Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Hochwasserkatastrophe in Mosambik:
Der Imperialismus leistet humanitäre Hilfe

Aufgrund einer Naturkatastrophe wird eine ganze Nation zum Fall auswärtiger humanitärer Hilfe – und keiner will merken, welche Brutalitäten in diesem Befund enthalten sind: Dass ein Hochwasser in Mosambik derart verheerende Schäden anrichtet, ist nämlich keine Laune der Natur, sondern liegt an der ruinösen Zurichtung der Lebensbedingungen im Land für den Weltmarkt. Ein maßgebliches Interesse scheint jedenfalls nicht tangiert, wenn eine ganze afrikanische Nation ersäuft; die Forderung nach Hilfe ist deswegen billig zu erfüllen: Der Imperialismus schickt seine Hubschrauber und verfrachtet die Geretteten zurück in genau das Elend, das sie gerade beinahe umgebracht hat.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Hochwasserkatastrophe in Mosambik:
Der Imperialismus leistet humanitäre Hilfe

Seit Ende Februar zeigt das Fernsehen Bilder einer Flutkatastrophe in Afrika, am ärgsten getroffen ist das Land Mosambik. Wochenlange Regenfälle haben den Süden komplett unter Wasser gesetzt, Straßen und Hütten sind weggespült, die Bewohner sind ertrunken oder sitzen in Bäumen und warten auf Rettung. Bergungsmannschaften aus der Republik Südafrika sind hoffnungslos überfordert, westliche Kommentatoren sprechen von Schande für die zivilisierte Welt und fragen: Warum hilft denn da keiner? Hier wären sie doch, die Mittel: Ein Gebot der Menschlichkeit, einem fernen, armen Land zur Seite zu stehen. Wenig später senden wir – die USA, England, Deutschland – Soldaten, Hubschrauber und Boote, fischen Tausende aus dem Wasser, bringen sie in Lager, von wo sie nach einer warmen Suppe und dem Sinken der Pegel den Heimweg antreten. Eine ganze Nation als Fall für humanitäre Hilfe: Vor lauter Rührung merkt keiner, was das heißt.

1. Die Bilder aus Afrika zeigen nämlich nicht nur eine Naturkatastrophe, sondern dokumentieren auch den ärgerlichen Grund, warum eine Laune der Natur dort gleich derart verheerende Schäden anrichtet. Denn ein wenig hängt es schon an den Voraussetzungen, auf die ein mehrwöchiger Niederschlag trifft, wie die Naturgewalten sich auswirken. Man erfährt: Der Boden ist dank jahrelanger Dürre und mangels landwirtschaftlicher Nutzung so ausgetrocknet, dass die Wassermengen nicht abfließen; die Menschen, die versuchen, sich von Subsistenzwirtschaft zu ernähren, wohnen in Hütten, die den Fluten nicht standhalten; irgendwelche Vorkehrungen wie Kanalisation oder Schutzdeiche gibt es nicht; kurz: Über die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut und ist dem Klima deshalb extra wehrlos ausgeliefert. Die Not, in die sie durch die Katastrophe gerät, verweist auf die katastrophalen Umstände, in denen sie längst lebt. Die heißen auch in Mosambik marktwirtschaftliche Orientierung und sind nicht übermäßig natürlich bedingt. Von der Wirtschaft (hauptsächlich Stromexport nach und Warenumschlagplatz für Südafrika) profitiert die Landbevölkerung fast nicht (SZ), weil sie an ihr gar nicht teilnimmt. Dass in ihrem Land kapitalistisch gerechnet und für den Weltmarkt produziert wird, bekommt die Mehrheit, wenn überhaupt, nur negativ mit. Subsistenzwirtschaft heißt: Die Menschen sind, von allen marktwirtschaftlich anerkannten Erwerbsquellen getrennt, auf ein Leben von der Hand in den Mund verwiesen. Mit dem Ruin der einst exportfähigen Monokultur für Cashewkerne ist die letzte Gelegenheit zum Geldverdienen entfallen, nun bleiben den Massen zwei Existenzweisen des Pauperismus: In den Elendsquartieren am Rande der Hauptstadt um die Abfälle vom Reichtum der staatlichen Elite zu kämpfen oder auf dem Lande zu schauen, was der Boden und ihrer bloßen Hände Arbeit hergibt; in beiden Fällen und spätestens dann, wenn die kläglichen Erträge der Subsistenz im Wasser versinken, erhalten sie Bescheid, welches Interesse die politischen Garanten der kapitalistischen „Orientierung“ schon zu Normalzeiten an ihnen haben: Keines.

Der Staat, der in den 80er-Jahren eine wirtschaftliche Liberalisierung einführte und die Bevölkerung zur Privatinitiative ermutigte (Spiegel), überlässt sein Volk folgerichtig auch dann selbiger Tugend, wenn es über keinerlei Mittel verfügt, gegen die Fluten initiativ zu werden – er hat nämlich selbst keine. Die Bekämpfung durchaus absehbarer Naturereignisse ist in seinem Haushalt nicht vorgesehen; Mosambik besitzt keine Hubschrauber; und die 9, die der gleichfalls betroffene Nachbar Zimbabwe hat, sind im Bürgerkrieg im Kongo in der Tat sachgerechter eingesetzt. Die Staatenführer des südlichen Afrika handeln im Katastrophenfall, wie es der politische Zweck ihrer Machtausübung gebietet: Auch ihnen geht es um Herrschaft über Land und Leute; zur Masse ihrer Menschen stehen sie aber nicht im Verhältnis einer Obrigkeit zu einem Volk, für dessen Erhalt und Benutzung sie etwas unternehmen. Irgendeine Sozialfürsorge bei Hunger, Seuchen oder Unwetter gibt es allenfalls als Restbestand der inzwischen abgeschlossenen Etappe namens „Entwicklung“. Im Armenhaus Mosambik, wo der Schlamm rund 2 Mill. Tretminen an die Oberfläche spült, die im Bürgerkrieg vergraben wurden (dpa), treffen die Reporter aus dem Westen, der die antikommunistische Partei in diesem Bürgerkrieg von außen aufgebaut und ausgestattet hat, heute auf keine Nation, die im Schulterschluss von Militär und Volk bürgerlichen Gemeinsinn praktiziert (wie Deutschland im legendären „Oderbruch“), sondern auf einen Präsidenten ohne Armee und auf Leute ohne jedes Lebensmittel, die darum pur auf Hilfe von auswärts verwiesen sind.

2. Der Ruf nach Hilfe für Mosambik sagt nicht nur einiges über die Lebensverhältnisse der Leute, von deren (natur) gegebener Bedürftigkeit er wie selbstverständlich ausgeht. Er kennzeichnet auch das mittlerweile erreichte Verhältnis der auswärtigen Staatenwelt zu diesem Land. Dass die Flut außer Vertretern der Welthungerhilfe und Auslandskorrespondenten erst mal keinem auffällt, hat einen banalen Grund: Ein in der Welt von Geschäft und Gewalt maßgebliches Interesse ist nicht berührt, wenn dort hinten ein Land absäuft; Weltmarkt und Imperialismus haben es dahin gebracht, dass die Nation und ihre Bewohner von unerheblichem Belang sind. Alle landeskundigen Reportagen geben zu Protokoll, dass Mosambik ökonomisch ruiniert und strategisch bedeutungslos geworden ist. Die Rede vom beispiellosen Wirtschaftsaufschwung (Spiegel) in einem der ärmsten Länder der Welt (SZ), der jetzt „in den Fluten ertränkt wird“, ist einerseits absurd, andererseits bezeichnend für den Stand der Nation: Wenig erstaunlich, dass eine Ökonomie nach 16 Jahren Krieg – von Null – nur wachsen kann; zugleich basieren die sagenhaften weltweit höchsten Wachstumsraten fast ausschließlich darauf, dass der Cabora-Bassa-Damm wieder Energie für die Industriezentren Südafrikas produziert. Das Lob von IWF (ehrgeiziges Privatisierungsprogramm) und USA (Musterfall friedlicher Konfliktlösung) bezeugt darum weniger einen Nutzen Mosambiks aus seiner Einordnung in Weltfinanzsystem und Weltfrieden, sondern die Zufriedenheit der dafür zuständigen Institute mit ihm: Der Staat macht keinen Ärger, bezahlt seine Schulden; das ist geboten, damit hat es sich.

In der wohl wollenden Prüfung der Anfrage nach Hilfe bezieht der Imperialismus sich also auf sein eigenes Produkt: einen absolut mittellosen Staat Mosambik. Auf der Grundlage, dass ein anderes Interesse an diesem Gebilde und dessen Insassen nicht existiert, umschreibt das Attribut humanitär treffend und ohne jede Ironie den Witz der beispiellosen Hilfe (SZ): Ohne jeden Eigennutz im Auge fliegen Maschinen mit Soldaten, die sonst ganz andere Verwendungszwecke kennen, von weit her und retten – Menschen. Weil und nachdem sich alle üblichen „niederen“ Berechnungen erübrigen, die seine strategischen und/oder ökonomischen Interessen sonst und anderswo gebieten, reduziert sich der Imperialismus hier auf karitative Moral, die (sogar) für nutzlose Neger etwas übrig hat. Rettung aus höchster Not? Warum nicht! Ob der Aufruf des ideellen Weltgewissens von den potenten Mächten erhört wird, hängt in diesem Fall exklusiv an der Freiheit, weniger höflich: an der Willkür auswärtiger Barmherzigkeit.

3. Entsprechend sieht die Aktion aus. Der Ruf der Gewissenswürmer erfährt die passende Antwort. Gefragt war Hilfe: Nun findet sie statt. Ignorant gegen Gründe und Ausmaß der Katastrophe wurde darum gebeten, etwas zu tun: Diese maßlose Forderung ist mit 4 bis 10 Hubschraubern pro Land erfüllt. Weil Hilfe kein anderes Maß kennt, als dass sie passiert, ist es fast schon uninteressant, wie viele Opfer unsere Jungs dann retten. Es liegt in der Logik solcher Rotkreuz-Appelle an die Macht, dass dieselben, die eben „Schande!“ und „Zynismus!“ riefen, jetzt zufrieden sind: Hauptsache, die Bundeswehr ist da und legt Ehre ein für die von globaler Verantwortungsethik getriebene Nation. Imperialismus als gute Tat: Die wohlfeile Ausnahme von der Regel rechnen ihm Anhänger seiner eigentlich humanitären Mission hoch an, höchstens ein wenig spät sei sie gekommen. Kein Wunder, dass sie vom tatsächlichen Zynismus der menschenfreundlichen Aktion nichts mitbekommen wollen: Die geleistete Hilfe zur Selbsthilfe rettet Menschen vor dem Ertrinken, um sie, nach einem Zwischenstopp im Flüchtlingslager, in Stand zu setzen, in dieselben armseligen Umstände zurückzukehren, die sie gerade noch auf die Bäume gespült haben. Der Einsatz der Bundeswehr als Technisches Hilfswerk in Afrika ist gelungen; das private Spendengewissen wird noch ein paar Wochen mit Wasserleichen und der Wetterprognose für Mosambik gekitzelt, die neue Zyklone ankündigt; und in einem Jahr wird eine Sondersendung berichten, was aus den Menschen geworden ist. Die vom „Pariser Club“ beschlossene Stundung der Auslandschulden Mosambiks und der von Wieczorek-Zeul vor Ort verkündete Schuldenerlass über 60 Mill. DM legt ihre Nation auf eben diesen Stand von „Highly Indebted Poor Countries“ fest, denen der G-7-Gipfel letzten Sommer einen Teil ihrer uneinbringlichen Schulden gestrichen hat (siehe GegenStandpunkt 3-99, S.237): In seiner Eigenschaft als ökonomisch abgeschriebener Weltmarktteilnehmer, bei dem außer Armut nichts mehr wächst, erhält Mosambik den Auftrag, sein Geld nur noch zur Bekämpfung der Armut und anderer Katastrophen zu verwenden, deren fortgesetztes Eintreten man also unterstellt.

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Die SZ bringt die Sache unter der beziehungsreichen Überschrift Land in Sicht auf den Punkt:

„Man kann sogar so weit gehen und sagen, dass die internationale Hilfsbereitschaft den Überlebenden der Flut vielleicht sogar ein besseres Leben ermöglichen kann, als sie es vorher hatten.“ (10.3.)

Das mag sogar stimmen: Ein besseres Leben, als vorübergehend zum Almosenempfänger imperialistischer Hilfsmoral erkoren zu werden, haben die überlebenden „Ärmsten der Armen“ vom weltweiten Kapitalismus in der Tat nicht zu erwarten.