Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Streit um die Rückgabe enteigneter ostdeutscher Ländereien:
Grundbesitzer gegen Klassenstaat: Junkerland in Junkerhand!?

Obwohl sich im Prinzip der Klassenstaat und die Klasse der Grundeigentümer nicht nur darin einig sind, dass aus dem Territorium des Ostens Privatbesitz wird, sondern auch darin, dass die neuen Eigentümer mit den alten identisch sein sollen, gibt es einen erbitterten Rechtsstreit zwischen den Rittern der Grundrente und der Kohl-Regierung.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Streit um die Rückgabe enteigneter ostdeutscher Ländereien:
Grundbesitzer gegen Klassenstaat: Junkerland in Junkerhand!?

„Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rückgängig zu machen. Die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik sehen keine Möglichkeit, die damals getroffenen Maßnahmen zu revidieren. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nimmt dies im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis. Sie ist der Auffassung, daß einem künftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muß.“ (Gemeinsame Erklärung der Bundesrepublik und der DDR vom 15. Juni 1990 über die Regelung von offenen Eigentumsfragen)

Seit die DDR eingemeindet worden ist, macht sich hierzulande eine kleine aber feine Schicht von Leuten lautstark bemerkbar, von der man sonst kaum etwas hört. Es sind Großgrundbesitzer, die in den neuen Bundesländern an Landbesitz in größerem Ausmaßherankommen wollen. Und ihr Problem ist, daß zwar all die schönen Äcker und Wälder im Osten nicht mehr dem Klassenfeind von gestern, deswegen aber noch lange nicht ihnen, den enteigneten Eigentümern von einst, gehören. Um das Land unter die eigene Fuchtel zu kriegen, müssen sie den Fiskus der Bundesrepublik, der es mit der DDR mitübernommen hat, davon vertreiben und kämpfen deshalb mit Verfassungsklagen und Strafanzeigen gegen die Regierung.

Diese Ritter der Grundrente schmarotzen einerseits davon, daß mit der Einführung des Kapitalismus in der Zone alles zu Privateigentum gemacht worden ist, Grund und Boden miteingeschlossen; andererseits leiden sie daran, daß die Installation des Privateigentums nicht dasselbe ist wie ihre Installation als Privateigentümer. Das finden sie ungerecht. Wenn schon im Kapitalismus Grund und Boden, diese elementare Lebens- und Produktionsbedingung, einem exklusiven Verfügungsrecht unterliegen, dann versteht es sich doch von selbst, daß es jemanden braucht, der dieses Recht hat. Und das wären doch wohl sie! Aus dem einzig stichhaltigen Grund, daß sie es neulich auch schon waren.

Beim Begründen des eigenen Anspruchs sind diese Herrschaften eben sehr direkt. Damit für sich zu werben, ihre nackte Gier nach enteigneten Boden (Maleuda, PDS, FAZ 5.3.98) würde irgendeinem anderen Interesse nützen, ist ihrer Sorte Landliebe fremd, und den verlogenen Schein, der heruntergewirtschafteten Ex-DDR helfen zu wollen, erwecken diese Landlords auch nicht. Was sie kennen, ist ihr Recht, ihren Grundbucheintrag von damals, und da steht weder was drin von einer Sozialpflichtigkeit des Eigentums, noch was vom Dienst des Grundeigentums am Projekt „Aufbau Ost“. Grundeigentum, das ist für sie genau umgekehrt die soziale Tributpflichtigkeit aller anderen ökonomischen Interessen, die sich bei ihnen als Miete und Pachteinnahmen niederschlägt. Und damit liegen sie nicht falsch. Eigentum verpflichtet – diejenigen, die keins haben, dem Eigentum zu dienen; alle, die fremdes Eigentum geschäftlich nützen wollen, zu zahlen; und die, die eins haben und benutzen lassen, dafür zu kassieren. Per Pacht, per Miete oder per Verkauf partizipiert der Grundbesitzer an den Erträgen der ökonomischen Tätigkeiten anderer. Sein Beitrag besteht in seinem Besitztitel. Das Eigentumsrecht selbst ist für diese nutzlos-parasitäre Mafia die Quelle ihres Einkommens, ihr Nutzen ist identisch mit ihrem Recht auf diesen Vorteil. Diesen ihren Besitztitel klagen die östlichen Grundherren ein. Die Ländereien hätten ihnen zu gehören, weil sie ihnen, bzw. ihren Vätern früher schon rechtmäßig gehört haben. Ererbtes Blut, vererbter Boden und ihr persönlicher Vorteil verbinden sich bei diesen Charakterköpfen der Grundrente zu einer Dreifaltigkeit des bürgerlichen Materialismus. Und wenn ihr Boden, der …von Kommunisten in den Jahren 1945-1949 in der seinerzeitigen SBZ/DDR enteignet und ausgeplündert worden ist, dann muß ihr Blut jetzt, da auch im Osten der Republik das Grundgesetz herrscht, das im Artikel 14 den Schutz des Eigentums vorschreibe, nachdrücklich verlangen, daß ihnen das wieder zu gehören hat, was ihnen einst gehört hat (O-Ton Grundbesitzer, FAZ, 21.3.98). Daß es das GG, auf das sie sich berufen, noch nicht einmal gab, als die Sowjets damit anfingen, aus Landbesitzern mit über 100 Hektar sowie angeblichen und wirklichen Nazis und Kriegsverbrechern (Der Spiegel, 15/1998) die heutigen „entrechteten Alteigentümer“ zu machen, ist den verbitterten Grundbesitzern egal. Sie sind ja keine Anhänger des Grundgesetzes, für sie ist das GG Instrument, um zu ihrem Recht = ihrem Nutzen zu gelangen. Kriegen sie das nicht, dann ist für sie auch die Bundesrepublik ein sozialistischer Unrechtsstaat.

Nun kann man der Bundesregierung viel vorwerfen, bestimmt aber nicht, sie hätte es sich mit der Behandlung der ostdeutschen Grundeigentümerklasse leicht gemacht. Sie hat alles getan, um das Eigentum privater Investoren an Grund und Boden sowie an Produktionsmitteln wiederherzustellen (Vertrag über Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, Art. 2). Die Bundesregierung hat auch eine Grundeigentümerklasse im Osten genau nach dem Prinzip geschaffen, daß enteignetes Grundvermögen grundsätzlich…den ehemaligen Eigentümern oder ihren Erben zurückgegeben wird (Gemeinsame Erklärung). Im Prinzip wären sich der Klassenstaat und die Klasse der Grundbesitzer also nicht nur darin einig, daß aus dem Territorium des Ostens Privatbesitz wird, sondern auch darin, daß die neuen Eigentümer dieses neugeschaffenen Privateigentums mit den alten identisch sein sollen.

Nun gibt es aber im Fall der Bodenreform von 1945-1949 einen dieser Rechtslage widersprechenden übergeordneten Gesichtspunkt. In ihren Wiedervereinigungsverträgen hat die Bundesregierung sich zur Beibehaltung der damaligen sowjetischen Enteignungs-Maßnahmen verpflichtet. Und das ist nicht einfach so eine unverbindliche Zusage, die dieser Staat ohne weiteres auch wieder aus dem Verkehr ziehen könnte: Deutschland erklärt sich in der Frage dieser Enteignungen an ein übergeordnetes Recht internationaler Gültigkeit gebunden, das es per Unterschrift gebilligt und für sich für bindend und rechtsverbindlich erklärt hat.

Auf dieser staatsrechtlichen Grundlage hat die Bundesregierung im Guten wie im Bösen die Erbschaft der DDR angetreten und in der Wiedervereinigung mit den enteigneten Ländereien im Osten ein Finanzmittel für den staatlichen Haushalt gesehen. Die Erlöse aus dem Verkauf des volkseigenen Vermögens sollen zur Regulierung staatlicher Verpflichtungen eingesetzt werden (Waigel, Bundestag, 42. Sitzung, 23. Mai 1990), die der Nation aus der Wiedervereinigung erwachsen sind.

Zusätzlich zu diesem fiskalpolitischen sind in der Grund- und Boden-Frage wirtschaftspolitische Gesichtspunkte hinzugekommen: Die Reprivatisierung der in Frage stehenden Gebiete oder auch nur eine neu eröffnete Rechtsunsicherheit in der Eigentumsfrage der damals kollektivierten 3,3 Millionen ha (immerhin ein Drittel der östlichen Bundesländer) hätte die Gefahr heraufbeschworen, laufende Nutzung zu ruinieren und jedes kapitalistische Wachstum zu verhindern. Ganze Landstriche mit ihren privatisierten LPGs, Einkaufszentren und Baumärkten, ganze seit 1945 entstandenen Stadtviertel mit ihren Pachtverhältnissen wären damit unter einen Eigentumsvorbehalt gestellt worden, der jede Sorte geschäftlicher Investition in Frage gestellt hätte. So wurden die Rückgabeansprüche der Alteigentümer als das Investitionshindernis par excellence zurückgewiesen, die „…durch jahrelange Prozesse den Aufschwung Ost im Keim zu ersticken drohen.“ (NZZ, 7.2.1997) Investoren sollen in den neuen Bundesländern erstens sicher und verläßlich, zweitens billig an staatlich verfügten Grund an Boden gelangen können. So billig würden den die Alteigentümer nicht hergeben, was sie unfreiwillig kundtun, wenn sie dem Staat empört vorrechnen, er habe beim Verkauf „…auf Grund von Pflege- und Beförsterungskosten seit 1990 nur etwa ein Drittel seines Aufwandes erlöst“ (NZZ, 4.3.1997).

Nun ist aus den Investitionen, die da allenfalls entstanden wären, nichts geworden. Und darüber hat ein dritter Gesichtspunkt an Bedeutung gewonnen: Der Bürger der Ex-DDR läßt sich zwar fast alles gefallen, aber wenn ihm reiche Wessis jetzt auch noch buchstäblich den Boden unter den Füßen wegziehen, dann geht das sogar den zuständigen christdemokratischen Ministerpräsidenten im Osten zu weit.

Also beißen die alten Grundbesitzer mit ihren Rückgabeforderungen auf Granit. Aber als traditionsreiche Klasse wachsen sie an dem Widerstand, dem sie mit ihrem Rechtsstandpunkt begegnen. Zweimal sind sie seit der Wiedervereinigung vors Bundesverfassungsgericht gezogen, haben zweimal Unrecht bekommen – für jedes normale geschädigte Interesse, das sich auf den Rechtsweg macht, wäre das das Ende der Fahnenstange. Nicht so für die kampfgestählten Osteigentümer. Sie prozessieren zum einen munter weiter gegen die Hehlerei der Regierung Kohl, die gestohlenen Besitz verkauft und sich daran bereichert (alles: FAZ, 21.3.98). Sie lancieren zweitens eine moralische Annoncenkampagne gegen die Bundesregierung unter dem Motto Die Politik muß endlich zu den Grundsätzen von Anstand und Moral zurückfinden (SZ, 28.4.98). Drittens beauftragen sie willige Staatsrechtler, in dem Bundesverfassungsgerichtsurteil einen Ansatzpunkt zu finden, es zu kippen. Das Verfahren der Wahl war die Herstellung eines Revisionsgrundes. Da das oberste deutsche Gericht sich auf eine übergeordnete Tatsachenentscheidung berufen hatte – den von der UdSSR geforderten Restitutionsausschluß- und der Bundesregierung in ihrer Souveränität einen breiten Ermessensspielraum zugestand, um einzuschätzen, ob die Wiedervereinigung in der Tat von der Zustimmung zum Restitutionsausschluß abhing (NZZ 10.5.96), engagierte man den Reichsliquidator der UdSSR als Kronzeugen dafür, daß die Bundesregierung ihren „Ermessensspielraum“ durchaus anders hätte nutzen können. Auf meiner Ebene als Präsident der UdSSR ist diese Frage nicht diskutiert worden und „erst recht konnte keine Rede sein von einem Ultimatum, wonach es ohne Restitutionsverbot keinen großen Vertrag geben sollte“ (Spiegel, 15/98), verkündet seitdem der Stifter der Gorbatschow Stiftung in seinem einträglichen neuen Nebenjob.

Vorschläge zur Güte aus dem Regierungslager wie der des CDU-Staatsrechtlers Scholz, man sollte „Erleichterungen für Enteignete“ schaffen, indem man ihnen den Rückkauf der Ländereien massiv verbilligt, stoßen bei diesen Grundrechts-Fundamentalisten auf strikte Ablehnung. Damit würden sie ja glatt zugeben, rechtsgültig enteignet worden zu sein.