„Ich sag’ nur Köln!!“
Ganz Deutschland hat sich entsetzt über die „Silvesternacht von Köln“ als Heimsuchung unserer Gemeinschaft durch eine anders- und abartige Kultur des Bösen. Auffällig ist freilich die Kluft zwischen dem Inhalt der nationalen Schreckenslyrik und ihrem Anlass: den Umtrieben eines Haufens maghrebinisch-arabischen Jungvolks an einem Ort, wo diese Figuren nicht hingehören, die ansonsten in den Problemvierteln und sonstigen Begrüßungszentren dieser Republik zusammengefasst sind und den Gang der Dinge nicht weiter stören. So wird einmal ausnahmsweise öffentlich bemerkbar, welches lumpenproletarische Milieu offensichtlich fest zum Kapitalismus Deutschlands mit seinen dicken sozialen Rändern und seinem Pluralismus von Parallelgesellschaften gehört, die sich diese Nation im Zuge ihres imperialistischen Ausgreifens importiert. Die Sitten der Armen im kapitalistisch reichen Deutschland sind eben so hässlich wie die Armut selbst.
Genommen hat die Mehrzahl der öffentlichen Kommentare das Ereignis komplett anders: als Beweis für die Unhaltbarkeit von Merkels Linie in der Flüchtlingspolitik und wie richtig sie mit ihrer Dauerhetze gegen die Flüchtlingspolitik liegt; als Beweis also, dass die angestammten Bewohner dieses Landes diese ‚Fremden‘ weder ertragen können noch sich überhaupt gefallen lassen müssen.
Dieses Urteil ist schon vorher fix und fertig. „Köln“ ist nur das Material eines Nationalismus, der auf die Übergriffe an Silvester weder gewartet hat noch sich davon abhängig macht. Er ist jederzeit abrufbar und wird jetzt abgerufen – von Politikern und Öffentlichkeit als unschlagbares ‚Argument‘ im nationalen Streit über den imperialistischen Umgang mit den ausländischen Flüchtlingen und fremdenfeindlichen Inländern. Von Letzteren verschaffen viele von Sachsen bis NRW vor und nach Silvester ihrem nationalistischen Gemüt so tatkräftig Luft, dass sich jeder Vergleich zu „Köln“ verbietet.
Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
„Ich sag’ nur Köln!!“
I.
Jetzt ist es auch bei uns passiert. Viele haben es ja
kommen sehen. Aber von diesem Ausmaß
, von dieser
ein paar Stunden dauernden Aufhebung aller
Selbstverständlichkeiten
, dem zwischenzeitlichen
Ausfall der uns im kollektiven Gefühl sitzenden
Verlässlichkeit des Funktionierens unseres Staates
– davon zeigen sich demonstrativ gerade die geschockt,
die eine solche Katastrophe im Prinzip für unvermeidbar
gehalten haben. Nein, es war kein Angriff im Stile der
Attentate, die arabische bzw. arabischstämmige Islamisten
in New York, Paris und anderen Städten des Freien Westens
verübt haben. Aber analog zu diesen ins jeweilige
nationale Gedächtnis eingegangenen schwarzen
Momenten
entsetzt sich ganz Deutschland über die
Silvesternacht von Köln
, die in den Tagen und
Wochen danach kollektiv als Heimsuchung unserer
Gemeinschaft durch das Gespenst einer anders- und
abartigen Kultur des Bösen abgefeiert wird – mit allem,
was die Drehbücher der öffentlichen Bewältigung solch
eines Ereignisses vorsehen: Sondersendungen, Talkrunden,
Exklusivinterviews; Betroffene kommen zu Wort und
Verantwortliche; Hintergründe werden recherchiert und
Folgen abgeschätzt; politische und polizeiliche
Amtsinhaber versprechen, ihres Amtes zu walten; die
politische Opposition verspricht, ihnen das nun endgültig
nicht mehr zu glauben…
Auffällig ist die Kluft zwischen dem Inhalt der vielstrophigen diskursiven Wechselgesänge, in denen die nationale Schreckenslyrik vorgetragen wird, und ihrem Anlass.
*
Der bestand im Auftritt einer Meute maghrebinisch-arabischen Jungvolks, die vorgeführt hat, welches Milieu lumpenproletarischer Strolche offensichtlich fest zum Kapitalismus Deutschlands, zu seinen dicken sozialen Rändern und zum Pluralismus von Parallelgesellschaften gehört, die sich diese Nation im Zuge ihres imperialistischen Ausgreifens aus aller Welt importiert. Für ein paar Stunden haben ein paar Hundert von ihnen die Problemviertel, sozialen Brennpunkte und sonstigen Begrüßungszentren dieser Republik verlassen, in denen sie sonst zusammengefasst, kontrolliert und nur aufeinander und ihresgleichen losgelassen werden und damit den Gang der Dinge nicht weiter stören. In einer gemessen an ihren normalen Einzugsgebieten besseren Gegend haben sie ein Ritual abendländischer Hochkultur – kollektives Abschießen von Feuerwerk unter Alkoholeinfluss aus Anlass der immer wiederkehrenden Faszination darüber, dass das eine Jahr tatsächlich aufhört und hinterher das andere wirklich anfängt – mit ihrem Massentumult gestört und der staunenden Welt eine Banalität demonstriert: Die Sitten der Armen sind so hässlich wie die Armut selbst. Die Polizei hat reagiert, wie sie bei unerwarteter Massenrandale und dadurch bedingtem punktuellem Fachkräftemangel eben reagiert. Den Opfern blieb wie immer der Schrecken, der Schaden, die Schande – aber hinterher der schale Trost, dass wenigstens das Erstatten von Anzeigen kein unnötig harter Hürdenlauf geworden ist, weil auch am katholischen Bischofssitz Köln und in den angrenzenden Sprengeln und Gemeinden aus irgendeinem Grunde für jede Schandtat vom Diebstahl bis zur Vergewaltigung bei der Polizei die passenden Formulare immer schon vorhanden sind.
*
Genommen hat die Hauptströmung der auf allen Kanälen sofort losgetretenen Aufarbeitung das Ereignis von der ersten Sekunde an als etwas komplett anderes: als Beweis für die Unhaltbarkeit von Merkels Linie in der Flüchtlingspolitik, also dafür, wie richtig sie mit ihrer Dauerhetze gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel liegt. Eine breite Front von „Stimmen des Volkes“ kommt mit ihrer tiefen persönlichen Betroffenheit zu Wort; besser betuchte Bürger, normale Passanten, ausgewählte Exemplare aus dem Kreis deutscher Slumbewohner – die praktisch ganz sicher überhaupt nicht in gleicher Weise von den Folgen der Politik betroffen sind! – fungieren und äußern sich als Kronzeugen des Vorwurfs an die Kanzlerin, sie setze Deutschland einer Flut von Fremden aus, die man und frau als angestammte Bewohner dieses Landes weder ertragen können noch überhaupt, schon gar nicht ungefragt, sich gefallen lassen müssen. Eingefordert wird eine Politik, mit der der Staat sein Treue- und Dienstverhältnis zum einheimischen Volk an den Fremden exekutiert, also seine Deutschen von solchen unerwünscht Zugereisten verschont.
Mit dieser „Aufarbeitung von Köln“ ergeht in aller Öffentlichkeit eine offensive Ansage darüber, was die nationale Identität dieses aufgeregten Volkes ausmacht. Es wird vorstellig gemacht – und äußert sich auch selbst per Internet, per Leserbrief, bei jeder Gelegenheit – als Kollektiv, das sich in den im Lande herrschenden Verhältnissen und unter den dort herrschenden Richtlinien und Figuren mit Richtlinienkompetenz total eingehaust hat, nämlich als seiner Heimat. Und dessen Mitglieder – zwar nicht im täglichen Leben, aber immer dann, wenn sie darauf angesprochen werden – demonstrativ stolz darauf sind, welcher ganz besonders feinen Gemeinschaft sie angehören. Die Art und Weise, die Sitten und Gewohnheiten, mit denen sie das hinkriegen, gelten diesen Eingeborenen unmittelbar als Ausschlusskriterium gegen erkennbar Nicht-Eingeborene. Und darin stecken ein paar gar nicht so selbstverständliche Übergänge. Nämlich zuerst von dem, was man und frau in pflichtschuldigem Mitmachen für normal halten, zur Würdigung dieser – oft genug nur vorgestellten – Normalität als Norm, der zu folgen sich gehört; als Imperativ, dem alle zu folgen haben, weil man und frau selber ihm gehorchen; als Kanon, dessen Zwangscharakter durch seine Gewöhnlichkeit zur Selbstverständlichkeit wird. Warum die „guten Sitten“ ein Zwang sind, den die Einheimischen sich selber antun, das wissen sie selber ganz gut und geben es bei Bedarf auch zu Protokoll: Die Notwendigkeiten der Konkurrenz ums Geld – ums Verdienen, schon gleich als Kraft am deutschen Arbeitsmarkt, wie ums Ausgeben, alles unter staatlichem Regime und gesetzlich geregelter Geldknappheit – sind ungemütlich; sie als heimatliche Lebensweise zu akzeptieren, ist und bleibt eine Anstrengung, die durch den Blick auf manchmal ganz schöne Landschaften, auf den Luxus eines gewissen Kulturlebens und dergleichen nicht wirklich leichter wird. Die als Lebensart – oder unter geistreichen Stichwortgebern als Leitkultur – hochgehaltenen Techniken des Zurechtkommens sind ein permanentes Ringen um Zufriedenheit in den gegebenen Verhältnissen. Und wie viel Zwang in diesen verpflichtenden Sitten steckt, das wird – buchstäblich – schlagend daran deutlich, wie sie als Kriterium der Ausgrenzung gegen „Fremde“ gewendet werden. Zur Anwendung kommt da nämlich gar nicht die wertneutrale Feststellung, dass andere es mit der Einrichtung ihres Lebens eben anders halten, auf ihre Art zurechtzukommen suchen. Wer nicht „dazugehört“ – woran auch immer das festgemacht wird –, der steht mindestens unter dem Verdacht, dass sich da jemand der Pflicht entzieht, die in den ortsüblichen Manieren des Mitmachens im System des national arrangierten Konkurrenzelends niedergelegt ist. Wer nicht so mittut, wie es sich gehört, der will nicht, was sich gehört: Der Kurzschluss von ‚fremd‘ auf ‚feindselig‘ ist nichts als die negative Komplementärfassung der positiven trinitarischen Formel ‚ungemütlich, aber unumgänglich = gewohnt = gehört sich so‘.
Das alles ist fix und fertig; schon längst vor „Köln“. Es ist jederzeit abrufbar; ganz unabhängig von „Köln“. Anlässlich von „Köln“ wird es abgerufen; mit bemerkenswertem Erfolg.
*
Von wem – das ist kein Rätsel: von Politikern, die, aus welchen Gründen auch immer, etwas gegen die regierungsoffizielle Flüchtlingspolitik haben und auf dem Feld der nationalistischen Rechthaberei schon seit längerem gegen diese Politik ankonkurrieren. In diesem Fall sogar von zweierlei Politikern: Auf dem obersten Niveau der amtlichen Politik haben mitregierende Führungsfiguren gegen Merkel eine Konkurrenz um Einfluss und Macht innerhalb der Großen Koalition eröffnet; nicht zufällig näherhin innerhalb der C-Fraktion, die ihre Politik traditionell als Dienst an den vertrauten „guten Sitten“ des Volkes und praktizierte Heimatliebe zu rechtfertigen und zu popularisieren pflegt. Angeheizt wird dieser Machtkampf durch Erfolge einer Konkurrenz von außerhalb der etablierten Parteien: einer Agitation von rechts gegen die behauptete Alternativlosigkeit der Regierungspolitik, vorgetragen mit dem Ruf nach einer Gewalt, die den Zwang exekutiert, dem sich aus patriotischer Sicht „der Fremde“ schon mit seinem genehmigten Da-Sein ungestraft entzieht, und mit dem Vorwurf des Volksverrats an eine Regierung, die es aus eben dieser Sicht an eben diesem Zwang fehlen lässt.
Was die Demagogen beider Fraktionen von
Machtkämpfern bei ihrer Agitation im Visier haben, das
ist die moralische Lesart des Verhältnisses guter
Deutscher zu armen Migranten und verfolgten
Bürgerkriegsopfern, mit der Merkel und ihre Leute die
offizielle Flüchtlingspolitik propagieren. Demnach ist
Deutschland es seiner ökonomischen Größe und
weltpolitischen Großartigkeit einfach moralisch schuldig,
sich des „Problems“ der weltweiten und vor allem der auf
Europa zielenden „Flüchtlingsströme“ erstens gründlich
und zweitens auch in der Form anzunehmen, dass die von
Berlin aus organisiert und in bislang nicht bekanntem
Umfang verstaut werden. In ihrer Grußadresse ans eigene
Volk und die Welt – das mittlerweile berüchtigte Wir
schaffen das!
– deutet die Kanzlerin den
imperialistischen Grund und Inhalt ihrer Politik – den
Anspruch ihrer Führungsmacht auf Zuständigkeit für die
Regelung des Weltgeschehens in allen seinen Abteilungen –
unter dem Stichwort „globalisierte Republik“ sehr vornehm
an. Explizit appelliert sie an den Stolz ihrer Landsleute
auf den schon an verschiedensten „Fronten“ – von der
wirklichen im Stellvertreterkrieg um die Ukraine bis zur
ökologischen im Kampf um eine Erderwärmungsbremse –
errungenen Welterfolg deutscher Leadership, den sie sich
seit jeher als wahrgenommene deutsche Verantwortung für
die Welt zurechtlegen durften, die ihnen zur Ehre
gereicht. So dass diesem Volk ein wohlwollend
paternalistisches Betreuungsverhalten gegenüber einigen
der transnational mobilen Opfer des so heftig betreuten
Weltgeschehens gut zu Gesicht stünde. Mit ihrem
vergleichsweise nüchternen Hinweis, dass die Flüchtlinge
sowieso unterwegs sind und von einer Macht wie der
deutschen weder ignoriert noch auf andere, weniger
bedeutende Staaten abgeschoben werden „können“, will sie
schon eine nationale Gewissensfrage gestellt und im Sinne
der Christenpflicht beantwortet haben, in den Migranten
die armen verfolgten Menschen, unschuldige Opfer
zu sehen und sie nach dem Motto ‚Ich sage nur
Bethlehem!‘ willkommen zu heißen. Zur moralischen
Überzeugungskraft dieser Anmache gehört die romantische
Vorstellung, man hätte es da mit lauter Figuren zu tun,
die in und wegen ihrer Eigenschaft als verfolgte
Unschuld eine edelmütige Betreuung durch
Deutschlands edelmütiges Volk zweifelsfrei
verdienen; andernfalls wäre man als Wohltäter ja
nicht das selbstlos „freundliche Gesicht“ der Nation,
sondern der ausgenutzte Depp. Nur so funktioniert der
wunderbare moralisch-legitimatorische Kreisverkehr, den
Merkel in Gang setzen will: Die sittliche Güte und
Überlegenheit unseres Gemeinwesens erweist sich darin,
dass wir Opfern helfen, denen unsere Hilfe – ausweislich
der Bösartigkeit ihrer Verfolger, ihrer Unschuld, ihrer
Hilflosigkeit und ihres vom Rektor der Universität von
Damaskus abgestempelten Kinderarztdiploms, also aller
Werte, die wir hochhalten – wirklich zweifelsfrei
zusteht.
Diese Gleichung ist allemal leicht angreifbar durch die bloße Tatsache, dass auch Flüchtlinge normale Menschen, also moralisch kaum edler sind als die zu ein bisschen Mitleid animierten Deutschen. Und sie wirkt fatal, wenn dem Nationalismus in seiner explizit ausländerfeindlichen Fassung ein Ereignis vom Kaliber „Köln“ in den Schoß fällt, das ihm schlagend „beweist“, was ihm sowieso schon klar ist. Nämlich erstens, wie richtig er mit seiner Formel ‚fremd = sittenwidrig‘ liegt. Und zweitens, wie verkehrt, ja volksfeindlich eine Politik ist, die ein Heer von geborenen Sittenstrolchen nicht abwehrt und in die Flucht schlägt, sondern zur „Invasion“ geradezu einlädt: eine absurde Zuspitzung, mit der die Aufregung über den Kölner Silvesterskandal erst so richtig zur Sache kommt; zu der politischen Sache nämlich, um die es den Wortführern der großen Empörung geht.
*
Deren Konkurrenz bringt die Regierung mit ihrer flüchtlingspolitischen Linie tatsächlich in die Defensive. An der moralischen Stärke der Gemeinheit, die Übergriffe der Silvesternacht als definitiven Beweis für die unsittliche Natur der Flüchtlinge und folglich für den „unrechtsstaatlichen“ bis „volksverräterischen“ Charakter der Regierungspolitik herzunehmen, liegt das allerdings nicht. Dass das Geschrei um „Köln“ in diesem Sinne wirkt, ist eine Folge des „Arguments“, das gerade in einer funktionierenden Demokratie über die Stichhaltigkeit der Propaganda entscheidet, mit der Politiker ihre Vorhaben und Taten dem regierten Volk ans Herz legen – geradezu ein Lehrbuchbeispiel für die Logik des „politischen Diskurses“: Die Kanzlerin kriegt die Opposition in den eigenen Reihen nicht tot. An der eigenen Gefolgschaft gelingt ihr der praktische Nachweis der Alternativlosigkeit ihrer Politik durch allgemeine fraglose Zustimmung nicht. Was sich eventuell noch „aussitzen“ ließe, käme nicht das andere Argument ihrer ‚Kritiker‘ hinzu: Was in den Bildern von der „Isolation“, in der die „einsame Kanzlerin“ sich befinde, ausgedrückt wird, ist der GAU für jeden Freund des deutschen Imperialismus: Die Kanzlerin bringt Europa nicht auf die Linie, die sie nicht nur durchsetzen will, sondern von deren Durchsetzung sie sogar den Erfolg, also nach allen politischen Maßstäben die Richtigkeit ihrer Politik abhängig gemacht hat. Was sich innenpolitisch allenfalls auch noch verkraften ließe, gäbe es nicht die Konkurrenz in den eigenen Reihen, die sich nicht disziplinieren lässt... Im Innern wie von außen gibt es nicht nachlassende Widerstände. Und daraus folgt das für den politischen Verstand entscheidende Verdikt: Die Regierung erweist sich als nicht durchsetzungsfähig. Der „Befund“ gibt allen nationalistischen Protesten gegen die „Zumutung“ einer „Migranteninvasion“ politisch Gewicht, also Recht.
*
Mit „Köln“ hat das ersichtlich nichts zu tun. Für einen an seinem Ausländerhass berauschten Nationalismus aber alles. Hier nimmt man die Kölner Orgie zum Anlass, den Streit über den imperialistischen Umgang mit notleidenden Ausländern und fremdenfeindlichen Inländern auf die Frage zuzuspitzen, wie es um die Sexualmoral des arabischen, islamisch geprägten Mannes steht. Was immer es in der Sache zum Verhältnis von religiösem Anstand, sexueller Verklemmtheit und gewalttätiger Übergriffigkeit gegen Frauen und Kinder zu sagen gäbe – auch die rheinischen Katholiken haben ja fürs entsprechende Brauchtum in der eigenen Kirche inzwischen eigene Enquête-Kommissionen –, spielt dabei keine Rolle: Die xenophobe Abteilung des gegenwärtigen deutschen Nationalismus bestätigt sich an ihren Phantasien über die sexuelle Abartigkeit der Südländer, wie tief in denen drinsteckt, dass sie zu uns nicht passen, wir also alles Recht haben, wenn wir sie bei uns nicht haben wollen. Die andere Abteilung bemüht sich darum, diese Schlussfolgerung, die keine ist, zu entkräften, indem sie die verkorkste Sexualmoral der Muselmänner, von der auch sie zu berichten weiß, zu einer Frage der Erziehung und der Umstände erklärt, die wir doch bei uns in der Hand haben, also in Bezug auf die zu uns Geflüchteten auch in die Hand nehmen sollen.
Weil wir das in jeder Hinsicht aufgeklärte Abendland sind, bleibt es nicht aus, dass sich Experten zu Wort melden. Mit ihren Beiträgen zur sexualwissenschaftlichen Völkerkunde bereichern sie die Debatte, die unter der von der „Zeit“ präzise formulierten Leitfrage „Wer ist der arabische Mann“ geführt wird. Bei der entgeht ihnen, dass sie sich um etwas komplett anderes dreht. Das ist aber darum auch nicht weiter schlimm – sie sind ja wirklich bloß die so oder so herum zitierten Lieferanten für das Material eines Nationalismus, der auf sie weder gewartet hat, noch wirklich etwas von ihren Einlassungen abhängig macht. Schlimm ist umgekehrt, dass dieses Gemüt im Unterschied dazu, was den verklemmten Maghrebinern nachgesagt wird, rundum intakt ist und sich jeden Tag von Sachsen bis NRW dermaßen unverklemmt Luft verschafft, dass sich jeder Vergleich zu „Köln!“ verbietet.
II.
Klar, dass die Medien der Republik sich an
dieser als Streit um die richtige patriotische Moral
ausgetragenen Auseinandersetzung um das, was die einzig
senkrechte Politik für Deutschland zu sein hat, engagiert
beteiligen. Klar also auch, dass die Leitmedien
sich dafür ins Zeug legen, ihrem Publikum vorzuführen,
was sie für die passenden, unwidersprechlichen, die
andere Seite ultimativ ins Unrecht setzenden Muster der
Argumentation halten. Sie wollen tatsächlich zu der
Überzeugung anleiten, die Affäre gar nicht
anders sehen zu können, als sie es jeweils tun.
Im Zuge dessen machen sich Frankfurter Allgemeine
Zeitung und Bild in verteilten Rollen um die
Klarstellung verdient, dass auch ein ganz strammer
Ausländerhass nicht dumpf
sein und
humanitär-patriotische Weltoffenheit nicht die Domäne
intellektueller Kosmopoliten bleiben muss.
*
Das große Blatt aus Frankfurt, das mit seiner elitären Selbstauffassung Werbung zu machen pflegt, lässt keinen Zweifel daran, dass es Merkels Politik für eine Beschädigung der deutschen Heimat hält. Was die FAZ in der Sache zu vermelden hat, unterscheidet sich nicht vom politischen Standpunkt der Pegida oder der AfD. Ihrer Rolle als Zeitung nicht des Volkes, sondern der Elite ist sie es schuldig, dies in einer Art und mit Methoden zu vertreten, die sie für geistreich hält.
„Von Köln geht eine so nachhaltig verstörende Wirkung aus, weil sich die dortigen Vorgänge sowohl als Bestätigung alter Befürchtungen verstehen lassen wie auch als Menetekel für eine deutsche Zukunft, die niemand erleben will.“
Eine Zeitung, die Fremdwörter aus dem Alten Testament
kennt, versteht die Randale von Köln nicht einfach als
etwas vollständig anderes, als sie gewesen ist, sondern
sie bekennt sich dazu – und hält das auch gleich
für eine starke Begründung –, indem sie sich quasi
neben ihre eigene Auffassung stellt und diese sich selbst
als unabweisbar bestätigt. Sie behauptet einfach, immer
konsequent von sich abgetrennt, dass sich die
Köln-Tumulte auch wirklich so verstehen lassen
–
von wem? –, dass von ihnen eine verstörende
Wirkung
– auf wen? – ausgeht; dass dies alte
Befürchtungen
bestätigt – wessen? – und ebenso
düstere Vorahnungen von der Zukunft, die nicht etwa die
FAZ an die Wand malt, sondern niemand erleben
wolle.
Und so geht es in einer Tour: Die Intellektualität der FAZ besteht in dieser Hinsicht schlicht darin, die eigene Überzeugung unter Zuhilfenahme von Passivkonstruktionen, Indefinitpronomen und allen anderen Mitteln der Grammatik und Rhetorik als unleugbare Objektivität hinzustellen und dies im Stile des Alten wie des Neuen Testaments so lange penetrant zu wiederholen, bis es auch der klügste Kopf verstanden hat.
Für ihr agitatorisches Anliegen ist sich das Pflichtblatt
aller deutschen Börsen noch nicht einmal zu schade,
zumindest erzählerisch in die Niederungen und
Stadtviertel des einfachen Volkes hinabzusteigen, um sich
nach der Lebenswirklichkeit deutscher Städte, nicht
nur der ganz großen
zu erkundigen. Seither weiß sie:
„Dort schufen sich strikt der ausländischen Herkunft folgende Clans und Banden Räume, in denen die Gesetze dieser Republik nur noch wenig oder gar nicht mehr gelten.“
Das mag so sein; das mag für Freunde deutscher Ordnung
auch schlimm sein; nur: Was hat das bitte mit den Kölner
Silvesterexzessen
zu tun, von denen die FAZ
irgendwoher weiß, dass es nicht die üblichen
waren? Das verrät die Zeitung nicht, muss sie aber auch
gar nicht. Sie klebt ihre gründlich recherchierten
Reality-Schnipsel aus deutschen Großstadt-Ghettos einfach
neben die Polizeiberichte von Köln, die sie ihrerseits ja
schon im Ordner „Flüchtlingspolitik“ abgeheftet hat, und
schon ist die Sache klar: Wer Merkels Flüchtlingspolitik
korrekt beurteilen will, der darf nicht die, sondern muss
etwas anderes betrachten. Eine gezielte Verwechslung
begründen zu wollen, indem man sie permanent
vollzieht, mag den Gepflogenheiten des logischen
Denkens widersprechen – für die FAZ ist es die pure
intellektuelle Redlichkeit und das Gegenteil von
Vorverurteilungen
.
Wie recht sie damit hat, nichts mehr voneinander unterscheiden zu wollen, wenn es nur zu unwidersprechlichen Verurteilungen der landesverräterischen Regierungslinie führt, kann die FAZ mit derselben perfiden Vornehmheit an ihren Gegnern vorführen:
„Bis heute wollen uns Leute wie Lamya Kaddor und Ayman Mazyek weismachen, das abartige Sexualverhalten bestimmter muslimischer Männer habe nichts mit dem Sittenkodex ihrer Religion, sondern mit ihrer traurigen Situation in unserem Land zu tun.“
Die Mühe, stichhaltig zu erläutern und zu begründen, dass
– vom ‚Wie‘ gar nicht zu reden – Sexualverhalten und
religiöser Sittenkodex bestimmter muslimischer
Männer
– bestimmter? – miteinander zu tun
haben, muss sich die FAZ nicht machen, um zu beweisen,
worauf es ihr ankommt. Sie zeigt einfach auf ihre Gegner,
die das Gegenteil behaupten. Die argumentieren nicht
etwa, sondern wollen
– hier bekennt sich die FAZ
plötzlich zu einer eigenen Position – uns
weismachen
– ja, was eigentlich? Das, was Leute
wie
solche absurderweise denken – was auch immer.
Nach dem logischen Geschmack der FAZ ist die eigene
Position damit schon bewiesen: Sie verweist im Stile des
Kopfschüttelns darauf, dass es tatsächlich Leute gibt,
die etwas anderes vertreten. Wobei sich der Leser dann
aussuchen darf, ob er deren Aussagen mehr durch deren
Person blamiert oder umgekehrt die Personen durch die
unhaltbaren Aussagen diskreditiert sehen will – am besten
beides. In der gleichen Weise lanciert diese Elitezeitung
den Vorwurf gegenüber der Politik und den ihnen zugetanen
Medien, den man vom Pöbel, zu dem sie nicht gehört, als
Lügenpresse!
und Volksverräter!
kennt:
„Nur wenn sich Naivität mit Allmachtsphantasien paart, kann man ernsthaft glauben, die Einwanderung Abertausender junger, muslimischer Männer aus den Kriegs- und Krisengebieten Asiens und Afrikas werde die bestehenden Probleme mit Migranten in Deutschland nicht vergrößern.“
Auf Nachfrage täte sich die FAZ sicher nicht ganz leicht,
in einer seit Jahrzehnten über
Integrationsprobleme
,
Parallelgesellschaften
, das Für und Wider von
Doppelpass
-Regelungen etc. streitenden Republik,
deren große politische Parteien angesichts der
Flüchtlingsmassen allesamt von gewaltigen
Herausforderungen
u.ä. sprechen, auch nur einen
einzigen Politiker zu finden, der den Standpunkt
vertritt, den sie für naiv und größenwahnsinnig hält.
Macht aber nichts. Zur Frankfurter Allgemeinen
Diskursethik gehört nämlich auch die Technik, den eigenen
Ausländerhass damit als grundvernünftig abzufeiern, dass
man die Gegenposition erstens komplett verzerrt und
übertreibt und dann zweitens nicht diese Position
kritisiert, sondern den Geisteszustand ihrer nicht näher
genannten Inhaber pathologisiert. Das hat im Weiteren den
Reiz, dass man auf die Politik, die man hasst, nur noch
zu deuten braucht, um sie als Ignoranz, gar als
bewusstes Verschweigen der Missstände
auszudeuten,
die gar nicht diese Politik, sondern nur man selbst
sieht: Die herrschende Politik pflegt gegenüber ihren
Ausländern und dem sozialen Randbereich, den das Kapital
ihnen größtenteils zugewiesen hat, seit jeher die
obrigkeitliche Mischung zwischen Verwahrlosen-Lassen,
Kontrollieren, Schikanieren. Weil das alles nicht die
harte Antwort
ist, die die FAZ will, wird daraus
eine einzige Leisetreterei gegenüber Ausländern, die
seit Jahrzehnten politisch und medial kultiviert
wird.
Und darum braucht sie die Kriminalstatistiken
auch nicht erst eigens zu prüfen, um – wieder nicht ihren
eigenen, sondern den – selbst in politisch gemäßigten
Kreisen verbreiteten Verdacht ..., Politik und Medien
verheimlichten von Einwanderern begangene Straftaten
fallen zu lassen, also bestätigt zu finden: Wenn
Politik und Behörden nicht im Sinne der FAZ Ausländer mit
Sittenverderbnis gleichsetzen, verschweigen
sie
etwas, und zwar so sehr und immer mehr, dass die FAZ um
die logisch gewagte Metapher einer Schweigespirale
nicht umhinkommt – und die sagt dann alles.
So stinkt die FAZ pausenlos gegen eine ihrer Meinung nach verbrecherisch naive Stellung zu Ausländern an, die immerhin Regierungslinie ist. Von daher sieht sich das elitäre bürgerliche Zentralorgan herausgefordert, der nachzusagen, dass sie das gar nicht sein dürfe, nach allen Prinzipien nämlich, nach denen bei uns ein politischer Standpunkt zum regierungsamtlich herrschenden werden und sich als das behaupten darf. Deren oberstes lautet gemäß der Wortbedeutung der bei uns gepflegten Staatsform, dass es Volkes Wille ist, der zu herrschen habe. Dem entnimmt die FAZ das Recht, die Stichhaltigkeit und Güte ihrer Gegnerschaft zu Merkels Politik damit schlagend zu belegen, dass sie sich dafür aufs Volk berufen kann. Das tut sie, wie es sich für die FAZ gehört. Sie macht sich nämlich nicht einfach zum Sprachrohr des Volkes oder gar zum Volkstribun, sondern bleibt in ihrer Verurteilung der Politik ganz im elitären Dialog mit dieser:
Der „Warnung vor einer Vorverurteilung aller Migranten“ hält sie entgegen: „Das grenzt freilich auch schon an eine Vorverurteilung, diesmal der besorgten, aber doch noch denkenden und urteilsfähigen Deutschen. Die lassen sich nicht für dumm verkaufen. Sie kennen die Verhältnisse in ihren Städten. Diese als besser auszugeben, als sie sind, würde am Ende politisch alles nur noch schlimmer machen.“
Natürlich würde die FAZ niemals alle Migranten vorverurteilen. Sie nimmt sich lediglich die Freiheit, der Warnung davor etwas komplett anderes abzulauschen, um das zur Ausgangsposition für einen gedanklichen Billardstoß von größter Raffinesse zu machen: Sie nimmt die Deutschen vor dem Vorwurf mangelnder Denk- und Urteilsfähigkeit in Schutz. Den haben die Vertreter der von der FAZ bekämpften Politik zwar überhaupt nicht erhoben, aber durch diese über die erste Bande gespielte Verurteilung von solchen elitären Politikern sind – nunmehr über die zweite Bande – die Inhalte des Denkens und Urteilens der lieben Leute sakrosankt, die – dritte Bande – schon allein durch die Tatsache, dass sie tatsächlich da leben, wo sie leben, über jeden Zweifel erhaben sind, sie könnten irgendwie nicht richtig liegen. Die müssen dann – vierte Bande und versenkt – quasi automatisch handgreiflich werden und die falschen Parteien wählen, und somit steht fest: Weil die Politik die rechtsradikale bis mörderische Gegnerschaft des Volkes produziert, ist die Gegnerschaft der FAZ, die für geordnete Verhältnisse von Oben und Unten ist, im Recht.
Das zweite große Prinzip, nach dem Machtworte demokratisch legitimiert sind, ist die Korrektheit des Verfahrens, mit dem diejenigen, die sie sprechen, an die Macht gekommen sind. Und weil die FAZ Merkels Machtworte in der Flüchtlingsfrage einfach nicht mehr hören mag, steht für sie fest, dass es auch um die Einhaltung dieses zweiten Prinzips nicht gut stehen kann. Lange suchen muss sie nicht, um diesbezüglich fündig zu werden, sondern wieder nur richtig hinschauen:
„Der Parlamentarismus in Deutschland ist lahmgelegt. Wenn die eigene Partei der Kanzlerin die Gefolgschaft versagt, springt die Opposition für sie ein. Wir haben Merkel oder Merkel, und die Grenze bleibt offen.“
Woher hat die FAZ die Auffassung, Parlamentarismus
bestünde in der geschriebenen oder ungeschriebenen
Pflicht der Opposition, der Regierung auf
Teufel-komm-raus zu widersprechen? Wenn es ihr
anderweitig passt, kann sie ein solches Gebaren ohne
Probleme genau andersherum als national
verantwortungsloses Schlechtreden, Schlechtmachen, gar
Behindern der Politik beschimpfen. Es passt ihr hier aber
das Gegenteil, also entdeckt sie am offenen und immer
härteren Machtkampf der Parteien, schlicht weil Merkel
ihn bisher immer noch irgendwie für sich entschieden hat,
keinen Kampf mehr, sondern eine Entmachtung des
Parlaments, in dem die Opposition nurmehr die Rolle des
Springers spielt. Das ist demokratisch reife, also schon
von daher kein bisschen rechtsradikale Kritik: die
Politik nicht am Inhalt schlechtmachen, sondern daran,
dass keine Alternativen mehr zugelassen würden. Von daher
versteht es die gleiche Zeitung, die Merkel vorwirft,
trotz immer zahlreicher werdender Gegenstimmen in der
eigenen Partei ihren Kurs zu verfolgen, daneben auch
gleich noch den inhaltlich entgegensetzten, aber
moralisch exakt gleich gerichteten Vorwurf zu machen, und
zwar angesichts der perfekten Einschwörung der Partei auf
den Kurs der Kanzlerin im Ergebnis des Karlsruher
Parteitages, den mancher in der CDU ‚sowjetisch‘
nennt.
Aha, Merkel muss man vorwerfen, sie habe zu
wenig Zustimmung in der eigenen Partei und
gleichzeitig zu viel. Raffinesse hin oder her –
doppelt hält immer besser.
Es verwundert nicht, dass der FAZ zu ihrem enthemmten Hetzen und Geifern alle dafür in der Demokratie reservierten pejorativen Etiketten einfallen, die traditionell ‚rechtsradikal‘, ‚rassistisch‘ lauten, und für die inzwischen der Nachweis der Nähe zu AfD und Pegida ausreicht. Auch dazu hat die FAZ natürlich eine gebildete Meinung und einen noch viel originelleren Einfall:
„Wer vor zwei Monaten verlangt hat, was heute Regierungspolitik ist, war rechtsradikal oder ein Nazi, wenigstens aber Rassist und Fremdenfeind.“
Diesem Umstand kann man zwar redlicherweise nur entnehmen, dass die Politik heute zu Maßnahmen schreitet, wie sie gestern noch von rechtsradikalen Fremdenfeinden gefordert wurden. Man muss diese nicht zu leugnende Tatsache nur umdrehen, dann wird daraus die Abwehrklausel der FAZ gegen jede üble Nachrede: Weil die Politik heute so aussieht, wie es gestern Nazis und Rassisten verlangt haben, können diejenigen, die heute von der Politik noch viel mehr in dieser Richtung fordern, natürlich nie und nimmer die bösen Etiketten verdient haben.
Was ist also der Unterschied zwischen AfD, Pegida und FAZ? Es gibt ihn nicht – darauf besteht die FAZ schlussendlich selbst:
„Warum stehen wir nicht an einem Sonnabend vor dem Reichstag und protestieren gegen eine kopflose Flüchtlingspolitik, die zudem rassistischen und rechtsextremen Kräften, die sie bekämpfen will, Vorschub leistet? Wir sind selbst verantwortlich für unser Land.“
Die rassistischen und rechtsextremen Kräfte
haben
dermaßen recht, dass man ihnen nicht überlassen darf, was
sie daraus machen, sondern die richtige und berechtigte
Kritik an der „kopflosen Flüchtlingspolitik“ auch in die
richtigen, berechtigten und „verantwortlichen“, nämlich
die eigenen Hände nehmen muss.
*
Und Bild? Deutschlands große Zeitung für kleine Leute kontert die ausufernde Ausländerhetze mit einem Faktencheck. Den Vorwurf „Lügenpresse“, der auf rechten Demos jedem Vertreter der „4. Gewalt“ entgegengeschleudert wird, wendet sie gegen seine Urheber, benennt fünf beliebte „Lügen“ und widerlegt sie nach Akten- und Faktenlage:
„12.1. Bild sagt, wie es wirklich ist – 5 Lügen über Flüchtlinge und Kriminalität.
Auf den Anti-Flüchtlingsdemonstrationen wird der Ton immer schriller. Und immer öfter wird auch gelogen. Bild hält dagegen – mit Fakten aus der vertraulichen ‚Lageübersicht‘ des Bundeskriminalamts (BKA), die Straftaten von Zuwanderern von Januar bis November 2015 aus den meisten Bundesländern zusammenfasst.
Lüge 1: Alles Straftäter in den Flüchtlingsheimen. Wahr ist: Die Zahl der Straftaten von Zuwanderern ist gestiegen – aber deutlich langsamer als die Zahl der Flüchtlinge… Die Masse der Flüchtlinge ist also unbescholten... Knapp die Hälfte aller Zuwanderer (48 Prozent) waren offiziell Syrer, unter den Tatverdächtigen stellten sie aber nur 24 Prozent. Serben wiederum stellen zwei Prozent der Zuwanderer, aber 13 Prozent der Tatverdächtigen.
Lüge 2: Deutsche Frauen werden massenhaft sexuell belästigt. Wahr ist: Die erschütternden Vorgänge in der Silvesternacht waren ein Exzess. Denn in rund zwei Dritteln der Straftaten geht es um Körperverletzung (23 338 Fälle), Diebstahl (75 600 Fälle) oder Fahrkartenfälschung (26 436 Fälle).
Lüge 3: Kriminelle Flüchtlinge suchen sich gezielt deutsche Opfer. Wahr ist: In vielen Fällen sind Zuwanderer auch die Opfer der Kriminalität! …
Lüge 4: Die Syrer sind auch nicht besser als die anderen. Wahr ist: Syrer (oder solche mit syrischem Pass) haben im angegebenen Zeitraum die meisten Straftaten begangen – weil sie die aktuell größte Flüchtlingsgruppe bilden. Verglichen mit anderen Migranten werden sie deutlich seltener straffällig (siehe Grafik) und liegen hinter Zuwanderern vom Balkan (Kosovo, Albanien, Serbien), aus Eritrea und Nigeria.
Lüge 5: Die Kriminalstatistik wird gefälscht! Im ARD-Talk ‚Hart aber Fair‘ behauptete Polizei-Gewerkschafter Rainer Wendt, die Kriminalstatistik würde ‚mit Taschenspielertricks‘ frisiert. Wahr ist: Die Zahlen und Statistiken werden nicht gefälscht...“
Mit ihrer betont sachlichen Gegendarstellung gibt die
Zeitung den „Lügnern“ von der Gegenseite in der ersten
und entscheidenden Hinsicht, hinsichtlich der Prämisse
der Auseinandersetzung, erst einmal Recht. Das
Entscheidende an der heiß umstrittenen „Flüchtlingskrise“
ist auch für sie die Frage nach der sittlichen Verfassung
„der Flüchtlinge“; auch sie findet es kein bisschen
zynisch, sondern ganz in Ordnung, wenn deutsche
Eingeborene das Heer der aus Bürgerkriegen und
Existenznöten Fliehenden auf saubere polizeiliche
Führungszeugnisse hin überprüfen; vom politischen Inhalt
der Regierungsentscheidungen und der dadurch
hergestellten „Lage“ will auch Bild nichts weiter wissen, so wenig
wie die aufgehetzten Tugendwächter, die im Fremden gleich
den potenziellen Sittenstrolch erkennen. Auf der
gemeinsamen Basis tritt die Zeitung der Ausländerhetze
von rechts außen entgegen. Und zwar mit einer kongenialen
Argumentationsweise: Die generalisierenden
„Tatsachenbehauptungen“, die sie auf
Anti-flüchtlingsdemonstrationen vernommen hat, widerlegt
sie mit offiziellen Ermittlungsergebnissen, die – was
auch sonst! – hinsichtlich Kriminalitätsrate wie
Opferstatistik ein differenzierteres Bild ergeben. Das
Weltbild der nationalistischen Xenophobie ist damit
allerdings überhaupt nicht angekratzt; darin, dass Fremde
einen Anstandscheck über sich ergehen lassen müssen, ist
man sich ja grundsätzlich einig; und die „vertraulichen“,
was wohl so viel heißen soll wie: ganz authentischen
Zahlen des BKA, die Bild
präsentiert, sprechen im Kontext einer
Fremdenfeindlichkeit, die für die Bebilderung ihres
Standpunkts allemal genügend Kurzgeschichten und
Tatsachenberichte nach dem Muster ‚Neulich hat mir
erst einer erzählt‘ aufbieten kann, am Ende nur
dafür, dass ohne Flüchtlinge eben doch weniger
Schwarzfahrten und Diebstähle angefallen wären...
Blamiert hat die Bild-Zeitung immerhin die von ihr
konstruierten oder aufgespießten pauschalisierenden
Zuspitzungen in der fremdenfeindlichen Hetze, die
haltlosen Alle!
- und Alle gleich!
-Urteile;
und damit hat sie eine großartige Zurückweisung
geleistet: Dem Geschrei über die Flüchtlinge
steht
jetzt ein kriminalstatistisch ins Recht gesetztes aber
nicht alle!
entgegen, der Nachweis Alles im
Durchschnitt!
Mit ihrer Richtigstellung in fünf Punkten will
Bild freilich nicht
einfach auf eine pauschale Entwarnung hinaus, auf ein
Alles nicht so schlimm!
Sie will im Besonderen
deutlich machen, dass speziell dem geflüchteten
Syrer nichts Böses nachgesagt werden kann – also
exakt dem Menschenschlag, für den im letzten Sommer die
Kanzlerin die große Ausnahme von der Regel nationaler
Abschottung gegen umherirrendes Migrantenvolk beschlossen
und verkündet hat: Die Leute, die sich aus dem syrischen
Gemetzel haben retten können, sind ganz o.k. Die
Botschaft dieser Ehrenrettung ist klar, ohne dass sie
explizit ausgesprochen werden muss: Der Bild-Zeitung geht es darum, die
Politik in Schutz zu nehmen, die Deutschland als
aktive Macht in Sachen Weltordnung, Abteilung
Fluchtursachen und Fluchtbewegungen, betreibt und die
Merkel ihrem Volk als Samariterdienst an hochanständigen
Opfern verkauft. Den Schein gerechter Barmherzigkeit,
dieses jüngste Gütesiegel deutscher Größe, hat die
Zeitung für gut befunden und will sie sich nicht kaputt
machen lassen. Das ist der feststehende Zusammenhang, in
den sie ihre Rechercheergebnisse über den moralischen
Charakter diverser Flüchtlingsgruppen einordnet und der
die erhobenen Fakten überhaupt erst zu einer
bemerkenswerten Mitteilung macht.
Das letzte Wort ist das freilich auch für die Berliner Zeitungsmacher nicht. Die beherrschen nicht nur die Technik der Rechthaberei, Fakten einem feststehenden Standpunkt zu subsumieren und dann als Belege für dessen Gültigkeit anzuführen; im Fall „Köln“ mögen sie sich auch der Beweiskraft der Ereignisse im Sinne der aufgeregten Antiflüchtlings-Hysterie und Merkel-Kritik nicht entziehen. Der Kommentator der Bild am Sonntag vom 17.1. jedenfalls gibt sich als Stimme des Volkes und ist als solche durch „Köln“ so schwer beeindruckt, dass er voll nach der Logik der jederzeit abrufbaren nationalistischen Ausländerfeindschaft aus gegebenem Anlass an der Politik seiner geschätzten Kanzlerin ganz fundamental irre wird:
„Kanzlerin Merkel hat Glück: Wir, ihr Volk, wir sind ziemlich wunderbar: Wir sind weltoffen. Wir sind fleißig. Wir zahlen unsere Steuern. Wir sind geduldig mit unseren Politikern, wählen Kanzler SEHR selten ab. Dafür erwarten wir gar nicht so viel. Eigentlich wollen wir nur vertrauen können. Aber dieses Vertrauen ist durch Köln im Eimer. Durch eine einzige Nacht, für die eigentlich weder die Flüchtlinge noch Merkel etwas können. ‚Wir schaffen das‘ sagen reicht nicht. Merkel muss jetzt endlich eine Agenda präsentieren, die die Probleme und die geplanten Lösungen klar benennt. Frau Merkel, Sie müssen jetzt langsam mal auf den Tisch hauen.“
Aus allgemeiner volkseigener Untertanengesinnung und
Merkel zuliebe hat der BamS-Schreiber sich neulich sagen
lassen, dass er ab sofort und bis auf Weiteres
weltoffen
ist. Aber nach der Schreckensnacht von
Köln ist es damit aus – auch wenn dieser Volksstimme vom
Bild-Faktencheck noch so
viel präsent ist, dass eigentlich
weder Merkel
noch den Flüchtlingen als solchen etwas vorzuwerfen ist –
ein schönes Bekenntnis, wie wenig ein solcher Check als
Argument wert ist. Parteilichkeit für die Regierung
braucht jedenfalls stärkere Gründe als ein paar schnöde
Tatsachen. Nämlich was? Eine Agenda
,
Lösungen
, deren Zusammenhang mit „Köln“ dunkel,
deren Inhalt und Zweck überhaupt ungesagt bleiben darf.
Weil an ihnen nämlich nur eines interessiert, das einzige
Argument, das ein braves Volk wirklich überzeugt: die
Faust, mit der Frau Merkel … jetzt langsam mal
auf den Tisch hauen
muss. Volk dient gern – aber nur
einer Regierung, die ihm imponiert, die von seinem Dienst
tatkräftig Gebrauch macht und damit seiner dienstbaren
Gesinnung Recht gibt.
Noch so eine Lehre aus der Silvesternacht, für die es die Kölner Domplatte wirklich nicht gebraucht hat...