Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Irans Präsident Chatami in Berlin:
Ein „äußerst harmonischer Staatsbesuch“ für eine neue Diplomatie gegenüber Persien

Persien zu Zeiten des Schahs wie der Iran der Ayatollahs heute ist für Deutschland interessant als Lieferant von billigem Erdöl, als Käufer teurer deutscher Spitzentechnologie wie Kernkraftwerken, nur sind die Ayatollahs nicht so handlich: im „Machtkampf“ zwischen sturen Ayatollahs und „Reformern“ avanciert der „aufgeschlossene“ Präsident Chatami zu „unserem Mann in Teheran“, und der Iran wird blitzartig vom Terrorstaat zum „Stabilitätsanker“ befördert – alles auch sehr absichtsvoll ins Werk gesetzt gegen die Dominanz der USA in der Region.

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Irans Präsident Chatami in Berlin:
Ein „äußerst harmonischer Staatsbesuch“ für eine neue Diplomatie gegenüber Persien

33 Jahre hat es seit jenem denkwürdigen Besuch des Schah von Persien in Deutschland gedauert, bis wieder ein Staatsoberhaupt von dort auf Besuch kommt. Und wieder ist ein Meilenstein in den Beziehungen beider Staaten zu verzeichnen, auch wenn sonst alles anders ist als damals.

Von den „traditionell engen Beziehungen“ zwischen Deutschland und Persien.

Damals war Persien ein Vasall des Westens mit Sonderbeziehungen zur westdeutschen Republik. Diese schätzte die Rolle Persiens und ehrte die nützliche Macht, indem sie ihrem höchsten Repräsentanten einen großen Empfang bereitete. Eine idealistisch gestimmte Jugend fand dagegen, dass ein Land, in dem Folter und Todesstrafe für politische Oppositionelle an der Tagesordnung waren und in dem der schamlose Reichtum derer, die am Ölgeschäft des Schahs teilhatten, mit tiefer Armut, Unterernährung und Unbildung der Massen kontrastierte, eigentlich nicht zum Westen, dem gepriesenen Eldorado von Freiheit und Wohlstand, gehören könne. Nicht wenige aus der ersten Generation deutscher Studenten, die schon in der Schule Demokratie und Marktwirtschaft als Menschheitsfortschritt zu bewerten lernten, demonstrierten gegen den Verrat ihrer Regierung an den westlichen Werten und zogen aus der sichtbaren Kumpanei von Brandt und Kiesinger mit dem Henker auf dem Pfauenthron den Schluss, dass es auch ihrer Staatsführung offenbar nicht um Freiheit und Toleranz zu tun sei, sondern um Macht und Geld. Die bis dahin militanteste Demonstration der Nachkriegsrepublik beantwortete die Regierung mit dem geförderten Aufmarsch prügelnder „Jubelperser“ sowie mit einem Polizeieinsatz, bei dem der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde. Die Regierung hat ihrem Staatsgast die Straßen freigemacht und ihre außenpolitischen Interessen gegen die idealistischen Vorwürfe einer demokratisch engagierten Jugend verteidigt – und das in einer Weise, die viele in ihrer nicht ganz korrekten Auffassung vom undemokratischen, im Kern nach wie vor faschistischen Charakter der Mächtigen bestärkte. Der Tod des Demonstranten wurde zum Auftakt der Studentenbewegung von 1968.

Heute sieht auf den ersten Blick alles ganz anders aus. Heute sitzen Demonstranten von damals im deutschen Außenministerium; an der Wahlverwandtschaft zwischen deutscher Außenpolitik und der Moral des Menschenrechts besteht – schon seit längerem – kein Zweifel mehr, und was Persien betrifft, so sind dort ausgerechnet die erbittertsten Feinde des alten Leuteschinders Reza Pahlewi an der Regierung – beinahe eine ‚Umwertung aller Werte‘, möchte man meinen. Besieht man sich allerdings den Stoff des außenpolitischen Interesses näher, um den es bei der deutsch-persischen Beziehungspflege heute wie damals geht, so ist der sich erstaunlich gleich geblieben. Von Interesse für Deutschland ist das alte Persien des Schah wie der neue Iran der Ayatollahs wegen des wirtschaftlichen wie politischen Nutzens, um den es einer imperialistisch ambitionierten Macht wie Deutschland eben geht: Damals wie heute ist dieser Staat für Deutschland interessant als Lieferant von billigem Erdöl, als zahlungskräftiger Käufer teurer deutscher Spitzentechnologie wie Kernkraftwerke, aber auch alles anderen bis hinunter zum Betonmischer; und wenn er nicht mehr als westliches Bollwerk gegen den Weltkommunismus gefragt ist, so sind es heute eben die eigenen strategischen Interessen an der Golfregion und über sie hinaus, für die man die potente Macht vor Ort zu funktionalisieren sucht. Was also das politische Interesse am Iran betrifft, das von Berlin aus geltend gemacht wird, ist es absolut gleichgültig, wer in dem regiert – den Dienst, auf den es ankommt, nämlich sich und ihr Land für die Mehrung deutschen Reichtums und deutscher Macht bereitzustellen, könnten die Mullahs heute glatt genauso gut versehen wie der alte Despot mit seinem Anhang seinerzeit. Könnten sie zumindest, und sollten sie nach deutschem Willen auch tun – aber da wird dann doch offenbar, dass es eben nicht so ganz gleichgültig ist, wer den Iran regiert. Den Schah gestürzt und die Macht erobert hat sich dort nämlich eine islamische Revolution. Die hat Schluss gemacht mit der Verwestli-chung der iranischen Gesellschaft, nach innen eine Theologenherrschaft errichtet, nach außen zunächst die Verbreitung dieser „islamischen Revolution“ betrieben und nach dem Scheitern dieser Bemühung im langjährigen Krieg gegen den Irak eine Politik der Selbständigkeit gegenüber dem Westen verfolgt. Das hat dem Iran endgültig und gründlich die Feindschaft all derer eingetragen, die beim Schah immer genau wussten, was sie an ihm hatten, und ihn aus diesem Grund auch so sehr schätzten: Alles, was diese anti-westlichen Mullahs zur Festigung und Verbreitung ihrer Räson staatlicher Herrschaft unternahmen, begründete für die westlichen Staaten einen einzigen Verstoß gegen das Menschenrecht, nach den Normen der demokratischen Zivilisation regiert zu werden. Die USA und ihre Verbündeten, die den Angriffskrieg von Saddam Husseins Irak gegen das revolutionsgeschwächte Nachbarland unterstützen, hatten einen neuen Feind ihrer Weltordnung ausgemacht, und die Führungsmacht der westlichen Welt bestrafte den Versuch, sich vom Status eines Vasallen des Westens zu emanzipieren, mit der Ächtung des Iran als „Schurkenstaat“ und einem Handelsembargo. Nichts weniger als dies, die inner-iranische und auch die weltpolitische Geschäftsgrundlage des deutschen Interesses an einer gedeihlichen Benutzung des Iran hat sich seit den goldenen Zeiten des Schah also geändert: Dem deutschen Zugriff auf den Iran stehen Schranken entgegen, in Form des politischen Willens der Ayatollahs, sich ihr Land von westlichen Interessenten so bedingungslos wie einst nicht mehr be- und ausnutzen zu lassen, und in Form des Beschlusses der imperialistischen Führungsmacht, wonach eine nennenswerte Benutzung dieses Landes durch andere grundsätzlich zu unterbleiben hat. Aber genau dafür, dem eigenen außenpolitischen Interesse gegenüberstehende Beschränkungen in Chancen zu verwandeln, hat und betreibt man ja seine Diplomatie. Und die sieht dann entsprechend aus.

Der „Neuanfang im bilateralen Verhältnis“

Die deutsche Außenpolitik hat am Machtkampf unter den Mullahs um die rechte Fortentwicklung des eingeschlagenen Erfolgswegs ihres Staates entdeckt, dass das von den USA betriebene und auch von Deutschland in den letzten Jahren unterstützte Handelsembargo wirkt: Der Iran leidet wirtschaftlich unter seiner Isolation und sucht nach Wegen, mit seinen westlichen Feinden – jedenfalls mit Europa – wieder ins Geschäft zu kommen – das ist schon einmal gut. Die Mullahs wollen dies freilich – und das ist eher nicht so gut –, ohne sich gleich wieder in allzu große Abhängigkeit von den westlichen Teufeln zu begeben und die eigenen, nicht geringen Ambitionen, die sie mit ihrem nationalen Projekt verfolgen, preiszugeben: Schon mit allem, was sie darstellen und wollen, soll der Westen sie tolerieren, ihnen den Zugang zum Weltmarkt öffnen und ihren Staat behandeln wie jeden anderen auch. Den Hütern der islamischen Werte, denen die Revolution Staat und Wirtschaft untergeordnet hat, stehen sogenannte Reformer in Staatsämtern gegenüber, die sich um die materiellen Bedingungen für Macht und Reichtum des islamischen Staates zu kümmern haben. Die erachten manchen Kompromiss mit dem Feind, manche Öffnung und manchen Kapitalimport eher für vorteilhaft, während die geistlichen Hüter der Revolution manches, was da so erwogen wird, eher für Verrat an ihrer nationalen Sache halten, und so ist im Iran der Weg, den die Nation gehen soll, politisch umkämpft. Mit Chatami wird der Präsident, der zugleich der prominente Vertreter des inneriranischen Lagers ist, das man hierzulande freudig als das der Modernisierer etikettiert, zum Staatsbesuch gebeten. Und weil Deutschland so viel vom Iran will, weil einem dieser Staat mit all dem, was er hat und was sich gut benutzen lässt, ausgesprochen lieb und teuer ist, bereitet man dem Herrn Präsidenten einen formvollendeten Empfang. Dem Reformer tut die Bundesrepublik wie seinerzeit dem Schah die Ehre an, vom Anblick feindseliger Demonstrationen verschont zu werden. Versprengte Gruppen der iranischen Exilopposition, denen die BRD bisher Obdach gewährt und die sie als Argument gepflegt hatte, solange es opportun war, das Mullah-Regime in die Ecke der Terrorstaaten zu rücken, werden am öffentlichen Protestieren mit Methoden gehindert, die jedem Polizeistaat, islamisch oder nicht, Ehre machen. Der Grenzschutz fängt potentielle Demonstranten vor ihrer Einreise nach Deutschland ab und setzt dafür das Schengen-Abkommen kurzfristig außer Kraft. BKA, Landratsämter und Polizeidienststellen hindern Exiliraner daran, ihre Wohnung zu verlassen, schüchtern sie durch Hausdurchsuchungen und Hunderte vorläufiger Festnahmen ein. Das geht im Heimatland der Menschenrechte selbstverständlich in Ordnung, dient es doch einer guten Sache. Dabei behauptet niemand, dass die Vorwürfe des iranischen Exils gegen die Mullahs heute gegenstandslos und die terroristischen Praktiken der inneren Ordnungsstiftung unter Präsident Chatami und seinen Gefolgsleuten Vergangenheit wären. Natürlich gibt es all die „Menschenrechtsprobleme“ noch, mit denen „wir“ früher die Isolierung des Iran begründet hatten. Nur sollen sie heute, wie Außenminister Fischer erläutert, dem Gast erspart werden: Beim besten Willen: Jemanden wie Chatami unter Berufung auf die Volksmudschaheddin anzugreifen – das zeugt nicht gerade von tiefer Überlegung. (SZ 11.7.) Wenn man richtig tief über den Iran nachdenkt, kommt man nämlich augenblicklich darauf, wen man da ab sofort unter Berufung auf was anzugreifen hat: Jetzt die Reformer um Chatami nicht zu stützen, gar sie zu isolieren, heißt nun wirklich, das Geschäft der Radikalen zu betreiben. (Fischer im ZDF, 5.7.) Der Außenminister kennt sich aus in Persien: Da gibt es einmal die Radikalen, die mit ihrem Spleen von einem anti-westlichen Gottesstaat und ähnlichen zivilisatorischen Ungeheuerlichkeiten zusammenfassend für all das stehen, was den Iran gegenüber dem deutschen Zugriff so unhandlich und sperrig macht. Und da gibt es die Reformer, mit dem Präsidenten an ihrer Spitze. Die sind zwar, wie man hört, nicht minder fromm als diese unangenehmen fundamentalistischen Fanatiker; es ist schon auch so, dass es durchaus ein und dieselbe islamische Republik und Staatsräson ist, die von denen wie vom Präsidenten Chatami vertreten wird. Aber insofern es im Iran „Öffnungstendenzen“ gibt, es dort so etwas zu geben scheint wie einen Machtkampf zwischen sturen Ayatollahs und einem sehr aufgeschlossenen Präsidenten, ist dem deutschen Außenminister sonnenklar, wen genau genommen er in Gestalt des letzteren vor sich hat: Das ist der, der manches in Aussicht stellt von dem, was Deutschland vom iranischen Staat will, also auch der, der dafür zu sorgen hat, dass der Iran so wird, wie Deutschland ihn haben will. Präsident Chatami – das ist

unser Mann in Teheran!

So wird der islamische Gottesmann mit einer Sorte Respekt beehrt, die eher nicht dem Staat gilt, dem er offiziell präsidiert, sondern dem, den er aus seinem Iran machen soll. Das ist – einerseits – von ihm auch überhaupt nicht viel verlangt. Im Grunde nämlich ist das staatliche Gebilde, wie es nach deutschem Geschmack wäre, im Iran schon unterwegs. Scharia hin, islamische Sondergerichtshöfe nebst Steinigung und Auspeitschung her: Auch in der Staatenwelt z. B. Palästinas herrschen ja nicht unbedingt dieselben guten demokratischen Sitten und Gebräuche wie hierzulande, und dennoch: Jenseits von Israel und jenseits der Palästinenser ist Iran vermutlich das Land mit den größten zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten in der Region. (Fischer, SZ 11.7.) Aha. Zivilgesellschaften kommen also dabei heraus, wenn ein Militärstaat seine volksjüdischen Rechte erfolgreich gegen die eingesessene Bevölkerung durchkämpft. Lustig ist das Zigeunerleben, in Palästina schon gleich, und da kann einem dann selbstverständlich auch das iranische Innenleben in einem ganz anderen, irgendwie anheimelnden Licht erscheinen. Zumindest im Hinblick auf die Möglichkeiten eines zivilisatorischen Durchbruchs, die da winken. Allerdings müssen die schon auch eine wenig Wirklichkeit werden, und dafür, das ist dem deutschen Außenminister so klar wie nur etwas, muss man schon auch praktisch sorgen. Und weil er das weiß, weiß er auch, wer dafür zu sorgen hat und wie: Deutsche Einmischung in den Iran ist geboten, damit aus dem auch der Staat wird, den Deutschland haben will. Präsident Chatami hat etwa 80 Prozent der Bevölkerung in freien Wahlen hinter sich, die großen Hoffnungen – vor allem die Jugend und die Frauen – mit den Reformen verbinden… Dies ist die einzige Chance, an einem Bürgerkrieg vorbeizukommen und eine demokratische, eine rechtsstaatliche Entwicklung zu erreichen. Er hat 20 Prozent zu allem entschlossene Gegner. Wir haben es dort mit einer Art Doppelherrschaft zu tun… Wir haben es hier mit einer Reformentwicklung zu tun unter den schwierigsten Bedingungen. Chatami riskiert im Grunde genommen fast jeden Tag Kopf und Kragen. Viele, die ihn unterstützen, haben das teilweise auch schon mit dem Leben bezahlt. Das heißt nicht, dass wir die Situation weißwaschen. Im Gegenteil wir reden sehr offen und auch sehr direkt – und nicht immer erfolglos – mit der iranischen Seite… Für uns ist es eine Hoffnung, dass sich dieser Reformkurs durchsetzt. Den müssen wir stärken und nicht schwächen. (Fischer im ZDF, 5.7.) Sogar ein Bürgerkrieg droht also im Iran, und was machen wir da? Wir tun alles dafür, dass den die Partei gewinnt, die wir im Iran gerne weiter regieren sähen, und zwar möglichst unangefochten, vom ganzen Volkswillen getragen, damit der Öffnungskurs reibungslos vonstatten gehen kann, auf den wir scharf sind. Wenn sich das friedlich erreichen ließe, in einem demokratischen Prozess z. B., in dem die 20% uneinsichtigen Fanatiker, die es dort gibt, einfach umdenken und das Lager wechseln, so wäre uns dies natürlich viel lieber. Freilich – und das ist das große Andererseits: wie es aussieht, ist dies erstens wenig wahrscheinlich, und zweitens ist es ja auch überhaupt fraglich, ob auch der von uns unterstützte Reformer Chatami wirklich von sich aus die Räson seines Staates genau so umstellen will, wie es unsere Hoffnung ist. Auch da darf man nichts weißwaschen: Iran wird sich nicht wieder hinter die islamische Unabhängigkeitsrevolution von 1979 zurückentwickeln. Es wird keine nennenswerte Kraft geben, die das Land in eine Abhängigkeit wie vor 1979 geraten ließe. Das verbindet die Modernisierer mit der islamischen Revolution. (Fischer, SZ 11.7.) Doch daraus folgt für einen deutschen Außenpolitiker, der den Iran durchaus gerne in eine Sorte Abhängigkeit zurückentwickelt sähe, wie sie vor 1979 den deutschen Interessen so ausnehmend zupass kam, wiederum nur eines: Dann muss man sich vorsichtig in den Iran einmischen! Dann darf man weder die Reformkräfte, auf die man setzt, allzu sehr verprellen mit dem Bemühen, sie erfolgreich von sich abhängig zu machen, noch darf man ihren Widersachern einen willkommenen Anlass bieten, sie als Verräter der islamischen Revolution aus dem Verkehr zu ziehen. Verlangt ist eine Einflussnahme, mit der sich der Iran wieder zum benutzbaren pro-westlichen Anhängsel modernisieren lässt, die aber alle politischen Verantwortlichen im Staat selbst in dem guten Glauben belässt, nach wie vor die Sache ihrer Unabhängigkeitsrevolution zu betreiben: Deswegen ist auch ausländischer Einfluss eine zweischneidige Sache. Wir müssen auch die nötige Sensibilität mit den Reformkräften haben, weil es sonst sehr schnell zu negativen Konsequenzen in der iranischen Innenpolitik kommt. (Fischer, SZ 11.7.) Mit Bedacht, dafür aber umso konsequenter von Berlin aus in den Iran hineinregieren und den Staat der Mullahs wieder zu einem gut benutzbaren Partner umdrehen – das ist die Devise der neuen deutschen Außenpolitik mit Persien.

Die iranische Blitzkarriere vom „Terrorstaat“ zum „Stabilitätsanker“

Die Perspektive der traditionell guten Beziehungen zu Persien, die die Bundesregierung wieder aufleben lassen will, reicht weit über die Gemeinsamkeiten hinaus, die sich die Nachkriegs-BRD mit dem geschätzten Schah vornehmen konnte. Geschäfte mit dem bedeutenden Öl-Staat, ausgiebiger Waren- und Kapitalverkehr zu beiderseitigem Vorteil sind selbstverständlich hochwillkommen, aber eben nicht alles, was Deutschland von und mit diesem Staat will. Den möchte man gerne auch umfassend in deutsche und europäische Berechnungen geopolitischer Art einbinden: Die Bundesregierung vertritt die Meinung, dass eine Öffnung Irans am ehesten mit Chatami gelingen werde. Iran wird eine herausgehobene strategische Bedeutung in der Region zugestanden, die als instabil und krisengefährdet eingestuft wird. Das Land verfügt über Mittelstreckenraketen, die auch den Nato-Partner Türkei treffen können. In den Nachbarstaaten Irak und Pakistan laufen Aufrüstungsprogramme. Wichtig sei deshalb vor allem der Beginn des Dialogs. (SZ 8.7.00) Sie beobachten die Wirren an der Südgrenze der ehemaligen Sowjetunion im Kaukasus, wo islamistische Kräfte anfangen, auch die zentralen Gebiete Russlands anzunagen. Und wir erhoffen uns, dass ein Iran, der sich einem aufgeklärten Islam verpflichtet fühlt, der demokratischer und offener ist, ein Stabilitätsanker in der Region sein kann und mit dazu beitragen kann, dass islamistische und terroristische Elemente unter Kontrolle kommen. (Staatsminister Vollmer im DLR, 10.7.) Dasselbe kriegerische Potential, mit dem der Iran in seine nähere und weitere Umgebung hineinwirkt, und dieselben Konflikte, die auf ihn und sein Wirken zurückgehen, haben ihn früher zum Terrorstaat und Revolutionsexporteur, zu einer einzigen Quelle von Instabilität in der Region gestempelt und an den Pranger der ‚Neuen Weltordnung‘ gebracht. Dieselben Konflikte und Potenzen qualifizieren ihn jetzt zum Stabilitätsanker, womit man von sachverständiger Seite über die Natur der Sorgen in Kenntnis gesetzt wird, die Außenpolitiker unter dem Titel der ‚Instabilität einer Region‘ vortragen: Der steht eben für gar nichts anderes als den für eine imperialistische Vormacht unerfreulichen Zustand, dass andere Staaten Konflikte austragen, die nicht im eigenen Interesse sind und nicht eigener Kontrolle unterliegen. Umgekehrt macht daher eine besondere Beziehung Deutschlands und Europas zum Iran, die Wege der Einflussnahme auf den politischen Willen der persischen Regenten eröffnet, aus einer Quelle regionaler Destabilisierung unmittelbar einen Anker von Stabilität, und für diese feine Rolle ist der Iran gerade deswegen so gut geeignet, weil er in seiner Region ja wirklich ein Machtfaktor ist, der in nicht wenigen Schauplätzen vertreten ist. So, nämlich als Chance für Deutschland betrachtet, im Nahen Osten und in Zentralasien politisches Gewicht und strategische Bedeutung zu erlangen, erscheinen die vielen offenen Rechnungen und Feindschaften des Iran in einem ganz neuen Licht: Wo überall dieser, für seine Vorhaben im übrigen auch gut gerüstete Staat politisch engagiert ist – gegen den „zionistischen Teufel“ Israel; gegen arabische Regierungen, die dem Islam eine bloß untergeordnete Rolle im Staate zugestehen; gegen Russland und die USA im Kaukasus; gegen den Irak und Saddam Hussein; gegen den Nachbarn Afghanistan; gegen Pakistan und Rauschgiftschmuggler aus beiden Ländern; gegen die Türkei – ist man als deutsch-europäische Macht, die zur iranischen ihre speziellen Beziehungen unterhält, auch selbst mit-involviert, und zwar schon längst vor jeder wirklichen, politisch substanziellen Einmischung in irgendeinen dieser anhängigen Konflikte. Mit dem Angebot vertiefter Beziehungen zum Iran macht sich die deutsche Außenpolitik nämlich die Ausgrenzung auf ihre Weise zunutze, die die Weltmacht USA gegen den „Schurkenstaat“ unverdrossen weiter betreibt und die sie selbst jahrelang mit betrieben hat. Wenn sie sich jetzt zusammen mit dem Iran anschickt, das weltweite Regime der Ächtung dieses Staates zu unterlaufen, dann untergräbt sie sehr absichtsvoll die amerikanische Dominanz dieser Region und baut sich auf Kosten der USA dort einen Partner und eigenen Einflussbereich auf. Die US-Diplomatie gibt einen islamischen Staatsterrorismus zur weltweiten Ächtung frei und verhängt über ihn ein Embargo – und der deutsche Außenminister macht seine Kollegen in Washington mit einer ganz speziellen Allianz gegen das Böse in der Weltpolitik bekannt und vereinbart mit Teheran eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels, aber auch des internationalen Terrorismus. Eine gewisse Risikofreudigkeit legt Fischer also nicht nur beim Umgang mit dem neuen Partner Iran, sondern auch bei dem mit dem alten jenseits des Atlantik an den Tag, und Staatsminister Vollmer, noch so ein grüner Friedenspolitiker, sorgt fürs nötige Risikobewusstsein. Der weiß schon, warum er diese innerimperialistische Konkurrenz im westlichen Lager in die eines größeren deutschen und eines – noch – kleineren amerikanischen Vertrauens umlügt, das beide Seiten dem iranischen Reformprozess zollen: Man muss sehen, dass bezogen auf so manchen Staat der Golfregion die Europäer und die USA nicht die völlig selbe Politik betreiben. Solange die Orientierung des Iran eindeutig war und von uns auch negativ gesehen wurde, traten diese Differenzen nicht zutage. Heute sieht man, dass wir auf den Öffnungskurs eingehen, während die USA viel vorsichtiger sind. Wir hoffen aber, dass in dem Moment, in dem sich unser Kurs als der richtige herausstellt, sich die Amerikaner auch in diese Richtung bewegen. In Wahrheit hofft der Mann bestenfalls, dass die Differenzen, die der deutsche Öffnungskurs gegenüber dem Iran zur Weltmacht aufreißt, die Amerikaner zu nichts bewegen.