Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Kochs Rezept für die Hessen-Wahl und seine Folgen:
Wie man mit der Gewalttätigkeit von Jugendlichen für die des Staates wirbt –
oder: Die wahrscheinlich kürzeste Staatsableitung der Welt
Auch zur Weihnachtszeit und um die Jahreswende geht das mediale Berichtswesen seinen Informationspflichten nach und berichtet getreulich selbst noch darüber, was zu nachtschlafender Zeit in den U-Bahnhöfen der Republik los ist: Ein deutscher Rentner weist zwei Knaben mit empfindlicher Ehre und „Migrationshintergrund“ auf ein deutsches Rauchverbot im Zug hin und macht dabei einen ernsten Fehler. Er bedenkt nicht, dass er es mit „jungen Männern“, also „der gefährlichsten Spezies der Welt“ zu tun hat. Die haben, was das Nachrichtenmagazin für den Rentner leider zwei Wochen zu spät enthüllt, vor allem dann, wenn sie – wie derzeit in Deutschland – in großer Zahl „überflüssig“ sind, deswegen „gelangweilt“ und mit altersgemäßem „Testosteronspiegel“ ausgestattet, schon zu allen Zeiten Kriege angefangen, Juden erschlagen und Reiche erobert.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Kochs Rezept für die Hessen-Wahl und
seine Folgen:
Wie man mit der Gewalttätigkeit von
Jugendlichen für die des Staates wirbt – oder: Die
wahrscheinlich kürzeste Staatsableitung der Welt
Auch zur Weihnachtszeit und um die Jahreswende geht das
mediale Berichtswesen seinen Informationspflichten nach
und berichtet getreulich selbst noch darüber, was zu
nachtschlafender Zeit in den U-Bahnhöfen der Republik los
ist: Ein deutscher Rentner weist zwei Knaben mit
empfindlicher Ehre und Migrationshintergrund
auf
ein deutsches Rauchverbot im Zug hin und macht dabei
einen ernsten Fehler. Er bedenkt nicht, dass er es mit
jungen Männern
, also der gefährlichsten Spezies
der Welt
(Der Spiegel
2/08) zu tun hat. Die haben, was das
Nachrichtenmagazin für den Rentner leider zwei Wochen zu
spät enthüllt, vor allem dann, wenn sie – wie derzeit in
Deutschland – in großer Zahl überflüssig
sind,
deswegen gelangweilt
und mit altersgemäßem
Testosteronspiegel
ausgestattet, schon zu allen
Zeiten Kriege angefangen, Juden
erschlagen und Reiche erobert. Es kommt deshalb,
wie es kommen muss: Natürlich wird auch der Rentner
niedergemacht. Eine der allgegenwärtigen Kontrollkameras
schafft Öffentlichkeit, und über alle Sender geht
tagelang – Horrorvideos für alle! – eine Endlosschleife
der Prügelbilder, ergänzt um fast täglich neue Berichte
über – meistens ausländische – Jugendliche, die schon
wieder irgendwo irgendwen vermöbelt haben.
*
Zur gleichen Zeit grübeln in Hessen die Stäbe des
Ministerpräsidenten Koch über ein durchschlagskräftiges
Wahlkampfthema nach, mit dem sie die unter der Wucht
einer sozialdemokratischen Mindestlohnkampagne
bröselnden Umfragewerte der CDU sanieren könnten. Was,
das ist die Frage, könnte die Wähler wieder mehr für die
Christdemokraten einnehmen? Mehr eben als das
SPD-Versprechen, im Fall der Regierungsübernahme
weiterhin entschieden mit der Einführung gerechter
Billiglöhne zu sympathisieren? Während die einen dem Volk
sozialdemokratische Grundgleichungen beibringen wollen –
Ypsilanti gleich Mindestlohn gleich Gerechtigkeit
gleich soziale Wärme – in einer Gesellschaft, die sich
Umfragen zufolge nach genau diesen Dingen sehnt, fehlt
Koch ein Thema.
(SZ,
3.1.) Aber zum Glück haben die
christdemokratischen Agitatoren auch den Fernseher an und
die Not hat mit einem Schlag ein Ende: Seit zwei
Jugendliche ausländischer Herkunft in München einen
Rentner zusammenschlugen, hat er eines.
(SZ, ebd.)
Und was für eines: Eines, das das SPD-Thema für Wochen
aus den Schlagzeilen fegt und nach den Berechnungen der
CDU offenbaren soll, dass sich die hessische wie die
gesamtdeutsche Gesellschaft mehr noch als nach
Gerechtigkeit nach einer harten Hand sehnt, die
sicherstellt, dass die Bürger ihren Mindestlohn in
sozialer Wärme und ungestört von in- und vor allem
ausländischen Schlägern genießen können. Dafür bieten
sich Koch und seine Mannschaft als die genau Richtigen
an: Der Staat muss Härte zeigen
in solchen Fällen.
Er darf sich nicht lächerlich machen, weil er keine
Härte zeigt
. Das gilt insbesondere, wenn es um
Jugendgewalt
geht, näher: um besondere Probleme
mit jungen Menschen ausländischer Herkunft
(Koch, SZ, ebd.): Die
erhobene Faust ist zu einem Problem geworden in unserem
Land. Wir dürfen nicht übersehen, dass dieses Problem
etwas mit Migration zu tun hat.
(Koch auf Wahlkampftour lt. FAZ, 10.1.)
Die Kanzlerin lässt mitteilen, zum Schutz der
Bevölkerung
werde die Notwendigkeit von
Veränderungen an der Rechtslage
geprüft. Derlei
Straftaten lösten Ängste aus, auf die der Staat
reagieren muss.
(SZ,
ebd.)
Koch dagegen hat schon geprüft und bringt einen ständig
anschwellenden Forderungskatalog
unter die Leute.
Der enthält Warnschussarreste
und
Sicherungsverwahrung auch für Heranwachsende
,
häufigere Anwendung des Erwachsenenstrafrechts,
Beschleunigung von Strafverfahren,
Erziehungslager
, Führerschein- und
Handyverbote
, Senkung der Altersgrenze für die
Strafmündigkeit, um auch Delinquenten im
Kindesalter wegsperren zu können, und vor allem:
die Erleichterung der Ausweisung nichtdeutscher
Täter. Die Kauders, Schäubles und Pofallas der Union
stärken ihrem Wahlkämpfer mit Wortmeldungen im
Stundentakt den Rücken, ein Münchner
Bürgermeisterkandidat rückt die Schläger auf sein
Wahlplakat, und die sympathisierende Presse lässt
Polizisten und Deutschlands mutigsten
Oberstaatsanwalt
zu Wort kommen, der erschreckende
Fakten
aus den Brutstätten des Verbrechens und den
Trainingslagern der jungen Täter in ihren kriminellen
ausländischen Großfamilien und von viel antideutscher
Verachtung für unser Recht
zu berichten weiß
(Bild, 4.1.).
*
Dem beträchtlichen Aufwand ist eine eindeutige Absicht zu
entnehmen: Die Kampagne gegen die zu vielen
kriminellen Ausländer
(Koch) und die Forderung nach mehr
Härte
zielen darauf, im wahlwilligen Volk einen so
verkehrten wie fundamentalen Schluss wachzurufen. Unter
strikter Vermeidung auch nur eines Gedankens daran, wer
die Verhältnisse ins Leben gerufen hat und betreut, in
denen die private Gewaltsamkeit Heimat und Nährboden hat,
soll man von ihr zielstrebig auf die Instanz schließen,
die ihre Verhinderung zu bewerkstelligen hat.
Die ausgiebig angefachte moralische Empörung über
verbotene jugendliche Gewalt übersetzt sich nahtlos in
einen Auftrag an die Adresse der
öffentlichen und berechtigten Gewalt der
Staatsmacht, solchen Übergriffen gewaltsam
Einhalt zu gebieten. Denn das ist ja das Schöne an
der verbrecherischen Privatgewalt: Sie bringt so
vorteilhaft in Erinnerung, wie viel gerechte
Gewalt zum Staat gehört – und wie wenig umgekehrt
eine Staatsmacht zählt, die nicht überzeugend mit
diesem Argument gegen Rechtsbrecher vorgeht.
Diese altehrwürdige Staatsableitung aus dem Verbrechen
gewinnt noch entschieden an Überzeugungskraft, wenn die
Gewalttäter keine Einheimischen sind: Dann geht es um
unser Recht, den andern heimzuleuchten;
mit seiner Gewalt steht der Staat für die Heimat
ein. Gefordert ist folglich eine starke Hand:
eine entschlossene politische Führung, die ihr
Handwerk versteht und sich nicht scheut, dem Terror
der Straße
mit überlegenen Mitteln zu begegnen. Bei
Gelegenheit der periodischen Neuausschreibung der
politischen Vorstandsposten im Lande lassen die
Konkurrenten dies daher gerne als ganz wichtigen Grund
plakatieren, warum sie die Führung im Lande beanspruchen:
Sicher leben!
heißt die Parole der CDU, nachdem
sie ihr Wahlkampfthema gefunden hat, und: Mit uns ist
das Land sicher!
Die auch zur Wahl stehende
Alternative hingegen hat mit ihrem relativistischen
Multi-Kulti-Idealismus
nur der wachsenden
Frechheit Vorschub geleistet, die sich unreife Ausländer
herausnehmen. Mit ihrer ideologisch begründeten
Uneinsichtigkeit
(Reuters
online, 11.1.) haben die Sozis zu den
gefährlichen Zuständen heute
entscheidend beigetragen
(Koch, Ruhrnachrichten, 11.1.), weshalb Hessens Wählern
klar sein muss, was ‚sicher leben‘ für sie zuallererst
heißt: Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten
stoppen!
(CDU-Wahlplakat)
*
Damit hat Kochs politischer Gegner neben der ‚sozialen
Gerechtigkeit‘, mit der er punktet, ein zweites Thema.
Dass den Citoyens am Staat die Gewalt gefällt,
die gegen allfällige Belästigungen durch jugendliche
Rechtsbrecher vorgeht und die friedliche Ordnung des
einheimischen bürgerlichen Alltagslebens wiederherstellt,
an der allen gelegen ist, weiß man natürlich auch in der
SPD. Und gerade weil man das dort weiß, hat man auch
sofort den einen schwachen Punkt entdeckt, an dem man
Koch als Propagandisten gnadenloser staatlicher Härte alt
aussehen lassen kann: Der Mann redet nur – machen tut er
ja gar nix! In Wahrheit ist der harte Hund ein ganz
weicher Roland
(SZ,
4.1.). Der will durchgreifen, hat aber selbst in
Hessen ein ganz fortschrittliches
Jugendstrafvollzugsgesetz
erlassen, das sich mit so
kuscheligen Sachen wie Erziehung und Resozialisierung
befasst! Der will wegsperren, was das Zeug hält, hat aber
selbst den Jugendstrafvollzug in Hessen kaputt
gespart
, Polizisten- und Richterstellen und Mittel
für die Betreuung von Straffälligen gestrichen (SZ, 7.1.)
– mit der Bände sprechenden Folge, dass im Vergleich der
Bundesländer die Jugendgewalt in Hessen weit
überproportional anstieg
(nachrichten.t-online,14.1.), aber die
langsamste Justiz
(FR,
28.1.) agiert! Obwohl das geltende
Jugendstrafrecht nach Auskunft der Bundesjustizministerin
längst die Möglichkeit bietet, Erziehungscamps
einzurichten, hat Koch aber bis heute kein einziges
eingerichtet
(Der Spiegel,
2/08) – das sitzt!
*
Herausgefordert findet sich natürlich nicht bloß die
Opposition. Mit der staatlichen Verarbeitung jugendlicher
Straftäter und unzufriedener Migranten sind schließlich
eine Menge Fachkräfte befasst: Polizisten und
Sozialarbeiter praktisch, Kriminologen und rechtskundige
Meinungsbildner theoretisch. Und alle haben ihre Meinung
zu dem Thema; viele eine ganz andere als die, mit der der
hessische Ministerpräsident für seine Wiederwahl wirbt.
Kriminologen bestreiten, dass mehr Strafe zu weniger
Jugendgewalt führen würde; Jugendrichter kritisieren
Gesetzesverschärfungen mit dem Argument, dass sie doch
schon bei der Umsetzung des geltenden Rechts alle Hände
voll zu tun hätten. Ein philosophierender Rechtsexperte
aus München verbreitet sich über die Chancen der
Resozialisierung in einer Gesellschaft, in der die
Aussichten ... auf eine Sozialisation durch Schufterei
bei der Lohnarbeit weggefallen sind
, so dass es immer
schwerer wird, in der Fabrik, auf dem Bau, in der
Grube ... seines Glückes Schmied zu sein
(H. Prantl, SZ, 9.1.). Kenner der Materie
nehmen Kochs Forderungskatalog
als vollkommen
inkompetente Wortmeldung zur Sache auseinander: Der stehe
mit seinen Parolen gegen die rauflustige Jugend allein
gegen die Fachwelt
(SZ,
10.1.) – als hätte Hessens CDU-Chef einen
Vorschlag für den Wettbewerb von Modellen zur
nachhaltigen Resozialisierung jugendlicher Schläger
eingereicht! Je sachbezogener die Einlassungen dieser
‚Fachwelt‘ sind, desto weiter gehen sie an der
Sache vorbei, die gerade Sache ist.
Allerdings liefert auch diese fachkundige Themaverfehlung
einen ganz tauglichen Beitrag zum Wahlkampf. Nämlich für
das Anliegen der Opposition, Hessens Ministerpräsidenten
schlecht aussehen zu lassen: Sie bezeugen, wie
unglaubwürdig dieser Politiker ist, der sich in
seiner Inkompetenz als bloßer Maulheld
offenbart.
Hat der doch ein extrem ernstes Thema ganz unseriös, nur
zu Wahlkampfzwecken hochgezogen
; bloß, um sich zum
ziemlich akzeptierten Sprecher der schweigenden
Mehrheit
(Koch, nachrichten
t-online, 14.1.) zu stilisieren – ein
interessantes Urteil über das Allerheiligste der
Demokratie, die freie und geheime Wahl; den Kampf um
Wählerstimmen und über den Wähler seitens der
Hauptakteure und Liebhaber dieses Herrschaftsverfahrens:
Für die sind manche Themen in der Politik zu
ernst, zu komplex oder zu
parteiübergreifend wichtig, als dass ein
verantwortungsbewusster Politiker sie in die Niederungen
des Wahlkampfs hineinziehen dürfte. Denn der, da
machen die Kenner dieser Materie sich gar nichts
vor, kommt ohne unehrliche, unsaubere und
polemisch-spalterische Techniken der Wählerwerbung gar
nicht aus.
Aus diesem abschätzigen Urteil über die Techniken der
politischen Vertrauenswerbung in Wahlkämpfen destilliert
die SPD also gleich ihr nächstes Wahlkampfthema heraus.
Unter der sittlich wertvollen Fragestellung, was
beim Wahlkämpfen erlaubt ist und was
nicht, heuchelt man unbedingte Parteinahme für den
Dienst an der politischen Sache, die Koch in denkbar
schändlicher Manier zum bloßen Wahlkampfthema
instrumentalisiert habe. Der Vorwurf lautet auf
Populismus
: Das Bemühen des Ministerpräsidenten,
bei der Werbung ums Mandat für die Vertretung des Populus
bei diesem gut anzukommen, ächtet die Opposition mit
diesem ‚-ismus‘ als Verrat an der Staatsräson; deren
ernste Forderungen würden so dem Erfolg der zweifelhaften
Technik untergeordnet, das Volk in seiner doch eher
niederen Gesinnung ins Recht zu setzen, bloß um
sich von ihm Stimmen abzuholen. Der SPD-Vorsitzende hält
die christliche Kampagne gegen die ausländische
Jugendgewalt für eine populistische Schweinerei!
(Beck), für
erbärmlich
, und zwar für so erbärmlich, dass es
das Volk noch in seiner dumpfen Gesinnung vor einem
solchen Populisten in Schutz zu nehmen gilt: Womit Koch
bei den Stammtischen Stimmung macht, sei eine
Beleidigung für jeden Stammtisch!
(Steinmeier)
*
Die Heuchelei der SPD, einen so wichtigen politischen
Inhalt
vor seiner missbräuchlichen Verwendung zu
Wahlkampfzwecken retten zu müssen, beantworten die
Christen mit einer kongenialen Gegenheuchelei: Mit dem
Wahlkampf, den sie treiben, retten sie nichts Geringeres
als die Demokratie vor Wahlkämpfen, die den Wählerwillen
ignorieren! Sekretär Pofalla findet den Vorwurf des
Rechtspopulismus absurd
, weil der bloß zeige,
dass die nach links gedriftete SPD kein Gespür für die
Themen hat, die die Menschen bewegen
(SZ, 8.1.). Minister Schäuble kann sich
überhaupt über die Populismusunterstellungen nur
wundern
: Wie kann man einem Wahlkampf vorwerfen, dass
er mit seinem durchschlagenden ‚Thema‘ exakt die
Gesinnung trifft, die im Volk vorherrscht?
Demokratisch richtiger geht es doch gar nicht mehr:
Roland Koch hat etwas Richtiges gesagt, zur richtigen
Zeit. Wir müssen die Themen ansprechen, die den Menschen
unter den Nägeln brennen, die Ängste und Sorgen der
schweigenden Mehrheit ernst nehmen, gerade im Wahlkampf.
Alles andere würde die Demokratie schwächen.
(Der Spiegel, ebd.) Denn die
demokratische Kunst des Regierens besteht recht besehen
doch genau darin, dass Parteien sich bei der
‚schweigenden Mehrheit‘ erkundigen, was der in ihrer
tiefen politischen Weisheit im Kopf umgeht; das dann
ansprechen
, um es ernst nehmen
zu können:
genau dazu braucht es den Wahlkampf, erführen die
Politiker doch sonst nichts von den Sorgen ihrer
schweigsamen Klientel.
Freilich müssen diese Kämpfer für eine starke Demokratie
dann auch wieder ein bisschen umdenken, wenn die Wähler
ihren Einsatz doch nicht so honorieren wie gewünscht. In
derselben Partei, die Koch beim Wahlkampf den Rücken
gestärkt hat, melden sich nach dessen nicht so gelungenem
Ausgang 17 ‚Führungspolitiker‘ in einem offenen
Brief
zu Wort, in dem sie von gewissen
ausländerfeindlichen Tönen abrücken, die ihnen in Hessen
rückblickend aufgefallen sind: Die ‚Integration‘ von
Ausländern, die ihnen besonders am Herzen liegt, sehen
sie dadurch beschädigt. Die sei so fundamental für die
Zukunft unseres Landes, dass sie nicht zu einem
schnelllebigen Wahlkampfthema degradiert werden darf
(SZ, 30.1.). Wobei das mit
dem ‚degradieren‘ so eindeutig auch wieder nicht ist.
Vize-Fraktionsvorsitzender Bosbach geht
selbstverständlich weiter davon aus, dass wichtige
Themen nicht aus Wahlkämpfen herausgehalten werden
dürfen – denn: Es kommt immer darauf an, wie man über
ein Thema spricht.
(SZ,
31.1.) Den Schuh kann sich dann auch der
Wahlkämpfer Koch anziehen. So, wie er über das
wichtige Thema gesprochen hat, hat er den Vorwurf seiner
Konkurrenz, nur ein Thema aufgeworfen zu haben,
und den damit völlig zu Unrecht geweckten Zweifel an
seiner Glaubwürdigkeit als ebenso kämpferischer
wie verantwortungsvoller Staatsmann zu wenig zu
entkräften verstanden. Selbstkritisch räumt er ein: Es
ist sicher nicht gelungen, deutlich zu machen, dass es
nicht um ein reines Wahlkampfthema, sondern um ein
dauerhaft die hessische CDU und mich beschäftigendes
Thema gegangen ist.
(Koch, FAS,
3.2.) Im Unterschied zu einem ‚reinen
Wahlkampfthema‘, mit dem man das Volk bloß verarscht, um
seine Stimme zu kriegen, braucht es für eine wirklich
erfolgreiche Volksverarschung ein Thema, bei dem das Volk
gar nicht merkt, dass es zu Wahlkampfzwecken verarscht
wird. Schwierig, aber machbar, wie der Erfolg der
Konkurrenz ja zeigt.
*
Der Staatsableitung aus dem Verbrechen, mit der man in
Hessen Wahlkampf treibt, gewinnt die Intelligentsia des
Landes noch ganz andere Dimensionen ab. Der
Feuilleton-Chef der ‚Zeit‘, ein unverbesserlicher
bürgerlicher Liberaler
(SZ,
17.1.), spießt auf, dass der in der U-Bahn von
Ausländern verprügelte Rentner als
Scheiß-Deutscher
beschimpft wurde. Gegen die
öffentliche Empörung lanciert er den provokanten
Denkanstoß, ob anstelle der zwei antideutschen Ausländer
nicht vielmehr der Deutsche pars pro toto stehe und ob
es nicht auch zuviel besserwisserische deutsche Rentner
gibt, die den Ausländern hier das Leben zur Hölle machen
und vielen Deutschen auch.
Das macht in der
Öffentlichkeit die Runde, und stellvertretend für viele
holt der Chef der FAZ zum Gegenschlag aus. Im Tonfall
eines Manifestes gegen die volksdeutschen Schnarchsäcke,
die – jüngstes Symptom der alternden Gesellschaft
– noch immer nicht kapiert haben, wer beim
Überfall auf einen Rentner in Wahrheit wem nach
dem Leben trachtet, präsentiert er eine verwegene
Verschwörungstheorie über die islamische Zerlegung des
deutschen Volkskörpers: Die von uns zu verantwortende
Nicht-Integration der Zuwanderer tritt jetzt in die
nächste Phase bei den Einheimischen: die Desintegration
der Mehrheit durch punktuelles Totschlagen Einzelner.
Zur Klarheit, für die der Staat zu sorgen hätte, gehört
für ihn, „dass man ausspricht, dass die Mischung aus
Jugendkriminalität und muslimischem Fundamentalismus
potentiell das ist, was heute den tödlichen
Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts am nächsten
kommt“ (FAZ, 15.1.): ein Fall von Islamo-Faschismus,
mindestens, von heißem Dschihad gegen unsere Freiheit!
Diese alternative Lesart darüber, was man von Leuten zu
halten hat, denen das Unwort ‚Scheiß-Deutscher‘ über die
Lippen kommt, findet erheblich mehr Zuspruch als die
kulturkritische Reflexion des Feuilletonisten der ‚Zeit‘.
Der erhält in Kommentaren von der Bild-Zeitung bis zu
ganz vielen Wortmeldungen braver Bürger im Internet eine
Kostprobe der Spießermentalität
und aggressiven
Intoleranz in Deutschland
, die er aufgegabelt haben
wollte: In der Durchschnittsmeinung der Zuschriften ist
der Mann eine kommunistische Alt-68er-Ratte, die den
Massenmörder Lenin verehrt, sich am Deutschenhass mästet
und der man von Herzen gerne ein Rudel ausländischer
Totschläger an den Hals wünscht.
Da ist der Feuilletonist sehr erschrocken
.
Einerseits über den Volltreffer, den er mit seinen
Mutmaßungen über die wenig anheimelnde Natur der
deutschen Volksseele offenbar gelandet hat. Andererseits
darüber, dass man sein Bemerken über die deutschen
Spießbürger als kommunistische Nestbeschmutzung
hat missverstehen können. Das mag er nicht auf sich
sitzen lassen. Er setzt sich zur Wehr – mit einer
Retourkutsche, die dem Bürgerkriegsszenario des
FAZ-Herausgebers durchaus ebenbürtig ist: Der
Kommunismus ist tot, aber der Bolschewismus, einmal ganz
allgemein als Terror der Mehrheit begriffen, unabhängig
davon, auf welcher Seite des politischen Spektrums er
sich organisiert, scheint mir unsterblich. Wir haben
nicht alle Zuschriften veröffentlicht. In einigen
artikuliert sich just jener Mob, der auch schon der
Oktoberrevolution zum Sieg über die Minderheit verholfen
hat.
(ZEIT online, 15.1.)
Deutschen Alt- und Jungnazis und allen anderen
aufgeregten Patrioten mit dem Vorwurf Selber
Bolschewik!
das Maul zu stopfen: Nicht schlecht für
einen Liberalen.