Von der D-Mark zum Euro und keinesfalls wieder zurück
Deutschlands Anteil an Europas Finanzkrise und sein imperialistisches Interesse an ihrer Bewältigung

Es gehört zu den Schönheiten des vereinten Europa, dass kein Euro-Staat wissen will, dass und wie sein nationales Kapital und er als dessen machtvoller Förderer zur Überakkumulation und Euro-Krise beigetragen hat. Alle sehen sich mit ihren kapitalistischen Wachstumsanstrengungen und -erfolgen reihum als Betroffene: als Opfer – und zwar der Misswirtschaft der anderen.

Aus deutscher Sicht sind es die ‚Pleiteländer‘, die sich mit der Lizenz, den Euro als ihre Währung zu benutzen, in ihrer mangelnden Konkurrenzfähigkeit eingerichtet und, statt Wachstum zu produzieren wie die tüchtigen Nachbarn, nur immer mehr Schulden aufgehäuft hätten. In dieser Sicht der Dinge wird freilich darüber hinweggesehen, dass zu Schulden, auch und erst recht zu solchen von Staaten allemal ein Gläubiger dazugehört, der Kredit gibt, um sich zu bereichern. Die bemängelten Schulden sind anderswo verbuchte Vermögenswerte: bis neulich erfolgreiche, jetzt aber gefährdete Finanzgeschäfte mit den Kreditbedürfnissen europäischer Standorte und Staaten. In den katastrophalen Bilanzen der Euro-Problemstaaten bilanziert sich zugleich der deutsche Konkurrenzerfolg. In den politischen Widerständen, die sie dem deutschen Weg der Euro-Rettung entgegenbringen, zeigen sich andererseits die Schranken, auf die das Projekt eines für deutsche Weltmarktmacht tauglichen, nicht nur ökonomisch dominierten Europa stößt. Mit dem Fortgang der Euro-Staatsschuldenkrise steht also ein Hauptkapitel der Staatsräson der BRD auf dem Spiel.

Umgekehrt machen andere Staaten, deren nationales Wachstum und deren staatliche Kreditwürdigkeit danieder liegt, Deutschland für ihre andauernde Misere haftbar: Mit Merkels Weigerung, für deren Schulden mit Garantien einzustehen, und ihrem Beharren auf harten Konditionen für den Euro-Rettungsfonds würgt Deutschland jede Möglichkeit ab, nationales Wachstum in Gang zu bringen, und bevormundet Europa bis zur Unerträglichkeit, so die Sicht – nicht nur – in Spanien und Italien. Damit wird vornehm verschwiegen, dass diese Länder bis neulich mit ihrer Teilhabe am Euro und europäischen Markt massenhaft finanzkapitalistische Spekulation auf sich gezogen und erfolgreich über ihre nationalen Schranken hinausgewirtschaftet haben – so dass sie jetzt zu Hauptbetroffenen der Finanzkrise und der politischen Konkurrenz um ihre nationale Bewältigung geworden sind. Jetzt leiden sie an der weitreichenden Abhängigkeit und am Verlust an Souveränität, den das Gemeinschaftsgeld und Deutschlands Krisenpolitik ihnen aufnötigt. Auch ihr auf Europa gegründeter nationalökonomischer Erfolgsweg stößt an Schranken und rührt die Nationen auf.

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Gliederung

Von der D-Mark zum Euro und keinesfalls wieder zurück
Deutschlands Anteil an Europas Finanzkrise und sein imperialistisches Interesse an ihrer Bewältigung

Dass jeder Wirtschaftskrise eine Wachstumsphase vorausgeht – und irgendwann auch wieder folgt –, das gehört zum marktwirtschaftlichen Erfahrungsschatz. Dass und inwiefern das kapitalistische Wachstum seine Krise selber schafft, davon will der marktwirtschaftliche Sachverstand eher nichts wissen. Gründe für Krisen sucht er lieber in speziellen Fehlentwicklungen. Und solche findet er auch – genauso regelmäßig, wie „Auf-“ und „Abschwung“ sich abwechseln.

Im Fall der Euro-Krise ist die Schuldfrage aus deutscher Sicht jedenfalls entschieden: zu Lasten der „Pleiteländer“, die sich mit der – teilweise unverdienten – Lizenz, den Euro als ihre Währung zu benutzen, in ihrer mangelnden Konkurrenzfähigkeit eingerichtet und, statt Wachstum zu produzieren wie die tüchtigen Nachbarn, nur immer mehr Schulden aufgehäuft hätten. In dieser Sicht der Dinge wird freilich nicht bloß der Zusammenhang mit der Finanzkrise außer Acht gelassen, die in den Jahren 2007 ff gerade die deutsche Wirtschaft getroffen hat und wirklich nicht von Griechenland und Portugal ausgegangen ist. Es wird auch darüber hinweggesehen – oder wenn, dann nur mit ganz viel patriotischer Voreingenommenheit als falsche Großzügigkeit zur Kenntnis genommen –, dass in der freien und sozialen Marktwirtschaft Schulden, auch und erst recht solche von Staaten, nicht einfach ein schwarzes Loch sind, in dem fremdes Geld verschwindet, kein bloßes Defizit auf Seiten des Schuldners. Es gehört allemal ein Gläubiger dazu, der Kredit gibt, um sich zu bereichern; die viel beklagten Schulden sind selber nichts anderes als die Kehrseite von Forderungen, die anderswo nicht bloß Guthaben, sondern „aktive“, quasi selbsttätig wachsende Vermögenswerte: Geldkapital darstellen. Und gerade im Fall der Euro-Schulden europäischer „Pleiteländer“ sind die Inhaber der entsprechenden Forderungen wirklich nicht der passive Teil, der zugeschaut hätte, wie fremde Völker und Staatsgewalten mit seinem Geld und auf seine Kosten „über ihre Verhältnisse leben“. Den vergebenen Kredit haben Gläubiger kraft ihrer interessierten Geschäftskalkulationen geschöpft; Finanzinstitute aus potenten Ländern haben mit dem Kauf und der Vermarktung fremder Schulden, darunter nicht zu knapp solche von Euro-Staaten, Geld verdient und Geldkapital akkumuliert. Die Schöpfer dieser ganz zu Recht so genannten ‚Produkte‘ sind national ebenso eindeutig zuzuordnen wie die entstandenen Verpflichtungen; und an der so tatkräftig bewiesenen Schöpferkraft haben die zuständigen Staaten einen wesentlichen Anteil: Fürs Wachstum der Geschäfte in der EU und insbesondere des Finanzgeschäfts mit privaten und öffentlichen Schuldnern haben Firmen der wichtigsten Wirtschaftsmacht der Union ihren schlagkräftigen kapitalistischen Reichtum mobilisiert; und der deutsche Staat hat mit der Schaffung eines Gemeinschaftsgeldes für die Partnerländer des Binnenmarkts ein äußerst produktives Geschäftsmittel beigesteuert: ein Geld, das national errungene und erwartete Erfolge in der kapitalistischen Konkurrenz repräsentiert und weiteres Wachstum verspricht. Die so zustande gebrachte Masse an Geldkapital ist von der globalen Finanzkrise, an der deutsches Finanzkapital gleichfalls kräftig mitgewirkt hat, mit betroffen. Ihre Entwertung wird von den zuständigen Staatsgewalten, federführend wieder die deutsche, mit viel neu geschaffenem Staatskredit gestoppt. Das beendet die Krise freilich nicht; vielmehr entstehen Zweifel an Europas Staatsschulden, die die Kreditwürdigkeit der verschiedenen Euro-Staaten in höchst unterschiedlichem Maß in Mitleidenschaft ziehen. Als wichtigster Aktivist und größter Nutznießer des jahrelangen Aufschwungs und maßgeblicher Mit-Urheber der Krise, in die dieser Boom so zielsicher eingemündet ist, wird Deutschland gut und immer besser bewertet, ist aber dennoch ganz entscheidend betroffen: Mit dem Fortgang der Euro-Staatsschuldenkrise steht viel deutscher Kredit auf dem Spiel – und außerdem nichts Geringeres als ein Hauptkapitel der Staatsräson der BRD.

Deutschlands Beitrag zur Überakkumulation des kapitalistischen Reichtums in der EU

Mit der Schaffung des Euro vollbringt die EU einen Fortschritt, der ganz auf der Linie der weltpolitischen Ambitionen der mit der DDR „wiedervereinigten“ BRD liegt – und der deswegen Konsequenzen hat und Sachzwänge stiftet, die sich mit den Absichten der Beteiligten überhaupt nicht decken.

Die Absicht lautet in ihrer bescheidensten Fassung: ‚Vollendung des Binnenmarkts durch eine gemeinsame Währung‘. Die primitiveren Begründungen für diesen Schritt, mit denen vor allem die deutsche Regierung ihr Volk eindeckt, nehmen Geld als bloße Verrechnungseinheit, deren nationale Beschränktheit nur unnötige Schwierigkeiten bereitet, Kosten beim Umtausch verursacht, den Handel auf dem gemeinsamen Markt behindert und deswegen zum allseitigen Vorteil – nicht zuletzt der Touristen – aufgehoben wird. Doch schon die interessierten Berechnungen, die die verschiedenen Fraktionen des Außenhandelsgeschäfts beisteuern – Importeure und Exporteure stören sich in entgegengesetztem Sinn an Schwankungen im Wechselkurs der Währungen, mit denen doch ihr einer Gemeinsamer Markt bewirtschaftet wird! –, machen deutlich, dass ein nationales Geld nicht einfach zur Bezifferung eines feststehenden Warenwerts da ist, sondern eine eigene, ziemlich komplexe Geschäftsbedingung darstellt. Und im Grunde ist auch von Beginn an klar, dass Europas nationale Währungen alles andere als gleichwertige und insofern gleichgültige Hilfsmittel für den Warentausch sind und ihre Ersetzung durch ein Gemeinschaftsgeld alles andere ist als ein Deal unter Gleichen. Beim Vergleich nationaler Geldsorten, wie er in Wechselstuben und an internationalen Geldmärkten praktisch vollzogen wird, geht es nicht bloß um Summen, sondern – schon bei der Festsetzung der Tauschverhältnisse – um eine Qualität, unter der sich alle Beteiligten bis zum ärmsten Unionsbürger offenbar etwas Schönes vorstellen können und die namentlich den Deutschen, wie man hört, schwer am Herzen liegt: Hart soll ein Geld sein und der Euro auf alle Fälle so stark wie die Mark. So möchten es die Partner haben, deren Währungen, nach welcher Rechnung auch immer, als „schwach“ und „weich“ gelten; und das wird dem deutschen Volk zugesichert, dem eine vergleichsweise geringe Inflationsrate und ein tendenziell steigender Außenwert seiner heimischen Valuta als Errungenschaft vorstellig gemacht werden, auf die es stolz sein darf.

Aufklärung über die Natur des Geldes und den Grund seiner national unterschiedlichen Qualität ist mit der Propaganda für eine neue Sorte also nicht verbunden. Die wäre auch sicher nicht im Sinne der Erfinder. Denn erschließen lässt sich immerhin, dass sich in einer nationalen Währung irgendwie der internationale Konkurrenzerfolg der nationalen Wirtschaft niederschlägt und dass damit irgendwie die Weichen für zukünftige Konkurrenzerfolge gestellt sind. Und jeder nähere Blick auf dieses „irgendwie“ führt auf harte Gegensätze zwischen den Staaten und auf die Kosten, die für die Mehrheit der Landesbewohner daraus entstehen. Es ist ja tatsächlich so, dass die Nationen ihre Konkurrenz um den Reichtum der Welt, nämlich um das weltweit zu verdienende Geld, über die und mit der „Qualität“ ihres nationalen Geldes austragen; eine Konkurrenz, die die Verlierer ruiniert und die Gewinner auf Kosten ihrer eigenen menschlichen Manövriermasse bereichert. Denn das entscheidende Mittel dieses „Wettbewerbs“ ist auf allen Seiten rentable Arbeit: ein Verhältnis zwischen allgemeinem Lebensstandard und Leistungsanforderungen an die Arbeitsbevölkerung, das sich gegen deren Lebensbedürfnisse richtet.

Im Einzelnen und nacheinander.

Auf die Erwirtschaftung von Gewinnen aus Lohnarbeit versteht sich die Unternehmerschaft in allen Partnerländern des europäischen Binnenmarkts. Ob das Geld, das sie damit verdienen und vermehren, „stark“ und „hart“ oder „weich“ und „schwach“ ist, ist damit aber noch lange nicht entschieden. Da kommen zwei äußerst anspruchsvolle Kriterien ins Spiel.

(a) Das eine ist interner Art: Was aus der geleisteten Arbeit an Geld herausgeholt wird, muss nicht bloß den Aufwand des Arbeitgebers wieder einbringen, Wachstum finanzieren und die Unternehmenseigentümer zufrieden stellen, sondern auch noch und nicht zuletzt den Teil der Geschäftswelt bedienen, der im Wesentlichen für den Vorschuss fürs nationale Geschäftsleben sorgt und damit seinerseits Geld verdient. Was das Bankgewerbe an Kredit vergibt, ist eine Vorgabe für den damit finanzierten Geschäftserfolg, die in jedem Einzelfall erfüllt werden muss und insgesamt einen Sachzwang begründet: Kredit muss durch erfolgreiche Verwendung bedient werden; nur das rechtfertigt das „Geschäftsmodell“ der Bankenwelt, die fremdes Geld als ihre Verfügungsmasse und ihre Kredite und Anleihen als ihr Kapital behandelt. Dabei zeichnet sich eine leistungsfähige „Finanzindustrie“ dadurch aus, dass das von ihr geschaffene Kreditvolumen notorisch stärker wächst als das damit angeleierte Geschäft: So treibt sie das Wachstum an und befähigt nicht bloß die kapitalistische Geschäftswelt zu immer größeren Taten; sie bedient auch den Staat, bei dem von vornherein feststeht, dass seine Schulden nicht durch die Steuern abgegolten werden, die die Höchste Gewalt ihrer nationalen Wirtschaft entzieht, sondern immer neue Kredite für die Refinanzierung der alten sorgen; wo also nicht gelungenes Geschäft, sondern die Hoheit des Staates über das Geschäftsleben seiner Gesellschaft dafür bürgt, dass durchs Verleihen aus Geld Geldkapital wird. Für das expansive Kreditgeschäft, das er so freizügig in Anspruch nimmt, leistet der Staat seinen nationalen Banken einen ganz entscheidenden Dienst: Er räumt ihnen ein Recht auf Refinanzierung eines nach qualitativen Kriterien bestimmten Teils ihrer Leihgeschäfte durch die staatliche Notenbank ein, nämlich in Form von Zugriff auf gesetzliche Zahlungsmittel; damit erkennt er die Zahlungsmittel, die die Banken mit ihrer Kreditvergabe in die Welt setzen und zirkulieren lassen, als gültige Stellvertreter des offiziellen, von der Notenbank in seinem Namen emittierten Geldes an und setzt so die Macht des Gewerbes zur Kreditschöpfung unter Bedingungen frei. So kommt es dazu, dass das Geld, das in der Nation zirkuliert, nicht einfach geschaffene Werte, sondern den Kredit repräsentiert, mit dem die Banken die Geschäftswelt und die Staatsgewalt finanzieren, also Wachstum auf Schuldenbasis freisetzen. Dass die Masse dieses Kreditgelds deswegen stärker zunimmt als das damit finanzierte Geschäftsvolumen, mindert auf Dauer zwar den Wert, den die Einheit dieses Geldes tatsächlich repräsentiert, „weicht“ also die Landeswährung „auf“. Doch solange dieser als ‚Inflation‘ bekannte Effekt den Zuwachs des mit dem ‚aufgeblasenen‘ Kreditgeld finanzierten kapitalistischen Reichtums nicht kaputtmacht, ist er im Sinne des nationalen Wirtschaftswachstums im Prinzip tragbar, nicht mehr als die Schattenseite der unentbehrlichen Produktivkraft des Kredits fürs Wachstum.

(b) Ob und inwieweit die Relativität eines nationalen Kreditgelds – eben die Abhängigkeit seiner Schlagkraft als kapitalistisches Geschäftsmittel vom Verhältnis zwischen Kreditschöpfung und erfolgreicher Kreditverwendung – dessen Qualität beeinträchtigt, entscheidet sich nicht intern, sondern im Geschäftsverkehr zwischen den Nationen, nämlich mit der fortwährenden vergleichenden Bewertung der verschiedenen nationalen Kreditgelder durch das Geldhandelsgewerbe. Für die Unternehmerschaft geht es im grenzüberschreitenden Geschäft um die Ausweitung des Marktes, auf dem sie vorteilhaft ein- und verkaufen, also das Geld verdienen kann, mit dem ihr produktiver Reichtum und das Geldkapital ihrer Kreditgeber wächst; für die Nation geht es darum, per Saldo den geldförmigen Reichtum der Welt an sich zu ziehen, der die nationale Unternehmenswelt wachsen lässt und den geschöpften Kredit ökonomisch rechtfertigt. In dem Maße, in dem die Unternehmen einer Nation mit überlegener Rentabilität auswärtige Märkte erobern und die Nation am Rest der Welt verdient, begründet der Bedarf an Geld dieses Landes eine Nachfrage, die dessen Außenwert bestätigt und tendenziell zunehmen lässt; und das ist praktisch entscheidend für die Qualität einer Währung: Mit dem immer höheren Wechselkurs steigt die Macht des Kreditgelds einer Nation über Reichtum und Reichtumsquellen, über Waren und Arbeit der Welt. Den Besitzern eines solchen Geldes steht die Welt als Anlagesphäre offen und zu Gebote; das steigert das nationale Kreditvolumen ebenso wie die Masse des Geschäfts, das den kapitalistischen Erfolg dieses Kredits herbeiführt und damit das Geld, das diesen Kredit repräsentiert, „stark“ und „hart“ macht. Zugleich ist die Wirtschaft eines solchen Landes mit ihrer überlegenen Rentabilität und Geldmacht attraktiv für Geldanleger aus aller Welt; das lässt ganz unmittelbar die Nachfrage nach dem Geld dieser Nation, zudem die Masse des angelegten Kapitals, damit die Konkurrenzmacht der Ökonomie und folglich die Finanzmacht der Nation steigen. Umgekehrt umgekehrt: Dem positiven Zirkel des Erfolgs entspricht der „Teufelskreis“ der nationalen Konkurrenzschwäche. In Ländern mit „schwacher“ Währung schwindet die Zugriffsmacht des nationalen Kreditgelds immer weiter, wenn kapitalistischer Reichtum in Geldform per Saldo ins Ausland fließt; ein solches Geld ist für Geldanleger alles andere als attraktiv, die Wirtschaft, die es hervorbringt, nur sehr bedingt für Investments interessant...

Was die BRD mit ihrer „harten Mark“ in die Währungsunion mit ihren Partnern einbringt, das ist also wirklich nicht eine aus patriotischen Gründen geschätzte Verrechnungseinheit. Das ist die beträchtliche, absolut und relativ steigende Finanzmacht, die diese Nation mit ihrer mehrfachen „Exportweltmeisterschaft“ erwirtschaftet, mit Kapitalim- und -export nicht nur innerhalb der EU gesteigert und ausgebaut hat und die die D-Mark als weltweit gefragtes, für alle kapitalistischen Zwecke genutztes Geschäftsmittel repräsentiert. Daraus erklärt sich das Interesse der Partner, die eigene mehr oder weniger schwache Währung durch ein gemeinsames Geld zu ersetzen; und jenseits der eher albernen Begründungen technischer Art, die die Bundesregierung ihrem Wahlvolk anbietet, lässt sich auch der politökonomische Zweck erschließen, den die BRD mit der Schaffung des Euro ansteuert:

(a) Die Partnerländer leiden – teils mehr, teils weniger – unter der überlegenen Marktmacht der Konkurrenz aus Deutschland, die auf dem Gemeinsamen Markt zu notorischen „Ungleichgewichten“ führt. Die deutschen Erfolge schlagen sich in der „Stärke“ der D-Mark nieder, die dauerhaften Verluste der anderen in einer Währungs-„Schwäche“, die die relative Zugriffsmacht des dort tätigen Kapitals und die internationale Zahlungsfähigkeit der Nation überhaupt mindert. Entsprechend steigt der Bedarf der Nation, ihrer Wirtschaft wie der Staatsgewalt, an interner Kreditschöpfung und an Leihkapital von den internationalen Finanzmärkten, was sich unmittelbar in der Weise als Nachteil geltend macht, dass privaten wie öffentlichen Kreditnehmern Zinsen berechnet werden, die eine Sicherheit gegen erwartete weitere Wertverluste des nationalen Kreditgelds bieten; so wachsen interne wie externe Ansprüche an die Wirtschaftsleistung der Nation. Für die Unternehmen des Landes ist die hohe Zinslast ein weiterer Nachteil in ihrem internationalen Konkurrenzkampf; dass manche Firma von der Chance profitiert, ihre Produkte im Vergleich zur deutschen Konkurrenz billiger anbieten zu können, weil sie ihre Preise in einer abgewerteten Währung kalkuliert, mindert allenfalls das Ausmaß der nationalen Konkurrenzschwäche. Diese Sachlage begründet das Interesse der Partnerländer Deutschlands an einem Geld, das im Vergleich mit dem stärksten Konkurrenten kein Entwertungsrisiko mehr enthält. Von der „Umstellung“ ihrer Nationalökonomie auf eine „starke“ Währung versprechen sie sich eine durchgreifende und dauerhafte Minderung der Zinslast, die direkt und auf dem Umweg über die staatliche Haushaltsrechnung an der Kapitalakkumulation im eigenen Land zehrt und die Wachstumspotenz des nationalen Kapitals mindert. Dass die „Schwäche“ der eigenen Währung das Resultat notorisch gewordener Misserfolge im innereuropäischen Konkurrenzkampf ist, tritt in dieser Berechnung völlig dahinter zurück, dass sie eine schlechte Konkurrenzbedingung darstellt. Wirtschaftspolitiker ebenso wie die Finanzmärkte setzen darauf, dass mit dem Geschäftsmittel auch das Geschäft in Ordnung kommt: Die Kreditgeber rechnen mit sicheren und festen Erträgen aus ihrem Leih- und Anlagengeschäft und kalkulieren dementsprechend; die Politiker erwarten geringere Kosten für ihre Schulden und die Kreditaufnahme der Nation insgesamt. Und sofern sie über diesen Effekt hinaus denken, hoffen sie darauf, dass sich so der „Teufelskreis“ aus schlechtem Konkurrenzergebnis und schlechter Konkurrenzbedingung durchbrechen lässt und ihr Land teil hat an der in einem „harten“ Geld realisierten Stärke der deutschen Wirtschaft.[1]

(b) Angesichts solcher Berechnungen wirkt das deutsche Interesse an einer gesamteuropäischen Gemeinschaftswährung wie ein großzügiges Entgegenkommen, wird von den Zuständigen auch gerne so dargestellt. Mit der politökonomischen Bedeutung des neu gegründeten Euro so stark wie die Mark und der darin enthaltenen weltwirtschaftspolitischen Zielsetzung der BRD hat diese Sichtweise jedoch nichts zu tun. Sie lässt nämlich den Anspruch außer Acht, der mit der Schaffung dieser neuen Währung verbunden ist: Alle Mitmacher werden auf den kapitalistischen Gebrauch eines Kreditgelds festgelegt, das so wie die Mark den Geschäftserfolg des von Deutschland geschaffenen und in Finanzmacht verwandelten Kredits repräsentiert; alles, was in der Euro-Zone an Geschäft zustande kommt, trägt zu dieser Finanzmacht bei, von der bislang Deutschland so erfolgreich Gebrauch macht, und macht Europas Kreditgeld, von dem nach wie vor das meiste in der BRD verdient und akkumuliert wird, zu einer ebenbürtigen Alternative zum bislang herrschenden Weltgeld aus Amerika, dem US-Dollar. Was mit der D-Mark so verheißungsvoll begonnen hat: die Durchsetzung des deutschen Kredits als Motor für kapitalistische Geschäfte aller Art rund um den Globus, genau das geht mit der supranationalen Europa-Währung auf breiterer Basis weiter: die Indienstnahme des Weltgeschäfts für Europas und eben in erster Linie Deutschlands machtvollen kapitalistischen Zugriff auf Kapital und Reichtumsquellen der Welt. Für dieses Ziel, den Zugewinn an Masse und kapitalistischer Wucht des in Europa erzeugten Kredits, „opfert“ die BRD die nationale Uniform ihres Kreditgelds. Gestartet wird das Unternehmen, die Finanzmacht der auf dem EU-Binnenmarkt konkurrierenden Nationen in einem gemeinschaftlichen Geld zusammenzulegen.

Die Verwegenheit dieses Unterfangens bleibt den Veranstaltern auf deutscher Seite nicht verborgen. Sie treffen eine Menge Vorkehrungen dagegen, dass Verlierer der europäischen und der Weltmarkt-Konkurrenz mit ihren Bilanzdefiziten und ihrem kapitalistisch wenig erfolgreichen Kredit am Euro-System teilnehmen und dadurch das Produkt verschlechtern. Alle Vorbehalte und Konditionen gehen aber von der Grundidee aus, die kapitalistischen Erfolge konkurrierender Nationen müssten sich addieren lassen, zu einer großen Summe gemeinsam nutzbarer kapitalistischer Potenz, realisiert in einem gemeinsam benutzten Zahlungsmittel. Kriterien werden aufgestellt und im Euro-Gründungsvertrag von Maastricht beschlossen, die den Erfolg eines nationalen Kredits und die „Härte“ eines nationalen Kreditgelds messen und erfüllt sein müssen, damit ein Land den Euro „erhält“. Dass „Stärke“ und „Schwäche“ einer Währung das Ergebnis nationaler Konkurrenz sind und notorische Siege resp. Niederlagen repräsentieren, das sehen die Euro-Gründer also durchaus, aber dann doch nicht so eng. Im Endeffekt ist gerade den Verwaltern deutscher Konkurrenzerfolge die Größe des Marktes, auf dem ein und dasselbe Kreditgeld benutzt und durch die Akkumulation von Kapital „hart“ gemacht wird, wichtiger als der Umstand, dass das in manchen Nationen und gemäß deren nationaler Abrechnung nicht so gut klappt: Sie setzen auf allgemeines, europaweites Wachstum als unausbleibliche Folge eines von Währungsdifferenzen und -schwankungen befreiten Binnenmarkts. Und außerdem kommt ihnen die widersprüchliche Natur ihres Unternehmens Euro schon deswegen nicht als Einwand in den Sinn, weil sie damit nur konsequent weiterverfolgen, was sie sich mit ihrem Projekt einer Europäischen Union überhaupt vorgenommen und schon weit genug vorangetrieben haben, um diesen Fortschritt zu wagen.

Projektiert ist da nämlich von Beginn an nichts anderes, als dass Europas alte Großmächte und ihre kleineren Nachbarn ihre ökonomischen Potenzen zusammenlegen, um zum Vorteil für alle Beteiligten die Basis für neue imperialistische Größe zu schaffen und darüber nach und nach auf friedlichem Weg zu einem weltpolitischen Subjekt zu werden, das sich mit der befreundeten und notgedrungen als Führungsmacht akzeptierten Weltmacht USA messen kann. Denn darunter leiden nicht nur deutsche Weltpolitiker, sondern auch die in Frankreich und anderswo: dass sie nur noch „Mittelmächte“ unter amerikanischer Hegemonie zu regieren haben und mit aufstrebenden asiatischen Mächten um ihren Rangplatz in der Staaten-Hierarchie kämpfen müssen. Und dieses gemeinsame Leiden haben sie als Hebel dafür entdeckt, sich wechselseitig für die Gründung einer Weltmacht neuen Typs zu funktionalisieren. In diesem Sinne gehen sie nicht bloß ein Zweckbündnis unter Souveränen ein, sondern stiften Institutionen mit eigenen regierungsähnlichen Kompetenzen, an die sie gewisse Hoheitsrechte übertragen. In gemeinsamen Gremien fassen sie bindende Beschlüsse – dass das normalerweise im Streit geschieht, ist die Art und Weise, wie sie eine dem nationalen Ermessen entzogene Verbindlichkeit schaffen –, insbesondere zur Bewirtschaftung ihrer Länder als Teile eines ‚Binnenmarktes‘, eines einheitlichen Betätigungsfeldes für ihre ökonomisch herrschende Klasse. Sehr eng an deren Interessen orientiert, konstruieren sie ein politisches Gebilde, das mehr als nur ein bisschen europäischer Gesamtstaat ist; dabei planen sie nicht die Preisgabe ihrer nationalen Souveränität, wohl aber die Konsolidierung einer gesamteuropäischen Supra-Nationalökonomie und auf der Grundlage Fortschritte hin zu einem Auftritt als kollektive Supermacht in der Weltwirtschaft und in der Weltpolitik überhaupt. Deutschland betreibt auf diese Art die fortschreitende Indienstnahme des Kontinents fürs Wachstum des kapitalistischen Reichtums, der nicht nur, aber mit seinen konkurrenztüchtigsten Abteilungen und insofern ziemlich dominant am deutschen Standort zuhause ist, und für die Globalisierung der daraus resultierenden Finanzmacht; die deutschen Regierungen arbeiten seit jeher an der allmählichen Ausrichtung der Union auf das Grundbedürfnis der Republik, gegenüber allen neuen Großmächten und „auf Augenhöhe“ mit der Supermacht USA weltweit als maßgebliche Einflussgröße aufzutreten und wirken zu können. In dieses Bemühen um imperialistische Bedeutung fügt sich die deutsche Euro-Politik ein.

Dabei begnügen sich Deutschlands Weltwährungspolitiker keineswegs mit der Aufstellung von Teilnahmebedingungen für das Abenteuer eines neuen Geldes und der Hoffnung darauf, dass sie erfüllt werden und ihre Nicht-Erfüllung nicht weiter schadet. Im Interesse eines „harten“ Euro setzen sie durch, dass die Macht über die Emission dieses Geldes den nationalen Souveränen entzogen wird und auf die EZB übergeht. Die ist tatsächlich supranational konstruiert;[2] sie ist praktisch der funktionale Ersatz für die Geldhoheit eines noch gar nicht existierenden gesamteuropäischen Souveräns und soll sicherstellen, dass nur und genau das an gesetzlichen Zahlungsmitteln in Verkehr kommt, was die Bankenwelt für kapitalistisch erfolgreiche Kreditschöpfung braucht. Zugleich besteht der deutsche Partner darauf, dass sich die nationale Souveränität aus der Verwendung des gemeinsamen Kreditgelds überhaupt nicht herauskürzt, sondern in dieser Hinsicht die Rivalität der Mitgliedsstaaten voll erhalten bleibt: Alle Regierungen der Euro-Zone haben bei der Bewirtschaftung ihres Landes mit dem auszukommen, was sie aus ihrem Teil des Binnenmarkts an Steuern herausholen und was sie sich an Schulden leisten können. Bedingungen für die Inanspruchnahme von Euro-Kredit durch die Partner werden etabliert, die dessen Belastung durch unproduktiven staatlichen Gebrauch mindern, so zur Angleichung der finanziellen Verhältnisse der Euro-Staaten führen und damit die Stabilität des gemeinsamen Kreditgelds auch von Seiten der Benutzer her gewährleisten sollen.

Das Ergebnis entspricht nicht dem Ideal, sondern dem realen ökonomischen Kräfteverhältnis zwischen den Partnerländern. Den erfolgsverwöhnten Unternehmen aus der BRD, die sich schon große Teile des europäischen Binnenmarkts erobert haben, bietet das Einheitsgeld den Vorteil einer sicheren Kalkulationsgrundlage: Was sie in den Außenbezirken der Euro-Zone verdienen, ist dasselbe gute Geld wie das, mit dem sie ihren einheimischen Betrieb finanzieren. Mit Vorteilen für etwaige Konkurrenten aus dem Zielland ihrer Exporte aufgrund von Wertverlusten der dortigen Währung ist nicht mehr zu rechnen. Die Produktivität ihres Kapitals kommt im gesamten Währungsbereich direkt und uneingeschränkt zum Zug – und wird überdies ganz beträchtlich durch die Lohnsenkungspolitik gefördert, die Deutschlands rot-grüne Regierung unter dem Titel „Agenda 2010“ betreibt und den nachfolgenden Merkel-Regierungen vererbt. Banken und andere Finanzinvestoren aus Deutschland profitieren erst recht vom Einheitsgeld und von dessen segensreichen Wirkungen auf die nationale Exportwirtschaft: Bei Krediten an Schuldner im Euro-Ausland und für Geldanlagen dort entfällt das Währungsrisiko. Das erlaubt die Ausweitung des Finanzgeschäfts mit Kunden, die ihrerseits bei entsprechend sinkenden Zinsen mehr Kredit nachfragen. Das tun sie in nationalem Maßstab nicht zuletzt deswegen, weil Importe aus Deutschland zu finanzieren sind, die einheimische Geschäfte kaputt machen, also den Geldreichtum, der in den konkurrenzschwächeren Teilen des Euro-Raums zustande kommt, und damit deren selbstgeschaffene Zahlungsfähigkeit mindern; so gibt Deutschlands erfolgreiche Exportwirtschaft auch Deutschlands Finanzkapitalisten und den Banken anderer Nationen viel zu verdienen, die mit ihren Krediten die Zahlungsbilanz der Defizitländer ausgleichen.[3]

So treibt die BRD mit der neuen Währung die Akkumulation des Kapitals in allen seinen Formen, nicht zuletzt in Gestalt eines im Hinblick auf ausgezeichnete Wachstumsaussichten geschöpften Kredits, enorm voran. Und das in ganz Europa; zwar zu Lasten schwächerer Konkurrenten, die ein geringeres und tendenziell immer weniger Wachstum generieren, aber dank der gemeinsamen Währung verlustfrei und fürs Erste ganz unabhängig von der kapitalistischen Leistungsfähigkeit der Partnerländer. So verdient Deutschland an der Euro-Zone, und auf der soliden Grundlage an der ganzen Welt. Die Größenordnung dieses Erfolgs wird mit der krisenhaften Entwertung des (über)akkumulierten Geldkapitals offenbar.

Deutschlands Anteil an der Finanzkrise und an deren Fortentwicklung zur Euro-Staatsschuldenkrise

An der Ausweitung der amerikanischen Finanzkrise auf Europa wirken die derzeitigen Hauptkrisenländer der Euro-Zone – mit Ausnahme des Sonderfalls Irland – am allerwenigsten mit, ganz entscheidend dagegen die BRD. Betroffen sind zuerst und in beachtlicher Größenordnung Geschäfte deutscher Finanzinstitute mit Investitionen in komplex verbriefte US-Immobilienkredite und mit der Vermarktung solcher Wertpapiere, also in einer sehr abgehobenen Abteilung des globalen Finanzwesens. In der Sphäre sind die wichtigsten Akteure der Branche damit beschäftigt, aus Leih- und Wertpapiergeschäften, die der Welt der Finanzierung kommerzieller Aktivitäten, der Investition in den Gang der kapitalistischen Gewinnerwirtschaftung und in staatliche Haushaltsbedürfnisse und der Absicherung solcher Risiken angehören, Investments zu konstruieren, die ein von solchen „Basisgeschäften“ abgetrenntes Interesse an Bereicherung durch Spekulation mit vertrackten Kombinationen von Rendite und Risiko bedienen; verdient wird mit dem Handel mit solchen Konstrukten sowie mit der Geldanlage und mit der Kreditierung von Geldanlagen in derartigen Investments. In diese Etage der Spekulation haben sich Finanzunternehmen aus dem Euro-Land BRD hochgearbeitet. Für die ist das Geschäft mit der Schöpfung von Vorschuss für den alltäglichen Betrieb einer nationalen Profitmaschinerie und mit der Vermarktung derartiger „Basisgeschäfte“ zu eng; mit ihrer akkumulierten Finanzmacht sind sie aus dem Reich der Bedienung, Ausnutzung und spekulativen Anstachelung des kapitalistischen Arbeits- und Lebensprozesses der Nationen herausgewachsen und einfach zu groß geworden, um sich damit noch zufrieden geben zu können. Mit dem Euro ist der deutsche Finanzkapitalismus zu einem Zentrum des sich selbst potenzierenden Umschlags spekulativer Werte der höchsten Güteklasse herangereift, einem Status, den er sich mit ganz wenigen Konkurrenten teilt: Das wird mit dem „Übergreifen“ der Krise des Geschäfts mit den kunstvollen Kreditderivaten von der Wall-Street auf das Zentrum der Euro-Zone offenkundig.

Wie es weitergeht, ist bekannt: Wenn der Arbeits- und Lebensprozess der Nationen zum „Basisgeschäft“ einer Finanzwirtschaft geworden ist, die sich auf der „Basis“ eine eigene Welt der Bereicherung durch die Spekulation mit „Derivaten“ geschaffen hat, dann bricht dessen Finanzierung komplett zusammen, wenn das Geschäft mit solch vornehmen Handelsartikeln zum Erliegen kommt, weil in der Elite der Bankenwelt das Misstrauen einzieht, und wenn folglich die „abgeleiteten“ Werte, auf deren permanente Vermehrung und Vermarktung es in dieser Welt mehr als auf alles andere ankommt, kaputtgehen. Stück um Stück gefährdet der Fortgang der amerikanischen Derivate-Krise die Zirkulation von Krediten und diese Kredite transportierenden Zahlungsmitteln überhaupt und stellt alles in Frage, was Geldbesitzer jeglicher Art und Größe sich als ihr Geldvermögen zurechnen und die einen für ihr Geschäft, die meisten für ihren Lebensunterhalt brauchen. An den unmittelbaren Folgen der Insolvenz eines Hauptakteurs am globalen Finanzmarkt, der US-Bank Lehman, bemerken die Chefs der zuständigen Weltwirtschaftsmächte diese „systemische“ Bedeutung einer Sorte Derivate-Geschäft, dessen nominell gigantischer Umfang sie bis dahin, wenn überhaupt, wohl nur als Nebenaspekt des Kreditbetriebs neben der nationalen Hauptsache, der Alimentierung ihrer Haushalte und ihres Kapitalstandorts mit dem Lebensmittel „Geld & Kredit“, interessiert hat. Jetzt nehmen sie wahr, dass ihre ganze Nationalökonomie vom geschäftlich produktiven Zusammenwirken der globalen Finanzelite auf deren ganz eigenem Markt für „komplexe Finanzprodukte“ abhängt; zwar in der eher begriffslosen Fassung, da wären wohl einige Finanzinstitute zu groß geworden, too big to fail; aber mehr an Einsicht brauchen sie auch nicht: Auf den drohenden Zusammenbruch des alltäglichen Geschäftsgangs reagieren die führenden Weltwirtschaftspolitiker mit einem Krisenverbot, das sie der Bankenwelt in der einzigen Sprache übermitteln, die die versteht. Sie schaffen den Kredit, den die Finanzinstitute einander nicht mehr geben, auf eigene Rechnung resp. unter Inanspruchnahme ihrer Notenbanken und „überschwemmen“ die Geldhäuser mit „Liquidität“. Die Nationalbanken verleihen Unsummen praktisch zum Nulltarif; Staatskredit in der ansehnlichen Höhe von etlichen Zehnerprozenten des Betrags, zu dem die Staaten ihre nationale Wirtschaftsleistung zusammenzuzählen pflegen, tritt für das entwertete Wertpapiervermögen der Banken ein – nicht vollständig, aber in solchem Umfang, dass der Gang des kapitalistischen Geschäftslebens aufrechterhalten bleibt. Und die seinerzeitige schwarz-rote Merkel-Regierung steuert zur Beruhigung des Volkes, das den Ernst der Lage noch gar nicht begriffen hat, das großmächtige Versprechen bei, unter ihrer Obhut wären alle Spar-, Giro- und sonstigen Konten in Deutschland sicher; eingelöst wird es mit Finanzhilfen an die Bankenwelt, die die Staatsschuld schlagartig um ein Drittel steigen lassen.

Die niederen Funktionen des Kreditgewerbes für den gewöhnlichen Kapitalismus sind damit gerettet. Überhaupt nicht wiederhergestellt ist deren kapitalistischer Sinn und Zweck: der erfolgreiche Gebrauch von Kredit und des zirkulierenden Kreditgelds für eine Kapitalakkumulation, die die vom Staat ersatzweise vorgenommene Kreditschöpfung ökonomisch rechtfertigt. Von sich aus kommen die Finanzmärkte und die von deren Vorleistungen abhängigen kommerziellen Aktivitäten der Geschäftswelt im Allgemeinen, der deutschen Unternehmerschaft im Besonderen erst einmal nicht wieder in Schwung; kostspielige staatliche Sondermaßnahmen, etwa die unvergessene „Abwrackprämie“ zur Rettung des deutschen Automarkts oder die Subventionierung von Kurzarbeit, dämpfen bloß den Absturz des nationalen Akkumulationsprozesses. Was in Deutschland und von Deutschland aus stattdessen in Gang kommt, nämlich maßgeblich mit billigen Krediten der EZB in beinahe beliebiger Höhe in Gang gebracht wird, das ist das finanzkapitalistische Geschäft mit den staatlichen Schuldpapieren, mit denen die BRD und die anderen Euro-Länder die „Rekapitalisierung“ ihrer Banken und die Abschwächung der unausbleiblichen „Rezession“ finanzieren. Und das hat weitreichende Folgen.

Zur Vermarktung und erst recht zum Kauf von Schuldpapieren, was ja nichts Geringeres bedeutet als deren praktische Anerkennung als Geldkapital, gehört allemal die kritische Prüfung der Kreditwürdigkeit des Emittenten. Die erstreckt sich im Fall staatlicher Anleihen auf zwei Größen: Spekulativ einzuschätzen sind die Leistungsfähigkeit der nationalen Wirtschaft, über die der Staat als Quelle seiner Finanzmacht gebietet, und das staatliche Regime über den nationalen Kapitalstandort selber, nämlich dessen Leistungsfähigkeit im Allgemeinen, seine Leistungen für die Produktivität des Standorts im Besonderen. Dass diese Prüfung angesichts der enormen Schuldenvermehrung besonders kritisch ausfällt, versteht sich von selbst. Und da werden klare Unterschiede gemacht.

Der deutsche Kapitalismus schneidet in der vergleichenden Musterung der Euro-Länder sehr gut ab. Positiv zahlt sich aus, dass bundesdeutsche Unternehmen mit ihren Exporterfolgen und Kreditgeschäften in dem Vergleich weitaus am meisten zur weltweiten und speziell zur innereuropäischen Überakkumulation von Kapital beigetragen haben. Ihre überlegene Größe und Konkurrenzmacht haben sie nicht eingebüßt, eher noch ausgebaut. Deutsche Banken sind besser als andere in der Lage, ihre schwer geschädigten Bilanzen durch den Abbau von Engagements in der Peripherie des Euro-Raums und die „Heimholung“ ihrer dorthin vergebenen Kredite einigermaßen in Ordnung zu bringen. Das Exportgeschäft leidet darunter einstweilen nicht; ebenso wie beim Eintreiben ausstehender Forderungen bewährt sich da die relative Freiheit der nationalen Notenbanken, innerhalb des Euro-Systems Geld zu schöpfen und über das Target-System ins Ausland fließen zu lassen, ohne dass es in dem Land erst verdient oder von auswärts geliehen oder investiert werden muss. Die deutsche Staatsmacht mit ihren rasant vermehrten Schulden besteht den spekulativen Vergleichstest genauso gut; zum einen wegen ihrer hervorragenden Performance in der Konkurrenz der Souveräne um das billigste Volk und die niedrigsten Lohnstückkosten, mit der sie die Überakkumulation des industriellen Kapitals in Europa entscheidend gefördert hat. Zum andern leisten die Merkel-Regierungen nachdrücklich und erfolgreich Entscheidungshilfe für spekulative Investitionsentscheidungen des internationalen Finanzkapitals. Ihre eigene Kreditaufnahme deklarieren und inszenieren sie als Kraftakt zur Rettung des Volksvermögens und der Stellung Deutschlands in der Welt, den ihre Nation sich ganz selbstverständlich leisten kann; und das – ganz anders als die Weltmacht USA und der Rivale England, durch deren zügellose Spekuliererei nach deutscher Lesart das finanzkapitalistische Unheil überhaupt erst in die Welt gekommen sei –, ohne dafür auf direktem Weg die Notenbank als Quelle „ungedeckter“ Zahlungsmittel in Anspruch zu nehmen und durch eine solche Geldflut den Wert der Währung zu untergraben; auf die Vertragslage, nach der der EZB ein solches verantwortungsloses „Gelddrucken“ verboten sei, und auf ihre eigene Entschlossenheit, von diesem Grundsatz um keinen Millimeter abzurücken, kann man in Berlin und Frankfurt gar nicht oft und deutlich genug hinweisen. So wird in der Finanzwelt die Botschaft von der unbedingten Solidität der Finanzierung deutscher Staatsschulden und folglich auch der Stabilität des dafür in Umlauf gebrachten Kreditgelds verankert. Den dadurch keineswegs erledigten Zweifeln an der Güte staatlicher Euro-Schulden überhaupt und an der „Härte“ der dadurch aufgeblähten Währung begegnet man mit einer scharf differenzierenden bis diffamierenden Kritik an den Staatshaushalten etlicher Euro-Partner und deren Defiziten, die noch nicht einmal durch die Ausnahmesituation der Finanzkrise hervorgerufen und insofern entschuldbar seien. Das ist eine klare Wegweisung für die internationale Investorengemeinde, die einige Jahre lang davon ausgegangen ist, mit dem Euro hätten sich nicht bloß die innereuropäischen Währungsrisiken erledigt, sondern überhaupt alle Gründe, den Euro-Staaten ihre höchst unterschiedlichen Konkurrenzerfolge auf dem Binnenmarkt bei den Zinsen in Rechnung zu stellen. Allen Kreditgebern, Wertpapiervermarktern und Geldanlegern macht die Bundesregierung ein ums andere Mal mit Nachdruck klar, dass die Euro-Länder zwar alle, aber in ganz unterschiedlicher Weise gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen, dass von gleicher Kreditwürdigkeit der verschiedenen Mitglieder keineswegs die Rede sein kann, dass von allen Klauseln des Euro-Gründungsvertrags diejenige, die ein Bail-out übermäßig verschuldeter Euro-Staaten verbietet, auf jeden Fall am strengsten eingehalten wird und dass auch eine direkte Staatsfinanzierung durch die EZB nie und nimmer in Frage kommt. Und von den Adressaten wird sie gut genug verstanden. Die scheiden immer schärfer zwischen fraglos zuverlässigen Kunden, die für geliehenes Geld zwar wenig zahlen, aber größtmögliche Sicherheit bieten, und notorisch fragwürdigen Kandidaten: Einem schwachen Euro-Staat nach dem andern bekunden die Finanzmärkte ihr Misstrauen, berechnen immer höhere Zinsen, verweigern am Ende vollends die Refinanzierung fälliger Schulden. Damit ist die Finanzkrise, die die BRD mit veranstaltet und mit erlitten hat, nach deutscher Lesart vorbei; stattdessen hat man sich mit einer ganz neuen Krise auseinanderzusetzen, deren Urheber von Beginn an identifiziert sind: mit der Staatsschuldenkrise in der Peripherie der Euro-Zone.

Tatsächlich gelingt es Deutschland so, die Konsequenzen seiner Krise auf die schwächsten Euro-Partner abzuwälzen; überwunden und hinter sich gelassen hat es die Überakkumulation von Finanzwerten und deren krisenhafte Entwertung keineswegs. Was es in der Hinsicht erreicht, ist nicht mehr und nicht weniger als die Verschiebung der überakkumulierten Vermögenstitel und der Gefahr ihrer Entwertung auf die Staatsgewalten als Schuldner wie als Gläubiger. Auf der einen Seite „explodieren“ die Verbindlichkeiten der Staatshaushalte in den konkurrenzschwachen Euro-Ländern, weil dort der Staat mit ganz viel Kredit sein Bankwesen und den Fortgang seines nationalen Kapitalismus „retten“ muss, nachdem ausländische Investoren ihre Geldanlagen aus dem Land zurückziehen und Gläubiger sich fällige Kredite auszahlen lassen; weil aus demselben Grund die Staatseinnahmen sinken und die Anforderungen an den Staatshaushalt steigen; und weil angesichts der zuerst nachdrücklich beschworenen, dann auch wirklich eingetretenen heillosen Überschuldung des Staatshaushalts die Zinslast sich vervielfacht. Auf der anderen Seite wachsen ungefähr genauso schnell die Kredite, mit denen die EZB auf dem Umweg über den Aufkauf zirkulierender Staatsschulden aus den Defizitländern sowie die solventen Euro-Staaten direkt oder über die dafür eigens eingerichtete EFSF-Zahlungspflichten der „überschuldeten“ Länder übernehmen, also zunächst private Gläubiger und Investoren schadlos halten, in der Folge aber immer mehr ihre eigenen Forderungen und Zinsansprüche refinanzieren. So akkumuliert der deutsche Staat, trotz nach wie vor geltendem Bail-out-Verbot, zu Lasten seiner schwachen Partner, aber auf eigene Rechnung und eigenes Risiko Finanztitel, die nichts weiter repräsentieren als praktisch uneinbringliche Schulden der bankrotten resp. Bankrott-gefährdeten Mitglieder im Euro-Club; und er akkumuliert immer mehr davon, um deren Geltung als sich vermehrendes Geldkapital und damit ihren Wert zu erhalten.

Es kommt hinzu, dass die Geldschöpfung durch die nationalen Notenbanken, mit denen die Defizitländer de facto den immer größeren Saldo aus zu- und abfließenden Euro-Summen finanzieren, mit der eskalierenden Staatsschuldenkrise immer weiter aus dem Ruder läuft. Zwar ist diese Geldemission daran gebunden, dass nationale Geschäftsbanken dafür Wertpapiere als Pfänder hinterlegen; in der Not, den Binnenmarkt in Gang zu halten – also nicht zuletzt deutsche Exportgeschäfte mit den „Pleitestaaten“ zu sichern –, findet die EZB sich aber bereit, die Anforderungen an die Qualität solcher Pfänder bis zum berüchtigten „Ramsch-Status“ abzusenken und die Leihfristen für Notenbankgeld, die sich ursprünglich nach Tagen bemessen, auf bis zu drei Jahre zu verlängern. So wird eine zunehmend ungleichgewichtige Zentralbankgeldschöpfung zum Vehikel des Reichtums, der aus den Defizitländern ab- und zu den Überschussländern hinfließt – „Kapitalflucht“, i.e. der Transfer privaten Vermögens aus den „Pleiteländern“ in einen „sicheren Hafen“, vorzugsweise die BRD, darin eingeschlossen –; in den Büchern der EZB summieren sich dementsprechend die Verbindlichkeiten der Notenbanken der schwachen Nationen und demgegenüber die Gutschriften auf den Konten der starken, insbesondere der deutschen Bundesbank, mit zunehmender Geschwindigkeit auf hohe elfstellige Euro-Beträge, was deutsche Notenbanker bedenklich finden (und der Chef des Münchner IFO-Instituts so öffentlich wie möglich als Gefährdung des deutschen Wohlstands und des europäischen Zusammenhalts durch „Die Targetfalle“ anprangert). Für sich genommen sind diese „explodierenden“ Target-Salden zwar keine Katastrophe und schon gar kein Schaden für die Überschussländer: Die Bereicherung der dort ansässigen Kapitalisten klappt, nach wie vor weit über die kapitalistisch erwirtschaftete und geschäftsmäßig geliehene Zahlungsfähigkeit der Defizitländer hinaus. Problematisch wird die Sache jedoch in dem Maße, wie die Geschäftsbanken die Rückzahlung ihrer Notenbankkredite schuldig bleiben und die von ihnen hinterlegten Pfänder sich als wertlos erweisen; dann kommt das EZB-System nicht umhin, Verluste zu verbuchen. Und ein finanzielles Desaster für alle Beteiligten wäre es, wenn sich mit dem erklärten Bankrott eines Mitgliedslandes und dessen Ausscheiden aus dem Gemeinschaftsgeld die hunderte Milliarden schweren nationalen Last- und Gutschriften in den EZB-Bilanzen in wirkliche und dann definitiv uneinbringliche Schulden und Schuldforderungen verwandeln würden: Die „Pleiteländer“ wären wirklich pleite, und alle übrigen Notenbanken – also auch die mit der großen Gläubigerposition – müssten gemäß ihrem jeweiligen Anteil an der EZB für die verbleibenden Verbindlichkeiten aufkommen, die dann ein kaputt gegangenes Auslandsvermögen des deutschen Staates als Eigentümer seiner Notenbank repräsentieren würden. Dieser Eventualfall fügt dem Problem Deutschlands mit der Schuldenkrise seiner schwächsten Euro-Partner einen weiteren ökonomischen Sachzwang hinzu, in dem das Drangsal der Überakkumulation finanzkapitalistischen Reichtums auf deutscher Seite seine Fortsetzung findet: Die BRD muss den Fortbestand dieses Reichtums, eines nominellen Auslandsvermögens in dem Fall, bis auf Weiteres mit Krediten an seine Schuldner, auch per „Anschreiben“ innerhalb des EZB-Systems, selber finanzieren.

Dabei ist es nicht einmal „nur“ eine Menge Finanzvermögen, was hier für Deutschland auf dem Spiel steht. Die Regierung beschwört die politische Gefahr, dass mit einer „Kettenreaktion“ von Staatspleiten und der dann unausweichlichen Liquidierung der Euro-Zone „Europa“ insgesamt, also das große Projekt einer Europäischen Staatenunion am Ende wäre. Tatsächlich hat Deutschland mit dem Euro schon vorweggenommen, was es mit seiner Europa-Politik seit jeher erreichen will und zugleich verhindert: die Schaffung einer tragfähigen ökonomischen Basis für eine neue europäische Weltmacht. Ein wirklich supranationales Kreditgeld ist realisiert; ein wirklich supranationales ökonomisches Zusammenwirken der Euro-Länder findet nicht statt, stattdessen ein Konkurrenzkampf der Nationen um das gemeinsame Kreditgeld, von dem Deutschland als Gewinner auf gar keinen Fall ablassen will. Seinen nationalen Erfolg mit der Euro-Wirtschaft hat es bis zum Ruin seiner schwächsten Konkurrenten ausgereizt; jetzt fällt den Deutschen dieser Erfolg nicht bloß ökonomisch auf die Füße; mit dem Fortgang der Euro-Schuldenkrise droht vielmehr der Widerspruch zwischen Gemeinschaftsgeld und der Konkurrenz darum sich als unhaltbar zu erweisen. Und damit ist nicht bloß der Euro in der Krise, sondern das ganze Projekt einer Weltmacht, die sich die Potenzen ihrer Partner einverleiben will, ohne die Souveränität der Beteiligten abzuschaffen, nämlich weder die eigene aufzugeben noch die der anderen zu brechen. Einen echt supranationalen Kollektivismus der europäischen Nationen mit dem unerbittlich aufrecht erhaltenen nationalen Konkurrenzstandpunkt zu verknüpfen: Mit diesem kühnen Unterfangen hat die BRD es auf dem Feld der Ökonomie so weit gebracht, dass die ersten, nämlich die schwächsten Mitmacher daran scheitern.

Umso unerbittlicher hält die Regierung daran fest.

Deutschlands EU- und Euro-Reformpolitik: Ein starkes Stück Imperialismus

Die Euro-Krisenpolitik der Bundesregierung hat keinen besonders guten Ruf; weder bei den Partnern noch in der eigenen Nation. Den einen ist sie zu anmaßend und zu erpresserisch, den andern zu kompromisslerisch, den dritten zu unentschlossen. Und sehr gemischt wirkt sie nicht nur, sondern ist sie auch. Wenn die Regierung ihre Politik erklärt, dann tut sie bisweilen eine schlechte Meinung über die südlichen Euro-Partner kund, die dicht vor dem Vorwurf des Schmarotzertums Halt macht und im Innern die nationalistischen Ressentiments aufrührt; dann wieder weist sie die offene Verachtung und gehässige Diskriminierung, der sie die Stichworte geliefert hat, als ganz unberechtigt und ungehörig zurück; mal beschwört sie die Grenzen der Belastbarkeit deutscher Solidarität, mal die Notwendigkeit, aus politischen Gründen wie wegen des Nutzens der Euro-Zone speziell für Deutschland den Partnern in der Not beizuspringen. Anstachelung und Bremsung nationalistischer Aversionen begleiten eine politische Praxis, die tatsächlichen Einsatz für die gemeinsame Währung und bedingungslose Befürwortung des Fortbestands der Euro-Zone mit der Aufstellung praktisch unerfüllbarer Bedingungen verbindet. Der festen Zusage, kein Land, auch Griechenland nicht, aus dem Euro hinauszudrängen und Staatsbankrotte in der Euro-Zone nicht zuzulassen, folgt die Festlegung, dass es keine Leistung ohne Gegenleistung gibt, keinen Kredit ohne Reformen im Land des Schuldners; und dabei wird kein Zweifel gelassen, dass die verlangten Reformen nicht einfach nach den Maßnahmen beurteilt werden, die von dem kreditierten Partner zu erbringen sind, sondern nach deren Erfolg, nämlich vor allem der „Rückkehr an die Finanzmärkte“, die in einer festgelegten Frist zu gelingen hat. Kredite werden gegeben, aber nie ohne erpresserische Vorbehalte und selten ohne Verzögerungen, die dafür sorgen, dass die vom Schuldner gewünschten Erleichterungen bei der Finanzierung seiner Notwendigkeiten nicht eintreten. Umgekehrt werden Kriterien für solides Haushalten zur Vorbedingung für Kredithilfen gemacht und dann doch Abweichungen geduldet, weil das Verlangte praktisch nicht zu erfüllen ist. Im speziellen Fall Spaniens wird die Refinanzierung des zusammenbrechenden Banksektors mit Dutzenden Milliarden Euro direkt aus dem ESM, also ohne Belastung des Staatshaushalts, die den Staat der Kreditunwürdigkeit näher bringen würde, zugesagt; die Voraussetzung dafür, die Einrichtung einer für die gesamte Euro-Zone zuständigen Bankenaufsicht, wird dann von deutscher Seite nicht gerade hintertrieben, schon gar nicht offen, aber so problematisiert und verzögert, dass der Effekt, den die spanische Regierung sich von den ESM-Krediten an ihre maroden Banken verspricht, in Frage steht. Überhaupt wird dieser „Stabilisierungs-Mechanismus“ eingerichtet, um Euro-Staaten ohne große Umstände aus etwaigen Zahlungsschwierigkeiten herauszuhelfen; zugleich macht die Bundesregierung jede Auszahlung von einem besonderen Votum des Bundestags, also einer je neuen Ermessensentscheidung der jeweiligen Regierungsmehrheit abhängig. Die Kreditschöpfung der von solchen Vorbehalten unabhängigen Notenbank, die damit die Spekulation gegen Euro-Staaten stoppen will, wird hart kritisiert; die Zusage unbegrenzter Geldschöpfung durch den EZB-Chef wird als nötig und sinnvoll anerkannt, weil sie die „Lage an den Finanzmärkten“ tatsächlich nachhaltig „entspannt“, und zugleich als gefährlich getadelt, weil der positive Effekt den Schuldnerstaaten womöglich die härtesten „Reformen“ erspart. Überhaupt kann man in Berlin gar nicht oft und nachdrücklich genug darauf hinweisen, dass mit aller Geldschöpfung und allen Kredithilfen zugunsten der schwachen Partner nichts weiter als „Zeit gekauft“ wird, die unbedingt für „durchgreifende Reformen“ genutzt werden muss, weil sonst alles nichts nutzt: Ohne drastische Kürzungen in den Staatshaushalten, ohne Massenentlassungen von Staatsangestellten und deutliche Absenkung des staatlich verwalteten Lebensniveaus der Bevölkerung und, dies vor allem, ohne den davon erwarteten Erfolg, nämlich die „Wiedergewinnung nationaler Wettbewerbsfähigkeit“, sei die Krise bestenfalls vertagt. Deswegen wird ein Aufsichtsregime über die Haushaltsführung kreditierter Euro-Länder etabliert, das die Entscheidungsfreiheit der Regierenden beschränkt, ohne ihre Souveränität förmlich zu suspendieren; der „Fiskalpakt“ sieht passenderweise Geldstrafen für Staaten vor, die ihn brechen...

Für Imperialismus halten Deutschlands Machthaber das, was sie da durchsetzen, selbstverständlich überhaupt nicht; und wer bei diesem Stichwort an Schlachtschiffe, Kolonialkriege, die gewaltsame Unterdrückung fremder Völker oder gleich nur an die Jahrzehnte vor dem 1. Weltkrieg und an Hitler & Stalin denkt, der wird die eigentümliche imperialistische Logik der deutschen Euro-Politik auch nicht verstehen – was nicht zuletzt für die empörten griechischen Patrioten gilt, die auf ihren Demo-Plakaten Merkel als Chefin eines neuen Nazi-Reiches karikieren. Tatsächlich bezweckt die deutsche Euro-Politik nicht mehr und nicht weniger als erfolgreiche Kapitalakkumulation, Wachstum der privaten wie öffentlichen Finanzmacht, „gesunde“ Staatshaushalte und eine starke Währung im gesamten Euro-Raum. Deutschland hält eisern daran fest, dass eine solche Politik von allen Mitgliedsstaaten betrieben werden muss, aus deren eigenen Interessen heraus und im Sinne der Gemeinschaft, also zum allseitigen Vorteil, und dass das im Prinzip auch geht, wenn sich nur die Zuständigen in allen Ländern an ein paar – im Maastricht-Vertrag ohnehin schon vorgegebene – Regeln der wirtschafts- und finanzpolitischen Vernunft halten. Sich selbst betrachtet Deutschland als Musterbeispiel und eindeutigen Beweis für die Vereinbarkeit, ja für die eigentliche Identität von nationalem und gesamteuropäischem Erfolgsstreben, das sich auf kapitalistisches Wachstum und nationale „Wettbewerbsfähigkeit“, deswegen auf niedrige Lohnstückkosten und kostensparende Staatstätigkeit richtet. Dementsprechend sieht die Regierung sich im Recht, nämlich durch die eigene nationale Sache angestachelt und durch das Gemeinwohl der gesamten Euro-Zone legitimiert, wenn sie ihren Partnern eine derartige Politik nicht nur abverlangt, sondern auf dem Wege konditionierter Unterstützung aufnötigt und deren Anstrengungen nach dem Ergebnis, nämlich nach dem Erfolg im Bemühen um eine der deutschen ebenbürtige Finanzmacht beurteilt. Und auf eben diese Weise betreibt die BRD eine ökonomische Indienstnahme ihrer verbündeten Nachbarn für die große Sache europäischer Weltmacht und Weltgeltung, die an der Wirtschaftsweltmacht USA Maß und sich deren modernen Imperialismus der Funktionalisierung eigenverantwortlicher Souveräne bis hin zu deren Zerstörung zum Vorbild nimmt.

Denn das gehört als Erstes zu einem ‚Imperium‘ des 21. Jahrhunderts, dass die Staatsmacht, die mehr als ihr eigenes Volk und Land dem eigenen Regime unterwerfen will, die fremden Souveräne anerkennt und denen die Verantwortung für die Bewirtschaftung ihres Landes und die Nutzbarmachung ihres Volkes überhaupt nicht abnimmt. Umso mehr bemüht ein solcher Staat sich darum, anderen Staaten für die Wahrnehmung ihrer ganz eigenverantwortlichen Herrschaft nicht zu umgehende Bedingungen zu setzen und deren Zustimmung zu diesen Bedingungen zu erlangen. Natürlich hat ein solcher Staat dabei stets die eigenen Bedürfnisse und Potenzen im Sinn, denen er andere Nationen nutzbar machen will: als dienstbare Ressource seiner nationalen Bedürfnisse und als freies Betätigungsfeld der ökonomischen Stärken seiner Nation. Die dafür förderlichen Verhältnisse sollen die Adressaten aber nicht bloß hinnehmen, sondern als Teil oder besser noch als Grundlage ihrer eigenen, selbst verantworteten und durchgesetzten Staatsräson akzeptieren. Deswegen haben imperialistische Ansprüche, um deren Durchsetzung es einem Staat geht, den Charakter supranationaler Regeln, an die sich alle Beteiligten, auch ihr interessierter Urheber, zu halten haben; ihre Durchsetzung geschieht in Form bindender Verträge zwischen gleichberechtigten, gleichermaßen souveränen Parteien. Deren Geltung „in guten wie in schlechten Zeiten“ bedarf freilich einer Schutzmacht, die den Partnern keine Alternative offen lässt. Diese verantwortungsvolle Aufgabe, diesen Dienst am gemeinsam Beschlossenen lässt sich der Staat, der seinen Interessen so weiten Raum verschafft, nicht nehmen: Neben der Verfolgung seiner vertraglich fixierten ökonomischen Interessen eröffnet er Beziehungen der härteren Art zu seinen Partnern.

Als erstes bekommt der kapitalistische Geschäftsverkehr mit den anderen Nationen selber einen zweiten politischen Inhalt: Jeder Nutzen, der denen zugebilligt wird, kommt in den Blick als mögliche Schwachstelle, an der man sie packen kann; alle kommerziellen Beziehungen werden begutachtet und nach Bedarf genutzt als Hebel der Einflussnahme auf die Willensbildung der Partner. Das kapitalistische Geschäft zwischen den Nationen wird in Anschlag gebracht und erweist sich als bestens geeignet für politische Erpressungen. Zwar ist sein Gebrauch als derartiges Gewaltmittel auch für die Macht, die über die Rechtsverhältnisse zu und zwischen den anderen Souveränen wacht, mit Verzicht auf manchen eigenen Nutzen verbunden, womöglich sogar mit Verlusten. Doch das ist der Preis für die verlässliche Ausdehnung der eigenen nationalen Interessensphäre: die Emanzipation der Macht vom Geschäft ist unerlässliche Geschäftsbedingung.

Mit dem Einsatz des grenzüberschreitenden Geschäftsverkehrs – nämlich seinem Abbruch bzw. der Drohung damit – als Zwangsmittel stellt der Staat, der sich für ordentliche Rechtsverhältnisse zwischen den Nationen stark macht, bereits in Rechnung, dass er um des Geschäfts willen auf den souveränen Willen seiner Partner einwirken, also mit ihnen als ihrerseits Recht setzenden Betreuern eines nationalen Geschäftslebens: als Höchsten Gewalten kalkulieren muss. Eben deswegen kann er sich auf die erpresserischen Qualitäten, die dem kapitalistischen Geschäftsverkehr eigen sind, nicht als ultimatives Zwangsmittel verlassen, also nicht beschränken. Er muss damit rechnen, dass Erpressungen mit dem geschäftlichen Nutzen, von dem die Wohlfahrt der Adressaten seiner Ordnungspolitik abhängt, nicht verfangen: sei es, dass ein Partner sich als widerspenstig erweist und die Brechung seines Willens oder zumindest ein ernster Ordnungsruf nötig ist; sei es, dass der in Anspruch genommene Gewaltmonopolist sich als unfähig erweist, die vorgeschriebene politische Agenda in seinem Herrschaftsbereich durchzusetzen, weil er sein Volk nicht komplett unter Kontrolle hat. Für die erforderliche Nachhilfe in dem einen, für den erforderlichen Nachdruck in dem anderen Fall benötigt imperialistische Politik militärische Gewalt: einen Apparat, der sein Maß nicht in der tatsächlichen Gefährdung nationaler Interessen hat, sondern in der Reichweite des Rechts auf Funktionalität und Wohlverhalten anderer Nationen, das der zuständige Staat zu hüten hat. In diesem Punkt hat es mit dem Europa-Imperialismus der BRD eine besondere Bewandtnis.

Kleiner Exkurs zur militärischen Dimension der deutschen EU-Politik

Militärisch stellt Deutschland nicht mehr dar als eine zweitrangige Macht im Bündnis mit den und unter Führung der USA, mit den und neben den europäischen Atommächten Frankreich und Großbritannien. Neben ihrer NATO-Mitgliedschaft arbeitet die BRD zwar auf einen Zusammenschluss militärischer Potenzen der EU-Länder sowie auf mehr gemeinsam konzipierte und praktizierte Außen- und Sicherheitspolitik hin. Sie tut das aber weit weniger entschieden als in der von ihr dominierten Wirtschafts- und Währungsunion und ohne den machtvollen Anspruch, so wie dort Ziele zu definieren, Maßstäbe zu setzen und Richtlinien durchzusetzen. Sie agiert so, als hätte sie für ihren Europa-Imperialismus: für ihre Rolle als durchsetzungsstarke Führungs- und Schutzmacht der Union, die Vergemeinschaftung der nationalen Gewaltapparate, geschweige denn den Rückgriff aufs eigene militärische Potential gar nicht nötig. Dabei sind weder auf dem „alten Kontinent“ militärischer Gewaltbedarf, Bürgerkriegsgefahr und Kriegsbereitschaft ausgestorben, noch sind der BRD die Notwendigkeit gewaltsamer Ordnungsstiftung in kaputten Nachbarländern und die Konkurrenz um die Zuständigkeit dabei fremd: Die Staatsgründungskriege im ehemaligen Jugoslawien hat das soeben „wiedervereinigte“ Deutschland von Beginn an zu seiner Sache gemacht und um die Federführung bei der gewaltsamen Befriedung der Lage gerungen; und dass die Krisenpolitik in den am meisten geschädigten Peripheriestaaten der Union am Ende zu „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ führen und gewaltsam ordnendes Eingreifen erforderlich werden könnte, weil die Erpressung mit ökonomischen Argumenten nicht mehr verfängt, können verantwortungsbewusste Europa-Politiker auch nicht für alle Zeiten ausschließen und hätten im Ernstfall wieder die Kompetenzfrage zu klären. Dennoch: Was die Absicherung ihrer Europa-Politik gegen den Fall flagranter Verstöße gegen die Rechtsordnung der Union oder eines nicht nur ökonomischen Ruins staatlicher Gewalt in einem Mitgliedsland angeht, was die militärische „Dimension“ ihres Europa-Imperialismus überhaupt betrifft, hält die BRD sich in bemerkenswerter Weise zurück. Und das ganz bestimmt nicht deswegen, weil die Inanspruchnahme der Partner für einen von Deutschland definierten und betriebenen weltpolitischen Aufstieg der EU eine harmlose Sache und ohne Beschädigung der souveränen Macht der Bundesgenossen zu haben wäre; und auch nicht nur deshalb, weil die BRD mit dem offenen Anspruch auf eine gesamteuropäische Militärgewalt und einen einheitlichen Oberbefehl darüber das Bündnis mit ziemlicher Sicherheit nicht nur schwer irritieren, sondern zerstören und seine Partner den durchaus bereit stehenden alternativen imperialistischen Paten zutreiben würde. Für die deutsche Politik, sich militärisch der NATO ein- und den USA wenn nicht unter-, so doch eindeutig nachzuordnen, gibt es stichhaltige Gründe; einen mehr negativen und einen positiven.

Effektiv verhindert wird die Schaffung einer gesamteuropäischen Militärmacht, die die Einheit der Union unwidersprechlich absichert und so den deutschen Europa-Imperialismus schützt, durch das militärische Kräfteverhältnis zwischen der BRD und ihren beiden großen westeuropäischen Nachbarn, Siegermächten des 2. Weltkriegs, die in ihren Atomwaffen über die absolute Garantie ihrer nationalen Souveränität verfügen und als ständige Mitglieder des höchsten UN-Gremiums den Status anerkannter Weltordnungsmächte genießen: Der eine, Großbritannien, ist überhaupt nicht zu einer Vergemeinschaftung seiner strategischen und weltpolitischen Ausnahmestellung bereit; der andere ist das durchaus, aber zu seinen eigenen Bedingungen, i.e. als eindeutige militärische Vor- und Führungsmacht Europas; entsprechende Angebote an die deutsche Adresse gibt es immer wieder. So viel Abhängigkeit von einem Partner, mit dem man sich ohnehin permanent um die Federführung bei der polit-ökonomischen Weiterentwicklung der Staatenunion streitet – dies der Inhalt der viel gerühmten „deutsch-französischen Freundschaft“ –, kommt für die BRD aber überhaupt nicht in Frage. Die militärische Kooperation mit dem großen Partner und Rivalen in Sachen Europa-Imperialismus bleibt eine Nebensache; auch nur einen Ansatz zu einem Zusammenschluss, der die Übertragung der militärischen Befehlsgewalt, des „harten Kerns“ staatlicher Autonomie, auf das EU-Kollektiv zum Inhalt hätte und für die Beteiligten die Alternative zwischen Einordnung und Ausschluss auf die Tagesordnung setzen würde, gibt es nicht.

Stattdessen hält Deutschland an der NATO, die die EU-Staaten mit wenigen Ausnahmen umfasst und auf die transatlantische Supermacht als führende Kraft hin orientiert, als dem maßgeblichen Militärbündnis fest; und das aus guten imperialistischen Gründen. Von der Disziplin des „kalten Krieges“ gegen den nicht mehr existenten „Sowjet-Block“, der alternativlos-freiwilligen Unterordnung der kapitalistischen Nationen Europas unter die von den USA aufgemachte und definierte globale Weltkriegskonfrontation, ist ziemlich genau das übrig geblieben und immer noch wirksam, was Deutschland an Sicherheitsgarantien für seinen Europa-Imperialismus braucht: zum einen der Ausschluss jeglicher Option auf militärische Gewalt zwischen den Partnerstaaten, positiv: die bedingungslose Festlegung auf Kapitalismus als Staatsräson und auf die dazu passende Rechtsverbindlichkeit des grenzüberschreitenden Geschäftsverkehrs – also die Voraussetzung für die transnationale Wirksamkeit der erpresserischen Gewalt, die für imperialistische Politiker im kapitalistischen Geschäftsverkehr steckt; zum andern eine Bestandsgarantie für eine in diesem Sinn taugliche Höchste Gewalt in jedem Mitgliedsland, die wirksame Ermächtigung der jeweiligen politischen Herrschaft zur Durchsetzung von „Recht & Ordnung“.[4] Beides ist mehr oder weniger förmlich geregelt und bleibt praktisch gewährleistet durch den etablierten Supranationalismus der europäisch-nordamerikanischen Militärallianz, also auf einer Ebene, die dem Streit und Einigungszwang innerhalb der EU entzogen ist: eine Ordnungsleistung, auf die Deutschland sich für seine Europa-Politik verlassen kann, ohne sie in Auseinandersetzung mit seinen Unionspartnern erzwingen zu müssen. So erspart – ausgerechnet – die von den USA herbeigeführte und aufrecht erhaltene Regelung der Gewaltverhältnisse in Europa der BRD den heiklen und weder mit noch gegen Frankreich und Großbritannien realisierbaren Auftritt als Organisator eines Sicherheitssystems für den Aufstieg der EU zum ökonomischen und in der Perspektive auch weltpolitischen Rivalen Amerikas. Die fortwirkende Bündnisdisziplin schärft die Waffen der kapitalistischen Konkurrenz, mit denen Deutschland seine Partner ökonomisch ausnutzt, zu brauchbaren Instrumenten politischer Erpressung; der NATO-Frieden befähigt die Nation dazu, ihre ökonomische Übermacht politisch auszureizen und als hinreichendes Gewaltmittel für die Formierung der Union und die Durchsetzung einer gesamteuropäischen Staatsräson einzusetzen.[5] Freilich reproduziert diese Politik zugleich die Abhängigkeit des deutschen Europa-Imperialismus von dem mächtigen Partner USA, von dessen Vormacht die ambitionierten Europäer sich mit ihrem Unions-Projekt gerade frei machen wollen. Doch den Widerspruch nimmt die BRD bis auf weiteres in Kauf.

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An Deutschlands aktueller Euro-Krisenpolitik zeigt sich, wie weit es die BRD als europäische Führungsmacht gebracht hat. Es ist ihr gelungen, die Partner auf die Freisetzung kapitalistischer Konkurrenz festzulegen und darüber in Abhängigkeiten, u.a. vom wesentlich durch Deutschland garantierten Kredit, zu verstricken, die sehr einseitig der BRD nützen, deren Kündigung aber für die Partner weit eher als für die BRD selber ernsthaft die ökonomische Überlebensfrage aufwerfen würde. Mit dem Euro, seiner Krise und deren politisch verwalteten Folgen sind diese Abhängigkeiten so weit gediehen, dass nun allerdings nicht bloß deren Kündigung, sondern auch ihre Fortführung das ökonomische Überleben einiger Partner gefährdet und deren Souveränität untergräbt – auch Deutschlands ganz ziviler Imperialismus erweist sich in der Konsequenz als ruinös für etliche der Nationen, die ihre Funktionalisierung für einen von der BRD dominierten Binnenmarkt zur Leitlinie ihrer Wirtschaftspolitik machen, und als Infragestellung ihrer Autonomie. Auf der anderen Seite lässt sich eben deswegen die erste Prämisse des modernen Imperialismus – die Eigenverantwortlichkeit der in Dienst genommenen Souveräne für die Funktionstüchtigkeit ihrer Nation oder, von der anderen Seite her ausgedrückt, die Verantwortungslosigkeit der bestimmenden Macht in Fragen des ökonomischen Durchhaltens und Überlebens ihrer „Vasallen“ – nicht mehr aufrechterhalten. Mit seinem Supranationalismus des Geldes ist Deutschland so weit gegangen, dass es sich den Überlebensnöten seiner Partner und einer Beteiligung an den Folgekosten ihrer ruinösen Inanspruchnahme fürs deutsche Interesse nicht mehr entziehen kann. So weit geht die deutsche Politik andererseits nicht und will sie auch gar nicht gehen, dass sie die Vereinigung der Euro-Länder unter einer einzigen gemeinsamen Souveränität anstrebt, die alle Partner als Teile ein und desselben politischen Gebildes bewirtschaften und die Konkurrenz der souveränen Nationen in eine Rivalität zentral regierter Regionen auflösen würde. Was die BRD betreibt, ist eben nicht eine Eroberung nach dem Muster der – unkriegerischen und dennoch äußerst kostspieligen – Annexion der DDR, sondern ein auf freiwilliges Einvernehmen gegründeter Imperialismus mit seinem Widerspruch: das Regime über funktionstüchtige, für sich selbst verantwortliche, aus Eigennutz brauchbare Konkurrenten.

Dieses Projekt haben die deutschen Euro-Politiker mit ihren Erfolgen an seine Grenzen geführt – bis dahin, dass die ersten Randstaaten des europäischen Wirtschaftsimperiums daran scheitern. Der deutsche Umgang mit dieser Lage, das Hin und Her zwischen Erpressung und Hilfe, zeugt von dem festen Willen der BRD, sich durch diese Grenzen in ihrer Politik nicht beirren zu lassen. Zum Einsatz bringt sie die schon öfter in ähnlichen Grenzsituationen erprobte Technik, den zum Dilemma geratenen Widerspruch zwischen Funktionalisierung und Anerkennung, Ruinierung und Rettung der Souveränität ihrer Partner auf technische Fragen herunterzubrechen, die einem Kompromiss zugänglich sind. So lässt sich über die Organisationsstruktur des ESM, die Verfassung der beschlossenen Bankenaufsicht, die Stimmrechte im EZB-Rat, die Modalitäten bei der Kontrolle der Einhaltung des Fiskalpakts und ähnliches ausgiebig streiten und mancher Konsens erzielen, der mal mehr den Standpunkt nationaler Konkurrenz bestätigt, mal mehr den Willen zu einem supranationalen Aufsichtsregime widerspiegelt. Deutsche Imperialisten jedenfalls können mit so was leben. Aktuell bietet sich ihnen mit der Zypern-Krise zudem ein Nebenschauplatz im Kampf um die Euro-Rettung, hinter dessen auffälligen Besonderheiten – alles überschattend der Vorwurf der „Geldwäsche“ durch einen Bankensektor, an dessen heftig skandalisierter Übergröße bis neulich keiner der seriösen Euro-Verwalter Anstoß genommen hat: schließlich ist auch auf dem Weg Geldkapital in den Euro-Raum geflossen! – glatt verschwindet, dass es natürlich schon wieder um dasselbe geht: um den unaufgelösten Widerspruch, den Deutschland auch um keinen Preis auflösen will, zwischen der Funktionalisierung fremder Länder und der Übernahme finanzieller Verantwortung für ihr Überleben, zwischen Ruin ihrer Souveränität und Rettung um den Preis ihrer Unterordnung.

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Auf die Europa-Politik ihrer Regierung macht die deutsche Öffentlichkeit sich manchen kritischen Vers; für die Exekution einer Staatsräson, die etwas mit Imperialismus zu tun haben könnte, hält sie deren Treiben nicht. Wenn die Chefin sich erklärtermaßen abmüht, ihre teils unfähigen, teils widerspenstigen, teils aber auch ganz vernünftig kooperativen Partner in deren eigenem wie im gesamteuropäischen und durchaus auch im deutschen Interesse auf marktwirtschaftlich gutes Regieren festzulegen, dann versteht das Publikum die deutsche Europa-Politik, nämlich als eine Art Ordnungsstiftung, die ein gefährliches Maß an nationaler Selbstlosigkeit aufweist, das aber durch den nationalen Nutzen doch gerechtfertigt sein dürfte. Und wenn die Staatsführung dazu übergeht, höchste Werte – Frieden! – und die Gefahren einer Welt voller unberechenbarer Riesen – China! – zu beschwören, um die Wichtigkeit der europäischen Einigung einsichtig zu machen, dann sorgt sie sich offenbar um eine öffentliche Meinung, die aus lauter Nationalismus die imperialistische Perspektive der Nation, die unerlässliche Notwendigkeit einer substanziellen Vergrößerung ihrer Macht aus dem Auge verlieren und für einen Abbruch des europäischen „Experiments“ wegen unvertretbar hoher Kosten plädieren könnte. In diesem Sinne korrigiert, spiegelt die nationale Mehrheitsmeinung gar nicht schlecht Drangsal und Logik des bundesdeutschen Euro-Imperialismus wider, dessen nationale Rechnungen mit den Partnern gar nicht mehr ordentlich aufgehen, der aber keine Alternative hat. Nationalistische Aversion gegen unentbehrliche Partner, ein übergriffiges nationalistisches Interesse an verachteten Nachbarn, alles eingepackt in ein dickes Fell nationaler Unschuld in internationalen Fragen: So funktioniert derzeit das aufgeklärte imperialistische Bewusstsein deutscher Nation.

[1] Natürlich stellen Warenexporteure und Wirtschaftspolitiker immer auch die umgekehrte Rechnung an, dass eine „schwache“ Währung die Vermarktung heimischer Produkte auf dem Weltmarkt erleichtert und das Land mehr verdienen lässt. Insgesamt, auf die Nation bezogen, gibt die Logik einer solchen Kalkulation aber nicht mehr her als die Minderung eines Nachteils. Wenn Staaten tatsächlich eine Abwertung ihrer Währung aktiv betreiben, um die Absatzchancen ihrer Industrie auf dem Weltmarkt zu verbessern, dann haben sie schon mit einer ziemlich desolaten Lage zu kämpfen. Und wenn es so weit kommt, dass Weltwirtschaftsmächte ihren internationalen Preiskampf mit dem Mittel eines „Abwertungswettlaufs“ führen, dann stecken sie in einer Krise, in der es ihnen allen mehr um die Minderung per Abwälzung von Verlusten geht als um Anteile am Wachstum. Die Gründung des Euro jedenfalls war, auch von Seiten der „Schwachwährungsländer“, keine Krisenpolitik, sondern ein großes Wachstumsprogramm.

[2] Die nationalen Notenbanken bleiben bestehen, sind nach wie vor für Kredite an ihre nationalen Geschäftsbanken nach Maßgabe des hoheitlich definierten und privat geltend gemachten Geldbedarfs der Nation zuständig, handeln aber nach einheitlichen Regeln, die unter Leitung ihrer gemeinsamen Zentrale in Frankfurt festgelegt werden. Dieses Zentralbank-System ist per Statut auf Geldwertstabilität als allein maßgebliches Ziel seiner Geldschöpfungs- und Kreditvergabe-Politik festgelegt.

[3] Wo dieser Ausgleich mal nicht ganz klappt, hilft das EZB-System aus: Der Netto-Transfer von Euros aus einem Euro-Land in ein anderes funktioniert – in Gestalt der seit einiger Zeit berühmt gewordenen Target-Salden – ganz geräuscharm in der Weise, dass eine nationale Notenbank Gelder, die für die Finanzierung von Importen, Zinsen oder anderen Rechnungen aus dem Euro-Ausland benötigt und nicht von ausländischen Kreditgebern verfügbar gemacht werden, auf dem üblichen Weg der Kreditvergabe an ihre Geschäftsbanken schöpft, damit die fälligen Überweisungen bewerkstelligt und sich diese Überweisungen als Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Gesamtsystem anschreiben lässt; die entsprechenden Überschüsse anderer Euro-Staaten werden deren Notenbanken in der EZB-Bilanz als Zahlungsforderungen ans Gesamtsystem gutgeschrieben. Forderungen und Verbindlichkeiten werden ganz regulär als Kredite – zum Satz für Ausleihungen der Notenbanken – verzinst, können darüber also quasi von selbst zunehmen, bleiben aber ansonsten ganz unschuldig in den Büchern der EZB stehen: sie müssen nicht ausgeglichen werden, weil sie tatsächlich nur als Ausnahmen von der Regel eines Zahlungsbilanzausgleichs durch private Geschäftstätigkeit gedacht sind.

[4] Die gewaltsame Zerlegung Jugoslawiens in politisch handhabbare Kleinstaaten ist eine exemplarische praktische Bewährungsprobe für den Gewaltvorbehalt und die Ermächtigung kooperativer Regierungen, also für die militärische Sicherheit, die die BRD im Extremfall für ihre Europa-Politik braucht. Dass das Ergebnis in einer chaotischen Mischung aus Konkurrenz und Kooperation der EU, der NATO und der UN zustande gekommen ist, schadet den deutschen Belangen nicht.

[5] In diesem schmarotzerhaften Verhältnis zur Militärallianz der Europäer mit den USA liegt der wesentliche Unterschied und die relative Stärke des deutschen Europa-Imperialismus im Vergleich mit den keineswegs geringeren imperialistischen Ambitionen der französischen Europa-Politik. Natürlich bedarf auch Deutschland für das Projekt einer europäischen Weltmacht des Kapitals einer „Lösung“ der innereuropäischen Gewaltfrage; aber die sieht es im Bündnis mit der Supermacht jenseits des Atlantik bei allem Anti-Amerikanismus des Europa-Projekts nicht bloß besser aufgehoben: Vor allem sieht die BRD sich der Notwendigkeit enthoben, dem innereuropäischen Hauptrivalen den sicherheitspolitischen Vorrang zuzugestehen, der Frankreich als Atommacht zukäme. Den immer wieder als Angebot vorgetragenen französischen Anspruch auf die Rolle des Garanten der strategischen Autonomie Europas lässt die deutsche Politik gewissermaßen ins Leere laufen; stattdessen setzt sie die Bedingungen für den Zusammenhalt Europas als neue Supermacht – und auch für Frankreichs Selbstbehauptung als Großmacht – des Weltkapitalismus.