Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Bundeskanzlerin Merkel beruft Ethikkommission für eine „Energiewende mit Augenmaß“:
Glaubwürdigkeit durch regierungsamtliche Rechthaberei
Der Atomunfall in Fukushima scheint auf die deutsche Bundesregierung Eindruck zu machen: Noch bevor die rotgrüne Opposition Luft holen kann, spricht die Kanzlerin schon von einer vollständig „neuen Lage“ für „die ganze Welt, Europa und auch für uns in Deutschland“. Binnen weniger Tage trifft sie sich mit den zuständigen politischen Entscheidern, den Bundesministern und den Ministerpräsidenten der AKW-Standorte, und dekretiert der Nation ein dreimonatiges Moratorium der in ihrem „Herbst der Entscheidungen“ demonstrativ gegen alle Proteste durchgesetzten Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Die sieben ältesten Reaktoren werden sofort vom Netz genommen. Was sich da abzeichnet, ist eine nicht unbeachtliche Korrektur der bisherigen schwarzgelben Atom- und Energiepolitik. Weil aber Demokratie ist, dünkt die Kanzlerin als größter Problemfall in der Durchsetzung ihres Schwenks, dass sie unglaubwürdig werden könnte. Schließlich hat sie ein halbes Jahr vorher eine großzügige Laufzeitverlängerung mit der Atomwirtschaft abgeschlossen, und für demokratische Regenten scheint das irgendwie blöd auszusehen.
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Länder & Abkommen
Bundeskanzlerin Merkel beruft
Ethikkommission für eine Energiewende mit
Augenmaß
:
Glaubwürdigkeit durch
regierungsamtliche Rechthaberei
Der Atomunfall in Fukushima scheint auf die deutsche
Bundesregierung Eindruck zu machen: Noch bevor die
rotgrüne Opposition Luft holen kann, spricht die
Kanzlerin schon von einer vollständig neuen Lage
für die ganze Welt, Europa und auch für uns in
Deutschland
. Binnen weniger Tage trifft sie sich mit
den zuständigen politischen Entscheidern, den
Bundesministern und den Ministerpräsidenten der
AKW-Standorte, und dekretiert der Nation ein
dreimonatiges Moratorium der in ihrem Herbst der
Entscheidungen
demonstrativ gegen alle Proteste
durchgesetzten Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke.
Die sieben ältesten Reaktoren werden sofort vom Netz
genommen. Was sich da abzeichnet, ist eine nicht
unbeachtliche Korrektur der bisherigen
schwarzgelben Atom- und Energiepolitik. Weil aber
Demokratie ist, dünkt die Kanzlerin als größter
Problemfall in der Durchsetzung ihres Schwenks, dass
sie unglaubwürdig werden könnte. Schließlich hat
sie ein halbes Jahr vorher eine großzügige
Laufzeitverlängerung mit der Atomwirtschaft
abgeschlossen, und für demokratische Regenten scheint das
irgendwie blöd auszusehen.
Einen Irrtum oder Fehler einzugestehen, das kommt für die Kanzlerin jedenfalls nicht in Frage. Ihr fällt da die Berufung einer Ethikkommission ein, einer Art Beratergremium, das
„die Energiewende vor dem gesamtgesellschaftlichen Hintergrund reflektiert. Ziel der Bundesregierung ist es, die Energiewende auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu stellen. Die Ethikkommission soll sich in einem umfassenderen Sinne mit den Risiken der Kernenergie befassen. Zu ihren Fragestellungen gehören aber auch die sozialen und finanziellen Folgen der Energiewende.“ (www.regierung-online.de)
Die Ethik der Kernenergie, lautet also die
Erörterungsaufgabe, die die Kanzlerin den 17 anerkannten
Elderstatesmen und Autoritäten aus Wissenschaft, Kirche,
Wirtschaft und Gewerkschaften gestellt hat. Natürlich
soll sich die Kommission der Kanzlerin die Frage der
Nutzung der Atomkraft nicht noch einmal unter denselben
Gesichtspunkten vorlegen, wie dies profanerweise die
realen Entscheider aus Politik und Wirtschaft
tun, wenn sie für den kapitalistischen Erfolg ihres
Standorts bzw. ihres Eigentums neu kalkulieren. Auch
Technologen der Atomkraft sind hierzu nicht geladen.
Reflexion in einem höheren, umfassenderen Sinne
ist von der Kanzlerin gefragt, die Männer und Frauen der
Kommission sollen sich die Risiken der Atomenergie als
eine Frage von Werten vorlegen, die unsere
Gesamtgesellschaft
leiten. Ist die Atomenergie
überhaupt verantwortbar, könnte die Überschrift
lauten, unter der dann alle möglichen Fragen diskutiert
werden dürfen – ganz reale wie ganz jenseitige: Was auch
immer ein Soziologe über die Atomtechnologie unter der
Perspektive der Risikogesellschaft
zu vermelden
hat, welchen Beitrag die Kirche im Lichte der
Bewahrung der Schöpfung Gottes
liefert, oder ob
die Frage der Strompreise unter sozialen
Fragestellungen
debattiert wird, entscheidend ist
erst einmal, dass neben Merkels politischen
Manövern mit innerparteilichen Gegnern und der Opposition
die Erörterungen der Ethikkommission einige Wochen
stattfinden.
Jetzt zerbrechen sich nämlich unbezweifelbar
sachorientierte Verantwortungsträger ihren Kopf
über den nationalen Kurs mit der Atomkraft und
fingieren jenseits der Niederungen von
Parteipolitik und Wahltaktik eine breite
gesellschaftliche Debatte
. Die öffentlichen Sitzungen
der 17 Experten inszenieren den Schein, als müssten
wir alle
, also die gesamte deutsche
Zivilgesellschaft sozusagen, umdenken, wie
wir
es in Zukunft in Sachen Wasserkochen und
Lichtanschalten mit dem Atomstrom halten wollen. Als wäre
Fukushima
, die Havarie der vier Atommeiler, ganz
für sich eine neue Lage
, ganz unabhängig
von den politischen Schlussfolgerungen, welche nationale
Führer mit ihrer Alleinzuständigkeit aus diesen Unfällen
ziehen und so neue Lagen
für ihre Völker
herstellen. Aber der Kanzlerin kommt es ja eben auf genau
diese verlogene Fiktion an: Die
Deutschen seien mit der Zäsur Fukushima
konfrontiert, müssten sich gemeinsam in einem
gesamtgesellschaftlichen Räsonnement, das die
Ethikkommission repräsentiert, über Atomkraft
verständigen, und sie, die Kanzlerin, trägt dann der
daraus entspringenden Entscheidungsgrundlage
mit
ihrer Politik Rechnung.
Der Sache nach absurd, die realen Verhältnisse von
Subjekt und Objekt der politischen Entscheidungen stehen
auf dem Kopf. Aber eben die lebendige Inszenierung eines
Scheins, mit dem die Kanzlerin auf dem fraglos guten
Ruf ihrer Politik heute und gestern
besteht: Wer auch immer in der Republik glaubt, der
Kanzlerin Inkompetenz in Führungsfragen oder
wahltaktische Manöver anhängen zu können, weil sie noch
vor einem halben Jahr eine Laufzeitverlängerung
durchgepaukt hat, dem wird mit der Inthronisation der
Ethikkommission der Bescheid erteilt, dass sich ihre
Selbstdarstellungsoffensive vorwärts wie rückwärts lesen
lässt: Heute legitimiert sich die Regierung, indem sie
auf den neuen gesellschaftlichen Konsens
hört, den
sie selbst in Auftrag gegeben hat. Gestern, vor
Fukushima, war ja alles ganz anders, weswegen sie da
mit ihrem Atomdeal richtig lag, für den man
keinen Konsens abfragen musste. Der lag einfach,
Anti-AKW-Proteste hin oder her, wie der Umweltminister
Röttgen seiner Chefin da explizit beispringt, sowieso
schon 30 Jahre lang
vor, und zwar pro
Atom!
Man sieht: Die Kanzlerin und ihre Verbündeten sind es
sich einfach schuldig, vor der Nation gnadenlos Recht zu
behalten. Kompetente Führer gestehen keine Fehler ein:
Laufzeitverlängerung, Laufzeitverkürzung –
beides ist vom selben Geist der Verantwortung
für uns alle
getragen, mit dem demokratische
Politiker ihre Taten für das nationale Publikum
veredeln. Merkel beansprucht gute Führung und
Vertrauen beim Volk quer durch die Konjunkturen ihres
Regierens.
Den Kritikern aus der eigenen Partei und Koalition, der
Opposition und allen öffentlichen Zweiflern an Merkels
Glaubwürdigkeit wird das Thema ‚Energiewende‘ ein Stück
weit entzogen. In der Ethikkommission ist dem Streit der
entpolitisierte und verbindliche Ort zugewiesen, an dem
die einzig senkrechte, nämlich überparteiliche
Entscheidungsfindung in Sachen ‚Zukunft der Atomkraft‘
stattfindet. Alle anderen Wortmeldungen sind zum
partikularen Gemurmel, wenn nicht parteiischen Gemecker
degradiert: Wenn jetzt die Oppositionsführer zetern, dass
die Regierung, bloß wegen der anstehenden Wahlen
,
das macht, was Rotgrün schon immer gesagt hat, dann
sollen sie sich als unbelehrbare Stänkerer
disqualifizieren, weil sie sich Merkels großartigem
Angebot einer breiten gesellschaftlichen Debatte
entziehen. Für sich beansprucht Merkel mit ihrem
Manöver vertrauensvolle Zustimmung der Nation zu ihrer
Energiewende mit Augenmaß
, die ihr die
Ethikkommisssion als Ergebnis eines ethisch gesalbten,
unangreifbaren gesellschaftlichen Konsenses
vorschlägt, erhaben über jeden Verdacht populistischer
Wendungen und Berechnungen.
So organisieren demokratische Machthaber auch mal ihre Meinungsführerschaft und Glaubwürdigkeit beim Volk.