Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
USA vs. Saddam, neueste Auflage
Der aktuelle gute Grund für Bomben: Die „Glaubwürdigkeit“ des amerikanischen Präsidenten

Die demokratische Öffentlichkeit prüft kritisch, ob für die angesagten Kriege auch gute Gründe vorliegen – wofür letztlich das Feindbild gerade steht, das die gewählten Herrscher ausgeben. Und fordert ein, dass der Krieg wie der gegen Saddam dann schon auch stattfindet – sonst leidet die Glaubwürdigkeit des Präsidenten. Wenn die Bomben dann fallen, dann kommen umgekehrt Zweifel auf, ob sie nur der „Lewinsky-Affäre“ geschuldet sind – Kriegshetze demokratisch, ganz ohne Propaganda-Ministerium.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

USA vs. Saddam, neueste Auflage
Der aktuelle gute Grund für Bomben: Die „Glaubwürdigkeit“ des amerikanischen Präsidenten

Früher, in den schlimmen undemokratischen Zeiten, hatte die Nation einen Führer zur Bewältigung heikler Entscheidungsfragen in Sachen Krieg & Frieden. Der sagte einfach an, gegen wen es zu gehen hat und warum. Zusammen mit dem von höchster zuständiger Stelle bekanntgemachten vielen Unrecht, das die Feinde der Nation antun und das sich einfach nur mit ganz viel Gewalt sühnen läßt, stand auch schon der Auftrag für die dienstbaren Geister zur Bildung der öffentlichen Meinung fest. Sie hatten einfach nur alle guten Gründe, die der Nation und ihrem obersten Diener den Krieg gegen den Feind unabweisbar machten, dem Volk eindringlich und dauerhaft als dessen ureigenste Sache ans Herz zu legen. Das taten sie dann auch, und auf die Früchte ihrer Überzeugungsarbeit war Verlaß bis weit über den Krieg hinaus.

Heute ist Demokratie, und mit der ist nicht nur die Zeit der großen Herrscherpersönlichkeiten unwiderruflich vorbei. Mit der Abschaffung eines Ministeriums für Propaganda hat sich auch der Auftrag der politischen Meinungsbildung erheblich verändert, und aus dem gleichgeschalteten Sprachrohr der Machthaber von früher ist eine Institution geworden, die sich zu den höchsten menschheitsbeglückenden Errungenschaften überhaupt rechnen darf, welche die Demokratie vorzuzeigen hat. Nicht der Indoktrination des Volks im Sinne aller herrschaftlichen Anliegen und Machenschaften ist die demokratische Öffentlichkeit verpflichtet, sondern deren kritischer Prüfung. Frei und pluralistisch hat sie darüber zu wachen, daß im Staat keine undemokratische herrschaftliche Willkür einreißt. Und diesem Auftrag kommt sie nach, immer und überall und schon gleich dort, wo die höchsten Entscheidungsfragen der staatlichen Souveränität zur Debatte stehen: Auch in der Frage von Krieg & Frieden erfährt nichts ihre Billigung, was nicht vorher ihrem kritischen Test auf seine demokratische Legitimität einwandfrei standgehalten hätte. Wie man sieht, gilt aber auch die Umkehrung dieses Satzes und müssen Kriege manchmal deswegen sein, weil andernfalls die kritische öffentliche Meinung an der Legitimität ihrer demokratischen Herren zweifelt.

1. Was die anlaufenden Kriegsvorhaben der USA gegen den Irak betrifft, so richtet die demokratische Öffentlichkeit hierzulande ihren kritischen Blick selbstverständlich auf die Begründungen, mit denen die befreundete Weltmacht ihr Vorhaben einkleidet – bloße Akklamation kommt da nicht in Frage. Eine Erkundigung nach den politischen Gründen der Feindschaft, die Staaten in ihrem Verkehr an den Tag legen, allerdings auch nicht. Die Aufklärung, auf die mündige Demokraten ein Recht haben, zielt da schon auf mehr. Einen nachvollziehbaren guten Grund möchte man für den angekündigten Terror gesagt bekommen, und siehe da: Kaum die Frage aufgeworfen, ob dieser Krieg nach allen Maßstäben, die man als Demokrat kennt und billigt, auch in Ordnung geht, stellt sich die Antwort sogleich ein. Das haben Kriege nämlich so an sich, daß sie letztlich immer gegen den Richtigen gehen. Traditionsgemäß gibt darüber das Feindbild einwandfrei und erschöpfend Auskunft, mit dem jede Kriegspartei den Einsatz ihrer Gewalt zur Erledigung ihrer Feindschaft rechtfertigt. In dem stehen den Machenschaften eines abgrundtief schlechten, rein bösen Willens einer Macht auf der einen die eigenen unbefleckten Rechte auf der anderen Seite gegenüber, und daß die nur mit Gewalt gegen das Böse zu schützen sind, versteht sich von ganz allein. Weil auch die demokratische Urteilsbildung dieser so gut und so lange bewährten Übung, Politik nach gut und böse zu scheiden, nichts hinzuzufügen hat, fällt ihre Prüfung des rechtfertigenden Grundes für einen neuen Krieg gegen den Irak extrem kurz und eindeutig aus. Zuerst aus Washington, dann aber auch von der eigenen Regierung bekommt man mitgeteilt, daß man im Grunde ja schon seit dem letzten Krieg ganz genau weiß, womit man es bei dem Irak und vor allem bei seinem Führer zu tun hat: Seit seinem ersten „Verbrechen“ gehört der Diktator unter die Aufsicht der Guten gestellt, und er beugt sich ihnen nicht. Er gehört entwaffnet, und widersetzt sich hartnäckig. Überhaupt hat er nicht nur Waffen, sondern auch noch „Massenvernichtungswaffen“ – damit ist der Fall eingeordnet und die Öffentlichkeit im Bilde: Dieses Konglomerat von Untermensch, Massenmörder und Tyrann ist einfach „unverbesserlich“; ein ungeheuerlicher „Skandal“, wie er mit der „zivilisierten Weltgemeinschaft“ umspringt und sie ein ums andere Mal „austrickst“; sein Staat ein einziger „Schurkenstaat“, eine unglaubliche Gefahr für alle guten und unschuldigen Staaten, die „Weltterrorzentrale am Golf“; eigentlich unfaßbar, daß so einer, von dem feststeht, daß er sie einfach nicht haben darf, noch immer Macht hat; höchste Zeit, daß man von ihm erlöst wird.

Ganz ohne Führerbefehl, sonstige politische Direktiven und absolut ohne Gleichschaltung gelangt die Institution der freien politischen Meinungsbildung in Deutschland geschlossen und einheitlich zu der Auffassung, daß Saddam den Krieg unbedingt verdient. Frei von jedem Verdacht, auf höhere Weisung hin den Auftrag zur geistigen Mobilmachung wahrzunehmen, und ausschließlich auf ‚pro bono – contra malum‘ als ihr Prüfkriterium von Weltpolitik konzentriert, beten die hiesigen Sachverständigen in ihrer Feindbildpflege alle erdenklichen Rechtfertigungsgründe für eine gewaltsame Bereinigung des „Problems“ vor, das dieser Mann darstellt – und betreiben Kriegshetze, als hätten sie schon wieder vom Aufbruch ihrer eigenen Nation zu künden.

2. Dabei belassen sie es nicht. Ein Krieg, den sie als eine überaus gerechtfertigte und in jeder Hinsicht zu billigende Maßnahme preisen, um die Welt – wenigstens am Golf – vom Bösen zu befreien, hat für sie nämlich schon auch stattzufinden. Unbedingte Parteilichkeit für die Politik, die sich gegen Saddam zur ‚ultima ratio‘ entschließt, ist das eine Resultat, das sich im Wege der strikten Nichtbefassung mit der politischen Räson des Kriegs und deren zielstrebiger Ersetzung durch die der Moral als Essenz der politischen Meinungsbildung einfindet. Das andere ist, daß die wirklichen Kriegsherren dann selbstverständlich der moralischen Pflicht auch Genüge zu leisten haben, mit der sie sich die Billigung ihres Vorhabens verdienen, und wenn sie sich dabei säumig zeigen, werden sich ihre Parteigänger in deutschen Schreibstuben augenblicklich ihrer demokratischen Kontrollfunktion inne: Sie sehen sich glatt zu einer Kritik an der Politik veranlaßt. Dieselben freien Meinungsbildner, die ihr gesamtes politisches Urteilsvermögen darauf verwenden, einer Politik, die als Vollzug eines weltpolitischen Strafgerichts daherkommt, durch die Pflege des entsprechenden Feindbildes die Urteilsbegründung hinterherzutragen, werden mit einem Mal fordernd. Ihr kriegsmoralischer Fanatismus hält es schier nicht aus, wenn angesichts dieser Eindeutigkeit von Sach- und Rechtslage – und des Kräfteverhältnisses schon gleich – die Vollstreckung des gefällten Urteils ausbleibt. Nochmals und eindringlich erinnern sie sich und alle anderen daran, wie oft dieser Saddam der Völkergemeinschaft schon „auf der Nase herumgetanzt“ ist, mahnen eindringlich die Bomben und Raketen an, die dem endlich Einhalt gebieten sollen, und dann bringen sie den allerkritischsten Vorbehalt in Anschlag, auf den sich Demokraten verstehen: Zusammen mit ihren amerikanischen Kollegen, die nach derselben Logik eine „credibility gap“ entdecken, sehen sie die Glaubwürdigkeit der US-Regierung auf dem Spiel stehen, wenn die den Krieg nicht bald so führt, wie man es auch hierzulande billigerweise von ihr erwarten darf: Die „Glaubwürdigkeit“ des amerikanischen Präsidenten gegenüber den Repräsentanten der demokratischen Öffentlichkeit steht und fällt damit, daß er im Umgang mit seinem erklärten Feind glaubwürdig ist, ihn also auch so bekriegt, wie es ihm gebührt.

Nichts finden sie kritikabel an der Politik einer Weltmacht, die Botmäßigkeit ihren Ansprüchen gegenüber bei Bedarf mit organisiertem Terror erzwingt. Von nichts distanzieren sie sich, wenn man ihnen auch noch ganz offen und ehrlich sagt, daß es dieser Weltmacht mit ihren Bomben nun wirklich nicht um das Gute, sondern schlicht und ergreifend um „die Ausschaltung des Machthabers im Irak“ geht – statt dessen rechnen sie selbst die Toten hoch, die der dafür erforderliche Militärschlag wohl sonst noch mit sich bringen wird. Aber wehe, ihr moralisches Koordinatensystem gerät durcheinander, weil den „Verbrecher“ die ihm zugedachte Strafe womöglich doch nicht ereilt! Dann drohen sie mit dem schlimmsten Übel, das sie sich für ihre demokratischen Herren nur ausdenken können, nämlich mit dem Entzug ihres Vertrauens. Das schenken sie ihnen ansonsten blind. Dann aber nicht mehr, wenn sich die ihres Geschenks als gar nicht würdig erweisen und ausgerechnet ein Herrscher, der als „der mächtigste Mann der Welt“ wie geschaffen dafür ist, nach dem Rechten zu sehen, die fällige sittliche Tatkraft missen läßt. Einen Krieg, dessen moralische Legitimation die demokratische Öffentlichkeit zu ihrer Sache macht, hat die Politik gefälligst auch zu führen – wenn sie das unterläßt, können kritische Demokraten einfach nicht mehr an das Gute in ihr und im Menschen überhaupt glauben.

3. Gottlob werden diese Humanisten vom amerikanischen Präsidenten dann doch noch rechtzeitig und eindrucksvoll praktisch von den aufkommenden Zweifeln erlöst, ob bei ihm die Erledigung Saddams wirklich in guten Händen sei. Teilweise zumindest, denn unter die vielen Stimmen, die mit tiefer Befriedigung die Bombardierung des Irak zur Kenntnis nehmen, mischen sich prompt schon wieder kritische Wortmeldungen. Sie erinnern sich an Anfechtungen ihres Präsidenten, die sie selber auch schon auf denselben Nenner des demokratischen Rechts auf Glaubwürdigkeit der Machthaber gebracht haben: Die „Lewinsky-Affäre“. Sie beziehen dieselben Bomben auf ein ganz gleichartiges, aber anders geartetes persönlich-privat-politisches ‚credibility-gap‘, und auf einmal sind die an sich so guten Bomben entwürdigt. Womöglich hat der amerikanische Präsident sie bloß für die Lösung eines Glaubwürdigkeitsproblems fliegen lassen, mit dem man ihm wg. Monica gerade am Zeug flicken will. Vielleicht dient sein Krieg gar nicht dem sittlichen Zweck, dem er angeblich gewidmet ist, sondern es steckt nur ein ganz privates Motiv hinter ihm. Am Ende hat der „in Skandale verstrickte“ Präsident nur seine unbeschädigte „politische Handlungsfreiheit“ demonstrieren wollen und glatt das nationale Militär dazu mißbraucht, von seiner „peinlichen Affäre mit der Praktikantin abzulenken“.

Das ist dann Höhe- wie Abschlußpunkt des kritischen Bewußtseins, zu dem es Demokraten bringen: Einfach nur so parteilich für Krieg sind sie nie und nimmer; erst dann, wenn man ihnen das Feindbild liefert, in das sie sich richtig gescheit vertiefen können, lassen sie sich überzeugen. Dann aber sind sie gleich so überzeugt, daß sie ihren guten Glauben in den Kriegsherrn verlieren, wenn der nicht augenblicklich losschlägt. Tut er es dann, ist ihnen auch das nicht genug. Sie durchschauen den Krieg als eine eigens ihrer Täuschung gewidmete Inszenierung von „Stärke“, mit der ein Präsident die „Schwäche“ zu vertuschen sucht, von der sie als seine schonungslosen Kritiker längst wissen. Für gut denkbar und nach allen Regeln der Öffentlichkeitspflege auch für ganz logisch halten sie dabei offenbar, daß in ihrer feinen Herrschaftsform der Chef zur Hebung seines Ansehens so eben mal fremde Länder bombardieren läßt. Freilich tut auch das der Legitimität der demokratischen Herrschaft, die sie kritisch beaufsichtigen, keinerlei Abbruch. Die Kritiker, die an Clintons „Glaubwürdigkeit“ nörgeln, fangen sich die gerechte Replik ein, sich selbst des Vergehens schuldig zu machen, das sie dem Präsidenten vorwerfen – und mit ihrem demonstrativen Vertrauensentzug nur ihre private Berechnung zu verfolgen, das Ansehen des Präsidenten zu ramponieren! So geht der Streit unentschieden, letztlich aber doch folgenlos dahin, denn die Überzeugungskraft der Bomben leidet unter ihm dann doch nicht. Sie tun ihr Werk, die wirkliche Gerechtigkeit hält sich an alles, was ihre Moral gebieterisch fordert, und das erledigt alle Krisen des Vertrauens von Demokraten in ihre politischen Herren.