Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Ist Afghanistan als Thema des Parteienstreits geeignet?
Mit dem Krieg sicher durch die Niederungen des Wahlkampfs

Die deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan ist für keine Partei im Wahlkampf ein großes, vor allem kein strittiges Thema. Nur die Linken fordern den Rückzug der Truppen. In diese aufgeräumte Szene platzt der „fatale Angriff“ (FAZ, 8.9.09) auf zwei von Taliban entführte Tanklastzüge, für den ein deutscher Oberst der ISAF-Truppen die Verantwortung trägt. Dabei kommen „nicht nur viele Aufständische, sondern auch Zivilisten ums Leben“. (FAZ, 8.9.) Während die Bomben dafür sorgen, dass gut hundert armen Afghanen kein Zahn mehr weh tut, erweist sich daheim in Deutschland angeblich ihre „politische Sprengkraft“ (SZ, 8.9.): Sie produzieren als Kollateralschaden Kopfschmerzen bei den Wahlkampfstrategen in Berlin. Bei den Christdemokraten die Sorge, dass die vielen unter deutschem Kommando produzierten Toten in einem Krieg, der in den Meinungsumfragen ohnehin keine guten Noten bekommt, ihre Wahlaussichten beschädigen könnten; bei der SPD die Sorge, dass die Linke durch dieses kleine „Blutbad in Afghanistan“ (Basler Zeitung, 6.9.) Aufwind bekommen könnte.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Ist Afghanistan als Thema des Parteienstreits geeignet?
Mit dem Krieg sicher durch die Niederungen des Wahlkampfs

Die deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan ist für keine Partei im Wahlkampf ein großes, vor allem kein strittiges Thema. Nur die Linken fordern den Rückzug der Truppen. In diese aufgeräumte Szene platzt der fatale Angriff (FAZ, 8.9.09) auf zwei von Taliban entführte Tanklastzüge, für den ein deutscher Oberst der ISAF-Truppen die Verantwortung trägt. Dabei kommen nicht nur viele Aufständische, sondern auch Zivilisten ums Leben. (FAZ, 8.9.) Während die Bomben dafür sorgen, dass gut hundert armen Afghanen kein Zahn mehr weh tut, erweist sich daheim in Deutschland angeblich ihre politische Sprengkraft (SZ, 8.9.): Sie produzieren als Kollateralschaden Kopfschmerzen bei den Wahlkampfstrategen in Berlin. Bei den Christdemokraten die Sorge, dass die vielen unter deutschem Kommando produzierten Toten in einem Krieg, der in den Meinungsumfragen ohnehin keine guten Noten bekommt, ihre Wahlaussichten beschädigen könnten; bei der SPD die Sorge, dass die Linke durch dieses kleine Blutbad in Afghanistan (Basler Zeitung, 6.9.) Aufwind bekommen könnte.

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Bis zu dem fulminanten Auftritt des entscheidungsfreudigen deutschen ISAF-Kommandeurs geht der Afghanistan-Krieg seinen Gang, und auch seine politische Bewirtschaftung in den Zeiten des Bundestagswahlkampfes ist weitgehend konfliktfrei arrangiert:

„Union, SPD, FDP und sogar die Grünen haben den Einsatz am Hindukusch bislang weitgehend aus dem Parteienstreit herausgehalten, ...“. (FAZ, 5.9.)

Mit Ausnahme der notorisch „auf Bundesebene regierungsunfähigen“ Linkspartei führen die anderen vor, wie verantwortliches Regieren und Wahlkämpfen manchmal auch geht: Da kann im öffentlichen Konkurrenzkampf der Parteien um die Weisungsbefugnis in Berlin auch einmal Nichtbefassung mit einem wichtigen politischen Thema das passende Verfahren sein. Die verantwortlichen Kräfte der Parteienlandschaft haben im Fall des deutschen Militärbeitrags zur imperialistischen Befriedung und weltordnerischen Stabilisierung Afghanistans entschieden, das Volk mit diesem Stoff nicht mehr als nötig zu behelligen. Offenbar halten sie die Gründe des deutschen „Engagements“ in Mittelasien für nicht übermäßig tauglich dafür, sie dem Volk als Auswahlkriterien bei der fälligen Neubestellung der Regierung vorzulegen. Wenn der gemeinsame Beschluss steht, dass die Beschäftigung damit die Entscheidungsfindung der wählenden Massen nicht befördert, dann geht, das ist demokratisch folgerichtig gedacht, das Volk die Angelegenheit auch nichts an.

Die ist vielmehr Sache der regierenden Nationalisten, denen als ausgemachte Sache gilt, dass es sich Deutschland als wichtige Macht schuldig ist, bei diesem Krieg dabei zu sein, bei dem es aber politisch und militärisch für ihren Geschmack viel zu wenig bestimmendes Subjekt und viel zu sehr abhängiger Mitmacher ist; mit der Folge, dass wegen der Unschlüssigkeit der amerikanischen Führungsmacht über ihre weitere Kriegsführung auch bei Festlegungen über die künftige deutsche Kriegsbeteiligung im Wahlkampf größte Vorsicht geboten ist. Dementsprechend entscheiden die staatstragenden Parteien auch, wie sie den sachlich zwar unzuständigen, immerhin aber wählenden Nationalisten den Stand der afghanischen Unternehmung nahebringen, die ideologisch weder die Anhänger eines humanen Imperialismus zufrieden stellt, denen beim Brunnenbau in Afghanistan zuviel geschossen wird, noch die Freunde einer ordnungsstiftenden deutsch-europäischen Weltmacht, denen der deutsche Auftritt viel zu lasch und die Befreiung afghanischer Frauen von der Burka als Kriegsgrund zu läppisch ist.

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Da die Wahlkämpfer den laufenden Krieg also gerade nicht für hilfreich bei der Stiftung einer klaren Linie in den Fragen der internationalen Gewaltanwendung halten, die der eigenen Partei einen Vorteil verschaffen könnte, einigen sie sich darauf, den Afghanistankrieg „nicht in den Wahlkampf hinein zu ziehen“. Das teilen sie dem Volk mit in staatsmännischem Ton: dass dem Krieg und den damit verbundenen Opfern, die sie selbst gemeinsam beschlossen haben, die „Niederungen“ des Wahlkampfes erspart bleiben sollen, den niemand anderer als sie selbst führt. Und sie können dabei ganz unbesorgt sein darum, dass die Verächtlichmachung der demokratischen Willensbildung im Wahlkampf mit all den routinemäßigen Denunziationen und Lügen, Dummheiten und Gemeinheiten über den politischen Gegner dem freiheitlichen Wahlverfahren, der Würde der Ämter, die zur Verteilung anstehen, oder ihnen selbst als den Bewerbern für diese Ämter schaden könnte. Dem Volk in seinem furchtbaren Realismus sind die „Entgleisungen“ des Wahlkampfes so geläufig, dass es eher bereit ist, es mit Beifall aufzunehmen, wenn so ernsthafte Fragen von nationaler Bedeutung wie ein Kriegseinsatz dem „Parteienstreit“ entzogen werden und wenigstens bei den wichtigsten Fragen die Parteien nicht das übliche „Bild der Zerrissenheit“ bieten, das man gerade in schwierigen Zeiten als Geführter bei der Führung gar nicht schätzt. Darauf haben die Parteipolitiker gehofft, die Afghanistan von der Wahlkampf-Agenda genommen haben, und die grundsätzlich, und erst recht in unklaren Lagen und in Wahlkampfzeiten, misstrauisch sind gegenüber übertriebenem Bemühen, dem Volk allzu sehr die Politik zu erklären, die man als verantwortlicher Politiker lieber machen sollte.

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Deswegen zeigen sie mit Fingern auf diejenigen, die sich dem Konsens der Demokraten verschließen, die Beendigung der deutschen Kriegsbeteiligung verlangen und damit unter Verstoß gegen die Abmachung der anderen Wahlvereine Werbung für sich machen. Mit ihrem eigenen Beschluss, über Afghanistan nicht zu streiten, als verbindlichem Maßstab für alle Wahlkampfbemühungen, prangern es die Verantwortungsträger der Nation als verantwortungslosen Populismus an, wenn die Linkspartei die Wähler auffordert, ihre Stimmabgabe auch zu einem Votum über den asiatischen Kriegseinsatz zu machen, obwohl alle anderen Parteien angekündigt haben, das Wahlergebnis keinesfalls als Meinungsbekundung der Wähler zu diesem Thema verstehen zu wollen: Wenn Afghanistan kein Gegenstand des Wahlkampfes war, kann der aktiv Wahlberechtigte bei der Stimmabgabe dazu ja gar nicht abgestimmt haben. Diese Logik wollen die Linken aus durchsichtigen parteipolitischen Motiven nicht gelten lassen! Mit diesem schlechten Stil, dieser letztlich antinationalen Agitation, grenzen sich die Linken selbst aus dem Kreis der verantwortlichen – also wählbaren – Kräfte aus. Darauf muss in aller Deutlichkeit hingewiesen werden; und um dieser Klarstellung willen, um den Missbrauch eines nach geltender Beschlusslage für den Wahlkampf viel zu ernsten Themas durch politische „Rattenfänger“ zu verhindern, wird es dann doch aufgeworfen, wenn auch nur für den guten Zweck der Denunziation der Abweichler.

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Als „zwingendes Wahlkampfthema“ (SZ, 5.9.) kommt der afghanische Krieg dann noch einmal mit dem Bombardement von Kundus auf die Tagesordnung, Das ist einerseits unvermeidlich, andererseits aber auch eine Gelegenheit: Unvermeidlich, weil ausländische Kritik an deutscher Kriegsführung – „Ein grober Fehler!“ (der französische Außenminister Kouchner, FAS, 7.9.) – aus ganz Europa und den militärischen Führungsetagen der USA nicht hingenommen werden kann, schon gar nicht vor „lückenloser Aufklärung“ der Ereignisse. Solche Vorverurteilungen verbittet sich die Kanzlerin von wem auch immer, im Inland genauso wie im Ausland. (BT-Debatte, 8.9.) Gelegenheit bietet die Kritik aus dem frechen Ausland, sich einmal mehr wie ein Mann vor resp. hinter „unsere Jungs“ zu stellen: „... mir sehr wichtig, dass die Soldaten wissen, dass sie unsere Unterstützung haben“ (Merkel, SZ, 7.9.), „... stehe selbstverständlich fest hinter unseren Soldaten“ (Steinmeier, FAS, 13.9.).

So nehmen die Anführer der konkurrierenden politischen Lager die Ereignisse in Kundus und die unter deutschem Kommando getöteten Afghanen zum Anlass, im Wahlkampf noch einmal grundsätzlich zu werden: Indem sie Solidarität mit der Truppe als „selbstverständlichen“ Ausdruck politischen Anstands selbst demonstrieren und zugleich von jedermann als unverzichtbares Qualifikationsmerkmal demokratischer Führerschaft fordern. Sie verlangen den Zusammenschluss zwischen dem Volk, seiner gewaltbereiten Führung und der Armee als dem bewaffnetem Arm des Gemeinwesens. Und sie behaupten gerade einen laufenden Krieg als besonders guten Grund für den bedingungslos parteilichen Zusammenhalt der Nation, dem bisweilen Debatten über Gründe und Zwecke eines Feldzuges mehr schadeten als nützten. Als Exekutoren eines auch weltweit kämpferisch auftretenden Gemeinsinns bewerben sich die bekannten Führungskräfte um die Spitzenposten der Politik. Und machen so aus den aktuell angefallenen Leichen, die sie sich gar nicht bestellt hatten, doch noch soliden demokratischen Wahlkampf mit dem Thema Afghanistan.