Der Fall Wirecard
Über die vielfältigen Möglichkeiten, am Geldverdienen Geld zu verdienen
Der tiefe Fall des deutschen IT-Finanzdienstleisters Wirecard war im vergangenen Jahr Gegenstand vielfältiger öffentlicher Ermittlungstätigkeit und Ursachenforschung. Im Zuge dieser wurde so manches Detail über die Geschäftspraktiken der Firma und überhaupt über die Gepflogenheiten der Abteilung Wirtschaft, in der Wirecard in den letzten Jahren zu den Champions aufgestiegen war, ans Licht gebracht und auch für den Laien liebevoll erläutert. Leider hat der dabei vorherrschende Tonfall der Skandalisierung und Kriminalisierung die gebührende Würdigung der Hauptsache verhindert, obwohl die bei alledem eigentlich nicht zu übersehen war und ist. Auch der ‚Fall Wirecard‘ hat nämlich wieder einmal bewiesen, wie unschlagbar effektiv der Kapitalismus für viele und immer mehr Gelegenheiten sorgt, den Zweck zu verfolgen, nach dem er benannt ist, und wie vorbildlich und erfolgreich Wirecard und alle anderen an seinem Aufstieg, Abstieg und Ruin Beteiligten in diesem Sinne am Werk waren.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- 1. Das Geschäftsmodell von Wirecard: Internet-Finanzdienstleistungen
- 2. Geschäftsmodell „Kapitalanlage“: Spekulatives Geldverdienen am Geldverdienen von Wirecard
- a) Finanzinvestoren und Wirecard: Zukunft schafft Kapital – ganz ohne Betrug
- b) Der Börsengang: Verallgemeinerung und Vollendung einer wundervollen Partnerschaft
- c) Der Aufstieg der Wirecard-Aktie: Über die Vernunft spekulativen Geldverdienens
- d) Skepsis – die Kehrseite spekulativer Selffulfilling Prophecy und ihre produktive Verarbeitung
- e) Vom illegalen Fingieren von Gewinnen fürs fortgesetzt legale Fingieren von Kapital und anderen Fußnoten eines ehrenwerten Geschäfts
- 3. Staatliche Aufsicht, Lobbyismus und die nationale Bedeutung von Wirecard: noch ein paar Umdrehungen mehr
Der Fall Wirecard
Über die vielfältigen Möglichkeiten,
am Geldverdienen Geld zu verdienen
Der tiefe Fall des deutschen IT-Finanzdienstleisters Wirecard war im vergangenen Jahr Gegenstand vielfältiger öffentlicher Ermittlungstätigkeit und Ursachenforschung. Im Zuge dieser wurde so manches Detail über die Geschäftspraktiken der Firma und überhaupt über die Gepflogenheiten der Abteilung Wirtschaft, in der Wirecard in den letzten Jahren zu den Champions aufgestiegen war, ans Licht gebracht und auch für den Laien liebevoll erläutert. Leider hat der dabei vorherrschende Tonfall der Skandalisierung und Kriminalisierung die gebührende Würdigung der Hauptsache verhindert, obwohl die bei alledem eigentlich nicht zu übersehen war und ist. Auch der ‚Fall Wirecard‘ hat nämlich wieder einmal bewiesen, wie unschlagbar effektiv der Kapitalismus für viele und immer mehr Gelegenheiten sorgt, den Zweck zu verfolgen, nach dem er benannt ist, und wie vorbildlich und erfolgreich Wirecard und alle anderen an seinem Aufstieg, Abstieg und Ruin Beteiligten in diesem Sinne am Werk waren.
1. Das Geschäftsmodell von Wirecard: Internet-Finanzdienstleistungen
Die Enttäuschung über das jähe und unschöne Ende von
Wirecard war den Erwartungen proportional, die vorher in
die Firma gesetzt worden waren und in die sich von
deutscher Seite aus eine gehörige Portion Stolz darauf
gemischt hatte, dass wir
jetzt endlich auch einen
Champion haben, der dabei
kräftig mit- und die
Konkurrenz gehörig aufmischt – bei einem Geschäft
nämlich, das sich mit so gestrigen Angelegenheiten wie
der Herstellung oder dem Transport von Gütern welcher Art
auch immer gar nicht erst abgibt, sondern im – in
einschlägigen Expertenblättern wahlweise als Trend
oder Mega-Trend
gefeierten – technischen und
eigentumsrechtlichen Vermitteln von Zahlungsströmen per
Internet besteht, dem ja bekanntlich seit geraumer Zeit
die Zukunft gehört. Denn zwar sollen einem verbreiteten
Gerücht zufolge besagte Ströme unabdingbare Voraussetzung
und unvergleichlich effizientes Mittel dafür
sein, dass Güter und sachliche Ressourcen ihrer
Herstellung im Gegenzug dorthin gelangen, wo sie zu
gebrauchen sind, aber zum Glück für Wirecard, seine
Partner und Konkurrenten hat das noch nie gestimmt. Was
Wirecard seinen atemberaubenden Aufstieg bescherte, war
erstens und ganz grundsätzlich die Tatsache, dass der
‚Geldstrom‘ vom Kunden zum Anbieter der ganze
Zweck ist, für den letzterer in der
Marktwirtschaft seine Angebote überhaupt macht, was den
näheren Erfolgsmaßstab eines um einen Gewinn vermehrten
Rückflusses selbstverständlich einschließt. Zweitens ist
das Strömen von Geld nicht nur Zweck aller Produktionen
und Dienste, sondern selbst ein gigantischer Aufwand
und Problemfall – was nach Logik der Marktwirtschaft
auch ganz erfreulich ist, weil in dieser Ökonomie Aufwand
vor allem eines ist: die Gelegenheit, damit Geld zu
verdienen. Und das hat Wirecard getan.
Zum einen betrieb Wirecard in seiner Eigenschaft als
Payment Service Provider
den Aufwand, der
nötig ist, um Online-Anbietern von Pornofilmen,
Flugreisen und anderen Lebensmitteln des täglichen wie
nicht so alltäglichen Bedarfs die nötige technische
Infrastruktur für die technisch-datenmäßige Verknüpfung
zwischen Endkunden, Händlern und Kreditkartenfirmen
bereitzustellen. Damit verkürzte Wirecard für diese im
Internet tätigen Anbieter die Zeit, die vom
Angebot und der Lieferung der Ware oder Dienstleistung
bis zum gewinnträchtigen Rückfluss des Geldes – wie
gesagt: dem eigentlichen und einzigen und daher nie
abschließend, also nie schnell genug zu erledigenden
Zweck ihrer Aktivitäten – vergeht. Außerdem machte
Wirecard sich damit nützlich, dass es, wie man erfährt,
durch superfortschrittliche Algorithmen in kurzer Zeit
analysierte, ob der Kunde vertrauenswürdig ist
– eine
notwendige, also geldwerte Leistung innerhalb einer
Ökonomie, in der wegen des herrschenden Zwecks der
Bereicherung das wechselseitige Misstrauen in die
Erfüllungs- bzw. Zahlungsfähigkeit und -willigkeit des
Vertragspartners systematisch zu allen wirtschaftlichen
‚Beziehungen‘ und ‚Strömen‘ gehört und als
allgegenwärtiges Risiko in die
Geschäftskalkulationen eingeht. Zum anderen war Wirecard
als Acquirer
tätig. Im Rahmen dieses Geschäfts
schob es sich innerhalb der virtuellen Geldflüsse auch
eigentumsrechtlich zwischen Kreditkartenfirmen und
Händler; d.h. Mastercard et al. überwiesen die von den
Endkunden per Kreditkarte bezahlten Beträge an Wirecard,
das diese nach Abzug einer Gebühr und eines zeitweiligen
Sicherheitseinbehalts an die Händler weiterleitete. Damit
nahm es den Kreditkartenfirmen das Risiko ab,
das aus Rückforderungen oder Händlerpleiten erwächst, und
fungierte damit, wie ein Experte es ausdrückt, als
eine Art Pflichtversicherung für die Händler
, ohne
die es letzteren gar nicht möglich ist, ihren Kunden das
Bezahlen mit Kreditkarten großer internationaler
Kreditkonzerne anzubieten. Drittens schließlich erschloss
sich Wirecard dann auch noch den Status eines
Issuers
: Als solcher durfte es mit Lizenz von
Mastercard und Visa und im Namen dieser Firmen deren
Karten ausgeben und ersparte denen den damit verbundenen
Aufwand, insbesondere den der Prüfung, wie es um die
Bonität der mit ihren Karten beglückten Kunden bestellt
war. Zeit, Risiko, Aufwand – das sind die
Tücken, die sich mit dem Geld und seinem Strömen ergeben,
nicht nur, aber erst recht, wenn alles internet- und
kreditbasiert fließt. Und Wirecard hat exemplarisch
vorgeführt, dass Geld zugleich das universelle
Mittel zur geschäftsdienlichen Handhabung all der
Probleme ist, die es für diejenigen stiftet, die es nicht
nur brauchen, sondern zwecks Vermehrung gebrauchen.
Mit ihren Angeboten zur Lösung dieser Probleme des
Geldtransfers konzentrierte sich die süddeutsche Firma
zunächst auf den Bereich von Pornografie- und
Glücksspielanbietern, wo sie einen Teil ihrer frühen
Erfolge erzielen konnte. Pecunia non olet: Auch in
moralisch eher zwielichtigen Sphären ist
marktwirtschaftlich definitiv alles in Ordnung,
vermeintliche oder wirkliche Besonderheiten wie z.B. das
spezielle Überschuldungsrisiko der Kunden beim
Glücksspielen und gewisse, der bürgerlichen Moral
geschuldete Bedürfnisse nach Anonymität im Bereich
sexueller Ersatzbefriedigung sind eine Frage des
Preises, den die eine Seite zahlen muss und den
die andere Seite in Form einer rentabilitätsverbessernden
Extra-Marge einstreichen kann. Den arrivierten
Kreditkartenunternehmen Mastercard und Visa erschloss
Wirecard auf diese Weise eine neue Klientel. Dass ihr
aufstrebender Geschäftspartner auf beiden Seiten der
imaginären Trennlinie
tätig war, die Kenner
zwischen normalen ‚High Risk‘-Transaktionen (etwa im
Airline- und Tourismusbereich) und umstrittenem
Graugeschäft (z.B. Online-Gambling oder
CFD-Wertpapierhandel)
zu ziehen belieben und von der
sie gleich noch selbst sagen, dass diese fließend
sei, war den seriösen Kreditkartenunternehmen durchaus
bewusst. Was für sie bedeutete, ganz geschäftsmäßig und
ebenfalls ohne moralische Vorurteile zwischen dem Ärger
und dem Gewinn abzuwägen, den ihr innovativer und
damit [sic!] potenziell lukrativer Geschäftspartner
versprach. In dieser Branche innovativ
zu sein,
geht nun einmal mit dem Austesten von Trennlinien
und Grauzonen
einher. Dass im Geschäftsverhältnis
zwischen Wirecard und den Kreditkarten-Konzernen die
Spannungen den Insidern zufolge mit den Jahren so etwas
wie strukturellen Charakter bekommen haben
, war
ausweislich der ganzen Geschichte jedenfalls der Preis,
den die superseriösen Konzerne zu zahlen bereit waren.
Nun ist es ja nicht so, als hätten Finanzdienstleister
wie Wirecard das Geldverdienen mit dem Transferieren von
Geld erfunden. Dieses Business zählt zu den
Basisdienstleistungen von honorigen Banken und
Sparkassen, die sich die Führung eines Girokontos – des
unbedingt notwendigen Gelddurchlaufknotens für die
Teilhabe am gesellschaftlichen Reproduktionsprozess des
marktwirtschaftlichen Gemeinwesens – von ihrer Kundschaft
bezahlen lassen. Auf ebendiese Errungenschaft bauen die
modernen Zahlungsabwickler auf, weshalb sie in ihrer
Geschäftstätigkeit von der Kooperation mit einer Bank und
damit auch von deren geschäftlichen Kalkulationen erstens
überhaupt abhängig sind und zweitens insbesondere, wenn
es um das lukrative Kreditkarten-Issuing
geht, das
nach deutschem Recht nur Finanzdienstleister betreiben
dürfen, die über eine Banklizenz verfügen. Am besten ist
man daher seine eigene Bank – und das zu werden, ist
wieder nur eine Frage von genügend Geld: Wirecard ergriff
die sich seinerzeit bietende Gelegenheit und
kaufte sich eine. Mit diesem hauseigenen
Geldhaus verschaffte sich die Aschheimer Firma, nicht
zuletzt mit Verweis auf ihr margenstarkes Erotik- und
Glücksspielgeschäft, dann auch noch den Status einer
Principal Membership
von Visa und Mastercard, mit
der es nicht bloß Kreditkartenzahlungen abwickeln,
sondern auch eigene, mit einem Online-Konto verknüpfte
virtuelle Prepaid-Karten herausgeben durfte. All das
verschaffte Wirecard ein ziemliches
Alleinstellungsmerkmal gegenüber seinen Mitkonkurrenten
und stand bei denen, auf die es ankam, stellvertretend
für die Verlässlichkeit und die Realitätstüchtigkeit der
Wachstumsambitionen, die der IT-gestützte
Zahlungsdienstleiter selbstredend auf alle Branchen und
über nationale Grenzen hinweg richtete.
2. Geschäftsmodell „Kapitalanlage“: Spekulatives Geldverdienen am Geldverdienen von Wirecard
a) Finanzinvestoren und Wirecard: Zukunft
schafft
Kapital – ganz ohne Betrug
Mit besagten Wachstumsambitionen war Wirecard von Beginn
an nicht auf sich allein gestellt:
Risikokapitalgeber
traten auf den Plan. Zu deren
Profession gehört es nämlich, nach vielversprechenden
Branchen, nach Start-Ups, die diese Branchen kreieren,
überhaupt nach neuen Unternehmen Ausschau zu halten, von
denen sie glauben, dass ihnen die Zukunft
gehört.
Diese Zukunftsforschung betreiben sie, um sich geeignete
Objekte herauszusuchen, die mittels Beteiligung
an deren Geschäft auch für das von ihnen investierte
Vermögen die Visionen
aufgehen lassen, die sie den
durch sie ausgewählten Unternehmen attestieren. Ihr
Geldverdienen ist also eines von höherer Art, macht
nämlich die Gewinnproduktionen im Prinzip aller möglichen
anderen Unternehmungen zur Quelle ganz eigener Gewinne.
Als ein diesbezüglich äußerst interessantes Feld galt,
wie bereits eingangs erwähnt, Anfang des Jahrtausends das
sich entwickelnde Online-Geschäft im Allgemeinen und die
Abwicklung der im Netz anfallenden Zahlvorgänge im
Besonderen – und damit kam ein noch junges Unternehmen,
das spätere Wirecard, als ein lohnendes finanzielles
Investment ins Visier der Investoren.
Dessen Gründer und Aktivisten waren ihrerseits sehr empfänglich für ein paar zusätzliche Millionen. Denn bei ihrem Vorhaben, die wunderschöne Geschäftsidee zu einem veritablen Geschäft fortzuentwickeln und darauf ein auf Dauer gestelltes Wachstum zu gründen, stießen sie – wie alle anderen unternehmungslustigen Subjekte im System privater Geldvermehrung – natürlich sofort auf die einzige, aber entscheidende Schranke: zirkulärer-, aber konsequenterweise die Masse des schon verdienten Geldes. Externe Kapitalgeber waren also gerne gesehen und durften mit ihrer Spendierlaune die Quelle mit stiften, an der sie zu profitieren gedachten.
Diese Partizipation der Finanzinvestoren am Erfolg der von ihnen unterstützten Firma Wirecard war elegant zu verwirklichen durch eine Rechtsform, die in Sachen Eigentum und Eigentumsvermehrung eine erstaunliche Leistung erbringt: In einer Aktiengesellschaft führt die finanzielle Beteiligung ein bemerkenswertes Doppelleben. Denn zum einen ist das Geld unwiderruflich ans Unternehmen weggegeben und wirkt dort als dessen Eigenkapital im operativen Geschäft. Zum anderen existiert sie fort als Eigentum des Kapitalgebers, und zwar in Gestalt eines Aktienpakets, dessen Bestandteile, die einzelnen Aktien, als handelbare Eigentumstitel z.B. an einen anderen Investor oder ein anderes Unternehmen veräußerbar sind und ihren Kapitalcharakter und -wert darin haben, dass sie bestimmte Rechtsansprüche an die Firma wie deren Gewinne repräsentieren. So wird in den Händen der Investoren ein zweites Kapital kreiert, das auf nichts anderem beruht als der Erwartung von Gewinnen, die ihm entspringen mögen.
b) Der Börsengang: Verallgemeinerung und Vollendung einer wundervollen Partnerschaft
Diese aus der Identität des Zwecks von Wirecard
und Finanzinvestoren in Bezug aufs identische
Objekt herrührende Verdopplung von Kapital
fand ihre erfolgreiche Fortsetzung im Börsengang der
Wirecard AG, deren Aktien fortan im sogenannten Prime
Standard
notiert und frei handelbar waren. Ein
solcher Schritt ist gemeinhin mit allerlei
Zulassungspflichten verbunden, damit börsenrechtlich
alles seine Ordnung hat und idealiter dann seinen
gewinnträchtigen Gang geht. Freilich gibt es auch hier
einen völlig legalen und seriösen Weg, Umständlichkeiten
abzukürzen, den Wirecard prompt beschritt: Auch der
Rechtsstatus einer börsennotierten AG ist – wie
sollte es auch anders sein in der Welt des rechtlich
durchregulierten spekulativen Kreierens von Kapital aus
erwarteten Gewinnen – in Form eines Börsenmantels
käuflich zu erwerben. Die genaueren Umstände der
Übernahme des ‚Börsenmantels‘ einer zuvor insolvent
gewordenen Firma mögen bei Wirecard dem Zufall alter
Geschäftsfreundschaften geschuldet gewesen sein, im
Prinzip ist das aber ein gar nicht mehr außergewöhnliches
Vorgehen, das sich inzwischen sogar als dauerhaftes
Geschäftsmodell für eigens auf die Vermittlung und den
Handel dieser finanzrechtlichen Textilie spezialisierte
Firmen bewährt.
Der Börsengang kam denn auch erfolgreich zustande, die Altaktionäre von Wirecard durften sich nebenbei über eine nicht unerhebliche Wertsteigerung ihrer Anteile freuen, die sich mit der erfolgreichen Erstnotiz an der Börse einstellte. Und das nun börsennotierte Unternehmen hatte Zugang zur großen weiten Welt der Kapitalanleger und Börsenspekulanten. Deren Fürsprache für Wirecards Anteilsscheine als Mittel ihrer Bereicherung, die in der Hauptsache durch deren gut getimten Kauf und Verkauf herbeigeführt wird, sollte für Wirecard von da an das nötige und nützliche Vehikel sein, um seine Marktstellung auszubauen und seine ambitionierten Wachstumsziele zu verwirklichen.
Mit dieser Einschätzung des Verhältnisses von
Aktienspekulation und Firmennutzen lagen die
Verantwortlichen fürs operative Geschäft nicht daneben:
Ein reger Börsenhandel zeugte, solange die Gesamtrichtung
stimmte, vom spekulativen Vertrauen in die Wirecard-Aktie
als im Wert steigendes Anlageobjekt und damit eben auch
in den geschäftlichen Erfolg des Zahlungsdienstleisters.
Was das Unternehmen dadurch gewinnen und steigern konnte,
war ein Vertrauen sehr materieller, weil existenziell
bedeutender Natur – seine Kreditwürdigkeit. Die
in Form des Aktienkaufs praktizierte Spekulation
auf zukünftige Gewinne schaffte nämlich eine
Börsenlage, die es dem Internet-Finanzkonzern leicht
machte, sich das entscheidende Mittel für sein
Wachstum zu besorgen und so diese Spekulation auch
aufgehen zu lassen: eben ausreichend Geld, das er sich im
Zuge von Kapitalerhöhungen mit der Ausgabe neuer Aktien
gleich als Eigenkapital einsackte; und sich ansonsten als
Leihkapital auf Zeit verfügbar machte, was – wenn es sich
nicht um einen Kredit aus dem eigenen Hause handelte –
der übrigen Bankenwelt zusätzliches Material zum
Geldverdienen lieferte. Und mit diesem Pfund konnte
Wirecard auch wirklich eine ganze Zeit lang wuchern. Die
an den Börsen tätige Finanzwelt glaubte an und
beglaubigte mit ihrer Spekulation dessen
Wachstumsstory
.
c) Der Aufstieg der Wirecard-Aktie: Über die Vernunft spekulativen Geldverdienens
Der nachmalige Absturz von Wirecard hat die Frage aufkommen lassen, ob der vorherige Aufstieg sich womöglich der Verletzung von Regeln ihrer professionellen Kunst seitens der fürs erfolgreiche Spekulieren Verantwortlichen verdankte.
Doch im Falle Wirecards wurde genauso wenig grund- und
bodenlos einfach aufs Geratewohl los- und herumspekuliert
wie sonst auch, sondern gemäß allen zur Verfügung
stehenden Daten. Letztere fürs spekulative Geldverdienen
aufzubereiten ist ein eigener Beruf, also eine weitere
Methode, in und an dieser Sphäre sehr einträglich zu
verdienen, und wird von Analysten ausgeübt. Die
bedienen einen Wissensdurst eigener Art, der sich bei
denen automatisch einstellt, die ihr Geld zwecks
Vermehrung für Papiere ausgeben, deren ganzer Charakter
als Kapital auf der Erwartung zukünftiger Gewinne
gründet. Die Neugier läuft allemal auf die Frage hinaus,
ob nun Kaufen!
, Verkaufen!
oder
Halten!
das jeweils passende Gebot ist, dem die
spekulative Geldgier zu folgen hat. Das gibt den mit der
Antwort befassten Analysten viel zu tun.
Denn damit liegt – erstens – die in der
jeweiligen Gegenwart ziemlich kniffelige Frage auf dem
Tisch, wie diese Gewinne in der Zukunft wohl aussehen
werden. Eine wirklich objektive Antwort gibt es da
natürlich nicht, aber Anhaltspunkte und
Indizien dafür umso mehr. Zu diesen
Fundamentaldaten
zählen zuallererst die
vergangenen und gegenwärtigen Gewinne selbst, daneben
aber im Prinzip alle betriebswirtschaftlich
entscheidenden Kennziffern wie Cashflow, Umsatz usw.
Welche das im Einzelnen sind, ist wie bei jeder guten
Parawissenschaft eine Frage der betriebswirtschaftlichen
Moden. Und nicht zuletzt der Absturz Wirecards war Anlass
für diesbezüglich kritische Überlegungen und konstruktive
Reformvorschläge wie z.B. ein Frühwarnsystem
, das
bei exponentiellen Wachstumskurven die Alarmglocken
schrillen
lassen soll. Solcherlei Expertise ist
bestimmt gut gemeint; sie rückt jedenfalls die Sache ins
Blickfeld, auf die es letztendlich bei allem Analysieren
ankommt: Wachstum. Für verlässliche Informationen über
dessen Befinden wie Perspektiven wird nach der
Firmenstruktur
ebenso gefragt wie nach den
Wachstumsstrategien
der Firmenleitung. Mit ihrem
Auskunftsbegehr stoßen die Spekulanten und ihre Analysten
auf eine im Prinzip auskunftsfreudige Firmenleitung – das
war bei Wirecard nicht anders. Denn einmal den Schritt an
die Börse gemacht, war Wirecard wie jede andere AG nicht
nur in der Lage, mit fremdem Kapital als eigenem zu
wirtschaften – das Unternehmen brauchte damit
auch den beständig erneuerten Zuspruch der
Spekulantengemeinde und kümmerte sich also eigens um
diesen bzw. bezahlte darauf spezialisierte Fachleute: Auf
PR-Veranstaltungen wie Bilanz- und anderen
Pressekonferenzen präsentierten die Wirecard-Manager
die Zahlen
und deren passende Interpretation
gleich mit. Nachfragen zu ungewöhnlichen Verhältnissen
zwischen gewissen Kennziffern beantworteten sie – lange
zur Zufriedenheit aller Beteiligten – mit ihrem
ungewöhnlich erfolgreichen Geschäft und solche nach der
extrem komplexen Struktur ihres weitverzweigten
Firmennetzes mit der extremen Komplexität ihres
Geschäftsmodells. Herrlich offenherzig äußerte sich
seinerzeit dazu ein Analyst, der Wirecard gerade als
Kaufempfehlung eingestuft hatte, auf die kritische
Nachfrage eines Fachjournalisten zu einer nicht so leicht
erklärbaren Lücke von schlappen 250 Millionen Euro in der
Wirecard-Bilanz: Ich fürchte leider, dass das viel zu
tiefgründig ist. Die Rechnungslegung bei Wirecard ist
unglaublich komplex und schwer zu verstehen.
Dass der
analytische Sachverstand sich in diesem Fall von einer
Ungereimtheit in Höhe von einer lumpigen Viertelmilliarde
nicht weiter irritieren ließ, lag wiederum ganz in
seiner Logik.
Schließlich liegt – zweitens – der tiefere Sinn
der Vokabel Fundamentaldaten
darin, dass diese
bloß das Fundament aller spekulativen
Kalkulationen und Winkelzüge sind. Die eigentliche
Verwertung des investierten Geldkapitals findet ja nicht
als Gewinnbeteiligung per Dividende statt, sondern als
Steigerung des Aktienwerts. Und dieser wird bestimmt von
der Spekulation auf die Aktie, also vom praktischen
Urteil der Spekulantengemeinde. Was
finanzkapitalistische Spekulanten also eigentlich zu
beantworten haben, ist die Frage danach, was die anderen
Spekulanten aus den Fundamentaldaten der Firma und den
Zustandsberichten und -vorhersagen über die ganze Branche
und letztlich über die Gesamtheit aller möglichen Anlagen
für praktische Kauf- oder Verkaufsentscheidungen folgen
lassen. Und wenn genügend Spekulanten auf steigende Kurse
setzen, dann sorgen sie mit ihren Käufen dafür, dass der
Kurs steigt und sie mit ihrer Ahnung vorher auch
hinterher richtig liegen. Auch bei Wirecard war darum der
spekulative Trend das eigentliche
Fundamentaldatum
, der Kontext, in den die
Spekulanten und ihre hochdotierten Schlaumeier alles
andere einzusortieren wussten. Die Überzeugungskraft der
vom Wirecard-Management verrichteten Überzeugungsarbeit
lag also letztlich ganz auf der Seite derjenigen, die das
Unternehmen bei ihrer zirkulären Logik gepackt
hat. Das klingt nach Irrenhaus, hat aber seine Ordnung,
weil das System des Finanzkapitalismus den
Finanzkapitalisten tatsächlich die Macht verleiht, ihre
Spekulation auf Gewinne zu echtem Gewinn zu machen, also
jede Phantasie
– die sie üblicherweise selbst so
nennen – in reale Geldvermehrung zu verwandeln, solange
sie im Resultat als Spekulantengemeinde in ihrem
praktizierten Urteil so weit einig sind, dass sich ein
profitabler Trend ergibt. Und so waren lange Zeit sehr
viele bedient und hochzufrieden: Wirecard sowieso; die
Aktionäre, deren Kapital quasi von selbst wuchs; die
Banken, die mit Blick auf den Kursanstieg ihre Kredite
vergaben und als Berater an der Emission von Anleihen
verdienten, ... – letztlich also alle, die an dem Trend
profitierten, den sie auf ebendiese Weise erzeugten und
aufrechterhielten.
Exakt so bewerkstelligte Wirecard dann noch die letzte in
Deutschland zu erreichende Umdrehung innerhalb dieser
Spirale des spekulativen Geldverdienens am
unternehmerischen Geldverdienen: die Aufnahme in den DAX.
Im Zuge des Skandals haben zwar alle möglichen
Journalisten und Anlegerschützer davon geredet und sich
darüber gewundert, dass bei Wirecard trotz aller Hinweise
auf Unsauberkeiten und Ungereimtheiten nicht gründlich
genug geprüft und nachgehakt wurde, obwohl
das
Unternehmen sich aufmachte, in den elitären Club der 30
größten deutschen börsennotierten Unternehmen aufgenommen
zu werden, und dann tatsächlich aufgenommen wurde. Aber
damit lamentieren sie – aus der Perspektive des
eingetretenen Schadens – an der in dieser Sphäre wirklich
waltenden Vernunft komplett vorbei, denn das
obwohl
ist in Wahrheit ein weil
: Das eine
hatte mit dem anderen nämlich genau so viel zu tun, dass
der Aufstieg Wirecards in diese oberste Liga deutscher
Konzerne nach allen Maßstäben und Regeln des
finanzkapitalistischen Geschäftssinns den ultimativen
Beweis dafür darstellte, dass mit Wirecard nicht eine
mehr oder weniger windige Erfolgsspekulation,
sondern eine vollendete Erfolgsgeschichte vorlag
– ein Unternehmen, das die Spekulation auf seinen Erfolg
durch die schiere Masse seines damit herbeispekulierten
Börsenkapitals in ein nationales Aushängeschild
für die Reputation Deutschlands als internationaler
Finanzplatz verwandelt hat. Wenn also angesichts
dessen überhaupt noch eine Frage offen sein sollte, dann
ganz bestimmt nicht die, wie es hatte angehen können,
dass so ein windiger Parvenü in einem Club Mitglied wird,
zu dem die stolze Lufthansa oder das solide
HeidelbergCement gehören. Sondern eher doch die, worin
finanzkapitalistisch gesehen eigentlich die über
alle Zweifel erhabene Honorigkeit und Nützlichkeit aller
anderen DAX-Vorzeigekonzerne besteht.
d) Skepsis – die Kehrseite spekulativer Selffulfilling Prophecy und ihre produktive Verarbeitung
Wirecards rasanter Aufstieg war sehr früh schon und bis
zum Schluss begleitet von immer wieder zirkulierenden
Meldungen über fingierte Geschäftszahlen und manipulierte
Bilanzen; Leerverkäufer machten von sich reden,
die in großem Stil gegen den Trend auf den
zukünftigen Wertverfall der Aktien von Wirecard setzten.
Insbesondere Letzteres gilt im Nachhinein als eigentlich
untrügliches Zeichen dafür, dass man schon immer hätte
wissen können bzw. eigentlich müssen, dass mit
Wirecard von Anfang an etwas nicht stimmte und es das nie
hätte geben dürfen, was nunmehr despektierlich
Hype
heißt.
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass der Auftritt dieser auch Shortseller genannten Spezies zum finanzkapitalistischen Alltag gehört und die notwendige Kehrseite jedes Aufwärtstrends darstellt. Denn der zirkuläre Charakter ihres Treibens und der von ihnen geschaffenen Trends ist allen Spekulanten sehr wohl bewusst – und zwar in der ihrem Geschäftssinn immanenten Form des Zweifels an der Haltbarkeit der jeweiligen Kursbewegungen. Jeder Aufwärtstrend – je heftiger und anhaltender, desto mehr – bestätigt daher nicht nur die gleichgerichtete Spekulation, sondern ruft unweigerlich auch die Frage hervor, ob er noch oder schon oder überhaupt gerechtfertigt sei. Das Kalkulieren mit dem Abbruch wunderschöner Aufwärtsbewegungen gehört daher zum Handwerkszeug jedes Finanzheinis, auch wenn es darauf spezialisierte – und im Fall Wirecard ausnahmsweise sogar zu einiger, kurzzeitiger Berühmtheit gelangte – Kollegen gibt. Schließlich fußt eine Portfolio-Bewirtschaftung auf der Plus und Minus abwägenden Einschätzung über die kurz- oder auch längerfristige Wertentwicklung einer Aktie, weshalb auch eine Abwärtsbewegung für die Performance eines Aktiendepots professionell verarbeitet sein will. Richtig gehandhabt ist daher auch eine Kursbewegung nach unten kein Drama, nur hinterherlaufen darf man ihr nicht. So bringt der bewusst- und planlose Anarchismus finanzkapitalistischer Spekulation, die ihre Trends nährt und sich an ihnen, zugleich das dringende Bedürfnis nach Autonomie gegenüber jedem Trend hervor; und die unschlagbare Effizienz des Kapitalismus beweist sich auf diesem Feld in Gestalt einer ohne jede Ironie so geheißenen „Finanzindustrie“. Die ist pausenlos damit beschäftigt, immer neue „Finanzprodukte“ für alle möglichen Finanzmarktakteure und Szenarien ihres spekulativen Treibens maßzuschneidern und zu vermarkten, womit wohl endgültig klar ist, dass während aufsteigender Kurse getätigte Gegenwetten auf ein Fallen – und umgekehrt – keineswegs bloß der Absicherung dienen, sondern eine eigenständige und gleichberechtigt ehrenwerte Form der finanzkapitalistischen Profitmacherei sind.
Die Spekulation auf die negative Kursdifferenz zwischen heute und morgen will gemacht sein. Die Zeit rückwärtslaufen zu lassen, die Aktien morgen billig zu kaufen, um sie heute teurer zu verkaufen, lässt sich, ganz ohne Science-Fiction, im Kosmos des Finanzgewerbes bewerkstelligen: Leerverkäufer, die ja so heißen, weil sie keine Aktien haben, leihen sich bei Besitzern großer Aktienportfolios wie Banken, Versicherungen und sonstigen Investmenthäusern diejenigen Anteilsscheine aus, auf deren Kursverfall sie setzen. Sie verkaufen sie, kaufen sie später zu dem Zeitpunkt wieder ein, an dem ihrer Spekulation nach der Kurs so niedrig ist, dass er ihre Renditeerwartungen erfüllt, und reichen sie an ihren Kreditgeber zurück. Letztere streichen auf jeden Fall eine Leihgebühr ein, lassen also ihr geldwertes Vermögen ein zweites Mal arbeiten – und die Leerverkäufer dürfen sich im Erfolgsfall ihrer Spekulation über das finanzkapitalistische Kunststück freuen, per Nichtbesitz von fingiertem Kapital eine Menge Geld damit verdient zu haben, dass Kurse – wegen misslingender Geschäfte oder weswegen auch immer – fallen und andere kein Geld verdienen, sondern selbiges verlieren. Von daher ist es zwar einigermaßen lächerlich, wenn diese Leute sich im Zuge der journalistischen Aufarbeitung des Wirecard-Skandals auf Nachfrage hin als die eigentliche Kontroll- und Bereinigungsinstanz der Börse und quasi als Robin Hoods stilisieren, die ahnungs- und wehrlose Kleinaktionäre vor einem ungerechtfertigten spekulativen Hype um die Wirecard-Aktie haben bewahren wollen. Denn dass der Verlust des Wirecard-Anlegers bis hin zum Ruin des – in diesem Zuge gern als Kronzeugen vor die Kameras und Mikrofone gezerrten – um seine gesamten Altersersparnisse gebrachten Kleinsparers nicht in dem ‚mangelhaft begründeten‘ Kurszuwachs, sondern im durch die Shortseller mit erzeugten Kursverlust und -verfall bestand, muss man dabei einfach ganz kurz genauso vergessen wie die Gewinne, die sie – dies freilich zu Recht – besten Gewissens aus den Verlusten der Halter der Aktie zogen. Aber auf der anderen Seite ist es natürlich schön zu sehen, dass in einem modernen Finanzkapitalismus auch zweifelsfrei aufgeflogener, ganz ordinärer Beschiss der einen noch sein gutes Werk für die absolut ehrenwerten und juristisch nicht zu beanstandenden Gewinnrechnungen anderer tut.
Apropos Beschiss:
e) Vom illegalen Fingieren von Gewinnen fürs fortgesetzt legale Fingieren von Kapital und anderen Fußnoten eines ehrenwerten Geschäfts
Noch nicht einmal die milliardenschweren, am Ende nicht mehr zu verheimlichenden Betrügereien waren in dem Sinne eine Besonderheit Wirecards – vom Umfang einmal abgesehen, zumindest bis zum nächstgrößeren Betrugsskandal. Insofern nämlich, als sich auch alle bei Wirecard früher oder später ruchbar gewordenen Übergänge ins rechtlich Graue bis Tiefschwarze ganz der Logik finanzkapitalistischer Bereicherung verdankten und sich solcher Mittel und Methoden bedienten, die ihrerseits nicht vom Himmel gefallen, sondern allesamt den Gegensätzen und Widersprüchen des Wirtschaftens für und mit Geld und vor allem dem Geld von Dritten entsprungen sind. Wovon im Übrigen allein der Umstand zeugt, dass es für jede einzelne der den Wirecard-Chefs vorgeworfenen Missetaten schon längst einen eigenen Strafrechtsparagrafen gab.
Wo die anfallenden Gewinne, das Geschäftsvolumen und alle
anderen Kennziffern und Gegebenheiten einer laufenden
Geschäftstätigkeit in den Status von Indizien für deren
Kreditwürdigkeit erhoben – oder wenn man will: degradiert
– werden, die das unbedingt nötige Lebens- und
Wachstumsmittel eines börsennotierten Unternehmens ist,
da stellt sich – jedenfalls fürs Management, das dem
Geschäftserfolg und den Arbeitsplätzen verpflichtet ist –
der Übergang von der Präsentation und gefälligen
Interpretation zur Schönrednerei und zur puren
Falschangabe als ziemlich fließend dar. Und er drängt
sich dann geradezu auf, wenn zu befürchten steht, dass
die Spekulation sich vom Unternehmen abwendet und damit
durch Kapitalvernichtung endgültig jede Möglichkeit
unterbindet, ausgebliebene Gewinne von gestern und heute
durch umso mehr Gewinne von morgen und übermorgen zu
kompensieren und damit jede gerade noch oder nicht mehr
legale Trickserei ex post ungeschehen zu machen. Auch den
anderen Beteiligten machen es die Tücken des Geschäfts
einerseits und die Aussichten auf Gewinne oder fette
Honorare andererseits nicht leicht, auch noch die für sie
einschlägigen, hochkomplexen Paragrafenwerke immer
peinlich zu befolgen: Analysten zum Beispiel, die
schließlich dafür bezahlt werden, dass sie mit ihren
Empfehlungen nicht nur richtig liegen, sondern möglichst
auch die Ersten sind, haben ein eigenes Interesse daran,
dass der Trend, den sie geweissagt haben, auch eintritt
und hält. Entsprechende Informationen vor allen anderen
zu haben geht da ganz schnell über ins Erschleichen; aber
bei Bedarf sehen sie über gewisse Details auch hinweg,
wenn es ihre Anlageempfehlungen und eventuelle
Gefälligkeiten seitens des betroffenen Unternehmens
nahelegen. Shortsellern wiederum ist an jeder schlechten
Nachricht des von ihnen auf Verkaufen!
gesetzten
Unternehmens gelegen. Der Grat zwischen investigativer
Neugier und übler Nachrede ist daher ein schmaler, und im
Zuge des spekulativen Gezerres um Wirecard haben es zwei
Funktionäre einer ziemlich großen
Anlegerschutzgemeinschaft immerhin, ohne über Los zu
gehen, ins Gefängnis geschafft. Sie wollten nämlich an
ihrer gemeinnützigen Tätigkeit auch noch ein bisschen
verdienen, was ihnen den Vorwurf von
Insidergeschäften einbrachte, die der Staat aus
höherer Warte nicht mehr als raffiniert, sondern als
unfair einstuft und verboten hat. Wirecard wehrte die
spekulativen Angriffe unter anderem damit ab, seinerseits
die Quellen der Vorwürfe mit Rufmordkampagnen zu
überziehen und auch mit ruppigeren Maßnahmen zu drohen
etc. pp.
Sodass die Zeitungsfritzen und Buchautoren es auch noch Monate nach dem Platzen der Bombe Wirecard leicht haben, sich ihre Zeilen-Honorare damit zu verdienen, dem Publikum zur Erbauung die unendlich langweiligen kriminellen Fußnoten eines Geschäfts auszubreiten, von dem sie alle zusammen nichts weiter wissen wollen, als dass es gefälligst wie geschmiert zu laufen habe. Weshalb ihnen jeder Fall von Vortäuschung zehnmal interessanter vorkommt als alle real existierenden Gemeinheiten und Absurditäten des Finanzkapitalismus zusammen.
3. Staatliche Aufsicht, Lobbyismus und die nationale Bedeutung von Wirecard: noch ein paar Umdrehungen mehr
Immer wenn bei diesem schönen Treiben ein Unternehmen
abschmiert, vor allem wenn es sich um einen nationalen
Hoffnungsträger handelt, steht felsenfest, dass
mindestens die Hälfte der Antwort auf die Frage, wie
das!
hatte passieren können, in der Weisheit
besteht, dass der Staat nicht verhindert hat,
was geschehen ist. Prompt ist also auch beim
Wirecard-Skandal von multiplem Staatsversagen
die
Rede, vor allem vom Versagen aller staatlichen bzw. vom
Staat vorgeschriebenen Kontrollgremien und -mechanismen.
Und wieder ist dieses Aufdecken und Anklagen nichts als
rückwirkende Besserwisserei. Denn – auch dies belegt die
Causa Wirecard – diese für den nationalen Standort so
bedeutende Sphäre der finanzkapitalistischen Bereicherung
ist seit jeher Objekt umsichtigster Aufsicht,
konstruktiver Begleitung und zukunftsorientierter
Förderung.
Viel hergemacht wird in diesem Zusammenhang seitens
derer, die am Standort Deutschland das Platzen von
finanzkapitalistischer Spekulation gern verboten sähen,
von den angeblich so mangelhaften staatlichen
Vorschriften für die Erstellung und Prüfung von
Bilanzen. Dabei folgt der Standpunkt, von dem
aus die entsprechenden, ziemlich umfangreichen Regelwerke
erstellt worden sind, haargenau der Logik der
Beschwerdeführer: Auch der Staat als Oberaufseher will,
dass das gegensätzliche Verhältnis zwischen den diversen
Beteiligten am Geldverdienen aufsteigender spekulativer
Stufenleiter wegen seiner überragenden Notwendigkeit und
Nützlichkeit für den nationalen Standort gefälligst und
garantiert solide ist. Darum gibt es überhaupt
das umfangreiche Vorschriftenwesen für die Bilanzen, mit
denen die einen um den spekulativen Zuspruch werben, auf
den sie bei ihrem Wachstum angewiesen sind, und in denen
die anderen eine solide Grundlage für die Beantwortung
der Frage finden können sollen, ob erstere diesen
Zuspruch tatsächlich verdienen. Und wenn die rechtlich
fixierten Bewertungsgrundsätze
so einiges an
Auslegung innerhalb gewisser Bewertungsspielräume
zulassen, dann liegt das nicht an zu laschen Regeln und
etwaiger Naivität des Staates bezüglich des Willens und
der Fähigkeit hochbezahlter Advokaten zur
geschäftsdienlichen Interpretation seiner Paragrafen,
sondern wieder einmal ganz an der Sache, die da
im Sinne ihres Gelingens geregelt wird: In einer
Ökonomie des Wachstums mittels Kredit und für dessen
Verwertung hat schlichtweg alles – jedes
Unternehmen, jeder Unternehmensbestandteil, jeder Posten
innerhalb der unternehmerischen Geschäftstätigkeit – so
viel (Kapital-)Wert, wie die Spekulation ihm Tauglichkeit
zuspricht, zukünftiges Wachstum zu produzieren.
Daraus ergeben sich alle ‚Unschärfen‘, bei denen
der Staat wild entschlossen ist, den ökonomisch
vertretbaren Goodwill von bloßer Hochstapelei zu trennen.
Darum ist weder das Ausnutzen und Austesten dieser
Spielräume per se anrüchig noch die Praxis der
Unternehmen, sich vonseiten darauf spezialisierter und
staatlich lizenzierter Unternehmensberater bei der
Erstellung einer Bilanz assistieren zu lassen, die den
Vorschriften genügt, ohne die Investoren zu verprellen.
Und nebenbei sorgt so diese in Paragrafen gegossene
konstruktive Sorge des Staates um allseitig nützliche
Bereicherung noch für eine weitere Möglichkeit des
Geldverdienens: hier an den Bilanzen des Geldverdienens
der auskunftspflichtigen Kundschaft. Auch das Misstrauen
der Gegenseite in die solcherart zustande gekommenen
Bilanzen vollzieht der Staat einfühlsam nach, dringt also
darauf, dass die Bilanzmachwerke von dritter Seite
geprüft werden, was er wiederum einer Sparte von darauf
spezialisierten Unternehmen als Betätigungsfeld
überlässt; auch damit schafft er ein Geschäftsfeld, das
überaus lukrativ ist – wie lukrativ, darüber bekam das
Publikum im Zuge des Wirecard-Skandals allein schon
anhand der öffentlich diskutierten Haftungsgrenzen einen
soliden Eindruck vermittelt. Seit dem Absturz Wirecards
wissen es natürlich auf einmal alle: Das deutsche
System des zweistufigen Bilanzkontrollverfahrens
entspricht nicht den international üblichen Standards
und funktioniert insbesondere anders als etwa in den
USA
(Handelsblatt,
30.9.20), auf deren vorbildlich reguliertem
Finanzmarkt es bekanntlich noch nie einen einzigen
Bilanzbetrug oder Finanzskandal, geschweige denn Pleiten
von börsennotierten Unternehmen oder Bankrotte gegeben
hat. Aber wie gesagt: Alle nachher ins Gerede gekommenen,
aber vorher von keiner Seite groß beanstandeten deutschen
Regelungen waren noch nie von etwas anderem als genau dem
Geist geprägt, in welchem alle Kritiken und alle
Reformvorschläge ergehen: nämlich dem Imperativ, dass das
Ensemble von Regelungen, mit dem diese feine Abteilung
kapitalistischer Geschäftemacherei umzingelt wird, diese
zu immerwährendem Erfolg entfesselt.
Und weil dies der nationale Standpunkt zu dieser Sphäre und Anspruch an sie ist, hat es auch der deutsche Staat dann doch noch nie dabei belassen, die Ganoven, für deren Erfolg als elitemäßige Garanten des nationalen Standorterfolgs er ganz entschieden parteilich ist, sich einfach nur selbst um die Solidität ihres Geschäfts kümmern zu lassen. Die Finanzmarktaufsichtsbehörde BaFin, die für die Bilanzen börsennotierter Unternehmen zuständige Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung DPR und andere staatliche bzw. quasistaatliche Instanzen sollen ihrerseits die privaten Prüfer prüfen und kontrollieren und dafür sorgen, dass sich diese so gegensätzliche Symbiose nicht nur für die Beteiligten, sondern fürs nationale Wachstum als fortwährend produktiv erweist. Die Geschäfte von Wirecard und Konsorten sollen stattfinden und den Standort überhaupt voranbringen in der immerwährenden und immer härter werdenden Konkurrenz der Standorte darum, wo die internationale Gemeinde der Finanzinvestoren die besten Bereicherungsgelegenheiten entdeckt und von wo aus die Champions der Sphäre die Welt erobern. Daher ist auch die Strenge, die der Staat seinen Prüfinstanzen per Gesetz verordnet, von Beginn an nur die eine Seite der Medaille, deren andere die prinzipielle Parteilichkeit für den Erfolg des zu prüfenden Geschäfts darstellt. Insofern war gerade auch den staatlichen Prüfern in Bezug auf den Prüffall Wirecard der Standpunkt überhaupt nicht fremd, dass dessen Erfolg dabei, die Spekulation auf sich zu ziehen, schon ein gewichtiges Argument dafür ist, dass diejenigen, die mit viel geldwertem Erfolg darauf eingestiegen sind, so ganz falsch nicht liegen können – ein Erfolg, den eine allzu strenge Auslegung der Prüfkriterien womöglich gefährdet oder gar zunichtemacht. Das jedenfalls haben alle staatlichen Prüfer und Überprüfer abzuwägen, und das taten sie, nach allem, was hinterher kolportiert worden ist, bei Wirecard so redlich wie möglich. Die Frage ist nun einmal nicht objektiv zu entscheiden, was schwerer wiegt: der mögliche Schaden durch ein paar lässliche, durch den ökonomischen Erfolg und spekulativen Zuspruch jedoch einstweilen bedeutungslos gemachte Unsauberkeiten für den Fall, dass doch noch eine größere Sache daraus werden sollte; oder aber der garantierte Schaden, den man als Prüfungsinstanz anrichtet, wenn man in aller Strenge das Unternehmen auf diese Fehltritte festnagelt und damit die Spekulanten mit der Nase darauf stößt, dass sie sich wohl vertan haben.
Hinzu kam bei Wirecard dann noch zweierlei: Erstens waren
die Quellen der ersten Warnungen vor allem
ausländischen Ursprungs, und das musste
die hohen und höchsten staatlichen Überwachungs- und
Prüfinstanzen im Sinne ihres überwölbenden nationalen
Auftrages betreffs der Motivlage dieser Anschwärzer
misstrauisch stimmen. Zweitens, und dies war noch viel
wichtiger, bediente der Aufstieg der süddeutschen
Internet-Klitsche unter Leitung zweier obskurer Wiener
Herren einen überragenden deutschen
Nachholbedarf: Schon lange litt nämlich die deutsche
Weltwirtschafts- und unbestrittene europäische
Wirtschaftsführungsmacht darunter, dass sie auf dem Feld
keine eigenen nationalen Konzerne zu bieten hat, das von
aller Geschäfts- und Staatenwelt zur auch strategisch
entscheidenden technologisch-ökonomischen Abteilung des
Kampfes um globale Führerschaft oder Irrelevanz erklärt
worden ist. Wirecard versprach der erste deutsche Konzern
zu werden, der in die bis dahin konkurrenzlos von
amerikanischen Finanz- und Tech-Giganten dominierte
Sphäre vordringen und damit dem deutschen Finanz- und
Technologiestandort eine wichtige Rolle in dieser
Konkurrenz verschaffen konnte. Der Erfolg von Wirecard
stellte nationalen Nutzen überragender Art in
Aussicht; ihn zu erobern und gegebenenfalls auch mit
unkonventionellen Methoden zu sichern war damit quasi
patriotische Pflicht, umgekehrt also interessiertes
Stochern in und Aufblasen irgendwelcher, für die
standortparteiliche Expertise gar nicht eindeutig
bewiesener Verfehlungen nationale Nestbeschmutzung und
Standortschädigung. In diesem Sinn agierte dann die BaFin
und verhängte zwecks Sicherstellung der
Marktintegrität
ein zeitlich befristetes
Leerverkaufsverbot – was ihr nachträglich sehr übel
genommen wird und ihren Chef seinen Job gekostet hat.
In diesem Zusammenhang ins Gerede gekommen ist zu guter
Letzt auch noch die angeblich zu große Nähe
zwischen Politik und Wirecard-Management und insbesondere
die Lobby-Tätigkeit des Ex-Politikers von und zu
Guttenberg, der sich von Wirecard viel Geld dafür zahlen
ließ, sogar bei der Kanzlerin selbst zwecks Förderung des
Aschheimer Aufsteigers zu antichambrieren. Auch dieses
Gemurmel geht an der nationalen ökonomischen Sache
vorbei: Denn erstens ist der Reibach solcher Lobby-Arbeit
zunächst ein weiterer schöner Beitrag zum zwar nur einer
Minderheit vorbehaltenen Geldverdienen und
Geldverdienen-Lassen, das die Marktwirtschaft aber doch
insgesamt so liebenswert und überhaupt menschengemäß
macht, ist also dem Freiherrn nicht weiter zu neiden.
Zweitens hätte der mit dem Anliegen, für das er bezahlt
wurde, in den Vor- und Hinterzimmern der hohen Politik
komplett auf Granit gebissen, wenn er nicht bei deren
VertreterInnen mit der Werbung um staatliche Promotion
für seinen Kunden einen Nerv getroffen hätte. Eben den,
dass Deutschland endlich und ganz, ganz dringend einen
eigenen Global Player in der Branche der
Internet-Finanzökonomie braucht. Und wenn das
erst einmal die nationale Grundstimmung und vom Staat
vertretene Linie ist, dann erfordert die gut dotierte
Lobby-Arbeit für einen bestimmten Kandidaten tatsächlich
nur noch ein paar gute Kontakte ins Bundeskanzleramt und
kann auch von einem fränkischen Adeligen erledigt werden,
der standesgemäß sogar zu blöd dafür ist, eine
Doktorarbeit zusammenzustümpern, ohne sich beim
Plagiieren erwischen zu lassen. Von daher konnte die Nähe
seinerzeit überhaupt nicht groß genug sein; sie wurde
nicht nur gesucht und gewährt, sondern nicht zuletzt im
Rahmen eines Staatsbesuchs in China als Fall deutscher
Weltmarktführerschaft regelrecht und ausgiebig
zelebriert, denn das Anliegen des deutschen Fintechs,
in den chinesischen Markt einzusteigen, habe nach
damaligem Wissen hundertprozentig in das Programm der
Bundesregierung gepasst, sagte der wirtschaftspolitische
Berater Lars-Hendrik Röller ... im Untersuchungsausschuss
des Bundestags
(Handelsblatt,
12.1.21). So wie Wirecard dabei auf Merkels
wirtschaftsdiplomatische Macht setzte, ihm den
chinesischen Markt zu öffnen, vertraute die Kanzlerin
ihrerseits darauf, dass der spekulative Herdentrieb der
am Standort D agierenden Finanzinvestoren dasselbe war
wie standortdienliche Schwarmintelligenz. Die sollte und
musste Garantie genug dafür sein, mit Wirecard über ein
Pfund zu verfügen, mit dem sich gegenüber den Chinesen
und sonst wo in der Welt wuchern ließ – was, wie es
hinterher auch ganz offiziell hieß, durchaus
üblich
sei: Für ihre wirtschaftsdiplomatischen
Erpressungsmanöver geht die Bundesregierung schlicht
davon aus, dass DAX-Unternehmen geprüft sind und keine
kriminellen Aktivitäten entwickeln
– und nur das
nunmehr bekannte Ende der Geschichte macht die
seinerzeitigen pomp and circumstance der
Kumpanei zwischen den staatlichen Verwaltern und privaten
Nutznießern des deutschen Finanzkapitalismus im
Nachhinein so oberpeinlich für alle Fans von ‚Made in
Germany‘.
*
PS: Eine große Lücke haben die Verhaftung des einen österreichischen Großbetrügers, das Abtauchen des anderen und das Verschwinden von Wirecard vom deutschen Börsenplatz nicht gerissen, ein würdiger Nachfolger war jedenfalls schnell gefunden: der Internet- und Corona-Gewinnler Delivery Hero, der keine einzige Pizza irgendwohin kutschiert bzw. von seinen schlechtbezahlten Mitarbeitern kutschieren lässt, sondern dies seine Tochterunternehmen erledigen lässt und selbst nur dafür sorgt, dass die Vermittlung und Bezahlung online ... und so weiter und so fort, man kennt das ja jetzt. Was diesen nunmehr wohl endlich echten vom bloß vermeintlichen Erfolgsfall Wirecard unterscheidet? Die Chefs von Delivery Hero wissen immerhin, dass man zum Zwecke der Eigenwerbung gegenüber den Finanzinvestoren heutzutage noch nicht einmal so tun muss, als ob man jemals schon Gewinne gemacht hätte.