Editorial

Die Einschwörung der Wählerschaft auf das richtige Problembewusstsein in der Migrationsfrage ist noch kaum in das gerechte Wahlergebnis eingemündet – mehr als die Hälfte für rigorose Zuwanderungsbeschränkung –, da sind die zum Koalieren verurteilten Wahlsieger von der Union und Hauptverlierer von der SPD mit einer imperialistischen Notlage ihrer Nation von ganz anderer Größenordnung und Dringlichkeit konfrontiert: Der neue Chef der un­­verzichtbaren transatlantischen Schutzmacht ihres kriegerisch aktiven Staats­wesens will von einer gemeinsamen gesamtwestlichen Welt- und Werteordnung nichts mehr wissen – dabei war deren tatsächlicher strategischer Inhalt doch die Basis dafür, dass Deutschland jahrzehntelang weltpolitisch über seine Verhältnisse leben konnte und sogar gegen Russland imperialistisch auftrumpfen kann.

Aus der Zeitschrift
Dieser Artikel ist eine Vorabveröffentlichung aus der Zeitschrift GegenStandpunkt 1-25, die am 28.03.2025 erscheint.
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Editorial

Im vorgezogenen Wahlkampf 2025 waren Migration und die Migranten nicht bloß das beherrschende Thema: Praktisch war Deutschlands demokratischer Diskurs von dem Konsens bestimmt, dass nichts für die Nation wichtiger sei als die Verminderung der Zahl der Zuwanderer, am besten auf Null oder ­wenigstens so weit, wie Europas allzu menschenfreundliche Rechtslage es hergibt. Von der Sache selbst, der organisierten und der nicht bestellten Vergrößerung der andernfalls tendenziell schrumpfenden Bevölkerung, war dabei am wenigsten die Rede. Deswegen gibt es in dieser Nummer einen sachlichen Bericht über die Sache und Anmerkungen zum Grund dafür, dass die Migration die ewige Nr. 1 unter den Lieblingsaufregern des staatstragenden Politisierens ist. An den Migranten liegt das nämlich nicht, schon gar nicht an den anderswo geborenen Einzelexemplaren der beträchtlichen Anzahl Mörder und Attentäter, die in Deutschland zu Hause sind. Grund für die konkurrenzlos vorrangige Problematisierung des Zuwanderungswesens ist vielmehr das politische Gewissen, das regierende Volksvertreter sich daraus machen, dass sie aus Sorge um den Personalbestand des nationalen Kapitalstandorts und die menschliche Massenbasis ihrer Macht die demographischen Lücken ihres Volkskörpers mit Volksfremden auffüllen und sogar noch unbestellten Zuwachs zulassen. Im Bewusstsein und vom Standpunkt ihrer Verantwortung vor Volk und Geschichte befassen sie sich und ihr wahlberechtigtes Publikum ganz furchtbar gern mit der politmoralischen Grundsatzfrage der Überfremdung, wenn sie aus besten imperialistischen Gründen die Weltbevölkerung so mobil machen, dass auch Deutschlands Urbevölkerung sich in den Status eines Stücks Weltbevölkerung versetzt findet.

Die Einschwörung der Wählerschaft auf das richtige Problembewusstsein in dieser weltbewegenden Moralfrage ist noch kaum in das gerechte Wahlergebnis eingemündet – mehr als die Hälfte für rigorose Zuwanderungsbeschränkung –, da sind die zum Koalieren verurteilten Wahlsieger von der Union und Hauptverlierer von der SPD mit einer imperialistischen Notlage ihrer Nation von ganz anderer Größenordnung und Dringlichkeit konfrontiert: Der neue Chef der un­­verzichtbaren transatlantischen Schutzmacht ihres kriegerisch aktiven Staats­wesens will von einer gemeinsamen gesamtwestlichen Welt- und Werteordnung nichts mehr wissen – dabei war deren tatsächlicher strategischer Inhalt doch die Basis dafür, dass Deutschland jahrzehntelang weltpolitisch über seine Verhältnisse leben konnte und sogar gegen Russland imperialistisch auftrumpfen kann. Die neue US-Administration kündigt nicht bloß die einschlägige Heuchelei in­­niger politmoralischer Vertrautheit, sondern die als „regelbasierte Ordnung“ idealisierte Sache: die etablierte Kriegsbündnispartnerschaft der „freien Welt“. Intern baut sie die politische Verfassung ihrer Weltmacht radikal um: Sie zerstört alles, was für eine – bei allem „Change“, den noch jede neue US-Regierung ihrem Volk beschert – irgendwie doch kontinuierliche Fortschreibung der politischen Räson des Staates steht. Allen ambitionierten Weltverbesserern führt der MAGA-Präsident handfest und kompromisslos vor, wie die Grundbedingung aller Verbesserungen der Welt von Geschäft und Gewalt, nämlich die Eroberung zwecks Monopolisierung aller staatlichen Machtpositionen, die Herstellung von Alleinherrschaft, die demokratisch legitimierte Diktatur des Durchregierens wirklich – und wie sie nur geht. Dazu gibt es in dieser Nummer ebenfalls einen sachlichen Bericht.

Die gründliche Revision der bisherigen Verfassung der Staatenwelt im MAGA-Sinn, also vom Standpunkt einer Weltmacht, die ihre auswärtigen Interessen in unbedingter Freiheit, weil mit überlegener Gewalt, bedarfsweise immer neu definiert, beendet die „regelbasierte Weltordnung“, an der ihre bisherigen Verbündeten so hängen. „Der neue Sheriff in der Stadt“ – so der Vize über seinen Chef – macht sich frei von den etablierten Mitteln und Methoden amerikanischer Weltherrschaft, weil sie für ihn erst einmal nichts als selbst auferlegte Beschränkungen und Fesseln der Macht und Freiheit seiner auserwählten Nation sind. Das vermag er, weil er über die systematisch durchkonstruierte Weltmacht ­verfügt, die seine Vorgänger mit dem so unendlich produktiven Widerspruch eines quasi kollektiven „westlichen“ Imperialismus hingekriegt und über jedes Verfallsdatum hinweg aufrechterhalten haben. Trump arbeitet daran, ihn ins MAGA-mäßig Eindeutige aufzulösen.

Was dabei zustande kommt, wird den GegenStandpunkt noch reichlich be­­schäftigen. In dieser Nummer schließen wir erst einmal mit den letzten drei Paragraphen die Abhandlung über die Konkurrenz der Kapitalisten ab, die bis zum Begriff der westlichen Weltkriegsmacht führt, die Trump im Sinne der ­wahren alten Großartigkeit der „Nation unter Gott“ zu vollenden sich vor­genommen hat.