Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Anleitung zum rechten Verständnis des Pauperismus:
Der Armutsbericht: „Viel Lärm um nichts“
In Frankfurt a. M. bei den Redakteuren, die das korrekte Weltbild der Stützen der Gesellschaft betreuen, wie in Zürich, wo sie dasselbe supranational machen, ist man genervt von der Debatte anlässlich der Veröffentlichung des dritten Armuts- und Reichtumsberichtes der Bundesregierung: In der Öffentlichkeit und auch von Politikern wird nämlich unverständlicherweise „großes Aufheben um die neue Armutsstatistik der Regierung“ gemacht; „Skandalisierer“ erzeugen den schiefen „Eindruck, Armut sei im heutigen Deutschland weit verbreitet“, wodurch das „Zerrbild eines verarmten Landes“ entsteht.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Anleitung zum rechten Verständnis des Pauperismus: Der Armutsbericht: „Viel Lärm um nichts“
In Frankfurt a.M. bei den Redakteuren, die das korrekte
Weltbild der Stützen der Gesellschaft betreuen, wie in
Zürich, wo sie dasselbe supranational machen, ist man
genervt von der Debatte anlässlich der Veröffentlichung
des dritten Armuts- und Reichtumsberichtes der
Bundesregierung: In der Öffentlichkeit und auch von
Politikern wird nämlich unverständlicherweise großes
Aufheben um die neue Armutsstatistik der Regierung
gemacht; Skandalisierer
erzeugen den schiefen
Eindruck, Armut sei im heutigen Deutschland weit
verbreitet
, wodurch das Zerrbild eines verarmten
Landes
entsteht. Von abseitigen Ideen zur
Armutsabschaffung
wollen die verantwortungsvollen
Journalisten erfahren haben und Abscheu über das
Versagen des Wohlfahrtsstaates
soll sich im Volk
breit machen. Miesmacher beherrschen die besseren
Stammtische in der Nation, so dass Deutschland sich
arm redet
und mit seiner eigenartigen Lust der
Selbstkritik zu frönen
sich selber ein schlechtes
Zeugnis ausstellt. Das kann man bei FAZ und NZZ nicht
leiden. So führen die beiden Zeitungen (alle folgenden
Zitate vom 20.5. und FAS, 25.5.) vor, wie Armut in
Deutschland richtig zu verstehen ist. Garantiert ohne
polemischen Unterton, jenseits aller verzerrenden
Sozialanklage und ganz und gar ohne irgendeinen
nationalen Selbstvorwurf.
Armut – nichts Neues
Die massenhafte Armut in Deutschland einfach zu leugnen,
so naiv ist man in Zürich und Frankfurt nicht. Zwar
krittelt man ein bisschen an der fragwürdigen
Definition
von Armut herum, die dem Bericht „zugrunde
liegt“, und hätte gern eine andere Messlatte, ab welchem
Ausmaß an Mangel das schlimme Wort „Armut“ überhaupt
angebracht ist; aber man mag nicht dementieren, dass die
üblichen Verdächtigen – Langzeitarbeitslose,
Geringqualifizierte und Kinder von Eltern ohne Job
–
wieder ein paar mehr und die Reichen wieder mal nicht
weniger, nicht ärmer geworden sind: Jeder achte
Deutsche ist von Armut bedroht, die Schere zwischen Arm
und Reich hat sich weiter geöffnet
. Unerfindlich ist
den Redakteuren allerdings, warum davon so ein großes
Aufhebens
gemacht wird, wo das alles doch ein alter
Hut und die Ausführung des Berichts, dass die
Einkommensverteilung ungleicher geworden ist, längst
bekannt ist
. Ja, wenn die Zahl der Armen schlagartig
in die Höhe geschnellt wäre, hätte man sich bei FAZ und
NZZ glatt andere Argumente gegen die Skandalisierung
einfallen lassen müssen. Aber wenn es sich bloß um die
ganz normal ansteigende und altbekannte Armut handelt,
winkt man an Main und Limmat gelangweilt ab und ermahnt
die Nation, sie solle sich wegen so einer drögen
Pauperstatistik mal nicht so aufführen!
Armut sozialstaatlich betreut – fast nicht mehr vorhanden
Denn genau genommen gibt es die Armut nicht mehr, wenn
man sie nur dialektisch mit ihrer Bekämpfung
zusammendenkt, was dann so gestanzte Sätze ergibt wie:
Der deutsche Sozialstaat reduziert durch seine
ausgiebige Umverteilung das Armutsrisiko wirksam
. Wo
man „ausgiebige“ Bekämpfung der Armut entdeckt, da ist
die zu bekämpfende Armut selbst freilich ziemlich aus dem
Blick der Redaktion verschwunden. Wo sie ansonsten einen
jeden Euro, der fürs Soziale „umverteilt“ wird, für einen
Euro zu viel halten, loben die Zeitungsleute aus
Frankfurt und Zürich die gezahlte Armutsstütze als
Beweis des humanisierenden Sozialstaates
. Wenn die
armen Schlucker hierzulande nicht einfach ihrem
einkommenslosen Schicksal und der Mildtätigkeit der
Straße überlassen werden, dann kann man erstens nicht
mehr von Armut, sondern bestenfalls von einem
„reduzierten Armutsrisiko“ sprechen und dann ist zweitens
deswegen doch wohl ein gesunder nationaler Stolz auf
die egalisierende Verteilungswirkung des Abgaben- und
Steuersystems
angebracht. Bei FAZ und NZZ ist man es
leid, dass Armut mit Versagen des Sozialstaates
assoziiert wird, statt Zufriedenheit mit dem
gleichmacherischen (diesmal kein Schimpfwort bei den
beiden Zeitungen!) eigenen Gemeinwesen empfinden zu
dürfen. Und eben diese affirmative Übereinstimmung und
Zufriedenheit mit der Nation vermissen diese Zeitungen
schwer in der öffentlichen Armutsdebatte, bei all den
Skandalisierern
und Gutmenschen
, die mit
„Deutschland ist ein reiches Land“ anfangen und bei der
Armut als Schande für Deutschland landen.
Armut – viele Unterschiede ergeben ganz wenig Armut
Auch bei der Restarmut, also dem, was noch überbleibt,
wenn der Sozialstaat die Armut wegbetreut hat, schauen
FAZ und NZZ genau hin. Da „ist der Armutsbericht
durchaus informativ. Man muss ihn nur lesen.“
Erstens lässt sich herauslesen, dass der Kapitalismus
nicht immer gleich viele Arme produziert. Die Daten
über die Verteilung von Einkommen und Armutsrisiken geben
den Stand von 2005 wieder, in dem die Konjunktur schlecht
lief
. Damit wird der jüngste Wirtschaftsaufschwung
und seine wohltätige Wirkung auf den Arbeitsmarkt
ausgeblendet
. Wenn es mal viel, mal weniger Armut
gibt, kann man dann von der Armut überhaupt
sprechen!? Schon gleich, wenn es zweitens von den
diversen Armen nicht immer gleich viele gibt? Das
Armutsrisiko für Ältere ist aktuell berechnet worden. Es
ist gering. Ende 2006 haben nur 2,3 Prozent der Alten
Grundsicherung bezogen. Die Wahrscheinlichkeit, auf arme
Kinder zu treffen, ist viel größer als die, armen
Rentnern zu begegnen
. Wie schön für diese Kinder, auf
einen Vertreter der Besserverdienenden zu treffen, der
sie genau zählt! Drittens gibt es bei den Nachbarn in
unserem schönen Europa meist ganz schön viel mehr Arme,
wodurch die unseren gleich viel weniger sind: Im
europäischen Vergleich haben wir immer noch eine
unterdurchschnittliche Zahl armer Menschen
. Das
leistet die differenzierende Betrachtung. Man entdeckt
lauter Differenzen und keine Armut mehr. So wird aus der
Kinderarmut eine Kinderarmut und die
Besichtigung des Konjunkturverlaufs des
Pauperismus wie die unterschiedliche Größe der
Armutsgruppen lassen die Armut, um die es geht, im
Hintergrund verschwinden.
Armut – von Skandalisierern erfunden und missbraucht
Was sind das schließlich für Figuren, die nach dem
zynischen Motto Wie gut, dass es die Armen gibt
unanständigerweise aus den Armen Kapital schlagen
und sich in Bekämpfungsrhetorik
ergehen, wo es
doch gar nichts zu bekämpfen gibt? Armut – das ist eine
Erfindung von berechnenden Gutmenschen, die ihre
persönliche Profilierung im politischen
Dauerwahlkampf
betreiben. Was man in Zürich und
Frankfurt sonst so schätzt an Polittypen, dass sie sich
vor dem Volk als Werteträger aufplustern, aktuelle Themen
berechnend aufgreifen und einsetzen, und das alles, um
sich andauernd zu profilieren, das schlägt bei diesem
Thema gegen sie aus. Besonders empörend finden FAZ und
NZZ, dass außer den Rattenfängern von der Linken und der
ja auch zum Kommunismus neigenden SPD auch die eigentlich
grundanständigen Verantwortungsträger bei den
Christlichen von abseitigem Gedankengut infiziert sind:
Dieses Mal will sich auch die Union nicht lumpen
lassen. Ein höheres Kindergeld soll es bald geben, und
Geringverdiener sollen von der Steuer entlastet
werden
. Selbst die Stellvertreter Christi auf Erden,
die doch für ihren Dienst des organisierten Abspeisens
der Armen – mit großzügigem Trost wie mit bescheidenen
Hungerküchen – ihren festen Stellenwert wie ihre
Wertschätzung haben, sind von allen Heiligen Geistern
verlassen. Statt ihren Dienst für die Armutsbetreuung –
wie von FAZ und NZZ geschätzt – abzuliefern, erdreistet
sich die Kirche glatt umgekehrt die Armutsbetreuung für
sich auszuschlachten. Sogar der neue Vorsitzende der
katholischen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof
Robert Zollitsch, erlaubt sich, den Armutsbericht für
kirchliche Zwecke auszubeuten.
Und wenn diese
Herumnörgler am Sozialstaat mit ihren
reflexartigen
Vorschlägen von Maßnahmen zur
Bekämpfung der Armut
auch noch praktisch werden
wollen und noch mehr Umverteilung und staatliche
Regulierung fordern
(Man
erinnere sich: Oben war die „Umverteilung“ noch ein
Beweis für den humanisierenden
Sozialstaat
!), dann machen sie die Lage der
Armen nicht besser, sondern nur schlimmer. Denn von
Umverteilung
haben die wirklich Armen
nichts
, stattdessen wird erst richtig Armut gesät,
wenn man die Hungerleider reicher machen will, denn
dadurch wird Arbeit vernichtet und potenzielle Armut
gesät
.
*
So kann man die Armut also auch abhandeln: Man schaut
gleich gar nicht auf sie, sondern befasst sich damit, ob
die besseren Stände, die die Nation ordentlich zu führen
und den nationalen Geist in die richtigen Bahnen zu
lenken haben, die Armut auch richtig sehen,
deuten, also zu ihr die gewünschte
Einstellung haben. Und wenn man in Frankfurt und
Zürich feststellen muss, dass die wirklichen wie ideellen
Verantwortungsträger in Deutschland diese sensible
Thematik so unsachgemäß behandeln, dass beim Volk der
Eindruck entstehen könnte, irgendwas sei da versäumt
worden, am Schluss habe gar der (Sozial)Staat versagt,
dann schrillen bei den Praeceptores Germaniae die
nationalen Alarmglocken. Ums Gemeinwohl besorgt
präsentieren die klugen Köpfe hinter den beiden Zeitungen
ihren eigenen eigenwilligen Beitrag zur öffentlichen
Auseinandersetzung über die Armutsstatistik. Mit der
rhetorischen Frage Ist es eigentlich gänzlich
undenkbar, dass es Armut und Elend gibt, ohne dass jemand
versagt hat?
liefern FAZ und NZZ zum einen für die
Armut im Land eine methodische, pauschale
Rechtfertigung: Eine ordentliche Portion „Armut und
Elend“ gehört nun mal zu einer freiheitlichen Republik
als fester Bestandteil dazu, so dass Fragen nach
Verursachern und Ursachen sich erledigen; zum zweiten
stellt man damit den Antrag auf Schluss der
Armutsdebatte wegen Themaverfehlung, weil die
anspruchsvollen deutschen wie schweizerischen
Journalisten einen knackigen kapitalistischen Pauperismus
im sozialstaatlich organisierten Deutschland beim besten
Willen nicht entdecken können; drittens verschafft man in
Frankfurt und Zürich damit den nationalen
Armutsverwaltern, die das Elend regieren und
betreuen, einen pauschalen Freispruch. Denn wenn es Armut
gibt, ohne dass jemand versagt hat
, dann brauchen
und sollen sich die politisch Verantwortlichen den Schuh
auch nicht anziehen, sie wären irgendwie für irgendwas da
haftbar zu machen.
So endet die Politikerschelte von FAZ und NZZ in der
Aufforderung an die „Skandalisierer“, sie sollten
selbstbewusst das gänzlich Undenkbare
denken und
sich den Stolz auf die Nation nicht madig machen lassen
von ein paar quasi naturgegebenen Habenichtsen.
Anhang: Anmerkungen zum Inhalt des Armutsberichtes
Der öffentliche Aufruf von FAZ und NZZ, sich durch die ‚skandalöse‘ Armutsberichterstattung den Stolz auf Deutschland nicht verleiden zu lassen, lässt offen, warum das zuständige Bundesarbeitsministerium eigentlich im regelmäßigen Abstand mit großem Aufwand die ‚Lebenslagen‘ der Menschen in Deutschland untersuchen lässt. Denn dem zuständigen Minister geht es sicher nicht darum, seine Nation schlecht zu machen, wenn er gut bezahlte Wissenschaftler damit beauftragt, unter Gebrauch ihres geballten statistischen und soziologischen Sachverstandes auf 370 Seiten eine nüchterne Bilanz über die Wirkungen der politischen Reformvorhaben seit 1998 auf die verschiedensten Teile des Volkskörpers abzuliefern.
Der Staat will die Auswirkungen seiner Reformgesetze erfassen, weil er sie nicht kennt: Er definiert die Bedingungen für das (Über-)Leben in der freien Marktwirtschaft ständig neu und lässt auch keinen Zweifel über die politische Absicht und die vorgesehenen Wirkungen seiner Reformwerke. Doch wie viel verdienen seine Bürger nun wirklich nach 10 Jahren Arbeitsmarktreform? Wie viel Schulden haben sie gemacht? Wie gesund sind sie? Wie wohnen sie? Wer geht auf welche Schule? Usw. Die Veränderungen in der materiellen Lage der Leute interessieren den Staat im Hinblick auf das Funktionieren seines Ladens; nämlich die Funktionstüchtigkeit seiner Bürger, denen er in bester Absicht ein Plus an Verelendung zumutet: Können die notorisch Armen ihre staatsbürgerlichen Pflichten noch erfüllen? Gehen sie noch zur Wahl, nehmen sie noch am ‚gesellschaftlichen‘ Leben teil? Gibt es ein wachsendes Ordnungsproblem? Wird mangelnde Gesundheit zum ‚Einkommenshindernis‘? Erfüllt die Familie ihren Zeugungs-, Bildungs- und Erziehungsauftrag auch in wachsender Armut? Wie steht es überhaupt mit der Loyalität?
Antworten braucht die Regierung, um sich sicher zu sein,
dass sie mit ihrer Sozialpolitik Herr der Lage bleibt,
das Volk im Griff behält und Entgleisungen im Volkskörper
rechtzeitig korrigieren kann. Betrachtet man nun die
Ergebnisse und Schlussfolgerungen des aktuellen
Berichtes, dann ist auch hier weit und breit keine Spur
von Skandal erkennbar. Im Gegenteil, im großen und Ganzen
stellen die Gutachter ihrem Auftraggeber ein großes Lob
aus. Die Teilhabe an der Demokratie lässt zwar zu
wünschen übrig, Frauen, Menschen mit
Migrationshintergrund und Behinderte haben es tendenziell
immer noch schwerer, dafür schneiden die Rentner etwas
besser ab. Insgesamt ist die Bilanz sehr positiv, denn
der reformierte Sozialstaat funktioniert als ‚Anreiz‘ für
mehr Beschäftigung immer besser und die ‚Maßnahmen der
Bundesregierung‘ sind schon deshalb allesamt zu begrüßen,
weil seit der Agenda 2010 wieder mehr Wachstum im Land
gemessen werden kann. Denn – das steht vor und jenseits
aller empirischen Untersuchung fest – bestes Mittel gegen
Armut ist und bleibt nun mal Wachstum. Die
Wissenschaftler liefern aber gleich ein großes ‚Aber‘
hinter her: Die Politik ist zwar auf einem guten Weg,
aber immer noch nicht am Ende ihrer Reformanstrengungen.
Beweis: Es gibt ja immer noch die vielen Arbeitslosen und
Armen. Also: Bloß nicht nachlassen mit den
Reformbemühungen! Und das nicht nur in Sachen
Elendsverwaltung. Am anderen der Ende Einkommensskala ist
auch etwas für die soziale Gerechtigkeit zu tun, z. B.
mit einer Steuerreform. Dadurch etwa besteht für
Spitzenverdiener nicht mehr die Möglichkeit, sich durch
Steuersparmodelle arm zu rechnen. Einkommensmillionäre,
die keine Steuern zahlen, kommen praktisch nicht mehr
vor.
(Maßnahmen zur
Einkommensverbesserung, S. 202). Das kostet
nichts, nützt dem Fiskus und lässt die Armen der Republik
so richtig durchatmen.