Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Der inszenierte Terrorismus“ – Abweichende und offizielle Meinungen zu „nine/eleven“
Mit der „Achse des Bösen“ zeichnen die Amerikaner das Bild einer Weltverschwörung von Schurkenstaaten, die nichts anderes im Sinn haben, als das „Reich des Guten“ zu schädigen. Investigative Journalisten wie von Bülow, Bröckers und Wisnewski, die vorgeben zu wissen, was wirklich passiert ist, stellen eine andere „Verschwörungstheorie“ auf und behaupten, dass die Busch Regierung die Anschläge selber inszeniert hat, um ihren Anti-Terrorkrieg zu legitimieren. Der „seriösen“ kritischen deutschen Öffentlichkeit, die ihrerseits mit den Methoden des „Enthüllungsjournalismus“ bestens vertraut ist, geht das zu weit, weil die Grenze des politisch Opportunen überschritten wurde.
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Systematischer Katalog
„Der inszenierte Terrorismus“ – Abweichende und offizielle Meinungen zu „nine/eleven“
„Wir müssen die Wahrheit über den Terror aussprechen. Lasst uns niemals frevelhafte Verschwörungstheorien in Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September tolerieren, boshafte Lügen, die bezwecken, die Schuld von den Terroristen selbst abzulenken, weg von den Schuldigen.“ (George W. Bush, Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, 10.11.2001)
An populären Theorien darüber, was an jenem 11. September
wirklich passierte, fehlt es nicht. Zwei Jahre
nach den Anschlägen auf das World Trade Center haben
renommierte Verlage mit namhaften Autoren – allen voran
der Geheimdienstexperte und frühere Bundesminister
Andreas v. Bülow – eine Reihe von Bestsellern auf den
Markt gebracht, die im Stile des investigativen
Journalismus zu einem ungeheuren Verdacht
ermitteln: Ließ die amerikanische Regierung die Anschläge
sehenden Auges geschehen, oder hat sie die Anschläge
womöglich selbst inszeniert? Haben die geopolitischen
Schachmeister
im Weißen Haus zwei Türme
geopfert, um die globale Vorherrschaft
zu
erringen?
Verschwörungstheorien – wie man hinter die Oberfläche blickt…
Cui bono?
fragen sich die Autoren in der Tradition
von 2000 Jahren Verschwörungstheorie und gelangen zu
einem eindeutigen Befund:
„Die wichtigste Spur zur Aufklärung eines Verbrechens ist das Motiv. Während man Fingerabdrücke, Telefonanrufe, Funksprüche, Trümmerteile und sogar Leichenteile präparieren oder nach Gutdünken verschwinden lassen kann, kann das Motiv niemals verschwinden. Denn ohne Motiv hätte es die Tat niemals gegeben. Man kann höchstens versuchen, falsche Motive zur Verfügung zu stellen, um das wahre Motiv zu überlagern. Auch in Sachen 11.9. sind falsche und echte Motive im Umlauf. Machen wir die Probe aufs Exempel: Welches Motiv könnte Osama Bin Laden haben, das World Trade Center und das Pentagon anzugreifen? Gar keines. Denn Osama Bin Laden ist nicht nur ein alter Bekannter der Familie Bush, sondern auch des amerikanischen Geheimdienstes CIA …
Zieht man eine nüchterne Bilanz nach dem „Wem nützt es“-Prinzip, stellt man fest, dass fast die ganze Welt nur Nachteile durch die Anschläge hatte. … Die einzigen Staaten, denen die Angriffe vom 11. September wirklich nützen, waren die Vereinigten Staaten und Israel. Die USA nutzten die einmalige Gelegenheit und die Legitimation, um den gesamten Globus in den Griff zu bekommen. Sie konnten von ihrer verheerenden wirtschaftlichen Situation und von den hausgemachten Finanzskandalen ablenken sowie gleichzeitig Rettung im Zugriff auf die Ölquellen der arabischen Welt suchen.“ (Gerhard Wisnewski, Operation 9/11, S.289 ff.)
Mit der Frage nach dem Motiv
beginnen die
abweichenden Theorien zum 11. September, und mit ihr sind
sie auch schon wieder fertig: Weil die USA ihre Kriege
mit den Anschlägen rechtfertigen, wissen die Autoren
Bescheid: die Bush-Administration muss die Anschläge
selbst inszeniert haben. Dabei sind sie ihrer Sache so
sicher, dass sie mit dem Argument „cui bono?“
alle zu dieser Beschuldigung nicht passenden Umstände zu
einem bloßen Schein erklären, von dem sie sich
nicht beirren lassen. Jeder unpassende Sachverhalt wird
geleugnet – Fälschung!
– bzw. – das ist die
intellektuelle Version des Verleugnens – in das
Weltbild eingebaut und interpretiert: Alles ist nicht nur
Schein, sondern ein zweckmäßig konstruierter
Schein, eben eine bewusst gelegte falsche Spur
.
Aus den propagandistischen Nutznießern werden so
Verbrecher und Verschwörer, die ihre
böse Tat mit einem Gespinst aus Lügen, Täuschungen und
falschen Spuren
überziehen, das von
Brainwashington D.C.
umso feiner gewoben sein
muss, je mehr der Augenschein ihm widerspricht. Ist der
Verdacht erst einmal in der Welt, „verdichtet“ er sich
ganz von selbst und ist durch nichts mehr zu erschüttern.
Dann erst schlägt die Stunde des investigativen
Journalismus: Die feststehende Behauptung sucht ihre
Belege und findet sie prompt. Die Autoren
bestehen ja ausdrücklich darauf, dass wegen des cover
up
der US-Behörden niemand wissen kann, was da
wirklich passiert ist; ihr Beweis kann sich damit
bescheiden, Zweifel an der offiziellen Version zu säen.
Zeugenaussagen, Akten, Presseberichte, Tatfotos usw.
werden auf Ungereimtheiten
befragt. Jede
Unstimmigkeit gebiert neue offene Fragen
, und das
Aufwerfen von so vielen offenen Fragen beweist schon zur
Genüge, dass man sie zu Recht aufgeworfen hat und an der
Sache etwas oberfaul sein muss: Zero Evidence on
Ground Zero!
Das kann zwar nur die überzeugen, die schon überzeugt
sind, ist aber auch umgekehrt nicht widerlegbar, zumal
die Stichhaltigkeit jedes einzelnen Beleges – die
Häufung von Ungereimtheiten macht misstrauisch
–
nicht weiter wichtig ist.
… und warum man das will
Auch die Urheber der Verschwörungstheorien können sich
das Unvorstellbare
, die Inszenierung der
Anschläge, nicht wegen einer Häufung von
Ungereimtheiten
, sondern eben deshalb so gut
vorstellen, weil sie die Konsequenzen nicht billigen, zu
denen sich Amerika nach den Anschlägen berechtigt sieht.
„Es wäre vermessen, Vorgeschichte und Tat des 11.9. in allen Einzelheiten ohne die Hilfe aus den Riesenapparaten des FBI, der CIA, der NSA oder des Mossad aufklären zu wollen. Doch die Zweifel an der offiziellen Version reichen aus, um der amerikanischen Regierung bei ihrer Darstellung des Geschehens und der daraus abgeleiteten politischen wie militärischen Strategie eines „Weltkriegs“ schlicht die Gefolgschaft zu verweigern. Diese Strategie gefährdet … den globalen Frieden. Schließlich drohen nicht nur „Präventivkriege“ des extrem aufgeblasenen amerikanischen Militärapparats, sondern auch die Beseitigung der Vereinten Nationen als ausgleichender Faktor zwischen den Nationen, es droht die Zerstörung des über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte entwickelten Völkerrechts.“ (v. Bülow, Die CIA und der 11. September, S.10).
An der außenpolitischen Linie, die Amerika unter Berufung auf die Ereignisse vom 11. 9. eingeschlagen hat, bemerkt Bülow den Bruch mit der etablierten internationalen Geschäftsordnung – die ihm jetzt, wo Amerika sie in Frage stellt, gleich als Hort des Friedens und der internationalen Gerechtigkeit erscheint. Gründe, die er für diesen gewaltigen, gefährlichen, frevelhaften Akt der Zerstörung einer lieb gewordenen Weltordnung anerkennen würde, müssen schon ganz besonderer Art sein. In Strategie-Papieren amerikanischer Außenpolitiker findet er eigentlich alles Nötige:
„Die Pläne, lange vor dem 11.9.2001 von maßgeblichen Vertretern der derzeitigen amerikanischen Administration diskutiert und schriftlich niedergelegt, … zielen auf die Sicherung eines Jahrhunderts globaler amerikanischer Weltherrschaft, die Eindämmung der Milliardenvölker Chinas und Indiens, die Verhinderung des Aufstiegs konkurrierender Gegenmächte auf dem eurasischen Kontinent und schließlich den Zugriff auf die Lagerstätten des Öls, den knapper werdenden Rohstoff von strategischer Bedeutung, und die damit verbundene Finanzmacht. Die Bush-Administration nutzte die Ereignisse des 11.9., ohne auch nur einen Moment zu zögern, um diese schon vorab formulierte Politik im Zuge des Kampfes gegen den Terror durchsetzen und rechtfertigen zu können.“ (v. Bülow, S.8)
Über den Imperialismus der USA macht sich v. Bülow nichts vor – und wenn es ihm denn ums Herausfinden der Gründe und Ziele des amerikanischen Kriegsprogramms zu tun gewesen wäre, hätte er ja schon eine ansehnliche Liste beieinander. Aber so ist es nicht. Ausgerechnet die kriegerische Neuordnung der Welt, bei der es, wie er wohl weiß, um nichts als Macht und Gewalt geht, meint er daraufhin befragen zu müssen, ob die Amerikaner dürfen, was sie tun; ob Bushs Kurs für legitim befunden werden kann. Obwohl sie eindeutig gegen ihn sind, wollen Bülow und die anderen die Legitimität des „Krieges gegen den Terror“ nicht in Bausch und Bogen verneinen, sondern steigen ein in die Prüfung, ob der ungeheuere Bruch mit den Praktiken der Weltpolitik wegen eines ebenso ungeheueren, noch nie da gewesenen Angriffs auf das amerikanische Territorium vielleicht doch in Ordnung gehen könnte.
Jedenfalls wollen sie sich mit der Legitimation –
Kampf dem Terror
–, die Amerika seinen Kriegen
gibt, nicht anlegen. Auch ihnen scheint das Recht
offizieller Staatsgewalten, inoffizielle Angreifer
restlos zu vernichten, so selbstverständlich zu sein,
dass sie gar nicht bemerken, wie sehr sich die
unterschiedliche moralische Gewichtung beider Seiten auf
Größe und Etabliertheit ihrer jeweiligen Gewalten und
sonst gar nichts stützt. Auch den ausgreifenden Gebrauch,
den Bush von diesem Rechtstitel macht, finden die Autoren
nicht hinreichend entlarvend. Wenn Amerika den Einsturz
zweier Hochhäuser zum Anlass nimmt, den gesamten Globus
taktisch und strategisch zum Gefechtsfeld für den „Krieg
gegen den Terror“ zu definieren und die Unverletzlichkeit
seiner Macht der übrigen Welt als Friedensbedingung zu
diktieren, dann mögen die Buchautoren den Amis vielleicht
nicht ganz glauben, dass dieser Anlass auch der ganze
Grund der „Antwort“ war – so richtig dagegen anzustinken
trauen sie sich nur, indem sie sich darauf berufen, dass
es den Anlass in Wahrheit nicht gegeben hat. Da melden
sich eben doch keine Feinde des Imperialismus, sondern
Deutsche zu Wort, die dem ärgerlichen Imperialismus der
überlegenen Vormacht die Berechtigung absprechen. Leute,
die weder dem Niedermachen inoffizieller Kämpfer noch dem
Weltordnen etwas Schlechtes nachsagen wollen, die also am
Inhalt der amerikanischen Rechtfertigungen nichts
auszusetzen finden, meinen dem Recht des damit
legitimierten Kriegs schlagend nur widersprechen zu
können, wenn sie die Fakten bestreiten, auf die sich die
Rechtfertigungen beziehen: Bülow und die anderen wüssten
gegen ein Recht auf weltweite Selbstverteidigung nichts
einzuwenden, wenn der Angriff denn in der dargestellten
Weise stattgefunden hätte. Aber den Verbrechern in
Washington braucht man ihre Begründungen nicht zu
glauben; sie haben die Anschläge selbst inszeniert.
Dass sie den Glauben der Welt nicht verdienen,
untermauern Bülow, Bröckers und Wisnewski mit einem
Charakterbild von Bush und seiner Mannschaft, das mit den
Terroranschlägen und den aktuellen Kriegen endgültig
nichts mehr zu tun hat. Abschweifungen zur
„Vorgeschichte“ bzw. zu den
„Hintergründen“ der Anschläge bringen die drei
so richtig in Fahrt und zum Kern der Sache, um die es
ihnen geht: Eine amerikanische Administration, deren Chef
Mitglied in der gleichen reaktionären
Neuengland-Brüderschaft
ist, in deren Auftrag schon
Großvater Prescott Bush den Schädel des
Apachenhäuptlings Geronimo als Trophäe gestohlen
hat
und mit Hilfe solcher frevelhafter Beziehungen einer
der wichtigsten Finanziers und Unterstützer des
Naziregimes wurde
(Bröckers), eine Administration, deren
Geheimdienst aufs Engste mit der organisierten
Kriminalität und dem illegalen Waffen- und Drogenhandel
verstrickt ist
(Bröckers und
Wisnewski), und vor allem: eine Administration,
die mit den vermeintlichen Attentätern in ständiger
Geschäftsbeziehung stand (Pack schlägt sich – Pack
verträgt sich: die Bush- Bin-Laden-Connection
;
Bush und Bin
; Alte Kameraden
: Bröckers,
Wisnewski, v. Bülow unisono) – eine solche Administration
hat sich durch die Zusammenarbeit mit allen Wiedergängern
des Bösen diskreditiert Selber Terrorist!
, rufen
die Autoren und wissen genau, was sie davon zu halten
haben, wenn eine solche Regierung sich auf eine
unwidersprechliche Sache wie den Kampf gegen Terroristen
beruft. Bei einer solchen Macht ist das
Unvorstellbare
, die Inszenierung der Anschläge,
durchaus vorstellbar; und weil sie es sich
vorstellen können, muss es wohl auch so gewesen
sein. Eine Macht, die eines solchen Verbrechens
fähig ist, ist zu allem fähig!
Mit dem hermeneutischen Zirkel ihres Verfolgungswahns ist
das Weltbild der Autoren komplett und nach ihrer
Auffassung auch alles Nötige zu den laufenden Kriegen
gesagt: Bei einer Macht, der man ihre Legitimation nicht
glauben will, sieht man eben überall nur die
Abwesenheit von Legitimation: Welche Interessen
die USA auch haben mögen – dieser Macht geht es
nur
um die Macht, also um das nackte
Interesse
und, schon wieder unbekleidet, um die
„nackte Gewalt“, um eine unverfälschte
Machtpolitik ohne Bindung an Moral und Gesetz
(v. Bülow, S.226). Also
jedenfalls um nichts Gutes, sondern um alles
erdenkliche Böse: Hier wird zum Angriff auf
den Globus
, den unschuldigen, geblasen; der Kampf
gilt nicht dem Terrorismus, sondern der
Zivilisation
, der guten. Befindet sich die
führende Schicht der USA im Blutrausch?
, fragt
Wisnewski (S.349) und
versucht, die moralische Verurteilung dadurch zu
steigern, dass er abwechselnd jeden Grund, den
die kapitalistische Weltmacht für kriegerisches Vorgehen
hat, in Abrede stellt. oder ihr umgekehrt vorhält, den
Krieg aus verwerflicher Schwäche nötig zu haben:
Die USA brauchen den Krieg wie der Junkie den
Schuss
(S.303).
Der ganz normale Wahnsinn I: Die Verschwörungstheorie und ihre Kritiker
Die Verschwörungstheorien zum 11. September mögen im Volk
populär sein – in der demokratischen Öffentlichkeit haben
sie einen denkbar schlechten Ruf. Von der NZZ
(Amoklauf einer entfesselten konstruktivistischen
Phantasie
) bis zur taz (Für manche ist das Leben
wunderbar einfach
) fühlt sich die gesamte
seriöse Presse herausgefordert, eine Art
Gegen-Gegenöffentlichkeit zu bilden und mit den wilden
Verschwörungstheorien
aufzuräumen. Ein Panoptikum
des Absurden
, titelt der Spiegel und kontert den
investigativen Journalismus der Verschwörungstheoretiker
mit einer Recherche über deren Recherche. Alles Pfusch
und Schlamperei
, so sein fachmännisches Urteil – mit
dem er freilich nur verrät, wie vertraut ihm die
Art und Weise ist, wie hier über die Welt
nachgedacht wird. Kein Wunder: Das Verfahren, die
Weltmacht an ihren eigenen Parolen zu blamieren, haben
die Verschwörungstheoretiker nicht selbst erfunden,
sondern aus der etablierten Presse nur übernommen. Wer
hat denn seine Leser mit immer neuen Enthüllungen darüber
vertraut gemacht, dass es bei den ausgreifenden Aktionen
der Weltmacht in Wahrheit
nicht um den ehrenwerten
Kampf gegen den Terrorismus, sondern eben bloß
darum geht, die Ölfelder zu besetzen
, von den
schlechten Wirtschaftsdaten abzulenken
und das Image
des Präsidenten im Kampf gegen sinkende
Umfragewerte
aufzupolieren? Wer möchte denn unentwegt
der amerikanischen Propaganda eine nur äußerst
bedingte Glaubwürdigkeit attestieren und eröffnet
sein liberales Weltblatt mit Fanfarenstößen wie George
Bush in Beweisnot!
, nur weil dessen Spezialisten im
besetzten Irak die gesuchten „weapons of mass
destruction“ nicht finden können?
Offensichtlich handelt es sich bei der Unfähigkeit, die
Politik anders als aus dem Blickwinkel der staatlichen
Rechts- und Propagandatitel wahrzunehmen, nicht um eine
Eigenart einiger journalistischer Paradiesvögel, sondern
um eine déformation professionnelle. Die
demokratische Öffentlichkeit hat es sich zur Gewohnheit
gemacht, über alle Taten der Politik unter dem
Gesichtspunkt ihrer Übereinstimmung mit
zustimmungswürdigen Prinzipien nachzudenken; sie kennt
nichts anderes aus der Welt der Politik als die
Dichotomie eines schönen Scheins – einer Welt, die sie
für völlig in Ordnung hält – und des Verdachts, es könnte
sich dabei um einen bloßen Schein handeln. Weil
sie an der Außenfassade der Politik so hängt, ist sie
bereit, sie zur bloßen Fassade zu erklären, die
es zu durchschauen gilt. Die Ziele der Politik
erfährt man daher nicht in den Pressekonferenzen oder
entnimmt sie den politischen Taten – Einblick in die
wahren
Absichten der Mächtigen erhält man nur
durch ausgestreute Indiskretionen
– denen man
allerdings nicht auf dem Leim gehen darf! – sowie durch
sonstige Insiderinformationen
– ein modernes Wort
für die altvertraute Kammerdienerperspektive. Mit dem
Verfahren der Hofastrologie werden Mitteilungen aus dem
Geheimreich der Politik ausgedeutet, das im Bereich des
Allzumenschlichen der Mächtigen zu suchen ist.
Dem Blick hinter die Kulissen
der Macht zeigt sich
dann das immergleiche Bild: Hinter der Fassade treu
sorgender Verantwortung für das Gemeinwesen
tummeln sich „Parteiengezänk“, „Gerangel um Posten und
Positionen“, „Vetternwirtschaft“ und wie die sonstigen
Pseudonyme für das Fehlen von Verantwortung
heißen mögen. Eine kritische Öffentlichkeit scheut nicht
davor zurück, das gesamte politische Programm einer
Klassengesellschaft zur bloßen Täuschung zu
erklären: Die Erfüllung dieser ehrenwerten Tagesordnung
werde nur fingiert, während es den Politikern in Wahrheit
bloß
– als ob das ein Gegensatz wäre! – um den
eigenen Machterhalt gehe. Man glaubt allen Ernstes, es
sei den Politikern wichtiger, Sympathie zu gewinnen, um
den Machterwerb für sich zu entscheiden, als die
errungene Macht auszuüben; und nichts ist dem
demokratischen Sachverstand so selbstverständlich, wie in
dem Werben um die Wählergunst die
systemimmanente Erscheinungsform niedriger
Beweggründe zu sehen.
In dem Bedürfnis, sich da nichts vormachen zu
lassen
, lesen die gebildeten Stände das kritische
Magazin, das sich die Verwechslung von Gründen mit
Hintergründen, von Kritik mit
Entlarvung zum Markenzeichen gemacht hat und das
jeden Montag seine Leserschaft damit unterhält, wie
leicht man doch all die plumpen Ablenkungsmanöver aus dem
Land der Lügen
zu durchschauen vermag, die sich
eine Politikerclique in dem vergeblichen Bemühen
ausgedacht hat, eine hochkarätige Redaktion hinters Licht
zu führen.
Die beständige Gewohnheit, alles kritisch zu
hinterfragen
, verschafft dem bürgerlichen Geist
eine ganz eigene Sphäre intellektueller Genüsse. Leute,
die an ihrem Vertrauen in Marktwirtschaft und Demokratie
nicht rütteln lassen, sind voller Misstrauen gegen die
Verantwortungsträger und machen es sich zu einer Art
Sport, hinter allen – insbesondere hinter den
einschneidenden – Ereignissen der Zeitgeschichte
verborgene und bösartige Kräfte walten zu sehen oder sich
zumindest mit derartigen Spekulationen unterhalten zu
lassen: Der Unfalltod von Lady Di – ein Mordanschlag des
britischen Geheimdienstes; die Mondlandung der NASA – in
der Wüste von Nevada nur nachgestellt usw. usf. Also
wirklich: Von dieser Öffentlichkeit müssen Bülow
und Co. sich nicht vorhalten lassen, nichts als
Heißluftanalysen
und Geraune im Nebel
produziert zu haben.
Wenn die Verschwörungstheoretiker mit solchen Vorwürfen
überhäuft werden, dann liegt das daran, dass sie mit
ihren Überlegungen nicht etwa die Bandbreite des gewohnt
Absurden, sondern die des politisch Opportunen verlassen
haben. Bei aller Verbitterung, die im alten Europa über
den neuen Kurs unserer amerikanischen Freunde
Einzug gehalten hat: Die provokante Theorie, der neue
Weltenherrscher im Weißen Haus hätte, wie dies eine
uralte Verschwörungstheorie dem römischen Kaiser Nero
nachsagt, die eigene Metropole mit friendly fire
belegt, um einen Vorwand für die Errichtung eines
neuen amerikanischen Jahrhunderts
zu schaffen –
diese Behauptung ist im Tonfall dann doch zu giftig, um
von den Juniorpartnern dieser Macht diplomatisch und von
der seriösen Presse dieser Länder auch nur
journalistisch vertreten zu werden.
Der ganz normale Wahnsinn II: Die Rolle von Verschwörung und Verschwörungstheorie in der Weltgeschichte
Die dreistesten Scherze macht immer noch die
Wirklichkeit: Während die Welt des bürgerlichen
Verstandes voll dämlicher Verschwörungstheorien ist, ist
die Welt des Imperialismus tatsächlich voll von
hinterhältigen Verschwörungen und gelebten
Verschwörungstheorien. Die Mutter aller
Verschwörungstheorien zu 9/11
kommt direkt aus den
think tanks des Weißen Hauses und fasst nicht
nur ein komplettes Weltbild, sondern auch ein komplettes
Weltkriegsprogramm in eine kleine Metapher. Die Rede ist
von der axis of evil
, von der Achse des
Bösen
.
Wie bei jeder Verschwörungstheorie aus dem Innersten der
Macht, steht auch hier am Anfang der Standpunkt,
die nationalen Interessen wären eine zutiefst
berechtigte Angelegenheit, hätten also
naturgemäß schrankenlos zu gelten. Dabei lässt es sich
God’s own country nicht nehmen, das Attribut
„berechtigt“ auch gleich in ein eigenständiges Subjekt zu
verwandeln: Das ist die Geburtsstunde des Guten,
das fortan höchstpersönlich als Auftraggeber der
Interessen firmiert, die sich von Amerika aus über den
Globus erstrecken. In deren Sinn ist die Welt zu ordnen,
und überall dort, wo dieser Imperativ nicht als fraglose
Grundlage der Staatsräson willkommen geheißen wird,
beginnt die Welt der Schurkenstaaten
. Sie vergehen
sich an der Ordnung, haben kein Recht und ihre
Staatsräson ist Verbrechen: das Böse. Weil
Amerika sich an ihnen stört, glaubt es auch
gleich, das Reich des Guten stören zu wollen,
sei deren eigentlicher Staatszweck.
Mit der Achse des Bösen
wird das Bild einer
Weltverschwörung gezeichnet, in der die
einzelnen Schurkenstaaten nicht nur böse, sondern – mögen
diese sich tatsächlich auch gleichgültig bis feindlich
gegenüberstehen – zu einem geheimen Kollektiv des
kämpferischen Antiamerikanismus verbunden sind:
Funktionierende Staaten produzieren „weapons of mass
destruction“, um sie an Geheimbünde weiterzuleiten, die
sie hemmungslos einsetzen können, weil sie nichts zu
verlieren haben. Kann man diesen Staaten trotz intensiver
Suche den Besitz solcher Waffen nicht nachweisen, so
beweist das nur den Grad ihrer Arglist.
Als Theorie ist die amerikanische Version der Ereignisse nicht weniger absurd als die von Bülow und Co.; sie folgt der gleichen Logik: Wo im einen Fall der Mossad und die CIA, werden im anderen Fall Saddam Hussein und die Taliban als Täter hinter dem Täter vermutet. Aber entscheidend ist nicht die Logik, sondern die Sache, für die sie steht: Die Verschwörungstheorie aus dem Weißen Haus zielt nicht darauf ab, ein moralisches Weltbild theoretisch ins Recht zu setzen, um sich dann mit dem Lauf der Welt abzufinden. Im Unterschied zu der verschwörerischen Weltsicht, die das einfache Volk sich leistet, passt bei einer zum Krieg entschlossenen Weltmacht der Verfolgungswahn nicht nur zu den Interessen, sondern ist selbst praktisch gemeint: Die amerikanische Administration macht blutigen Ernst mit ihrem moralischen Fundamentalismus, der in der Welt nur noch das Gute – das zu jeder Brutalität berechtigt ist – und das Böse kennt, das keine Existenzberechtigung hat. Mit ihrem Krieg lässt sie ihr Unwerturteil über das Böse Wirklichkeit werden und verschafft ihren Weltordnungsinteressen praktische Geltung. Und auch das leistet der offizielle Wahn: Indem die USA Glauben an ihre Verschwörungstheorie einfordern und sich in dieser Frage jede Despektierlichkeit verbitten – vgl. die eingangs zitierte Bush-Rede vor den Vereinten Nationen –, verlangen sie von der Welt Gefolgschaft für ihr Programm.
Für diese Weltsicht haben die USA die Anschläge des 11.
September zum Berufungsmaterial erkoren. Sie
scheuen keinen propagandistischen Aufwand, um die
Katastrophe zu einem unvergesslichen Posten im
Gefühlshaushalt der Nation aufzubauen: Ground Zero
ist ein monumentales Denkmal für die unverbrüchliche
Einheit von Volk und Führung, die durch einen
hinterhältigen Anschlag ausländischer Verbrecher
zusammengeschweißt wurde, und ein Sinnbild der
Sittlichkeit und Gerechtigkeit der amerikanischen Gewalt,
die dieses feige Verbrechen sühnt. All das ist der
amerikanischen Öffentlichkeit so geläufig, dass die bloße
Angabe des Datums der Anschläge genügt, um mit dem
Sprachdenkmal 9/11!
alles abzurufen, was zur
Rechtfertigung der laufenden Kriege nötig ist.
Diesen Aufwand treibt die amerikanische Administration
nicht etwa deshalb, weil, wie Bülow und Co. glauben, ein
so friedliebendes Volk wie das amerikanische nur durch
Lug und Trug zum Krieg verführt werden kann. Umgekehrt
wird ein Schuh daraus: Einleuchten lässt sich das
Argument 9/11!
nur derjenige, der grundsätzlich
bereit ist, für die Geltung der amerikanischen
Rechtsansprüche in den Krieg zu ziehen. Genau wie bei den
abweichenden Meinungen der genannten Autoren, ist eben
auch bei der staatlichen Propaganda die Parteilichkeit
Vater der moralischen Überzeugung; auch hier bekommt die
moralische Einstellung nur Anschauungsmaterial
geboten, das die Einstellung nicht herstellt, sondern ihr
Gelegenheit zur Betätigung bietet.
Und diese Gelegenheit soll die Bevölkerung dann auch bekommen, weil ihre Moral im Krieg in besonderer Weise gefordert ist: Der Krieg setzt alle Maßstäbe, die in der Welt der privaten Konkurrenz gelten, außer Kraft. Wo ansonsten der Bürger sich der Gewalt zu enthalten und Eigentum und Person zu respektieren hat, ist im Krieg auf staatliches Kommando ein flächendeckendes Töten und Zerstören angesagt. Gerade der gesinnungsfeste Patriot besteht auf seinem Recht, das unbezweifelbar Gute, das er im Waffenrock verübt, durch eine öffentliche patriotische Ausdeutung der Ereignisse bestätigt und diese Bestätigung gelebt zu sehen. Dasselbe gilt für die Heimatfront, die den kriegerischen Einsatz nicht nur mit dem Leben so mancher ihrer Söhne, sondern vor allem mit dem Wertvollsten, ihrem Geld, zu bezahlen hat.
Aber auch um dem Rest der Welt das eigene Recht auf Krieg
klarzumachen, will keine Kriegspartei es sich nachsagen
lassen, den ersten Schritt zur Konkurrenz der Waffen ohne
Not eingeleitet zu haben; der Glaube, immer nur
zurückzuschießen
– und auch das nur im Auftrag
unbezweifelbarer Menschheitsanliegen! –, gehört zum
unabdingbaren Selbstbewusstsein jeder Krieg führenden
Nation. Aus diesen Gründen erwächst der Nation ein
Bedürfnis nach symbolträchtigen historischen Affären, in
denen ein Ereignis nicht nur patriotisch interpretiert,
sondern die Interpretation selbst zum
Ereignis geworden ist. Die Kriegsgeschichte
zivilisierter Nationen ist voller Mythen und Legenden;
und die Geschichte der amerikanischen Kriegseintritte ist
eine Geschichte der inszenierten Zwischenfälle.
So schafft sich ein Rechtsbewusstsein seine Fakten, und das vaterländische Gemüt bekommt den Betrug, nach dem es verlangt. Dabei ist der Glaube an die gute Sache leicht zu bedienen – eben so leicht, wie der Zweifel, der Bülow und Co. umtreibt und der nur die andere Seite der gleichen Geisteshaltung ist.