Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Vor 15 Jahren versprochen, jetzt von China gefordert, vom Westen bezweifelt
Ist China eine Marktwirtschaft?
Nach mittlerweile 15 Jahren Mitgliedschaft in der WTO drängt China entschieden auf die vertragsgemäß zu Beginn des kommenden Jahres fällige Korrektur seines Status Quo als „Nichtmarktwirtschaft“ und besteht unter Verweis auf die Beitrittsdokumente auf der automatischen Zuerkennung des Marktwirtschaftsstatus
zur Jahreswende.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Vor 15 Jahren versprochen, jetzt von
China gefordert, vom Westen bezweifelt
Ist China eine Marktwirtschaft?
Nach mittlerweile 15 Jahren Mitgliedschaft in der WTO
drängt China entschieden auf die vertragsgemäß zu Beginn
des kommenden Jahres fällige Korrektur seines Status Quo
als „Nichtmarktwirtschaft“ und besteht unter Verweis auf
die Beitrittsdokumente auf der automatischen
Zuerkennung des Marktwirtschaftsstatus
zur
Jahreswende. Das auf den ersten Blick seltsame Konstrukt
einer zur marktwirtschaftlichen Konkurrenz zugelassenen
„Nichtmarktwirtschaft“ erklärt das „führende Medium zur
Europapolitik“ so:
„Als China 2001 der WTO beitrat, wurde es als zentrale Planwirtschaft betrachtet, hinsichtlich der Beitrittsbedingungen war es erforderlich, das Land für 15 Jahre als ‚Nichtmarktwirtschaft‘ einzustufen. Um es auf den Punkt zu bringen, Preise und Kosten wurden künstlich niedrig gehalten und waren nicht Resultat normaler Marktkräfte, sondern staatlicher Subventionen zugunsten der heimischen Industrie.“ (EurActiv.com, 12.5.16)
Die rückblickende Rede von der „zentralen Planwirtschaft“ wird auch im Jahr 2016 nicht wahrer. Schon die seinerzeit allenthalben als ungeheuer „hart“ und „zäh“ kolportierten Verhandlungen waren schließlich dem Umstand geschuldet, dass eine schon längst in den kapitalistischen Welthandel eingebaute Macht mit ihren Exporterfolgen – die sie mit der Kombination aus Kapitalimport, der Verpflichtung ausländischer Kapitalisten auf Joint-Ventures mit einheimischen Unternehmen, der Garantie unschlagbar billiger, rücksichtslos auszunutzender Arbeitskraft und attraktiver Steuer- und Gewinntransferregeln in ihren „Sonderwirtschaftszonen“ zustande gebracht hatte – den Urhebern und Hütern des freien Welthandels eine ganz vertraute Kalkulation präsentiert hat. Mit dem Aufstieg in den Rang eines vollgültigen WTO-Mitglieds wollte die Führung in Peking nicht nur ihre erfolgreiche Benutzung des Weltmarkts ausbauen und die heimische Ökonomie zu einer immer weiter wachsenden Reichtumsquelle machen, sondern damit auch den chinesischen Staat in den Rang einer bestimmenden Instanz über die Konditionen des weltweiten kapitalistischen Verkehrs befördern. Das alles mit dem explizit formulierten politischen Anspruch, als Welthandelsmacht die wachsende Verfügung über den Geldreichtum der Welt als dauerhaft belastbare Quelle seines Aufstiegs auch zur strategischen Macht zu nutzen, die weltweiten Respekt genießt.
Solche Ansprüche sind den Führern der westlichen Kapitalstandorte und Protagonisten der „Globalisierung“ nur allzu vertraut. Immerhin verdankt sich der ganze uferlose Kanon an Regeln und Vereinbarungen der alle Grenzen überschreitenden kapitalistischen Konkurrenz ihrem Interesse an einer Welthandelsordnung, mit der sie sich im Zugriff auf die Reichtumsquellen unter fremder Hoheit möglichst einseitig und auf Dauer bereichern. Und sie führen vorbildlich die Gleichung vor, dass ihre Rolle als Hüter des Welthandels mit ihrer darauf gegründeten Weltwirtschafts- und Finanzmacht die Basis auch ihres politischen Status eines Richters über die Rechte und Pflichten der Staatenwelt ist: In der Konkurrenz souveräner Gewalten ist und bleibt wachsender Reichtum der Nation die unschlagbare Basis für den Ausbau der Mittel militärischer Macht, die es braucht, um den eigenen Interessen den Charakter allgemein anzuerkennender Rechte zu verschaffen. Unter dem Gesichtspunkt waren sie entschlossen, ihren Unternehmern aus allen Branchen diesen „gigantischen Markt“ zu „öffnen“ und mit deren Kapitalmacht als Geschäftssphäre zu besetzen, und haben die Frage nach der Mitgliedschaft Chinas im Verein der Freihandelsmächte in den vor allem von Seiten der USA geführten Streit um die passenden Konditionen, Vorbehalte und Restriktionen überführt, unter denen Peking beitreten durfte.
Der Sonderstatus einer „Nichtmarktwirtschaft“ war die
Eintrittsbedingung für die Mitgliedschaft Chinas in den
ehrenwerten Kreis der WTO-Mitglieder. Die Fehlanzeige
einer marktwirtschaftlich einwandfreien „Preisbildung“
ist die vom Westen durchgesetzte Vollmacht, Preise, mit
denen China seine internationalen Konkurrenten aus dem
Feld schlägt, auf den Prüfstand zu stellen und am
Kriterium des „normalen“ Weltmarktpreises
vergleichbarer Drittländer
als staatliches Dumping
zu bekämpfen. So haben sich die Führungsmächte einen bis
heute gültigen, jederzeit aktualisierbaren
Generalvorbehalt in das Regelwerk eingebaut, der ihnen
ein ganzes Instrumentarium handelspolitischer
Gegenmaßnahmen zur Bekämpfung unerwünschter chinesischer
Konkurrenzerfolge an die Hand gibt. China hat im Gegenzug
verschiedene „Übergangsfristen“ bei der Öffnung diverser
Unterabteilungen seiner Märkte und insbesondere den
vorläufigen Schutz seiner Landwirtschaft vor dem
Vergleich mit dem überlegenen westlichen Agrarkapital
durchgesetzt – und eben, unter Vorbehalt, die für alle
Mitglieder dieses Clubs geltenden Freiheiten des
grenzüberschreitenden Kaufens und Verkaufens.
15 Jahre, eine gescheiterte Doha-Runde und eine mittlerweile ins neunte Jahr gehende Weltfinanz-, Staatsschulden- und überhaupt allgemeine Wirtschaftskrise weiter, hat China unter tätiger Mithilfe anlagewilliger Kapitalisten aus aller Herren Länder, also vor allem aus den finanzmächtigen Zentren der freien westlichen Welt, einiges aus dem Zuspruch des internationalen Kapitals gemacht. Es hat sich, wie allseits verlangt, „geöffnet“, den freien Kapitalverkehr landesweit zugelassen, seine Gesellschaft allein dem Maßstab der Rentabilität unterworfen und darüber die chinesische Nationalökonomie zur festen Basis einer überlegenen Welthandelsnation gemacht, die die alten WTO-Beschränkungen nicht mehr hinnehmen will und eines Großteils der dafür eingeräumten Sonderkonzessionen nicht mehr bedarf. In den Worten eines Experten:
„China hat in den Wertschöpfungsketten aufgeholt, steht in vielen Bereichen ganz nah an dem, was deutsche Unternehmen produzieren können, und hier wächst schlicht und einfach der Wettbewerb.“ (Mikko Huotari, Institut für China-Forschung, tagesschau.de, 13.6.)
Dennoch bestehen nicht nur die USA darauf, sondern auch
die deutsche Kanzlerin trägt öffentlich Bedenken vor,
dass Chinas Wirtschaft immer noch sehr stark
staatlichen Weisungen unterliege
, und stellt die
vereinbarte Aufwertung zur ordentlichen Marktwirtschaft
in Frage. Daran ist weniger die feinsinnige Scheidung von
staatlichen Weisungen
und
demokratisch-rechtsförmig einwandfreier Förderung
regenerativer Energien, der zukunftsweisenden Industrie
4.0 oder dem Elektroauto bemerkenswert, als der
Standpunkt, den die deutsche Kanzlerin in Sachen
ehrlicher „Marktkräfte“ gegen staatliche Verfälschungen
einer einwandfreien Konkurrenz geltend macht: Wo
chinesische Kapitalisten unsere Großkonzerne und
mittelständischen Weltmarktführer aus dem Feld schlagen,
ziehen sie sich unweigerlich den Verdacht zu, dass ihre
Erfolge nicht auf „faire“ Weise zustande gekommen sein
können. Letztendlich müssen die das Resultat
staatlicher Manipulationen sein, sonst wäre schließlich
das Gewohnheitsrecht deutscher, europäischer und
amerikanischer Unternehmen auf den Sieg in der weltweiten
Wachstumskonkurrenz zum Zuge gekommen. Der
journalistischen Elite bleibt es vorbehalten, den
Klartext zu liefern – würde China der Status einer
Marktwirtschaft zuerkannt, wäre es vor
Anti-Dumping-Klagen und hohen Strafzöllen geschützt
(tagesschau.de, 13.6.) und
die Schutzmächte des freien kapitalistischen
Konkurrierens hätten zur Korrektur unerwünschter
Konkurrenzergebnisse glatt nichts mehr in der Hand.
Der Entscheidungsvorbehalt, den sich die Führer der westlichen Kapitalhochburgen in Sachen künftiger Konditionen der chinesischen Teilnahme am Welthandel reservieren, bekommt zusätzliche Bedeutung wegen der weltwirtschaftlichen Lage, mit der sie sich herumschlagen. Das Recht auf die handelspolitische Diskriminierung des kapitalistischen Emporkömmlings, von dem sie mit der Definition chinesischen Stahls als „Überkapazität“ und ihrer Niederlagen gegen Chinas Unternehmerschaft als chinesisches „Dumping“ Gebrauch machen, wollen sie sich als Instrument ihrer Krisenkonkurrenz unbedingt erhalten. Unter den Bedingungen der weltweiten Überakkumulation konkurrieren alle Beteiligten nicht mehr um ihren jeweiligen Anteil am weltweiten Kapitalwachstum, sondern kämpfen um die Verteilung der Schäden, die ihnen wegen des ausbleibenden Wachstums drohen; und dabei sind die westlichen Führungsmächte im Weltgeschäft entschlossen, einen gehörigen Teil der Krisenlasten auf China abzuwälzen. Sie bestreiten China, sich am unbestechlichen Maßstab der Kapitalproduktivität zu bewähren, nicht, weil nur dieses Kriterium und sonst nichts zu gelten hätte in ihrer Konkurrenz und China allein sich an ihm verginge, sondern weil exakt dieses Kriterium aktuell die Entwertung eines Riesenhaufens an Kapital bedeutet, die auch für Europa und die USA droht. Dieses Ergebnis ihrer Konkurrenz in der Krise wollen sie auf keinen Fall kassieren, setzen vielmehr alles daran, es ihren Konkurrenten aufzuhalsen, in diesem Fall China – und greifen dazu zu ungefähr den Methoden der politischen Einflussnahme auf den Gang der Geschäfte, die sie China als flagrante Verletzung der Grundsätze freien Marktwirtschaftens vorwerfen.