mit ihrem Geld ihren Lebensunterhalt und sonst gar nichts ein; mehr als diese Notwendigkeit gibt ihre Art des Geldverdienens einfach nicht her. Die Minderheit, die in ihrer Gesamtheit „die Wirtschaft“ heißt, verteilt ihren Reichtum erst einmal auf das Geschäft, dem er entstammt und das als Quelle ihres Verdienstes und Vermögens wachsen soll und muss, gönnt sich dann, was sie nötig findet. Und auch das ist eine eher banale Erfahrungstatsache, dass dieser Unterschied in den Erwerbsquellen einen Interessengegensatz enthält, der aus der ökonomischen Identität der vermögenden und der schlechtergestellten Leute folgt: In ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber zahlen die Geschäftsleute Löhne; die verbuchen und behandeln sie als Unkosten, die das Betriebsergebnis schmälern und dessen Zweck, für das Wachstum ihres Vermögens zu sorgen, beeinträchtigen; entsprechend sparsam teilen sie ihren Arbeitnehmern die Geldsumme zu, mit der die dann auskommen müssen.
Dieser Gegensatz schwindet in der Wahrnehmung der Parteien jedoch dahin, wenn die sich im Sinne der Verheißung einer allgemeinen Besserstellung, die in der Forderung nach Wachstum liegt, von Geldbesitzer zu Geldbesitzer darüber einig werden, dass mehr Geld für sie alle nützlich und wünschenswert wäre. Was im Lichte dieser prinzipiellen Einigkeit vom Widerstreit zwischen der Verrichtung von Arbeit für Geld und dem wachstumsdienlichen Gebrauch bezahlter Arbeit durchs Unternehmen übrig bleibt, ist nicht mehr als ein Verteilungsproblem; und auch in seiner polemischen Fassung, für die sich die Vorstellung von einer „Schere“, die im schlimmsten Fall immer weiter aufgeht, eingebürgert hat, reduziert dieses Problembewusstsein den ökonomischen Gegensatz auf einen bloß quantitativen Unterschied im Anteil, den der jeweilige private Verdienst – die „Entnahme“ von Gewinn und die Lohnsumme – am Umsatz des Unternehmens ausmacht. Die Reflexion auf die Mittel, mit denen das irgendwie allen gemeinsame Ziel „Wachstum“ zu erreichen ist, führt deswegen auch nicht auf den wirklichen Gegensatz zwischen Arbeit und ihrem kapitalistischen Gebrauch zurück, sondern rückt den Antagonismus der Interessen an bezahlter Arbeit, der ja doch auch im Verteilungsgedanken nicht ausgelöscht ist, definitiv in die richtige Perspektive: Auf Betriebsebene wie insgesamt ist diesem Ziel umso besser gedient, je mehr Gelderlös im Unternehmen bleibt, je weniger also an die Masse der Beschäftigten weggezahlt wird. Der abstrakte Imperativ, dass Wachstum sein muss und sein soll, überführt noch jede schlechte Erfahrung mit der Abhängigkeit des Lohns vom Unternehmenserfolg in den Standpunkt, dass die große gemeinsame Sache entbehrungsreiche Dienste braucht.
Betroffene Lohnabhängige finden sich mit dieser Erkenntnis ab, weil ihr Dienst ihre einzige Erwerbsquelle ist und die Hoffnung auf ein unbestimmtes Mehr an möglichem Gelderwerb die einzige Lebensperspektive, die ihre marktwirtschaftliche Heimat ihnen bietet. Und allgemein findet man das Verhältnis zwischen Dienst und Verdienst in der Marktwirtschaft zwar einseitig und ungleichgewichtig, letztlich aber doch in Ordnung und vernünftig, nämlich als Bedingung dafür, dass in der Folge mehr Reichtum entsteht – der wird zwar nur noch einseitiger und ungleichgewichtiger verteilt, aber immerhin gibt es etwas zu verteilen...
2. Also ist es gut, wenn auch das Geld arbeitet …
Kapitalistische Unternehmer teilen sich ihre Geldeinnahmen pflichtbewusst so ein, dass eine immer größere Summe für das Wachstum ihres Unternehmens bereit liegt. In ihrem moralischen Selbstbild rangiert ihre private Bereicherung als Restgröße. Aufgabe des wesentlichen Teils ihrer Einnahmen, im Grunde die wahre Mission der eingelaufenen Gesamtsumme ist es, das Wachstum zu bewirken, das Staat und Gesellschaft brauchen.
Ausgehend von dieser Erkenntnis, die keineswegs auf den Kreis der verzichtsbereiten Unternehmer beschränkt bleibt, entwickelt die öffentliche Meinung ein vertieftes Verständnis auch für das Geschäft, das Banken und Sparkassen betreiben. Wenn diese Institute den Unternehmern Geld leihen, dann unterstützen sie nicht einfach deren Bereicherung, um selbst daran zu verdienen, sondern sie helfen der Macht des in Unternehmerhand befindlichen Geldes auf die Sprünge, die Wirtschaft wachsen zu lassen. Wenn sie sich durch Zinszahlung oder auch nur durch ihren Dienst am gesellschaftlichen Zahlungsverkehr Zugriff auf das Geldvermögen der Teilnehmer der Marktwirtschaft verschaffen, dann beschaffen sie sich nicht einfach die Materie für ihre Bereicherung; vielmehr mobilisieren sie für den guten Zweck der allgemeinen Wohlfahrt gesellschaftliche Potenzen, die sonst ungenutzt brachliegen würden. Dass sie dabei nicht als bloße Hilfskräfte oder Auftragnehmer der produzierenden Kapitalisten, sondern als eigenständige Unternehmen, auf eigene Rechnung und zum eigenen Nutzen handeln, geht in die verständnisvolle Urteilsbildung über die Geldinstitute in der Weise ein, wie das Bild vom andernfalls „brachliegenden“ Geldvermögen es so anschaulich ausdrückt: Wenn sie fremdes Geld an sich ziehen und verleihen, dann bewirtschaften sie eine potentielle Reichtumsquelle so, dass sie deren gemeinnütziges Potential freisetzen. In diesem Sinn wird ihnen eine doppelte Verantwortung zugeschrieben: Auf der einen Seite haben sie für eine ausreichende Versorgung der Wirtschaft mit dem essentiellen Grundstoff Geld zu sorgen, in dessen Natur das Wachstum liegt, so wie in jedem Samenkorn. Auf der anderen Seite beglücken sie die Gesellschaft, nämlich einen jeden, der momentan Geld hat und es nicht braucht, mit einem völlig anstrengungslosen Geldzuwachs, einer Vermehrung per Zins und Zinseszins oder auch durch weniger leicht durchschaubare Manöver, wenn die Zinsen mal nicht viel hergeben. Sie sind die Großmeister der Alchimie der Geldvermehrung ohne schmutzige Industrie und schnöden Warenhandel und zugleich die eigentliche Seele der professionellen Mehrung des materiellen Reichtums, von dem „wir alle“ leben. Beides gilt auch und sogar ganz ausdrücklich dann, nämlich als Messlatte ihrer Tätigkeit, wenn fehlender Geschäftserfolg Anlass gibt, ihnen Versagen vorzuwerfen oder sogar sträfliche Vernachlässigung ihrer eigentlichen hohen Verantwortung.
Die Unternehmen der Geldbranche machen also nicht nur aus Schulden Kapital. Mit ihrem Geschäft beglaubigen sie den Schein, nicht bloß – und womöglich nicht einmal vorrangig – die von kapitalistischen Managern kommandierte Arbeitnehmerschaft der Nation, sondern auch und vor allem das von den Banken kommandierte Geld würde die eigentliche produktive Arbeit tun und selbsttätig seine Vermehrung bewirken. Diesen Schein setzen sie gerne groß ins Bild, indem sie den Reichtum, den sie absahnen, öffentlich zur Schau stellen: Mit den „Kathedralen des Geldes“, die sie sich bauen, übertrumpfen sie die Kultur des Kirchenbaus; mit Großspenden für Sport und Kultur machen sie auf sich als Mäzene und Wohltäter der Menschheit aufmerksam. Und natürlich lassen sie auch das Fußvolk am Wunder der selbsttätigen Geldvermehrung teilhaben, also alle, die im normalen Leben für Geld arbeiten und dadurch gewiss nicht reich werden: Banken und Sparkassen versprechen „Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand“, wenn man ihnen vom Verdienten etwas zum Bearbeiten überlässt. Sie führen den Beweis, dass sogar in den nicht aufgegessenen Resten des Arbeitslohns noch einige Produktivkraft drinsteckt, wenn man sie nur machen lässt. Dann wächst aus vielen kleinen Summen noch ein veritables Geschäft – auch wenn es mit dem „Vermögen“ für verzichtsbereite Arbeitnehmer dann doch nie etwas wird.
3. … aber schlecht, wenn es Inflation gibt, woran der Staat schuld ist
So schön es ist, dass das Geld unter der Regie des Kreditgewerbes ganz ohne Umstände Wachstum bewirkt, einen Haken hat seine machtvolle Betätigung dann doch: Das Gemeinwesen muss periodisch einen Wertverlust des durch seine eigene Produktivität vermehrten Zahlungsmittels verbuchen.
Dieses „Phänomen“, die Inflation, trifft Besser- und Schlechterverdienende, Kaufleute und Kunden, Produzenten und Arbeitnehmer zwar an der gleichen Stelle, dem metaphorischen Geldbeutel, aber in durchaus unterschiedlicher Weise, je nach ihrer Funktion im marktwirtschaftlichen Betrieb; und dementsprechend werden sie auch damit fertig. Die einen machen – in Konkurrenz gegeneinander – die steigenden Preise, zahlen sie auch – soweit sie in ihr Kalkül hineinpassen –, nötigenfalls mit Krediten ihrer Hausbank, um sie dann per Preiserhöhung weiterzugeben, und sind längst daran gewöhnt, aus dem nominellen Wachstum ihres Kapitals die reale Steigerung ihrer Macht über Waren und Arbeitskräfte auszurechnen. Denn durch prozentuale Einbußen an Kaufkraft verliert ihr Geld keineswegs die Fähigkeit, die eigene Vermehrung zu bewirken; und das, was die Kreditinstitute an Zahlungsfähigkeit „schöpfen“ und verleihen, erst recht nicht. Die große Masse, die ihr Verdientes nicht kapitalistisch ge-, sondern bloß verbraucht, muss sich auch nicht wirklich umstellen. Sie muss nur mit wie von selbst sich verschärfenden Anforderungen an ihre Kunst zurechtkommen, sich ihren Geldmangel einzuteilen, also verkraften, dass die tendenzielle Entwertung des Zahlungsmittels dessen schäbige Funktion als Lebensmittel voll trifft.
Die Unzufriedenheit, die speziell auf Seiten der arbeitnehmenden Kundschaft nicht ausbleibt, wird von den Sachverständigen des Systems mit einer Kritik bedient, die auf alles andere als den Ausgleich der verlorenen Kaufkraft durch entsprechende Lohnerhöhungen zielt. Allen Wünschen und Vorstellungen in dieser Richtung begegnet der herrschende Konsens mit der Warnung vor einer dann erst recht einsetzenden inflationstreibenden „Lohn-Preis-Spirale“; einer Warnung, die mit größter Selbstverständlichkeit als Reaktion der Arbeitgeber vorwegnimmt, was die mit ihrer Preispolitik ohnehin dauernd probieren, auch ohne den Stachel und die Rechtfertigung womöglich steigender Löhne. Beklagt wird, dass das Wachstum der kapitalistischen Macht des Geldes überhaupt zurückbleibt hinter dem der Zahlen, die es messen. Und diese Klage richtet sich weder gegen das Recht und die Macht unternehmungslustiger Kaufleute, für ihre Ware zu nehmen, was sie kriegen können, noch gegen die Leistung des Kreditgewerbes, mit Schulden und jeder nachgefragten Menge Liquidität die Grenzen des Wachstums so weit hinauszuschieben, dass am Ende die Maßeinheit des kapitalistischen Reichtums in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Geschäftswelt zählt – sich – mehr zu den Opfern; und zwar eines anonymen Prozesses, dessen Ergebnis von der Fachwelt mit dem schönen Titel „Geldüberhang“ belegt wird. Die auf breiter Front steigenden Preise werden, unter vornehmer Abstraktion von denen, die die Preise machen, als „Aufblähung“ verstanden, und die wird in einem sehr unvermittelten Umkehrschluss dem Umstand zur Last gelegt, dass offensichtlich genug Geld da ist, um immer höhere Preise zu bezahlen – zu viel Geld also, um ein gegebenes Preisniveau zu halten. Für diesen „Überhang“ an Kaufmitteln macht der systemkonforme Sachverstand den einen großen Teilnehmer am Marktgeschehen verantwortlich, der selber gar kein Geld verdient und kein Kapital vermehrt, sich aber trotzdem Geld, und zwar nach seinem Bedarf, beschaffen kann: Der Staat ist es, muss es sein, der mit seinen unkapitalistischen Haushaltsschulden flächendeckend die Preise verdirbt. Tatsächlich will natürlich kein Unternehmer auf die Zahlungsfähigkeit verzichten, die die kreditfinanzierten öffentlichen Haushalte stiften, erst recht nicht das Kreditgewerbe auf staatlich garantierte Schuldscheine. Aber wenn eine allgemeine Teuerung zu beklagen ist, dann besinnt man sich auf die – durchs Kreditgewerbe tagtäglich widerlegte – Idiotie, es könne nicht mehr Geld ausgegeben werden, als zuvor verdient worden ist, und wirft dem Staat vor, er würde das kraft seiner Gewalt doch tun und damit „über seine Verhältnisse“ leben. Das große Wort führen dabei die Vertreter der öffentlichen Gewalt selber: Die Opposition „kann nicht rechnen“, wenn sie was auch immer fordert; die Regierenden „können nicht mit Geld umgehen“, was auch immer sie tun. Und wenn es um Ausgabeposten geht, denen ihre kapitalistische Zweckmäßigkeit und Systemnotwendigkeit nicht unmissverständlich in die Präambel geschrieben ist, die vielmehr in irgendeiner Form dem Lebensunterhalt der lohnabhängigen Massen gewidmet sind, worin der sachverständige Bürgersinn die kapitalistische Notwendigkeit nicht zu erkennen vermag, dann ist in der Schuldfrage der Geldentwertung endgültig alles klar.
Die angeblich Begünstigten bleiben derweil auf dem Schaden sitzen, den die Inflation ihrem Lebensstandard zufügt. Und die Allgemeinheit sieht ein, dass den Staat, soweit er Geld und Schulden aufwendet, um sein Volk nach Strich und Faden dem Wachstumsbedarf der Kapitalisten zu unterwerfen und seine Unternehmer immer mehr verdienen zu lassen, kein Vorwurf trifft – hinsichtlich der Inflation aber die Kritik, dass er, letztlich systemwidrig agierend, das Geld nicht in Ruhe arbeiten lässt.
II. „Das Wachstum“ – wissenschaftlich betrachtet
1. Die Betriebswirtschaftslehre rechnet nach und vor, wie ein Betrieb zu rechnen hat – beim Wachsen
In der BWL kommt die Wissenschaft auf den einzelnen
Betrieb als Ursprungsstätte des allgemeinen Wachstums und
auf sein Wachstum als Element desselben zurück. Für diese
praktisch orientierte Wissenschaft, die sich dem Ziel
einer erfolgreichen, auf Gewinnmaximierung gerichteten
Betriebsführung verschreibt, gehen die Erfordernisse so
eines Betriebs inhaltlich vollständig in der
erfolgreichen Durchführung einer Rechenweise auf, die mit
Einzahlungen und Auszahlungen operiert.
Ihr Blick auf die Bemühungen, die Unternehmer dem
Wachstum ihres Betriebs widmen, ist bestimmt von dem
Gedanken, dass es das Verhältnis zwischen diesen
beiden Geldgrößen – in aller Banalität: zwischen den
Kassen- bzw. Kontoein- und -ausgängen – zu
managen gilt. Dass so ein Betrieb wachsen muss,
unterstellt sie dabei als nicht weiter
erklärungsbedürftige oder aufklärenswerte Notwendigkeit.
Und sie geht – wohl zu Recht – davon aus, dass dieser
Notwendigkeit praktisch Genüge getan ist, wenn und
solange es dem Management so eines Betriebs gelingt, das
dem Betrieb verfügbare Geld für ein Maximum an
betrieblichem Wachstum zum Einsatz zu bringen und
bei den so gearteten Bemühungen ums Wachstum des
Betriebs dafür zu sorgen, dass der Betrieb zu jeder Zeit
liquide bleibt. Jedenfalls fasst sich für sie darin
letztlich die Aufgabenstellung der Betriebsführung
zusammen: Sie hat – steht so im Lehrbuch – dafür Sorge zu
tragen, dass weder Über- noch Unterliquidität
entsteht
. [1]
Eine Investition ist für sie demzufolge nichts
anderes als eine heutige Hingabe von Geld (=
Auszahlung)
, die in der Absicht erfolgt, mit dem
Mitteleinsatz einen höheren Geldrückfluss (= Einzahlung)
in Zukunft zu erreichen
. Der betriebswirtschaftliche
Sachverstand weiß über das Investieren also immerhin so
viel, dass es sich für das Unternehmen rentieren
muss. Einerseits eine ehrliche Auskunft über den
maßgeblichen Zweck des marktwirtschaftlichen Treibens:
Ohne dass es dem privaten Bereicherungsinteresse der
Betriebseigner dient, läuft in Sachen Wachstum, für das
die ganze Gesellschaft zugerichtet wird und von dem die
gesamte Reproduktion der Gesellschaft abhängig gemacht
ist, gar nichts. Andererseits ein klares Bekenntnis der
Vertreter dieser wissenschaftlichen Betriebslehre, den
Kapitalinhabern und ihren Managern beim Ausrechnen der
‚richtigen‘, dem maximalen Gewinn dienlichen
Investitionsentscheidungen behilflich sein zu wollen.
Ganz in diesem Sinne klären sie darüber auf, dass die Frage, ob sich eine Investition rentiert und ob sie gemacht werden soll, am Maßstab einer Mindestverzinsung zu entscheiden ist, die sich ihrerseits an dem Zins bemisst, der auf dem Kapitalmarkt für Geldanlagen zu bekommen wäre. Für einleuchtend befinden darf man das erstens, weil das der ‚in der Praxis‘ üblichen Rechnungsweise entspricht; zweitens, weil es nur gerecht ist, wenn der Kapitalgeber dafür, dass er dem Betrieb sein Geld zur Verfügung stellt, mit einem Zins belohnt wird; zumal er ja selber Zinsen zahlen muss, wenn er sich auf dem Kapitalmarkt Geld besorgt; und drittens, weil hinter dem Anspruch auf eine solche Verzinsung entschieden mehr steht als nur der moralisch ins Recht gesetzte Anspruch darauf: Offenbar können Kapitalgeber damit rechnen, dass sich die private Zugriffsmacht auf den gesellschaftlichen Reichtum und seine Quellen, die sie in Gestalt ihres Geldvermögens in den Händen halten, quasi naturwüchsig vergrößert, wenn sie nur ihr Geld ‚arbeiten‘ lassen. Die BWL geht – wie die Praktiker des Gewinnemachens – davon aus, dass dafür alles verfügbar ist, vergisst, wie viel Staat hinter dem Sachverhalt steht, dass hier Marktwirtschaft herrscht, und behandelt die Geldvermehrung in ihren Lehrsätzen wie eine dem Geld selber innewohnende Eigenschaft.
Die Probleme der Investitionsplanung, mit denen
sie sich befasst, gehen, folgt man ihren Erkenntnissen,
letztlich alle auf das zeitliche Auseinanderfallen von
Auszahlung und Einzahlung zurück – darauf, dass die
Auszahlung heute fällig ist, die (vermehrte) Einzahlung
erst in der Zukunft erfolgen wird und dazwischen manches
passieren kann. Zum Ethos dieser
Hilfswissenschaft
, die die Entscheidungsfindung im
Sinne möglichst gewinnbringender Investitionen
optimieren
will, gehört es, von der
Ex-post-Berechnung des Ertrags bereits
getätigter Investitionen zu einer
Ex-ante-Berechnung voranzuschreiten. Und in
ihrem Ehrgeiz lässt sich diese Wissenschaft
selbstverständlich nicht durch die Tatsache bremsen, dass
die Geldgrößen, aus denen der zu erwartende Gewinn
herausgerechnet werden soll, durch den Verlauf der
Konkurrenz bestimmt werden, folglich
spekulativer Natur sind. Sie verschreibt sich
dem – erklärtermaßen als unrealistisch eingestandenen –
Ideal der exakten Vorausberechenbarkeit der
Erträge einer Investition. Es werden Modellrechnungen
konstruiert, die – realistisch betrachtet
– mit
lauter unbekannten Umweltdaten
hantieren. Die
Unsicherheit
der Daten, in denen die BWL-Experten
das Investitionsrisiko
begründet sehen, macht es
für sie umso dringlicher, dann zumindest die
Höhe des Risikos – oder noch genauer: die
wahrscheinliche Höhe desselben – mathematisch
objektivieren zu können. Und mit diesem Anliegen bringen
sie es immerhin zu Verfahren, mit denen sich theoretisch
„Wahrscheinlichkeits(!)prognosen(!)“ erstellen
lassen. Wirklich nützlich ist das nicht, aber konsequent
dem kapitalistischen Nutzen verpflichtet gedacht ist es
schon.
Das gilt auch für die andere Lehrbuchabteilung, in der
sich die BWL mit den Problemen der Finanzplanung
befasst. In ihr herrscht der Standpunkt vor, dass ein
Unternehmen in sein Wachstum investieren muss, so dass
sich für die BWL nur noch die Frage nach den
Mitteln stellt, die dafür aufgebracht werden
müssen. Die Notwendigkeit, den Umfang der Geschäfte
beständig zu erweitern und darauf die gesamte
Geschäftstätigkeit auszurichten, ist den Vertretern
dieser wissenschaftlichen Betriebslehre so
selbstverständlich, dass ihnen jede Erklärung, jede
Benennung eines Grundes dafür, ja sogar die Erwähnung,
dass es darum geht und zu gehen hat, überflüssig
erscheint. Dass das betriebliche Wachstum Inhalt und
Zweck der Geschäftstätigkeit ist, ist unterstellt, wenn
die BWL Überliquidität
zu einem zu vermeidenden
Problem erklärt. Hier begegnet einem – auf der Ebene des
einzelnen Betriebs – von neuem der Standpunkt, dass
brachliegendes Geld von Übel ist, weil es dann
nicht ‚arbeitet‘; eine vergeudete
Wachstumsressource.
Das Geld, das die BWL in der Weise ins Auge fasst, ist
der Cashflow, genauer gesagt der
Überschuss der Rückflüsse aus dem laufenden
Geschäft über die laufenden und längerfristig fälligen
Abflüsse pro Periode, die aus diesen Rückflüssen bezahlt
sein wollen. Hier entdeckt der betriebswirtschaftliche
Sachverstand manche Gelegenheit, Geld, das noch nicht
gleich zur Finanzierung von „Ersatzinvestitionen“
benötigt wird, schon mal in die Erweiterung des Geschäfts
zu stecken. Vor allem weiß er es sehr zu schätzen, dass
sich die Finanzmittel, mit denen das betriebliche
Wachstum vorangetrieben werden kann, vervielfältigen
lassen, wenn man sich nicht darauf beschränkt, das dem
Betrieb verfügbare Geld selber in die Erweiterung des
Betriebs zu investieren, sondern mit ihm die Kosten für
Fremdfinanzierungen finanziert. Die BWL klärt auf über
die erheblichen Komplikationen, die dies in der Rechnung
mit Einzahlungen und Auszahlungen nach sich zieht, weil
nun auch noch mit den für Zinsen und Tilgung fälligen
Auszahlungen im Verhältnis zu den heute noch gar nicht
bekannten Einzahlungen gerechnet werden muss; sie weiß um
die zusätzlichen Risiken, die dem Betrieb daraus
erwachsen, rät zu Vorkehrungen gegen das Eintreten einer
Unterliquidität
, weil die in aller Regel das
Ende unternehmerischer Tätigkeit
bedeutet; wartet mit
der weisen Regel auf, dass für jede Planungsperiode der
Grundsatz Einzahlungen ≥ Auszahlungen
zu gelten
hat; und sie wäre nicht sie, würde sie nicht längst an
Verfahren zur Ermittlung eines Optimums zwischen Unter-
und Überliquidität arbeiten.
2. Die Volkswirtschaftslehre schwärmt von I = S
Zur kapitalistischen Wirklichkeit, in der Produktion und
Reproduktion der Gesellschaft vollständig den aus dem
Bereicherungsinteresse der Kapitaleigentümer erwachsenden
Wachstumsbedürfnissen und -notwendigkeiten subsumiert und
davon auch sichtlich gezeichnet sind, liefert die
Wissenschaft in Gestalt der Volkswirtschaftslehre das
passende Dementi. Zum ‚besseren Verständnis‘ der
Zusammenhänge zeichnet sie ein Bild von „der Wirtschaft“,
in dem so etwas wie die private Vermögensvermehrung einer
kapitalbesitzenden Klasse gar nicht erst vorkommt; schon
gleich nicht als Zweck und alles beherrschendes Prinzip
der Veranstaltung. Sie wählt einen
kreislaufanalytischen Erklärungsansatz
, in dem
sich die ökonomischen Beziehungen sehr übersichtlich
gestalten und der sich vor allem dadurch auszeichnet,
dass im Hin und Her der ökonomischen Transaktionen das
Prinzip des Gleichgewichts waltet.
a)
In dem entsprechenden Kreislaufmodell der VWL stehen sich zwei Pole gegenüber: Auf der einen Seite die Unternehmen, die für die Produktion zuständig sind und das gesamtgesellschaftlich zur Verfügung stehende Sozialprodukt erstellen. Auf der anderen Seite die Haushalte, für deren Konsum dieses Sozialprodukt produziert wird. Die Beziehungen zwischen diesen beiden Polen gestalten sich nach der einen Seite so, dass die Haushalte den Unternehmen Produktionsfaktoren zur Verfügung stellen und für ihren nützlichen Beitrag zur Erwirtschaftung des Sozialprodukts, den sie damit leisten, ein Einkommen, gesamtgesellschaftlich betrachtet das Volkseinkommen beziehen. Nach der anderen Seite gestalten sich die in dem Modell dargelegten Beziehungen so, dass die Haushalte ihre Einkommen für ihren Konsum verausgaben und darüber den Unternehmen das Geld wieder zufließt, mit dem sie weiter wirtschaften, d.h. von neuem die zur Produktion nötigen Produktionsfaktoren bezahlen können.
Mit ihrem Modell knüpft die VWL in mehrfacher Hinsicht an das allgemeine Bewusstsein an. In der Gegenüberstellung der Unternehmen, die das Sozialprodukt produzieren, und den Haushalten, die es konsumieren, ist unschwer die ideologische Grundgleichung von Wirtschaftswachstum und gesellschaftlichem Wohlstand wiederzuerkennen. Die Kategorien ‚Sozialprodukt‘ und ‚Volkseinkommen‘ leben vom selben Quidproquo zwischen Wert und Gebrauchswert, das die bürgerliche Ideologie durchgängig bestimmt: Sozialprodukt und Volkseinkommen stehen einerseits für die Wertschöpfung in einer Periode, für das gesamtgesellschaftlich verdiente Geld und insofern für das, worauf es dem Staat, der die Gesamtleistung seiner kapitalistischen Wirtschaft in seiner Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in eben dieser Geldgröße bilanziert, tatsächlich ankommt. Andererseits stehen dieselben aggregierten Größen zugleich für den Güterreichtum, der in dieser Produktionsweise nur Mittel zum Zweck der Profitproduktion ist, dessen Wachstum aber gemeinhin als Zweck der Veranstaltung gilt. Die Revenuequellen der Haushalte – das Eigentum an der eigenen Arbeitskraft, am Kapital, das Grundeigentum – werden in dem Modell als solche gar nicht mehr angesprochen; sie treten von vornherein als Produktionsfaktoren auf, so dass die Einkommen selber als Entgelt für die Produktionsleistung erscheinen, die die Haushalte erbringen, indem sie den Unternehmen ihren jeweiligen Produktionsfaktor zur Verfügung stellen, und sich das Verhältnis zwischen Produktionsergebnis und Einkommen insgesamt als wunderbare Äquivalenz darstellt.[2] Sofern in dem Zusammenhang von Kapital die Rede ist, soll man sich den Erläuterungen der VWL folgend darunter einerseits nichts anderes als die unschuldigen Produktionsmittel vorstellen, die es unabhängig von der herrschenden Produktionsweise, die dem Kapital ihren Namen verdankt, in jeder Gesellschaft zur Produktion von Gütern nun einmal braucht. Andererseits wird es als Geldsumme gedacht, die durch ihren Einsatz in der Produktion – als einer der Produktionsfaktoren – ihren Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung leistet. Ebenso wie der gewöhnliche Verstand, der gerne von der Wirtschaft und der Gesellschaft redet, abstrahiert die Wissenschaft davon, dass die Unternehmen, die sie in ihrem Modell zu einem Pol zusammenfasst, als Konkurrenten miteinander verbunden sind, und die Haushalte, die den anderen Pol ausmachen, durch ihre unterschiedlichen Einkommensquellen in lauter Interessengegensätzen zueinander stehen.
In diesem Bild, das die Wissenschaft von der Volkswirtschaft zeichnet, sind aber auch Verfremdungen eigener Art zu bemerken. Durch die Gegenüberstellung von Unternehmen und Haushalten, zu denen ja auch die Unternehmerhaushalte gehören – die den Unternehmen den Bestimmungen des Modells zufolge zur Produktion den Produktionsfaktor ‚Kapital‘ liefern und dafür einen Zins erhalten –, werden die Unternehmen von ihrem allgemeinen kapitalistischen Produktionszweck getrennt. Aus ihm – d.h. aus der Geldvermehrung in privater Hand, auf die Arbeit und Produktion in der Marktwirtschaft systematisch zugerichtet und hinorganisiert werden – wird ein subjektives Motiv; der spezielle Nutzen, den jene Sorte von Haushalten aus ihrer Beteiligung am großen Gemeinschaftswerk namens Produktion zieht, die zur Produktion den Produktionsfaktor ‚Kapital‘ beisteuert, während andere Haushalte ihr Einkommen dem Einsatz ihrer andersgearteten Produktionsfaktoren verdanken. Es wird durch die Gegenüberstellung von Unternehmen und Haushalten überhaupt davon abstrahiert, dass es sich bei den Unternehmen um Eigentum handelt; dass sie als solches ganz der Verfügungsgewalt ihrer Eigentümer unterliegen und von denen in dieser Eigenschaft als ihre Einkommensquelle, als Mittel ihrer privaten Bereicherung gehandhabt werden. Das Modell macht aus den Unternehmen Entitäten ohne eigene Identität, die in den Funktionen aufgehen, die sie für die Haushalte erfüllen: Nach der einen Seite wird es zu ihrer Zweckbestimmung, Einkommen zu generieren, nach der anderen, die Gesellschaft mit Gütern zu versorgen. Umgekehrt die Haushalte: Auch die gehen ihrer Bestimmung nach in den Funktionen auf, die sie für den anderen ‚Pol‘ erfüllen: Einerseits stellen sie den Unternehmen die nötigen Produktionsfaktoren zur Verfügung, ohne die die ihr gutes Werk nicht verrichten könnten; andererseits hat ihr Konsum seiner volkswirtschaftlichen Bestimmung nach keinen anderen Inhalt und Zweck als den, den Unternehmen das Geld einzuspielen, das sie zum Weiterwirtschaften brauchen.
Das ökonomische Verhältnis zwischen Unternehmen und Haushalten hat man sich dem Modell der VWL zufolge so zu denken, dass im Prinzip zwischen diesen Polen nichts anderes als ein Gütertausch stattfindet, ein Tausch von wertgleichen Wirtschaftsleistungen, nämlich der Produktionsfaktoren, die die Haushalte den Unternehmen zur Verfügung stellen, gegen das mit ihrer Hilfe von den Unternehmen erstellte Produkt, bestehend aus den Gütern, die zum Verzehr durch die Haushalte bestimmt sind. Das von den Unternehmen mit der Produktion und Vermarktung der Güter erwirtschaftete und von den Haushalten verdiente Geld wird auf die Funktion der Vermittlung dieses Gütertausches reduziert; es dient den Wirtschaftssubjekten in ihren auf die Erlangung der Mittel ihres Konsums bzw. auf den Kauf der Produktionsfaktoren gerichteten Tauschoperationen als praktische Recheneinheit und bloßes Zirkulationsmittel; als ökonomischer Zweck, nämlich als der Gegenstand, um dessen Vermehrung sich die real existierende Volkswirtschaft dreht und dessen Vermehrung – nämlich die Erzeugung eines Geldüberschusses über das vorgeschossene Kapital – auch die entscheidende Leistung, der tatsächliche Ertrag dieser Ökonomie ist, kürzt sich das Geld in dieser Betrachtung heraus.
b)
Auf die dem Geld zugedachte Funktion der
Vermittlung des von ihr imaginierten und als Wesen
der Volkswirtschaft vorstellig gemachten
gesamtgesellschaftlichen Gütertausches zwischen
Unternehmen und Haushalten gründet die VWL den
Funktionalismus der ökonomischen Betrachtungen,
die sie im Rahmen ihrer Modellkonstruktion anstellt: Sie
verfertigt aus dieser erdachten Funktion des Geldes ein
Funktionsgesetz, dem zufolge die zu einem Pol
hinfließenden Geldströme ihrer Höhe nach den von
ihm wegfließenden Geldströmen entsprechen
müssen, legt dieses Gesetz, das sie Kreislaufaxiom
nennt, ihren Betrachtungen zugrunde und deduziert aus ihm
– d.h. aus ihrem Postulat! – in einfältigster,
weil völlig sachentleerter Manier [3] die Beziehungen zwischen den
aggregierten Größen in ihrem Modell, auf deren Grundlage
ihrem wissenschaftlichen Urteil nach das Zusammenwirken
von Unternehmen und Haushalten und damit nicht weniger
als das Funktionieren der Volkswirtschaft insgesamt
beruhen soll.
Auf diesem Weg gelangt sie zu ihrer ersten elementarsten wissenschaftlichen Erkenntnis über den volkswirtschaftlichen Gesamtzusammenhang:
„Gemäß dem Kreislaufaxiom stimmen die Summe der Faktorentgelte und die Summe der Konsumgüterkäufe überein. Faktoreinkommen = Konsumausgaben.“ (Felderer/Homburg, S. 36)
Oder Y = C, wobei Y für engl. yield steht, den Ertrag der Produktion, der in der Argumentation der VWL einmal in den produzierten Gütern besteht, das nächste Mal in deren Wert und dann wieder in dem Geld, das die Unternehmen im Verkauf dieser Güter erlösen. In ihrem Bestreben, das Werk kapitalistisch wirtschaftender, mit Gelderträgen rechnender Unternehmen als im Dienste des gesellschaftlichen Konsums stehende Produktion zu fassen, beliebt die VWL dies alles als ein und dasselbe zu betrachten; eben als Ertrag der Produktion, der nach den Prämissen ihres Modells wiederum wertgleich mit der Summe der Faktoreinkommen ist, die die Unternehmen den Haushalten zahlen, sodass Y, wie in der oben zitierten Gleichung, auch noch für die Summe der Faktoreinkommen steht. Derselbe aus der Gleichsetzung von Inkommensurablem resultierende kategoriale Verhau ergibt sich – aus demselben ideologischen Grund – auf der anderen Seite der Gleichung: C steht in ihr für Konsum, den Wert der Konsumgüter, der den Modellannahmen entsprechend identisch mit den Konsumausgaben ist, die die Haushalte tätigen und die Einnahmen der Unternehmen begründen.
Natürlich wissen die Fachleute in Sachen
‚Volkswirtschaft‘, dass die Unternehmen außerhalb ihrer
Modellwelt, in der wirklichen Welt kapitalistischer
Unternehmen, ihr Geschäft nicht damit machen, dass sie
die Einnahmen, die sie mit der Produktion und Vermarktung
von Gütern erwirtschaften, in Form von Einkommen an die
Haushalte weggeben; ihnen ist selbstverständlich
geläufig, dass die Aktivitäten der Unternehmen aufs
Erzielen eines Geldüberschusses über das in ihnen
angelegte Geld berechnet sind und dass sie diesen in ihr
Wachstum investieren; sie sind auch mit sämtlichen
unternehmerischen Berechnungen vertraut, die beim
Investieren zum Tragen kommen. Und wenn sie Investitionen
als wesentliche Voraussetzung für
Wirtschaftswachstum
[4] würdigen, dann bringen sie
damit zum Ausdruck, dass sie um die Bedeutung dieser
unternehmerischen Aktivität für die Volkswirtschaft im
Allgemeinen, für den Staat und für die Gesellschaft im
Ganzen wissen und Investitionen allemal begrüßen. Als
Theoretiker aber, die ihr Modell einer
Volkswirtschaft
im Auge haben und dieses Modell als
theoretische Basis
ihrer ‚Lehre‘ verstehen und
verstanden sehen wollen, folgt für sie daraus nur eines:
dass Investitionen realistischerweise
als
unverzichtbarer Bestandteil so einer Volkswirtschaft zu
betrachten sind, schon gleich, wenn die auch noch wachsen
soll, und ihr Modell daher um die Größe I (für
Investition) zu erweitern ist – gemäß den
Prämissen, die sie ihrer Modellbildnerei zugrunde
gelegt haben, versteht sich; mit der Folge, dass die so
in ihr Bild von einem gleichgewichtigen Funktionieren der
Wirtschaft eingefügten Investitionen ihre Bestimmungen
nach Maßgabe dieser Modellprämissen
zugeschrieben bekommen und die Sache, um die es dem
Namen nach da geht, in dem Zuge bis zur Unkenntlichkeit
entstellt wird.
Auf der Seite der Unternehmen, die man fürs Investieren
zuständig weiß, macht es die Einführung von I
erforderlich, die Gleichung Y = C dahingehend zu
modifizieren, dass Y (der Gesamtertrag der Produktion)
nun nicht mehr vollständig in den Konsum der Haushalte
eingeht, sondern ein Teil von Y für Investitionen
reserviert bleibt, so dass aus der Gleichung Y =
C die Gleichung Y = C + I wird. Die Größe I
ist damit negativ als Restgröße definiert (I
= Y − C), die sich ergibt, wenn man von Y, der
Wertsumme der produzierten Güter, den Wert der
Konsumgüter abzieht. Diese Definition ist von der
modelltheoretisch geforderten Äquivalenz zwischen
Produktion und Konsum her gedacht; der Wert der
Konsumgüter ist in ihr die bestimmende Größe – sachlich
betrachtet, als Urteil darüber genommen, was eine
Investition ist, erfüllt sie daher den Tatbestand
haarsträubenden Unsinns: Ihr zufolge ist alles, was vom
wirtschaftlichen Gesamtprodukt nicht in den Konsum
eingeht, deswegen auch schon eine Investition, so dass
demnach auch ungeplante Lagerbestände, nicht verkaufte
und sogar unverkäufliche Ware als Investition zu
betrachten sind. Ebenfalls aus modelltheoretischen, nicht
in der Sache liegenden Gründen – damit die Äquivalenz
zwischen Unternehmen und Haushalten im Modell gewahrt
bleibt – führt die VWL auf der Seite der Haushalte, denen
man das Sparen überlässt, die Größe S (für Ersparnis,
Sparen) als korrespondierende Größe zu I in ihre
Modellkonstruktion ein; nämlich gleichfalls als
Restgröße, die (nun auf der Seite der Haushalte) von Y,
den Faktoreinkommen, übrig bleibt, nachdem man von denen
die Konsumausgaben abgezogen hat, so dass sich hier die
Gleichung S = Y − C bzw. Y = C + S
ergibt. Das hat für die Modellbildner nicht nur den
Vorteil, dass sich unter die so definierte Kategorie
‚Ersparnis‘ aufgrund ihres rein negativen Gehalts völlig
inkommensurable Größen subsumieren und so ins Modell
einfügen lassen; neben dem von den Haushalten gesparten
Geld auch Geldposten, die die Haushalte nie zu sehen
bekommen; z.B. die Abschreibungen und im
Unternehmenssektor
verbleibende Gewinne
, von
deren Existenz man in dem Zusammenhang ganz nebenbei
erfährt; realistischerweise
geht man nämlich schon
auch in der VWL davon aus, dass es die gibt – auch wenn
sie ein wenig dem Prinzip des Austausches wertgleicher
Wirtschaftsleistungen widersprechen. Auch sie lassen sich
als Ersparnis begreifen, wenn man den VWL-Begriff von
‚Ersparnis‘ zugrunde legt; nämlich als einbehaltene
Faktoreinkommen
, d.h. als Faktoreinkommen, die von
den Unternehmen nur nicht an die Haushalte ausbezahlt
werden, und folglich von den Haushalten, die sie gar
nicht erst zu Gesicht bekommen, auch nicht verkonsumiert
werden. Mit den so definierten Größen I und S haben sich
die Modellbildner die Grundlage für einen großartigen
‚Schluss‘ geschaffen: Weil es sich bei dem Gesamtprodukt
der Unternehmen und dem Gesamteinkommen der Haushalte den
Prämissen des Modells zufolge ja um äquivalente Größen
handelt – also Y (die Wertsumme der Produktion) = Y
(nämlich die Summe der Faktoreinkommen) ist – lässt sich
nun durch Gleichsetzung dieser beiden
Definitionsgleichungen
(Felderer/Homburg, S. 37) [5] unmittelbar die Gleichung
I = S folgern.
Diese Gleichung ist für die Volkswirtschaftslehre ein
Quell von wertvollen Einsichten in die ökonomischen
Zusammenhänge; zuallererst der von Volkswirten
unermüdlich vertretenen, dass Investitionen nur durch
einen Konsumverzicht in gleicher Höhe, also durch
Ersparnisbildung möglich
sind. Umgekehrt lässt sich
aus ihr ebenso zwingend folgern, dass das Ersparte aber
auch investiert werden muss, weil sonst ja die
modelltheoretisch geforderte Gleichheit der
Geldströme nicht mehr gegeben ist.[6] Die Möglichkeit von
Investitionen legt die VWL somit in eine Umwidmung des
Geldes, das den Haushalten zusteht; nämlich in
den Verzicht, ihre Einkommen vollständig für den
Konsum zu verausgaben. Ihre Notwendigkeit
verortet sie in der Lücke, die eben dieser Konsumverzicht
auf der Seite der Unternehmen reißt, an die aufgrund
dieses Konsumverzichts nur ein Teil des Geldes
zurückfließt, das sie brauchen, um erneut die
Faktoreinkommen bezahlen zu können. Vom Investieren – von
den Subjekten, die diese Tätigkeit vollziehen, von deren
Zweck, von den Mitteln, die ihnen dafür zur Verfügung
stehen und die sie einsetzen, von den Notwendigkeiten und
Maßstäben, denen sie dabei gehorchen – bleibt dabei der
Sache nach nichts übrig.
c)
In ihren weiteren makroökonomischen Analysen
widmet sich die VWL dem Bemühen, den komplexen
Gesetzmäßigkeiten einer gleichgewichtig funktionierenden
Wirtschaft, in der die Wirtschaftssubjekte
ihre
Dispositionen und Transaktionen unabhängig voneinander
planen
, auf die Spur zu kommen. Als normative
Leitlinie dieser Untersuchungen fungiert die Gleichung I
= S jetzt nicht mehr im Sinne der stets gültigen, weil
definitorischen Gleichheit faktischer
Gesamtgrößen
, sondern gedacht als Zielpunkt des
Verhältnisses der geplanten, auf subjektiven
Entscheidungen beruhenden Aggregate: Geplantes Sparen der
Haushalte und geplantes Investieren der Unternehmen
müssen sich entsprechen, damit
die geplante gesamtwirtschaftliche Nachfrage und das
geplante gesamtwirtschaftliche Angebot zur Deckung
gelangen.[7]
Von dieser Setzung ausgehend fragt die
Wissenschaft nach den maßgeblichen Größen, die die
Haushalte in ihrer Budgetplanung, die Unternehmen in
ihrer Investitionsplanung bestimmen, und nach den
determinierenden Wirkungen, die davon auf das Geschehen
auf den Güter-, Arbeits- und Kapitalmärkten, auf die
Konjunktur und das Wachstum ausgehen. Sie konstruiert aus
all diesen Determinanten Produktions-, Konsum-,
Investitions- und sonstige Basisfunktionen
, deren
wesentliche Eigenschaft darin besteht, dass sich mit
ihnen rechnen lässt, leitet mit ihrer Hilfe und
unter Einsatz ihres mathematischen Apparats Lösungen für
das ihren Betrachtungen vorausgesetzte Problem ab, durch
welche Konstellationen zwischen all den Faktoren die
Gleichgewichtsbedingung erfüllt wird, und setzt diese mit
Schnittpunkten zwischen Kurven und Geraden kunstvoll ins
Bild.
Diesem Drehbuch folgend wendet sich die VWL auch dem
Wachstum zu, das sich für sie aus einem gewissen
mit Investitionen verbundenen Einkommens- und
Kapazitätseffekt
erklärt und für das sie folgende
Determinanten
anzugeben weiß:
„Die Wirtschaft wächst, weil entweder – der input (Mengenausweitung der eingesetzten Produktionsfaktoren) oder – der output pro input-Einheit (Qualitätsverbesserungen der Produktionsfaktoren = technischer Fortschritt im weiten Sinn) erhöht wurde.“
Mit beidem bringt sie das Wirtschaftswachstum auf den
Segen einer Mehrung all der nützlichen Güter herunter,
die der Gesellschaft zum Verzehr bereitgestellt werden
können. Und ansonsten interessiert sie am Wachstum nur
eines: Das Problem, wie sich ein gleichgewichtiges
Wachstum
denken lässt. In der Modellwelt der VWL,
unter dem Gesichtspunkt des Kreislaufs und seiner
Axiomatik betrachtet, stellt sich das Wachstum der
Wirtschaft, auf das es in der wirklichen Welt
entscheidend ankommt und an dem sich der Erfolg allen
Wirtschaftens bemisst, nämlich erst einmal als
Störung des bisher konstruierten stationären
Gleichgewichts
dar.[8] Für dieses Problem sucht sie
in ihren mittlerweile unzähligen Wachstumstheorien und
-modellen nach Lösungen; und mit der Problemstellung ist
garantiert, dass das Wachstum – das, um das es in der
wirklichen Welt geht, schon gleich – in ihren Theorien
und Modellen gar nicht vorkommt, weil sie sich in denen
ja nur um Funktionsbedingungen und
Anpassungsprozesse
kümmert, die seine
Gleichgewichtigkeit garantieren könnten.[9]
Das macht aber überhaupt nichts. Die VWL arbeitet so immer weiter an der Ausgestaltung ihres Zerrbilds der ökonomischen Wirklichkeit, das die Volkswirtschaft als ein bewundernswertes System gleichgewichtigen Funktionierens vorstellig macht, von dem sie die Gesetze kennt; als eine Welt des allgemeinen Nutzens und des gerechten Austauschs, in der der Mensch bestens aufgehoben ist.
3. Vom Beitrag des Außenhandels zu Wachstum & Wohlstand
Der internationale Handel ist das Feld härtester, von der Politik machtvoll unterstützter Konkurrenz kapitalistischer Unternehmen. Den Im- und Exporteuren kommt es auf ihren Profit an, den Staaten geht es um den Zufluss von möglichst viel gutem Geld aus anderen Ländern, was mit den Interessen der weltweit aktiven Kaufleute nur bedingt und teilweise zusammenfällt und die Interessengegensätze auf diesem Geschäftsfeld vermehrt und verschärft. Usw.
Das alles ist den Fachleuten der VWL selbstverständlich
bekannt. Als Wissenschaftler nehmen sie sich aber die
Freiheit, vom Gewinn als Zweck des Handels, vom Geld als
Sorgeobjekt der Staaten und von den damit verbundenen
Interessenkonflikten vollständig abzusehen und zur
Erklärung des Geschehens ein Modell zu
entwerfen, wonach es den beteiligten Ländern – die sind
für die Wissenschaft die eigentlichen Subjekte des
internationalen Handels – um die bestmögliche Versorgung
ihrer Völker und der Menschheit überhaupt zu tun ist. Das
Modell – für das sie ihren Ahnvater Ricardo haftbar
machen – konstruiert einen „Naturaltausch ohne Geld“:
einen Außenhandel des direkten Austausches irgendwelcher
nützlicher Güter, der unweigerlich
Wohlstandsgewinne
für alle Beteiligten mit sich
bringt. Und das nicht etwa nur unter der Annahme, dass
die Handelsnationen einander liefern, was die andern
nicht haben oder was ein Land, aus welchen Gründen auch
immer, besser, i.e. mit weniger Aufwand herstellen kann
als ein anderes. Das Dogma vom guten Sinn des
Außenhandels gilt dem Modell zufolge auch dann, wenn ein
Land über alle Branchen hinweg produktiver und ein
anderes Land durchgängig weniger produktiv ist. Begründet
wird das durch eine Rechnung mit „Kostenvorteilen“, die
sich exemplarisch beim Vergleich von zwei Ländern
herausstellen, die beide – um es übersichtlich zu
gestalten – zwei verschiedene Güter, etwa Weizen und
Tuch, erzeugen können und sich entscheiden müssen, wie
viel von ihren insgesamt verfügbaren
„Produktionsmöglichkeiten“ sie welchem Gut widmen. Den
nötigen Aufwand, insofern den Preis für eine Einheit
seiner beiden Produkte bemisst jeder dieser fiktiven
Produzenten in der ihm dadurch entgangenen
Möglichkeit, eine gewisse Menge des anderen Gutes
herzustellen. So kostet z.B. den einen 1 Einheit Tuch ¼
Einheit Weizen oder 1 Einheit Weizen 4 Einheiten Tuch;
die Gelehrten sprechen von „Opportunitäts- oder
Verzichtskosten“, und schon klingt es nach Erklärung.
Unterstellt man jetzt, dass diese Relation im anderen
Land anders ausfällt, 1 : 5 zum Beispiel, dann folgt
rechnerisch ganz klar: Das Land mit den höheren
„Verzichtskosten“ für Weizen – 5 Einheiten Tuch auf 1
Weizen-Einheit – gewinnt, wenn es statt Weizen
entsprechend mehr Tuch erzeugt und das im anderen Land in
der dort gültigen Relation – 1 Einheit Weizen schon für 4
Einheiten Tuch – gegen Weizen eintauscht; der
Tauschpartner gewinnt entsprechend durch vermehrte
Weizenerzeugung, weil er damit per Außenhandel an ein
relativ größeres Quantum Tucheinheiten kommt als bei
Eigenproduktion. Am Ende stellen sich also beide Länder
besser, wenn sie sich auf die Herstellung desjenigen Guts
spezialisieren, das sie im Vergleich mit dem anderen Land
vergleichsweise weniger Aufwand kostet, und sie sich
wechselseitig mit diesem beliefern – was zu beweisen
war![10]
Mit der Realität, mit den wirklichen Kalkulationen der wirklichen Akteure des Welthandels hat dieses Modell ersichtlich nichts zu tun. Der VWL macht das aber gar nichts aus. Sie will gar nicht behaupten, Länder würden derartige „komparative Kostenvorteile“ ermitteln und vergleichen, bevor sie zum Ex- oder Import schreiten. Sie denkt vom gewünschten Ergebnis her und postuliert die Bedingungen, unter denen es eintritt. Das Ergebnis, das sie haben will, ist ein allgemeiner Nutzengewinn. Als Nutznießer denkt sie sich ein „Land“ – kein wirkliches, schon gar keinen nationalen Kapitalismus, sondern ein ideelles Ensemble von Produktionszweigen – bzw. das „Volk“, nach dem sie sich selbst benennt – und das nur ein anderer Ausdruck für dieselbe Fiktion ist: ein Wesen, das zunächst im Inneren seine „Wirtschaft“ als Arbeitsteilung unter der Leitlinie maximal erreichbarer Güterversorgung durchorganisiert. Zwischen diesen Wesenheiten lässt das Modell dann einen Gütertausch stattfinden, der für die Beteiligten zur weiteren Maximierung ihres Maximums führt.
Das Ganze ist freilich keine Gedankenspielerei, sondern bürgerliche Wissenschaft: Mit ihrer Fiktion will die VWL den real existierenden Außenhandel als ein Werk der Vernunft, der kooperativen Herbeiführung maximalen und allseitigen Wohlstands durch ein Kunstwerk von „internationaler Arbeitsteilung und Spezialisierung“ auf den Begriff gebracht haben. Der Realität, neben der sich die ganze Konstruktion so schräg ausnimmt, wie sie ist, attestiert sie wahlweise eine Komplexität, der sich die Außenhandelstheorie durch verfeinerte Modelle immer weiter anzunähern hätte, oder ein gewisses Maß an Unvollkommenheit der Märkte und Staaten, die im Sinne der wunderbaren Rationalität internationaler Arbeitsteilung zu korrigieren wäre. Oder beides zugleich.
[1] Alle Zitate aus dem Standardlehrbuch: Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 24. Auflage 2010 bzw. 25. Auflage 2013, Vahlen Verlag München
[2] Der wissenschaftliche Fortschritt der heutigen VWL gegenüber der Vulgärökonomie, die Marx noch vor Augen gehabt und ausführlich kritisiert hat, ist nicht zu übersehen. Diese ist in ihren Betrachtungen der Ökonomie noch von den im Kapitalismus allgegenwärtigen drei Einkommensquellen – Arbeit, Kapital und Grundbesitz – ausgegangen sowie von der praktischen Erfahrung, dass diese Einkommensquellen, so wie der Laden nun mal eingerichtet ist, ihrem jeweiligen Eigentümer mit einiger Regelmäßigkeit die entsprechende Geldrevenue einbringen – einen Lohn, einen Zins bzw. eine Grundrente. Ihrem Bedürfnis nach Rechtfertigung dieser ökonomischen Verhältnisse folgend setzt sie – wie der in diesen Verhältnissen praktisch befangene Verstand – diese Quellen des Einkommens mit Quellen gleich, die den Reichtum selbst, den sich die Einkommensquellenbesitzer aufgrund des Eigentums an diesen Einkommensquellen aneignen können, wirklich hervorbringen. Die Leistung der damaligen Vulgärökonomen auf dem Feld der wissenschaftlichen Befassung mit der Ökonomie hat wesentlich darin bestanden, diese verkehrte, aber ideologisch ungemein wertvolle Gleichsetzung zum Prinzip ihrer ökonomischen Betrachtungen gemacht und als solches in der Wissenschaft von der Ökonomie allgemein durchgesetzt zu haben. Was die Wissenschaft damit hinter sich gelassen hat, ist jede theoretische Auseinandersetzung mit dem sachlichen Verhältnis, in dem der Unternehmer, seine Arbeitskräfte sowie der Grundeigentümer aufgrund ihrer Einkommensquellen zueinander stehen und über dessen Widersprüche die vormaligen Nationalökonomen noch gestolpert sind. Die heutige VWL handelt demgegenüber nur noch von der Abstraktion Haushalte, die den Unternehmen Produktionsfaktoren – welche auch immer – zur Verfügung stellen und dafür ein Einkommen erhalten. Sie abstrahiert von der Verschiedenheit der Einkommensquellen ebenso wie von der Verschiedenheit der Stellung, die deren Besitzer aufgrund ihres Eigentums an einer der Revenuequellen im und zum Produktionsprozess einnehmen und hält, vom stofflichen Inhalt bereinigt, nur noch das abstrakte Prinzip fest, eben die ideologische Verwandlung der Revenuequellen in Produktionsfaktoren und der Einkommen in ein Äquivalent für den Beitrag, den die Haushalte mit ihren Produktionsfaktoren zur Produktion leisten.
[3] Mit dem Argument,
dass die Geldströme ohnehin das monetäre Spiegelbild
(Äquivalent) der realen Ströme
(Cassel/Müller, Kreislaufanalyse und
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Stuttgart 1975, S.
23) seien, gestatten es sich die Modellbildner,
aus ihrer Darstellung der Ökonomie den
Güterkreislauf zu eliminieren
(Felderer/Homburg, Makroökonomik und neue
Makroökonomik, 1987, S. 32) und das
gleichgewichtige Zirkulieren der Geldströme zwischen
den ‚Polen‘ zu dem maßgeblichen Gesichtspunkt zu
erheben, unter dem alle ökonomischen Beziehungen zu
betrachten sind.
[4] Alle Zitate lassen sich so oder so ähnlich in jedem Lehrbuch der VWL/Makroökonomie finden; hier sind sie, soweit nicht anders vermerkt, entnommen aus: Woll, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, München 1981
[5] Zur Begründung
dieser Gleichsetzung verweist das VWL-Lehrbuch an
dieser Stelle ausdrücklich auf die doppelte
Bedeutung von Y
: Einesteils nämlich ist Y die
Wertsumme der produzierten Güter, andererseits ist es
die Summe der gezahlten und einbehaltenen
Faktoreinkommen.
[6] Die
Notwendigkeit von Investitionen begründet die
VWL ausdrücklich unter Bezugnahme auf ihr
Kreislaufaxiom: Das Kreislaufaxiom ist verletzt,
weil das Faktoreinkommen des Haushaltssektors bei
positiver Ersparnis seine Konsumausgaben
übersteigt...
(Felderer/Homburg, S. 37) Die
Verletzung des ‚Axioms‘ besteht darin, dass die
Unternehmen nun ja Y in Gestalt von Faktoreinkommen an
die Haushalte wegzahlen, von ihnen aber nur Y − S
zurückbekommen. Damit der Wirtschaftskreislauf weiter
kreislaufen kann, muss diese Verletzung geheilt werden.
Und dieser Aufgabe stellt sich die VWL erst einmal
theoretisch, indem sie eine weitere Annahme in ihr
Modell einführt: Sie postuliert zwischen Unternehmen
und Haushalten einen „imaginären Pol
Vermögensbildung“ (ebd.), der – wie auch immer man sich
den realisiert denken mag – die Funktion zugesprochen
bekommt, dafür zu sorgen, dass das von den Haushalten
gesparte Geld nicht nur gespart, sondern den
Unternehmen in gleicher Höhe für Investitionen zur
Verfügung gestellt wird:
Dieser [Pol] nimmt die Ersparnisse auf, und aus ihm
werden die Investitionen finanziert.
(Ebd.)
Die VWL läuft hier in ihrer Modellbildnerei zur
Höchstform auf: Sie imaginiert eine Instanz, die
ausdrücklich nur in ihrer Vorstellung existiert, weil
sie für die modelltheoretisch geforderte Funktion,
den Kreislauf zu schließen
, einen
Funktionsträger braucht, dem sie diese
Funktion zuschreiben kann.
[7] Wer sich darüber
wundert, dass die Gleichung I = S (die, wie die
Volkswirte betonen, per definitionem immer gilt und
für deren Gelten die Beschaffenheit der Wirklichkeit
ohne Bedeutung ist
(Cassel/Müller, S. 3), weil die beiden
Größen I und S identisch gleich
als Restgröße
bestimmt sind, die sich ergibt, wenn man vom Ertrag der
Produktion den Konsum abzieht) hier zu einer
„Gleichgewichtsbedingung“ mutiert, die durch
die Investitionen und das Sparen erfüllt, aber eben
auch nicht erfüllt werden kann, darf sich
diesen Widerspruch damit erklären, dass im Nachhinein –
ex post
– manches nicht mit dem zusammenfällt,
wie es die Beteiligten zuvor – ex ante
– geplant
haben. Dieser „Realität“, der „Abweichung von Soll- und
Ist-Werten“, wird die VWL dann – wie sie programmatisch
verkündet – dadurch gerecht, dass sie ihre
modelltheoretische Norm des Gleichgewichts zum
Ausgangspunkt und Maßstab der Analyse geplanter
Größen
macht: Das Gleichgewicht ist Datum; die
bestimmenden Größen werden gesucht.
[8] Als „stationär“
bezeichnet die VWL das Gleichgewicht eines
Kreislaufsystems, in dem alle Bestände
,
insbesondere auch der Kapitalstock der
Unternehmungen
und das Realvermögen der
Haushalte
konstant sind. Dieses stationäre
Gleichgewicht
– das gesteht die VWL bereitwillig
ein – ist die Fiktion eines Ruhezustandes der
Wirtschaft ... – also etwas, was es ganz gewiß nicht
‚gibt‘. Dennoch ist das stationäre Gleichgewicht ein
unerläßliches Hilfsmittel zur Erklärung des
Wirtschaftsgeschehens.
Dieser Modell-Idealismus
provoziert die Aufgabe, das Konzept des ökonomischen
Gleichgewichts neu zu interpretieren
. Am Ende
bleibt die Erkenntnis, dass man die Definition des
stationären Gleichgewichts ... nur etwas zu
verallgemeinern
braucht, wenn die
Umweltbedingungen ständigen Veränderungen
unterliegen
– um dann auch eindeutig definieren zu
können, wann sich das System im ...
Wachstumsgleichgewicht befindet.
(Richter/Schlieper/Friedmann, Makroökonomik,
Berlin 1973, S. 451, 495)
[9] Die
Wachstumsmodelle beschreiben den ... durch drei
Basisfunktionen erfassten Prozess, der zu einem
gleichgewichtigen Wachstum führt.
[10] Es sind schon einige Absurditäten, die wie selbstverständlich in dieses sog. „Ricardo-Modell“ der „komparativen Kostenvorteile“ eingehen. Man muss z.B. vom Unterschied der Produkte und der für ihre Herstellung benötigten Produktionsmittel und Arbeitstätigkeiten so vollständig absehen, dass die Produktion von – im Lieblingsbeispiel der VWL – Tuch ganz unmittelbar an die Stelle der Erzeugung von Weizen treten kann, folglich der identische Aufwand sich in einem rein quantitativen Verhältnis von Erzeugnissen darstellt, die natürlich gleichwohl als unterschiedliche Güter zu denken sind, für deren Herstellung in verschiedenen Ländern dann sogar verschiedene Quantitäten Aufwand zu veranschlagen sind. Produktspezifische Maßeinheiten sollen sich wechselseitig messen, ohne dass man mit einem produktunspezifischen Maß bekannt gemacht würde, das als gemeinsamer Nenner für Fläche – bei Tuch – und Menge – bei Weizen – in Frage kommen würde und das noch dazu als für die Austauschrelation – „Verzichtskosten“ – bestimmende identische Maßeinheit fungieren könnte. Im Sinne eines Beispiels, das doch jedem Studenten einleuchten müsste, rechnen die Lehrmeister der VWL, die die Marx’sche ‚Arbeitswerttheorie‘ als einseitig verwerfen, hier ausnahmsweise gerne mit Arbeitsstunden – und leisten sich damit ganz unbefangen den Fehler der Stundenzetteltheorie zur Erklärung der Preise, den schon Marx kritisiert hat: Da wird das Bild eines planvoll-kooperativen Tausches von nützlichen Dingen nach Maßgabe der auf die Güterherstellung verwandten Arbeitszeit gezeichnet; wohingegen der sachlich gebotene Rückschluss vom gleichen Tauschwert unterschiedlicher Waren auf abstrakte Arbeit als Quelle und Bestimmungsgrund des Werts eine vernichtende Kritik der kapitalistischen Warenproduktion einschließt, in der die Konkurrenz unabhängiger Privatproduzenten diese gewaltsame Reduktion der Arbeit auf ihre wertschaffende Qualität herbeiführt.