Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Von wegen „moralische Verantwortung“:
Über die „Entschädigung von NS-Opfern“ entscheidet der Stand des imperialistischen Kräfteverhältnisses
55 Jahre nach Kriegsende werden ehemalige NS-Opfer tatsächlich mit 8 Milliarden DM abgefunden, jedoch nur auf Druck der USA, die ein kleines Exempel zum Stand des imperialistischen Kräfteverhältnisses statuieren wollen. Griechische NS-Opfer haben als Angehörige eines „underdog“-Staates wie Griechenland natürlich kein Recht auf „Entschädigung“. Entschädigungen für die ungerechte Vertreibung Deutscher hingegen sind ein anerkanntes Druckmittel gegen Polen und Tschechen.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Von wegen „moralische
Verantwortung“:
Über die „Entschädigung von
NS-Opfern“ entscheidet der Stand des imperialistischen
Kräfteverhältnisses
Die NS-Zwangsarbeiter
werden nun also doch entschädigt. Keine 55 Jahre nach
Kriegsende hat man die ersehnte Kompromissformel
gefunden, um die eine deutsche und eine amerikanische
Delegation in 16-monatigen, zähen Verhandlungen gerungen
hatten. Von 10 Milliarden können ehemalige Zwangsarbeiter
nach Abzug von Spesen und Anwaltskosten vielleicht 8,1
Milliarden unter sich aufteilen. Das macht für jeden
durchschnittlich zwischen 3000 und 8000, maximal 15000
Mark. Wenigstens die also kann jeder, der es erlebt, an
seinem Lebensabend versaufen. Aber das ist auch alles,
was sich an diesem Durchbruch
positiv festhalten
lässt.
Das Pech, als Zwangsarbeiter für Deutschland gedient zu
haben, ist den armen Teufeln nämlich noch lange über das
Dritte Reich hinaus treu geblieben. Wer das Glück hatte,
den Terror des Arbeitsdienstes zu überleben, und danach
womöglich meinte, ihn jetzt, wo alles anders und
Deutschland ein feiner demokratischer Rechtsstaat ist,
wenigstens ein bisschen entgolten zu bekommen, hatte
sofort wieder Pech. Nicht, dass man ihm das
unermessliche Leid
, das er hat erdulden müssen,
bestritten hätte. Das Elend, das er für Deutschland
durchgemacht hat, bekam er im Bedarfsfall immer
anerkannt. Sonst aber nichts, schon gleich nichts, was
auf die Anerkennung eines in Geld bezifferbaren Anspruchs
an den deutschen Staat oder deutsche Unternehmen, die in
bewährter Tradition – heute aber ganz zivil – Arbeiter
kommandieren und sich an ihnen bereichern, hätte
hinauslaufen können: Wo der Rechtsnachfolger der
Faschisten Wiedergutmachung
nicht selbst aufgrund
seiner eigenen Berechnungen für angebracht hielt,
erklärte er diesbezügliche Forderungen zur Sache eines
erst noch zu vereinbarenden Friedensvertrags – und den
dann mit seiner erfolgreichen Wiedervereinigung für im
Wesentlichen erledigt. Ebenso grundsätzlich verweigerte
er Ansprüchen an die Adresse der seiner Rechtshoheit
unterstehenden Rechtspersonen die Anerkennung. Zwar hat
mancher versucht, sich sein vermeintliches Recht vor
deutschen Gerichten zu erstreiten. Aber vergeblich, denn
die konnten dem politischen Konsens,
Entschädigungsverlangen von Zwangsarbeitern schlicht zu
ignorieren, nur beipflichten. Alle unbestechlichen
rechtlichen Prüfungen erbrachten nur immer dasselbe
Ergebnis, wonach die rechtlichen Regeln, die hierzulande
das Arbeitsleben und dessen Zwänge normieren, auf
Zwangsarbeit einfach nicht passen. Der Rechtsweg zu
den Gerichten in Arbeitssachen ist unzulässig
,
beschied das Bundesarbeitsgericht abschließend, weil
nämlich die Zwangsarbeiter keine Arbeitnehmer der
beklagten Unternehmen gewesen seien. Die Arbeit wurde
nicht freiwillig, sondern zwangsweise erbracht.
(SZ, 17.2.) Mit dem sicher
nicht zu beanstandenden Schluss, dass, weil ihr das
Merkmal der Freiwilligkeit
fehlt, es sich bei
Zwangsarbeit um Beschäftigungsverhältnisse eigener
Art
(ebd.) handelt, für
die die Paragraphen des Arbeitsrechts nun einmal nicht
einschlägig sind, reichte der Rechtsstaat die Kläger
einfach an seine nächste Abteilung weiter. Vor
Zivilgerichten durften sie klagen, und kaum taten sie
dies, hatten sie schon wieder Pech. Diese Gerichte haben
solche Ansprüche schon in etlichen Fällen wegen
Verjährung verworfen
(ebd.), in etlichen anderen bestehen bei
einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von 16 Monaten
zusätzlich gute Aussichten, dass sie sich mit dem
vorzeitigen Ableben der bekanntermaßen recht betagten
Antragsteller von selbst erledigen.
So haben Politik und Justiz in Deutschland ein halbes
Jahrhundert lang eindrucksvoll klargestellt, wie erhaben
sich diese Nation gegenüber Forderungen wusste, für
Folgen des von ihr verlorenen Kriegs in Anspruch genommen
zu werden. Das konnte Deutschland sich leisten, weil die
westlichen Siegermächte aufgrund ihrer eindeutigen
weltpolitischen Interessen den Kriegsverlierer von
internationalen Haftungspflichten verschonten: Ein
solides Bollwerk gegen den Feind im Osten hatte aus
Deutschland zu werden, und die Macht, die man zu diesem
Zweck brauchte, wollte man nicht durch Forderungen nach
Reparation schwächen. So konnte sich der deutsche
Souverän unangefochten an den Grundsatz halten, dass für
ihn allein das als Recht gilt, was er zum Recht
erklärt, Rechtsansprüche also nur dann Bestand
haben, wenn sie als solche von ihm anerkannt
waren. An dieser ehernen Grundregel, dass allein seine
politische Anerkennung ein geschädigtes Interesse in den
Status eines verletzten Rechtsguts und damit in den eines
möglichen Rechtsanspruchs erhebt, könnte sich mancher
Zwangsarbeiter noch heute seine Zähne ausbeißen – hätte
sich seiner Sache nicht unerwartet eine Instanz
angenommen, die selbst diese Nation in ihrer durch nichts
anzufechtenden Selbstgerechtigkeit nicht so ohne weiteres
ignorieren kann: Niemand geringerer als der amerikanische
Staat stellte sich – und zwar ganz offiziell – hinter
US-Anwälte, -Institutionen und jüdische Verbände, die
Wiedergutmachungsgelder gegen deutsche Rechtspersonen
erstreiten wollten. Nicht, weil man in Regierungskreisen
vom Elend alter Zwangsarbeiter besonders gerührt wäre und
es einfach nicht mehr hat mit ansehen können, dass
Deutschland ihnen stur jede Entschädigung verweigert.
Deren vor US-Gerichten anhängige Forderungen waren
lediglich die willkommene Gelegenheit für die
amerikanische Regierung, ein kleines Exempel zum Stand
des imperialistischen Kräfteverhältnisses zu statuieren.
In Washington fand man Gefallen daran, den politischen
Malus wiederzubeleben, den die Nation, die sich so
selbstbewusst und erfolgreich vom Status des
Kriegsverlierers emanzipiert und längst wieder zum großen
imperialistischen Konkurrenten gemausert hat, ein für
alle Mal entsorgt zu haben glaubte. Man bestellte sich
zum politischen Anwalt eines moralischen
Rechts auf Wiedergutmachung, dem zwar Deutschland
jede Anerkennung verweigerte, amerikanische Gerichte aber
eben nicht. Und genau dies: Der unmissverständlich zum
Ausdruck gebrachte politische Wille der Weltmacht USA,
private Rechtsbegehren gegenüber Deutschland in
den Status zwischenstaatlicher Rechtsfragen zu
erheben, bei denen sich dann die Frage der Moral allemal
in eine zwischenstaatliche Machtfrage auflöst:
Das hat hierzulande Eindruck gemacht und an
maßgeblicher Stelle das Gefühl von moralischer
Verantwortung
wach werden lassen! Ausländische
Kampagnen
, die der deutschen Wirtschaft in Amerika
womöglich den Absatz vermiesen; die Drohung der US-Macht,
ihren politischen Einfluss zu nutzen, um Fusionen
ausländischer Firmen mit amerikanischen Firmen zu
verzögern
(SZ,
27./28.5.): Nichts als das politische
Interesse der Weltmacht USA und dessen in Aussicht
gestellte Durchsetzung im Wege einer planmäßigen und sehr
empfindlichen Beschädigung deutscher
Wirtschaftsinteressen hat einem moralischen Recht das
Kaliber eines maßgeblichen Beweggrunds verliehen, in
Deutschland von der bislang geübten Praxis im Umgang mit
den Wiedergutmachungsforderungen der Zwangsarbeiter
abzurücken! Also hat man sie respektiert, und zwar genau
ein einziges Mal, und auch das nur, um dann garantiert
nie mehr von ihnen behelligt zu werden: In einem
Tauschgeschäft namens ‚Versöhnungsfonds‘ bieten Staat und
deutsche Unternehmen 10 Milliarden für die Erledigung
aller bestehenden und die Niederschlagung aller zukünftig
womöglich noch geltend gemachten Ansprüche auf
Wiedergutmachung. Eine Schutzgeldzahlung zur weiteren
Förderung deutscher Wirtschaftsinteressen in den USA
gewissermaßen, aber als Einmalbeitrag und an die
Versicherung gebunden, vom lästigen Erpresser für alle
Zukunft in Frieden gelassen zu werden. Um diese
Versicherung allerdings hat man dann schon zäh und mühsam
verhandeln müssen. Denn die Respektsbezeugung gegenüber
amerikanischem Recht und der Macht, die hinter diesem
steht, zu der sich Deutschland veranlasst sah, sollte
schon an die Bedingung geknüpft sein, dass diese Macht –
zumindest in dieser Frage – sich dann auch ihrerseits in
Zukunft zum Respekt vor einer deutschen Souveränität und
Rechtshoheit bekennt. Wenn man sich schon der Macht der
USA beugt, dann hat die auch einen Preis dafür zu
entrichten. Dann muss es auch gestattet sein, die USA
daran zu erinnern, dass sie in Deutschland, in deutschen
Banken und deutschen Firmen ausgesprochen nützliche
Partner hat – also schon auch eigenes Interesse
daran, dass die sich an keine aus dem verlorenen Krieg
rührenden offenen Rechtspflichten mehr erinnern lassen
müssen. Rechtssicherheit
in dieser Hinsicht wurde
verlangt, eine Absichtserklärung des Inhalts, die Moral
gegen Deutschland wirklich nur dieses eine Mal und dann
nicht mehr als politische Waffe in Anschlag bringen zu
wollen. Und erst nach einer Stellungnahme des
amerikanischen Präsidenten, die sich erfolgreich als
Kompromiss
in dieser Hinsicht
interpretieren ließ – nach Auskunft von Kreisen der
deutschen Delegation will das US-Justizministerium,
sofern in Zukunft ein Kläger ein US-Gericht anrufen
sollte, (…) eine Abweisung der Klage empfehlen. Zudem
soll die genannte Erklärung größeres politisches Gewicht
erhalten, indem darin ausdrücklich Bezug auf den Willen
des US-Präsidenten genommen und herausgestellt wird, dass
eine Reihe von Hindernissen gegen einen Erfolg künftiger
Klagen sprächen
(SZ,
14.6.) – sah sich Deutschland überhaupt dazu in
der Lage, ehemaligen Zwangsarbeitern ein paar Tausender
zu überweisen. Jetzt, wo aus ihr garantiert keine
Folgerungen mehr gezogen werden dürfen, kann der Graf mit
der Krücke auch ganz glaubhaft versichern, dass in
Deutschland die moralische Schuld
auf ewig nicht
vergessen wird.
Griechische Hinterbliebene von NS-Opfern
machen gleichfalls seit längerem Forderungen gegen
Deutschland geltend. Sie sind rechtlich astrein
begründet, seit jüngstem sogar höchstrichterlich
anerkannt: Nach dem Votum des griechischen Obersten
Gerichtshofs ist Deutschland wegen eines Massakers an 214
Zivilisten rechtskräftig zur Zahlung von rund 56 Mio.
Mark verurteilt. Doch auch im Ignorieren von privat aus
diesem Land gegen Deutschland gerichtete Klageforderungen
hat man schon seine Übung. Früher hieß es, sie wären erst
nach einem Friedensvertrag regelbar; später, sie seien
verjährt oder bereits abgegolten; und als die griechische
Regierung 1995 diesbezüglich erstmals politisch offiziell
vorstellig wurde, beschied ihr das Außenministerium
lapidar, dass sich 50 Jahre nach Kriegsende diese
Frage erledigt
habe (NZZ,
8.4.). Und von dieser Linie abzurücken, gibt es
für Deutschland auch nach dem Spruch eines Aeropag keine
Veranlassung: Hinter griechischem Recht steht eben nur
eine griechische Macht, und weil die hierzulande weniger
Eindruck macht als die einer Weltmacht, zählt ihr Recht
entsprechend wenig – Berlin ignoriert den Entscheid
bisher und verweigert die Zahlung.
(FR, 4.7.) Auch hier also werden
moralische Wiedergutmachungsforderungen zu
privatrechtlichen Streitfragen und als diese in den
Status zwischenstaatlicher Machtfragen erhoben, auch sie
zeitigen politische Folgen – diesmal allerdings in
allererster Linie für Griechenland. Weil sich
Deutschland gegenüber dem Recht des griechischen
Souveräns grundsätzlich für immun erklärt, wird nämlich
der daran erinnert, dass er mit seinem
Recht eine Machtfrage aufwirft und damit auch daran,
gegen welche Macht er sich da aufstellt. Und da
verpflichtet das nicht zu verkennende
Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich Griechenland in
seinem Umgang mit dem wichtigen Partner
Deutschland
(Die Welt,
4.7) weiß, schon in eigenem Interesse zu gewissen
Rücksichtnahmen. Einen rechtskräftigen Titel zur
Zwangsversteigerung des Goethe-Instituts und anderer
deutscher Liegenschaften in Griechenland mag man ja in
der Hand haben; den aber auch praktisch zu vollstrecken,
würde das politische Verhältnis zwischen beiden Mächten
ein wenig auf den Kopf stellen. Griechenland ist in
Europa ein sorgsam beäugter und nicht selten kritisierter
Aufsichtsfall – und diese subalterne Macht würde sich da
doch glatt anschicken, sich zum Richter über die
europäische Führungsmacht zu machen. Deutschland auf die
Anklagebank zu setzen und gegen es Rechte geltend zu
machen: Das stimmt in Griechenland schon manchen
politischen Verantwortungsträger bedenklich, und in der
Sicherheit, eine nachhaltige Verschlechterung der
politischen Beziehungen zu Deutschland zu riskieren,
plädiert man lieber für eine politische Lösung
als
Ersatz für die Vollziehung des Rechtstitels: Um Gottes
Willen! Ich möchte die deutsch-griechische geistige und
freundschaftliche Kooperation nicht auf solche Weise
stören.
(Ex-Außenminister
Mangakis, ebd.) Während so im Zuge der
Rechtspflege vom griechischen Gerichtsvollzieher schon
mal der Wert des Goethe-Instituts taxiert und für
September die Versteigerung des Gebäudes angekündigt
wird, sind andere in Griechenland um politische
Schadensbegrenzung
bemüht. Sie sorgen sich
darum, dass die Durchsetzung der Rechtsansprüche ihrer
Bürger gegen Deutschland von dieser Nation doch als allzu
‚störend‘ registriert werden könnte, und befürchten die
negativen Folgen einer Klimaverschlechterung
im
Umgang mit diesem maßgeblichen EU-und NATO-Partner. So
wird ein griechisches Gerichtsurteil zum
innergriechischen politischen Streitfall
darüber, was sich die Nation mit ihrem Status gegenüber
einer Macht vom Rang Deutschlands herausnehmen soll und
kann und was vielleicht besser doch nicht. Die deutsche
Diplomatie ihrerseits ignoriert stur weiter alles, was
auch nur irgendwie der Anerkennung eines –
gefährlichen
, weil äußerst kostspieligen
–
Präzedenzfalles
gleichkäme, und erinnert auf diese
Weise Griechenland an seinen minderen politischen Status.
Flankierend interpretiert der deutsche Präsident das
Bedürfnis, das in Wahrheit den griechischen
Entschädigungsforderungen zugrunde liegt: „Man
(würde) eine Geste der Deutschen begrüßen, die das Leid
derer anerkennt und mildert. Ich kann eine solche Haltung
nur respektieren, aufnehmen und weitergeben, aber ich
kann als Bundespräsident dazu nicht materiell Stellung
nehmen.“ (Rau in der Athener
Zeitung, 17.4.) Eine symbolische Geste
also, das Bekunden von tiefer Trauer und Scham
und
schon wieder ein Bekenntnis zur moralischen Schuld
Deutschlands können sie haben, die Griechen – als
definitiven Ersatz aller materiellen Ansprüche, die sie
aus dieser abzuleiten gedenken.
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft
gibt es, weil Deutschland seinerseits in manchen
Rechtsfragen auch 55 Jahre nach dem Krieg ausgesprochen
Wert darauf legt, dass sie nicht erledigt
werden. Rechtliche Ansprüche nämlich, die von Deutschland
aus an andere, Prag oder Warschau z. B., ergehen, gehen
nie unter. Dafür hat man seine Landsmannschaften,
finanziert sie Jahr für Jahr, derzeit mit 46 Mio., und
stattet ihre Führungsmannschaft mit politisch erfahrenen
Abgeordneten aus. Organisiert repräsentieren sie den
politischen Anspruch, die östlichen Nachbarn bei allem,
was sie beim Vollzug ihrer neuen marktwirtschaftlichen
Karriere von Deutschland wollen, zuallererst an ihre nach
wie vor bestehende Wiedergutmachungspflicht
zu
erinnern. Genau dazu stellt der ‚Bund der Vertriebenen‘
sich auch heuer zu Pfingsten wieder auf, demonstriert
massenhaft seine Entzugserscheinung in der dritten
Generation und fordert Entschädigung für das Unrecht
der Vertreibung
. Für die politische Qualität des von
ihm geltend gemachten Wiedergutmachungsrechts ist es
dabei gar nicht groß von Belang, dass die deutsche
Außenpolitik in ihrem Umgang mit Tschechien oder Polen
aus ihm – derzeit – nicht die politischen Konsequenzen
vertritt, wie sie die Landsmannschaften gerne sähen. Ins
außenpolitische Instrumentarium dieser Nation ist und
bleibt er eingeordnet, auch wenn der grüne Außenminister
beim Pfingsttreffen nicht seine Aufwartung macht. Dafür
verkündet eben ein angesehener Landesfürst, dass das
Verlangen nach Sühne
einen Auftrag deutscher
Politik begründet. So hält man deutsche Rechtstitel gegen
Polen und Tschechien offen, und auch wenn den
Sudetendeutschen der unermüdliche Einsatz für das
deutsche Recht auf Revanche für die Niederlage im Krieg
nicht mit einem offiziellen Grußwort der Bundesregierung
entgolten wurde: Dass sie einen deutschen
Rechtsanspruch begründen, dem die östlichen Nachbarn
irgendwie nachzukommen haben, wissen selbst solche
Kommentatoren ganz genau, die sich über jeden Verdacht,
mit Revanchisten gemeinsame Sache machen zu wollen, weit
erhaben wissen – Tschechien könnte sich durchaus mehr
Entgegenkommen leisten – und wird es in Zukunft
vielleicht auch. Die Vorstellung von der
Unausweichlichkeit des ‚Abschubs‘
– schon allein die
Weigerung, das Unrecht beim richtigen Namen zu nennen,
bezeugt mangelndes tschechisches Unrechtsbewusstsein –
mag konstituierend sein für das Selbstverständnis des
heutigen Tschechien, für ein künftiges Tschechien muss
das keinesfalls gelten.
(SZ,
13.6.)
So lernt man an drei ganz unterschiedlichen und nur zufällig zu Pfingsten zusammengekommenen Entschädigungsforderungen einiges über die Rolle der Moral in der Weltpolitik: Moralische Fragen sind und bleiben bloß moralische Fragen, wenn und solange die Nationen als Subjekte sie nur als solche in ihrem Verkehr untereinander ins Spiel bringen – was alle oft genug tun und daher vollkommen in Ordnung geht. Dies ändert sich schlagartig, wenn Nationen sich anschicken, aus der Moral ein Instrument ihres politischen Interesses zu drechseln, aus einem moralischen Titel ein Recht ableiten und dieses als ihr Recht gegen andere durchzusetzen. Dann nämlich wird aus der Moral eine Frage, ob sie als Instrument auch wirklich verfängt und ob die Nation, die sie in Anspruch nimmt, ihr Recht auch durchsetzen kann. Nur wenn auch das der Fall ist, wird die Moral auch einmal so vollstreckt, als wäre sie ein zwischen Nationen gültiger Zahlungsbefehl.