Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Wie man aus Gift umweltverträglich Geld recycelt:
Envio-Skandal: „Die größte PCB-Katastrophe seit Jahrzehnten“
Neulich, in Dortmund, kommt Folgendes ans Licht: Das Entsorgungsunternehmen Envio macht einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Gewinns mit der Dekontamination von PCB-haltigen Transformatoren und Kondensatoren, reinigt diese und bereitet sie zur Wiederverwendung auf. Die Firma nutzt ein neuartiges Verfahren, das PCB vom restlichen Material, insbesondere von wiederverkäuflichen Rohstoffen trennt. Diese ‚innovative‘ LTR-Technologie – so die Recherche der ortsansässigen Presse – schließt „ungeheuerliche“ Arbeitsbedingungen ein: Nachlässiger Arbeitsschutz, sorgloser und unsachgemäßer Umgang mit den anfallenden giftigen Stoffen, Arbeiten in einer „Nebelwand“ aus Feinstaub. Die zu entsorgenden Kondensatoren und Transformatoren lagern in einem, wegen seiner guten Belüftung „Zelt“ genannten Unterstand auf dem Envio-Betriebsgelände.Von dort gelangen schon mal so einige Liter PCB-Öl in die nähere ‚Umwelt‘, u.a. auch in den Boden einer Kleingartensiedlung in der Nachbarschaft. Die Konsequenzen dieser geschäftsmäßig betriebenen Entsorgung in Gestalt von verseuchtem Boden, giftigem Hafenwasser und schwer erkrankten Beschäftigten nebst Angehörigen, mit PCB- und Dioxin-Belastungen, die die offiziell gültigen Grenzwerte um das 1000- bis 80 000-fache überschreiten, sind aktenkundig. Der Dortmunder Hafen ist Tatort für „die größte PCB-Katastrophe seit Jahrzehnten.“
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Wie man aus Gift umweltverträglich
Geld recycelt:
Envio-Skandal: „Die größte PCB-Katastrophe
seit Jahrzehnten“
Neulich, in Dortmund, kommt Folgendes ans Licht: Das Entsorgungsunternehmen Envio macht einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Gewinns mit der Dekontamination von PCB-haltigen Transformatoren und Kondensatoren, reinigt diese und bereitet sie zur Wiederverwendung auf. Die Firma nutzt ein neuartiges Verfahren, das PCB vom restlichen Material, insbesondere von wiederverkäuflichen Rohstoffen trennt. Diese ‚innovative‘ LTR-Technologie – so die Recherche der ortsansässigen Presse – schließt „ungeheuerliche“ Arbeitsbedingungen ein: Nachlässiger Arbeitsschutz, sorgloser und unsachgemäßer Umgang mit den anfallenden giftigen Stoffen, Arbeiten in einer „Nebelwand“ aus Feinstaub. Die zu entsorgenden Kondensatoren und Transformatoren lagern in einem, wegen seiner guten Belüftung „Zelt“ genannten Unterstand auf dem Envio-Betriebsgelände.Von dort gelangen schon mal so einige Liter PCB-Öl in die nähere ‚Umwelt‘, u.a. auch in den Boden einer Kleingartensiedlung in der Nachbarschaft. Die Konsequenzen dieser geschäftsmäßig betriebenen Entsorgung in Gestalt von verseuchtem Boden, giftigem Hafenwasser und schwer erkrankten Beschäftigten nebst Angehörigen, mit PCB- und Dioxin-Belastungen, die die offiziell gültigen Grenzwerte um das 1000- bis 80 000-fache überschreiten, sind aktenkundig. Der Dortmunder Hafen ist Tatort für „die größte PCB-Katastrophe seit Jahrzehnten.“
Geld mit Gift, erster Akt: Ein jahrzehntelanger weltweiter Feldversuch
Polychlorierte Biphenyle (PCB) werden jahrzehntelang weltweit in allen möglichen Branchen – in der Landwirtschaft, am Bau, in der Elektrotechnik und Maschinenindustrie, bei der Energieerzeugung, beim Herstellen von Farben, Lacken, Kunststoffen und Dichtungsmassen – verwendet. Die universellen technischen Eigenschaften sowie die kostengünstige, weil massenhafte Herstellung dieser Chemikalie, die seit 1929 produziert wird, sind unschlagbare Argumente für ihre geschäftliche Nutzung. In der betrieblichen Kalkulation gibt es für die Frage nach bzw. Prüfung der toxischen Qualität dieses Werkstoffs keine Spalte. Wo es darauf ankommt, mit Produkten und Dienstleistungen welcher Art auch immer einen möglichst großen Überschuss über die aufgewendeten Kosten zu erzielen, spielen Schäden an der Natur und der Gesundheit von Beschäftigten nicht bloß keine Rolle; solange sie keine Kosten verursachen, sind sie ein bewusst in Kauf genommenes ‚Risiko‘ einer Produktions- und Arbeitsorganisation, die sich ganz dem Herbeiregieren besagter Differenz zwischen Aufwand und Ertrag verpflichtet weiß. So gelangt PCB in großem Ausmaß in die ‚Umwelt‘ und sorgt für entsprechende Wirkungen: Als schwer abbaubare Verbindungen – mit Halbwertszeiten zwischen fünf und acht Jahren – bereichern sie Fisch, Fleisch und Milch mit giftigen Substanzen; per Nahrung oder über die Atemluft aufgenommen schädigen sie das Immunsystem, sind krebsauslösend und gelten als fruchtbarkeitsschädigend.
Aus staatlicher Perspektive ist – das belegt die Zulassung – offensichtlich nichts gegen die Produktion und umfassende Verwendung von PCB vorzubringen. Selbst wenn so manche gesundheits- und naturbelastende Wirkung der Allzweck-Chemikalie PCB „nicht ausgeschlossen“, also zu vermuten ist – bereits 1937 ist die toxische Qualität von PCB bekannt –, so kann ihre geringe „akute Giftigkeit“ als Einwand gegen ihre weitere Herstellung vernachlässigt werden. Das ist ganz nach dem Geschmack des „technischen Fortschritts“, der in den Betrieben der Marktwirtschaft seinen Dienst am Eigentum leistet; also ist es auch ganz im Sinne und zum Wohle des nationalen Wachstums, der Attraktivität des heimischen Standorts wie der Konkurrenzfähigkeit hier ansässiger Kapitale, diesen ökonomischen Fundamenten der staatlichen Macht. So kommt die umfassende geschäftliche Nutzung von PCB mit staatlicher Billigung in die Gänge und damit auch deren Konsequenzen: Aus dem großen Feldversuch mit PCB, den die Kapitale global veranstalten, erwächst dann für die nationalen Standortverwalter Regelungsbedarf. Ihre Sorge gilt nämlich nicht bloß der Größe des aktuellen wirtschaftlichen Wachstums; zugleich tragen die nationalen Regierungen Verantwortung für den Wirtschaftsstandort als ganzen, den dort jetzt und zukünftig zu erzielenden geldwerten Reichtum und damit eben auch für den Erhalt der menschlichen wie natürlichen Quellen, die kapitalistische Unternehmen als ihre Mittel brauchen und nutzen. Als 1966 eine schwedische Untersuchung über PCB-Funde in der Umwelt, also über eine ‚nachhaltige‘ Kontamination von natürlichen Ressourcen berichtet, sehen die staatlich zuständigen Stellen noch keinen ‚Handlungsdruck‘. In Japan gibt eine Massenvergiftung durch PCB-haltiges Reisöl im Jahre 1968 der Politik in dieser Hinsicht dann doch zu denken; die japanische Regierung spricht 1972 ein Produktions- und Importverbot von PCB aus.
Für die politischen Verantwortungsträger in den Metropolen ist PCB jetzt keine bloße Gefahrenquelle mehr, deren schädigendes Potenzial für den je nationalen Standort mit seinem Arsenal an nutzbarem Material wenig „akut“, bloß wahrscheinlich und deshalb erst einmal zu vernachlässigen ist; jetzt – das belegen nach und nach auch zahlreiche Untersuchungen, die von offiziellen Instanzen in Auftrag gegeben werden – steht fest, dass mit PCB und seiner umfassenden Verbreitung solche langfristigen Konsequenzen für Land und Leute verbunden sind, die ein regierungsamtliches Eingreifen unausweichlich erscheinen lassen. Aber welches? Denn so einfach – PCB giftig, also weg damit – wollen und können es sich die Regierenden auch nach der japanischen ‚Katastrophe‘ nicht machen. In ihrer Verantwortung für den heimischen Standort beschließen die bundesdeutschen Verantwortungsträger 1980 ein Produktionsverbot von PCB in der BRD und erlauben bis 1988 den Import des verbotenen Stoffes, damit im Steinkohlebergbau weiterhin PCB-haltige Hydraulikflüssigkeiten eingesetzt werden können. Das hält keiner für Zynismus. So klar ist, dass der hoheitliche Einsatz zur ‚Schonung der Umwelt und der Gesundheit‘ eine Resultante der Abwägung ist, die zwischen der Rücksicht auf die Quellen des wirtschaftlichen Wachstums am eigenen Standort und den gefährdeten geschäftlichen Erfolgen der mit PCB arbeitenden Unternehmen getroffen werden muss. Und ein nicht unwesentlicher Aspekt in diesem Prozess staatlicher Entscheidungsfindung sind die Auswirkungen, die ein ‚einseitiges‘ Verbot von PCB auf die internationale Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen zeitigt. Es dauert dann noch drei Jahrzehnte, bis 2001 in der „Stockholmer Konvention“ ein generelles Verbot der Verwendung von PCB vereinbart wird, das inzwischen von ca. 120 Unterzeichnerstaaten in nationale Rechtsprechung umgesetzt ist.
Geld mit Gift, zweiter Akt: Die nachhaltig lukrative Entsorgung von PCB
Damit stellt sich das Giftproblem neu: Wohin mit dem bis dato benutzten PCB-haltigen Material? Zumindest mit dem Teil, der davon noch übrig und nicht direkt und ‚unkontrolliert‘, wie in den meisten Fällen der sogenannten ‚offenen Anwendung‘ der Fall, in die Umwelt gelangt ist und seine Wirkung getan hat. Die Marktwirtschaft löst dieses ‚Allokationsproblem‘ auf ihre Weise: Die mit dem PCB-Verbot gebotene Entfernung entsprechender Produktionselemente aus ihrem „Anlagekapital“ bereitet den Unternehmen Kosten, ist folglich möglichst kostengünstig zu gestalten. Daraus resultiert der ‚normale‘ Umgang mit dem mehr oder weniger giftigen Schrott: Seit Jahren exportieren windige Müll-Entsorger zum Wohle der eigenen Bilanz die geächtete Ware aus den ‚entwickelten‘ kapitalistischen Ländern in ‚Entwicklungsländer‘: Nach Afrika z.B., dorthin, wo die Entsorgung billig ist und die Kontamination von Natur und Mensch keinen Verantwortlichen groß kümmert; wo sich zuständige Politiker leicht dazu überreden lassen, gegen entsprechende Bezahlung die Lagerung von Containerladungen mit elektrischen Altgeräten wie Fernseher und Handys zu erlauben, und sich die ‚Ärmsten der Armen‘ beim Zerlegen dieser Gerätschaften mit Blei und Cadmium verseuchen.
Neben dieser Art, das mit dem amtlichen PCB-Verbot politisch gestiftete Geschäftsfeld der Beseitigung von „Altlasten“ kapitalistisch zu bewirtschaften, macht in den Heimatländern der großen industriellen PCB-Konsumenten, insbesondere in Deutschland, eine zweite Variante Schule: „Entsorgung und Recycling“. Unternehmen mit der entsprechenden „technologischen Kompetenz“ erledigen gegen Bezahlung die Dekontamination von PCB-haltigem Material und verkaufen vom PCB „gereinigte“ Stoffe und Apparate zu lohnenden Preisen an ihre Geschäftskunden. Die politische Freisetzung dieser Geschäftssparte wie überhaupt des ganzen Recyclinggeschäfts als neuer Beitrag zum nationalen Industriestandort schließt besondere rechtliche Bestimmungen und technische Anforderungen ein, die die in diesem Zweig tätigen privaten Unternehmen zu beachten und einzuhalten haben. Dazu kommen spezielle Kontrollinstanzen, die über das ‚sachgemäße‘ Recycling wachen. Für den Staat finden in der marktwirtschaftlichen Lösung zwei Standpunkte und Interessen auf geniale Weise zusammen: Der „nachhaltige“ Schutz von Umwelt und Gesundheit durch die Entsorgung von Giftmüll und die Wiedergewinnung und Wiederverwendung von knappen, weil teuren Rohstoffen tragen unmittelbar zum national wie regional bilanzierten kapitalistischen Wachstum bei – sofern diese Art von gewerbsmäßig betriebenem Umweltschutz auf heimischem Boden passiert. Darin sehen die Standortverwalter in Dortmund eine Chance: Sie entdecken in dieser Kombination aus ‚Giftmüllentsorgung‘ und ‚Wachstumsförderung‘ den besonderen Reiz „grüner Technologien“ und das „Umwelt-Know-how“ solcher Firmen als Standortfaktor. Mit Fördermitteln und Ansiedlungsprämien werden Unternehmen in die Ruhrmetropole gelockt, die ihr eingesetztes Kapital mit der Entsorgung und Verwertung von „Altlasten“ versilbern wollen. An denen besteht im Ruhrgebiet kein Mangel. Auch Arbeiter, die zu günstigen Konditionen jede Tätigkeit in den neuen Betrieben erledigen, kann die Stadt Dortmund mehr als genug offerieren: Das Ende des Bergbaus und der alten Stahlindustrie beschert dem Stadtsäckel nicht bloß fehlende Steuereinnahmen, jede Menge Schrott und Giftmüll; ein großes Heer an Arbeitslosen, die die Politik spüren lässt, dass auch nach dem Niedergang von Kohle und Stahl ihr Lebensunterhalt von Lohnarbeit abhängt, was sie zur Annahme jeder Art von Beschäftigung belehrt, steht dem städtischen Standorthüter als Manövriermasse zur Verfügung. Da können sich Kapitalisten aus der Industrie und dem Finanzgewerbe gleichermaßen freuen: auf „Nachhaltigkeit“ als Exportschlager, auf „Geld mit Gift“, wie ein Anlegermagazin den neuen „gesetzlich garantierten Riesenmarkt“ – mit Blick auf die revier- und weltweit vorhandenen PCB-Mengen – griffig als lukratives und sicheres Investment anpreist.
Die im Dortmunder Hafen ansässige Niederlassung des Konzerns ABB, jahrelang einer der führenden Transformatorenhersteller der Welt und darin ein großer Verbraucher von PCB für Kühl- und Isolierflüssigkeiten, entdeckt schnell die Dekontamination seiner alten, mittlerweile nicht mehr zugelassenen Produkte als neues, lukratives Geschäftsfeld. Die dafür zuständige Tochter ABB-Services wird 2004 im Rahmen eines Management-Buy-out aus dem Konzern herausgekauft und firmiert seitdem als eigenständiges Unternehmen unter dem Namen Envio. Die langjährige Erfahrung in der Verwendung von PCB beim Trafobau aus alten ABB-Zeiten bringt Envio-Recycling als Konkurrenzmittel um weltweite Aufträge erfolgreich gegen seine Mitbewerber ein, das gleiche gilt für die sogenannte LTR-Technologie, die mit ihrer „effektiven“ Abtrennung der Schadstoffe von den verwertbaren Rohstoffen aus den Transformatoren überzeugt. Das Firmenmotto „Wertvolles verwerten“ wird dann auf seine Art wahr: Die Envio-Vorstände wie Aktionäre sind begeistert über die seit 2004 festzustellende „Explosion“ von Umsatz und Gewinn.
Auch die Stadtoberen Dortmunds sind ganz angetan von dem „Vorzeigeunternehmen“ Envio – als Botschafter eines gelungenen industriellen Strukturwandels. Dafür wird von der Stadt Dortmund und der zuständigen Bezirksregierung in Arnsberg dann auch das Nötige getan: Envio werden die geschäftsmäßig benötigten Kapazitäten zur Sonderabfallentsorgung von PCB-haltigen Kühlflüssigkeiten und Transformatoren zugeteilt, das Unternehmen erhält Fördermittel der Stadt für sein ‚innovatives‘ Entsorgungsverfahren und wird vom Umweltdezernat mit dem „Öko-Profit“-Preis als Gütesiegel ausgestattet. Die Frage, ob und wie Envio die Einhaltung der geltenden Bestimmungen bzgl. der PCB-Dekontamination gewährleistet, muss da nicht extra gestellt, die diesbezügliche Praxis nicht kleinlich überprüft werden: Imagegewinn, Gewerbesteuereinnahmen und Arbeitsplätze gebieten einfach eine gehörige Portion Vertrauensvorschuss der Politik in das unternehmerische Tun und Lassen. Auch wenn dort in besonderem Maße mit schädlichem und deshalb verbotenem Gift gewerbsmäßig hantiert wird, hat es wenig mit Pflichtverletzung zu tun, wenn Politiker über so manches „hinwegsehen“ und mal „ein Auge zudrücken“. Wer die Kombination ‚Entsorgung von Gift und Profit‘ in die Welt setzt, will möglichst viel davon, also viel Geschäft und daraus sprießende staatliche Einnahmen. Da sind Politiker schwer dafür, dass Envio PCB-belastete Trafos und Kondensatoren aus Kasachstan und sonstwoher importiert, im Dortmunder Hafen lagert und entsorgt. Auch da, wie in jeder anderen Branche, diktiert das wirtschaftliche Interesse des Staates die Reihenfolge der amtlichen Güterabwägung zwischen Geschäft und seiner Kontrolle. Und zwar genauso lange, wie das Geschäft und sein Erfolg auf der einen und seine Leistung für den Standort und die Interessen des Standortverwalters auf der anderen Seite nicht auseinander driften...
Dritter Akt: Ein Skandal und seine Bewältigung – Saubere Politik im Kampf gegen unsaubere Geschäftemacherei mit Gift
Diese Entzweiung tritt mit dem öffentlich gemachten Skandal peu à peu und dann unwiderruflich ein. 2006 vom Landesamt für Umwelt und Naturschutz aufgezeichnete überhöhte Messwerte an PCB in unmittelbarer Hafennähe können von den politisch Verantwortlichen „noch nicht eindeutig auf den Verursacher zurückgeführt werden“; mehrere Hinweise auf „eklatante Verstöße gegen Emissionsschutzauflagen“ werden als mögliche Racheakte entlassener Envio-Arbeiter ins Abseits gestellt; ein 2007 erstelltes Gutachten, das Envio massive Verseuchungen auf dem Betriebsgelände attestiert, verlangt eine „verständnisvolle Kooperation“ mit dem Management der Firma und soll einen Prozess der Überprüfung der vermeintlich sauberen Technologie auslösen. Als sich dann aber ein hartnäckiger Journalist der Sache annimmt, ein Artikel nach dem anderen in ortsansässigen Zeitungen die Missstände bei Envio und ihre gesundheitlichen Konsequenzen für dort Beschäftigte und Anwohner offenlegt, eine auf „nachhaltige Investments“ spezialisierte Fondsgesellschaft Zweifel an der Güte von Envioanlagen als ebensolche anmeldet und sie aus ihrem Portfolio entfernt – von da an ist es vorbei mit der bisherigen Politik der Envio-Förderung als wesentlicher Stütze des Standorts Industriehafen Dortmund. Dessen Pflege – „der Industriestandort Hafen, der jetzt gefährdet ist“ und damit die dortigen „Unternehmen und Arbeitsplätze, die in Verruf kommen“, so Dortmunds OB – verlangt eine „ungeschminkte Aufarbeitung des Skandals“ durch Politik und Staatsanwaltschaft. „Amtliche Wisch- und Fegeproben“ ergeben die bis zu 1000-fache Belastung durch das krebserregende PCB, in Kehrstäuben findet sich das Seveso-Gift Dioxin in einer Konzentration, die die von der WHO festgelegten Grenzen um das 20000-fache übersteigt usw. Die in Stadt und Land zuständigen Stellen erklären die Missachtung behördlicher Auflagen zur bewussten Regelverletzung. Fürs erste entzieht die Stadt Envio daraufhin die Gewerbeerlaubnis. Die weiteren Konsequenzen sind noch offen, das Envio-Management legt Beschwerde ein, Gerichte müssen entscheiden, wer die Kosten der Dekontamination des Betriebsgeländes und dessen Umgebung zu tragen hat...
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Und was ist mit den schwer kranken Arbeitern und ihren Angehörigen? Den Kleingärtnern mit ihrem verseuchten Boden und Gemüse? Wer oder was hilft ihnen aus der Misere?
Beistand leisten dieselben, die den betroffenen Leuten die Suppe eingebrockt haben. Die Vertreter der Stadt beziehen die Anliegen der Envio-Arbeiter und dortigen Anwohner ein in die „schonungslose Aufklärung“ des von ihnen erklärten Störfalls, die sie sich in ihrer Verantwortung für den Standort schuldig sind. Die Bitte von unten, dass das „ganze Ausmaß der Vergiftung aufgedeckt“, die „Verantwortlichen ermittelt und bestraft“, der Boden in der Kleingartensiedlung, so gut es eben geht, „vom Gift gereinigt“ und die kranken Kinder und ihre verseuchten Eltern medizinisch „adäquat versorgt“ werden, halten die Stadt-Verantwortlichen in diesem Kontext durchaus für verständlich und berechtigt; schließlich ist Envio, dieses erst so „nachhaltige“, „umweltfreundliche“ und „innovative“ Vorzeigeunternehmen, mittlerweile eine einzige „Dreck-und Giftschleuder“, die neben der Gesundheit vor allem auch den anvisierten guten Ruf Dortmunds als besonders geeigneten Platz für innovative Technologie- und Umweltindustrie gefährdet. Jetzt sind die kranken und geschundenen Menschen im Dortmunder Norden – die Geschädigten, die die Folgen der Kooperation von Geschäft und Politik zu tragen haben – ganz offiziell und von Staats wegen Opfer einer rechtswidrigen Benutzung durch kapitalistische Geschäftemacher, von „krimineller Energie“, die sich in den Chefetagen des Kapitals bisweilen breitmacht, aus „Gier“ begründeter „Verantwortungslosigkeit“ gegenüber Umwelt und Leben und womöglich, was noch zu prüfen ist, einer allzu laxen Wahrnehmung behördlicher Aufsichtspflicht. Was sie davon sonst noch haben, werden sie beim Gang durch die juristischen Instanzen schon noch erfahren.