Winkelzüge der deutschen Iran-Politik
Vom „kritischen Dialog“ zur „kritischen Einwirkung“
Mit der Verurteilung im „Mykonos-Prozess“ distanziert sich Deutschland offiziell vom „staatsterroristischen“ Iran.Es will damit den Unmut der USA über das Unterlaufen des von Amerika ausgerufenen Iran-Boykotts besänftigen, ohne tatsächlich seine Beziehungen zum Iran aufzugeben, mit denen es unter dem Namen „kritischer Dialog“ gegen die USA um Geschäft und politischen Einfluss im Nahen Osten konkurriert. Der Iran weist diesen Anspruch auf Vormundschaft zurück und zeigt damit, dass er auf gute Beziehungen zu Deutschland nicht angewiesen ist – ein Affront, den sich die hiesige Regierung mit ihrem gewachsenen imperialistischen Selbstbewusstsein nicht bieten lassen will.
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Winkelzüge der deutschen
Iran-Politik
Vom „kritischen Dialog“ zur
„kritischen Einwirkung“
Das Urteil des Berliner Kammergerichts im sogenannten „Mykonos-Prozeß“ hat aus einer mafia-ähnlichen Erschießungsaktion in einem griechischen Restaurant eine deutsch-iranische Affaire von besonderer Schärfe gemacht: Das Gericht hat nämlich nicht nur Mörder überführt und verurteilt, es hat zwecks Würdigung der „Schwere ihres Tatbeitrages“ sowie ihrer „niedrigen Beweggründe“ den „geheimdienstlichen Hintergrund“ der Tat ausgeleuchtet und die Befehlskette bis ins innerste Zentrum der iranischen Macht zurückverfolgt. Die Führer des islamischen Staates werden bezichtigt, Mord in Auftrag gegeben zu haben. Der Inhalt dieses Urteils und seine Beweismittel, die Art, wie es allgemein begrüßt und kommentiert wird, aber auch die Forderung nach politischen Konsequenzen, die daraus abgeleitet wird, widerlegen die diplomatische Lüge von der Unabhängigkeit der Justiz von der Politik wie auch die umgekehrte von einer Unabhängigkeit der Politik gegenüber den Ratschlüssen der Gerichte.[1]
Jetzt ist es amtlich: Der Handelspartner ist Staatsterrorist
Das Ausland, das deutsche Parlament und die Öffentlichkeit hatten jedenfalls keine Schwierigkeit, das Urteil als eine offizielle Haltungsänderung Deutschlands gegenüber Iran zu erkennen. Die USA begrüßen sogleich den lange angemahnten deutschen Sinneswandel und fordern weitergehende Konsequenzen. Daheim lobt die Öffentlichkeit den Mut der Richter, die sich endlich über kleinliche Kalkulationen der Außen- und Wirtschaftspolitiker hinweggesetzt und im Unterschied zu diesen das Rückgrat gezeigt hätten, das „uns“ ansteht. Quer durch alle Fraktionen danken die der Feigheit bezichtigten Politiker den prinzipienfesten Richtern und bekennen sich zu dem Stück Außenpolitik, das ein Prozeß gegen Funktionsträger anderer Staaten allemal ist – schon gleich, wenn der Staatsspitze höchstpersönlich Mord zur Last gelegt wird. Die Richter, so sieht es aus, hätten anstelle der dazu unfähigen Politik die falsche Duldsamkeit Deutschlands gegenüber den Mullahs offiziell korrigiert. Daß es ganz so nun auch wieder nicht ist, wird freilich auch nicht verschwiegen: Die Zeitungen berichten von dem Paragraphen der Strafprozeßordnung, der Verfahren, die auswärtige Interessen der Nation schädigen könnten, unter politischen Vorbehalt stellt, und zeichnen akribisch das – teilweise gegeneinander gerichtete – Ringen der diversen deutschen Ämter um Einflußnahme auf den Prozeß nach: das Außenamt, die Geheimdienste, das Justizministerium, der Generalbundesanwalt, das Kanzleramt. Die Exekutive hat den Prozeß, den sie jederzeit hätte verhindern können, gewollt, und die Geheimdienste haben durch das von ihnen beigesteuerte und verbürgte Beweismaterial erst die Verbindung von den Mördern zu ihren Auftraggebern an der Staatsspitze hergestellt. Die Übergriffe des Iran auf deutschem Boden sind die eine Sache; was Deutschland aus dem Vorfall macht, ist die andere, nämlich ein politischer Beschluß zur Neudefinition des zwischenstaatlichen Verhältnisses.
Es mag schon sein, daß Staaten sich stets angegriffen sehen, wenn auf ihrem Territorium andere Mächte ohne Erlaubnis Verbrecher verhaften und Staatsfeinde verfolgen. Das darf innerhalb seiner Grenzen nämlich nur der Staat selbst! Solche Übergriffe sind eine Verletzung zwischenstaatlichen Rechts und ein Angriff auf die Verkehrsgrundlage zweier Souveräne – und sie kommen laufend vor. Es ist für eine höchste Gewalt nämlich eine schwer erträgliche Ohnmacht, untätig mit ansehen zu müssen, daß Staatsfeinde ihr Zersetzungswerk ungehindert betreiben können, bloß weil sie sich hinter irgendeine Landesgrenze zurückgezogen haben. Jeder Staat verfolgt seine Feinde – mit und ohne Genehmigung des „Gastlandes“ – auch auswärts, zumal deren Aufnahme dort, das Asyl, das sie genießen, selbst schon eine Einwirkung auf seine inneren Verhältnisse und eine Bestreitung der Unangefochtenheit seiner Macht ist.[2] Endlos ist deshalb die Liste der unautorisierten Gewaltausübung auf dem Hoheitsgebiet fremder Mächte: Die CIA hat ca. 10 dokumentierte Anschläge auf das Leben von Fidel Castro verübt, die USA haben den panamesischen Staatschef in seiner Hauptstadt mittels einer kleineren Kriegsaktion verhaftet und verfolgen Verbrecher gegen ihre Drogengesetze in südamerikanischen Ländern gleich mit eigenen Truppen. Israels Geheimdienst hat zahllose palästinensische Politiker im Ausland ermordet, und das zivilisierte Frankreich hat in einem neuseeländischen Hafen ein Greenpeaceschiff samt Wachen in die Luft gejagt. Das alles sind Fälle von „Staatsterrorismus“. Wenn sie auch offiziell so genannt werden, liegt eine weitreichende Feindschaftserklärung vor.
Ob es aber so weit kommt, ob die staatlichen Auftraggeber von Anschlägen zu Outlaws der Weltordnung und für eigentlich nicht mehr geschäftsfähig erklärt werden, hängt nicht nur am ‚Who is Who‘ der Weltpolitik. Sondern vor allem daran, ob sich ein Ankläger findet, der die Störung der beiderseitigen Beziehungen nicht geräuschlos aus der Welt schaffen, sondern an die große Glocke hängen, die Beziehungen zu dem bezichtigten Staat infrage stellen oder ihn gleich aus dem Kreis der gesitteten Imperialisten ausschließen will. Ob der verletzte Staat das will, entscheidet sich nicht am Faktum der Übertretung nationaler Gesetze durch die fremde Macht, sondern daran, wie er überhaupt zu Interessen und Zielen des anderen Staates steht. Findet das betreffende Staatsprogramm nicht die Billigung des Anklägers, dann wird der Protest groß aufgemacht, wird an den Übergriffen des „Partners“ sein Unrecht bewiesen und der Angriff auf den „zivilisierten Verkehr zwischen den Nationen“ gebrandmarkt.
So in diesem Fall. Um eine bloß verbale Verurteilung, die
weiter nichts zu bedeuten hat, handelt es sich bei dem
Berliner Urteil nicht. Sofort nach seiner Bekanntgabe ist
klar, daß die Politik reagieren muß
und nicht
zum business as usual zurückkehren darf
. Eine
Neubestimmung zu dem nun gerichtsnotorischen Terrorstaat
steht an, und damit diese auch Gewicht hat und dem
Angeklagten seine weltweite Isolation vor Augen geführt
wird, gewinnt der deutsche Außenminister seine 15
EU-Kollegen zu einer gemeinsamen Reaktion auf das
deutsche Urteil. Die 15 fordern dann auch noch ihre 10
Beitrittskandidaten auf, sich den EU-Beschlüssen gegen
Iran anzuschließen. Alle Mitgliedsstaaten berufen ihre
Botschafter aus Teheran ab,[3] bekennen sich zur
Herabstufung der Beziehungen, verweigern Kontakte auf
Ministerebene, weisen iranische Diplomaten aus, die sie
geheimdienstlicher Tätigkeiten verdächtigen, und
verlängern das Waffenembargo.
Auf die Trennung von Politik und Justiz, so sehr sie vom
Gang der Ereignisse und von den öffentlichen Deutungen
widerlegt ist, wird als ein diplomatisches Mittel
allerdings nach wie vor Wert gelegt. Sie leistet ihre
Dienste bei der deutschen Antwort auf iranische Versuche,
die angesagte schwere Störung der Beziehungen zu
Deutschland zu verhindern. Diese Versuche gipfeln in der
Forderung, der deutsche Kanzler solle sich für die
Entgleisung des Richters entschuldigen und klarstellen,
ob Deutschland tatsächlich die persische Staatsführung
beleidigen und auf die amerikanische Feindschaft gegen
Iran einschwenken wolle. Mit seinen Brief an den
Präsidenten Rafsandschani, in dem er diesen über das
Verhältnis von Exekutive und Legislative in echten
Demokratien belehrt und versichert, eine Absicht, die
religiösen Gefühle der Iraner zu verletzen, liege nicht
vor, sendet Kohl ein doppeltes Signal an den Perser. Sein
demokratischer Nachhilfeunterricht: Rechtsstaatliche
Gerichte sind von politischen Weisungen unabhängig und
urteilen unparteiisch allein nach Beweislage.
– weist
einerseits den Standpunkt der Mullahs zurück, mit dem
Gerichtsurteil würde der Iran offiziell von deutscher
Seite geächtet und gemeinsame Interessen und Vorteile aus
dem beiderseitigen Geschäftsverkehr würden von deutscher
Seite aufs Spiel gesetzt. Es ist zwecklos, sich an den
Kanzler zu wenden; nicht er, das Gericht entscheidet, und
es untersteht nicht seinen Weisungen. Der politische
Einfluß Irans auf Bonn wird demonstrativ entwertet; in
dieser Frage erweist sich Deutschland persischen
Lockungen und Drohungen unzugänglich. Andererseits
signalisiert die Berufung auf eine, so gar nicht
existente, Trennung von Justiz und Politik auch, daß die
Ächtung des Handelspartners nicht auch schon – ganz – der
Standpunkt der Bundesregierung ist. Nach der einen Seite
ergeht „nur“ der Spruch eines Richters und nicht
Deutschlands, nach der anderen muß der Spruch eines
deutschen Gerichts im Rechtsstaat, in dem die
Politik vom Recht gebunden ist
, ernstgenommen werden.
Die Regierung bietet sich dem Iran als Moderator ihres
eigenen Urteils an und macht es zum diplomatischen Stoff
zwischen beiden Nationen. Seine Verurteilung kann und
darf der Iran nicht verhindern; über die Konsequenzen und
die Bedingungen der Rückkehr zu geregelten Beziehungen
kann und muß er sich mit Deutschland auseinandersetzen.
Ernstmachen mit dem „kritischen Dialog“
Angesichts dieser gewollt hochgespielten Versündigung des
Iran stellt sich die Frage, was Deutschland denn nun
wirklich so grundsätzlich an dem islamischen Staat stört,
daß es ihn in dieser Weise an den Pranger stellt.
Immerhin pflegt es seit 100 Jahren gute
Beziehungen
zu ihm, liefert Technologie bis hin zu
Atomkraftwerken dorthin und bezieht Öl von dort;
Deutschland ist der größte Handelspartner und größte
Gläubiger des Iran.
Mit seiner offiziellen Verurteilung und der persönlichen Bezichtigung seiner Führer als Staatsterroristen schließt sich Deutschland zunächst nur dem lange eingeforderten Urteil der USA über das Regime der Mullahs an, macht sich zum eigenständigen Protagonisten dieses Vorwurfs und liefert – ausgestattet mit „Erkenntnissen“ aus der Zeit der Kooperation des deutschen und iranischen Geheimdiensts – dem Verdikt eigenes und neues Material. Den Schluß, den die USA aus dieser Beurteilung ziehen und von ihren Partnern gezogen sehen wollen, verweigert Deutschland jedoch: Abbruch der Beziehungen, aktive Isolation und Bekämpfung dieses Staates will es nicht mitmachen. Im Gegenteil: Das offiziell gemachte Einschwenken auf ihre Einschätzung soll die USA zufriedenstellen und die überdeutliche Demonstration, daß Handels- und Kreditbeziehungen zu Iran nicht die Unterstützung seiner revolutionären, antiamerikanischen Ziele bedeuten, soll im Verhältnis zu den USA ungeschehen machen, daß sie praktisch eine solche Unterstützung sind.
Die USA erkennen im Iran einen Feind ihrer Vormacht im Nahen Osten. Die Feindschaft hat er sich dadurch verdient, daß er das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, die Kapitulation der Palästinenser kritisiert und durch die Unterstützung der Hisbollah im Libanon, von Dschihad und Hamas auf der Westbank tatsächlich einen Rest von Widerstand am Leben hält. Er hintertreibt, soweit er kann, die bedingungslose Ausrichtung der Golfstaaten auf die USA und baut sich als alternative Regionalmacht auf. Wegen dieser Konkurrenz und Unbotmäßigkeit gegenüber der in weltpolitischen Fragen Recht setzenden Supermacht fängt er sich das Verdikt ein, internationaler Rechtsverletzer zu sein. Die USA behandeln ihn entsprechend und verlangen von ihren Verbündeten dasselbe. In immer neuen Anläufen verlangen sie die Isolierung, ja Abschnürung des Iran. Sie verhängen einseitig ein Handelsembargo – und machen ihren Verbündeten den Vorwurf, sie würden es unterlaufen. Sie veröffentlichen jährlich eine Liste der schlimmsten „Terrorstaaten“, die seit Jahren der Iran anführt, erheben den „internationalen Terror“ zum Problem ihrer Gemeinsamkeit auf G7-Treffen und fordern auf einem „Anti-Terror-Gipfel“ im ägyptischen Scharm-el-Scheik von ihren Verbündeten Maßnahmen zur Isolierung des Iran.
Deutschland pflegt Beziehungen zum Iran nicht nur trotz seiner Ausgrenzung und Isolation durch die USA, es nutzt eben diese aus: Der bekämpfte und boykottierte Staat sucht seinen Aufstieg zur ökonomischen und militärischen Macht an den USA vorbei, also gegen sie; dafür ist er auf potente Partner angewiesen, die Kredit und technisch fortgeschrittene Waren bieten können. Für Deutschland ist dies eine Gelegenheit – nicht nur für gute Geschäfte, sondern für jenen zweiten Nutzen des Handels: Einfluß auf den islamischen Staat und über ihn auf die Machtverhältnisse im Nahen Osten. Daß Deutschland mit seiner Zusammenarbeit auch manches im Iran unterstützt, was ihm nicht gefällt, nimmt es in Kauf gegen den Vorteil, der mit „Fuß fassen im Nahen Osten“ umschrieben wird. In der Kooperation der beiden Geheimdienste haben die guten deutsch-iranischen Beziehungen eine Spitze an Vertraulichkeit erreicht: Beide Seiten gewähren Einblicke in die inoffiziellen Abteilungen ihrer Außenpolitik. So verpflichtet sich Deutschland einen eigenen Partner und macht den USA Konkurrenz in der „unruhigen Ölregion“, über die sie seit dem Golfkrieg gegen Irak erklärtermaßen ein Aufsichts-Monopol beanspruchen.
Die Supermacht wirft ihrem wichtigsten Verbündeten vor, er verhalte sich verantwortungslos gegenüber der Stabilität der imperialistischen Ordnung, von der er profitiert, und stellt ihn schon einmal vor die Frage, ob er gegen seinen großen atlantischen Partner wirklich gemeinsame Sache mit Staatsterroristen machen will. Das will Deutschland tatsächlich nicht; die Konkurrenz gegen die Richtlinienkompetenz der USA in Sachen Weltordnung, sowie bei der verbindlichen Scheidung von Freund und Feind findet im Bündnis und unterhalb seiner Gefährdung statt und nicht als offene strategische Herausforderung der Supermacht.
Klein beigeben und die von den USA mißbilligten Beziehungen aufgeben, will die „europäische Zentralmacht“ aber auch nicht. Jahrelang schon hält sie an ihren abweichenden Beziehungen zum Iran fest, indem sie den USA versichert, sie kritisiere den Staatsterrorismus ebenso hart wie diese, und ihren Beziehungen die Aufgabe zuschreibt, diese Kritik zu übermitteln. Sie gibt dem Verkehr mit dem Iran den schönen Namen „kritischer Dialog“ und behauptet heuchlerisch, die Domestizierung des Iran im Sinne der USA sei Grund und Zweck ihrer politischen und geschäftlichen Kontakte. Deutschland verteidigt seinen unfreundlichen Akt gegen die USA damit, daß es mit diesen in einen fiktiven Wettbewerb um die Frage eintritt, ob deren Isolierung dieses „schwierigen Staates“ mehr zu seiner imperialistischen Handhabbarkeit beiträgt als der Einfluß, den Deutschland durch Handel und Kreditgewährung auf ihn gewinnt. Deutschland beansprucht, daß die USA seine gegen ihr Monopol gerichtete Konkurrenz um Einfluß auf den Nahen Osten als Beitrag zu einer gemeinsamen westlichen Weltherrschaft anerkennen. Die aktuelle Kontroverse in Deutschland, ob der „kritische Dialog“ Erfolge vorzuweisen hat oder „gescheitert“ sei, ist deshalb ganz und gar daneben. Es könnte ja schon niemand sagen, worin er überhaupt bestanden hat. Einen Beweis für die endgültige Domestizierung des islamischen Revolutionsregimes konnte diese Heuchelei ebensowenig erbringen, wie sie um Beispiele seines Wohlverhaltens verlegen war, die Deutschland seiner zivilisierenden Einwirkung gutschreibt. Die iranische Unterschrift unter die neue UN-Giftgaskonvention und unter die Verewigung des Atomwaffensperrvertrags beansprucht die deutsche Diplomatie als Erfolg ihres „kritischen Dialogs“; im Fall des Austauschs gefallener Krieger zwischen Israel und der Hisbollah, den Geheimdienstminister Schmidtbauer vermittelt und die iranische Führung ermöglicht hatten, wurde demonstrativ ein Erfolg des kritischen Dialogs konstruiert, damit man einen vorzeigen und den größten Kritikern der deutschen Beziehungen zu den Mullahs ein halbes Dankeschön abringen kann.
Gegen die schönen Beweise, wieviel Zivilisierung der islamischen Fundamentalisten deutsche Einwirkung zustande gebracht habe, setzen die USA ihre jährliche Liste der Terrorstaaten und legen immer neue Geheimdiensterkenntnisse für die Verbrechen vor, deren sie den Iran bezichtigen und die der deutsche Einfluß offenbar nicht verhindert hat. Die atlantischen Partner traktieren sich mit Beweisen und Gegenbeweisen, als ob sie sie überzeugen wollten. Tatsächlich ist dies nur die diplomatische Form, in der die Partner, die sich weiterhin auf Gemeinsamkeit verpflichten, ihre Konfrontation austragen: Die USA wollen Deutschland ihrer Freund-Feind-Sortierung im Fall Iran unterordnen; Deutschland will sich dieser Unterordnung entziehen. Je weniger der deutsche „Beitrag“ vom amerikanischen Partner anerkannt wird, desto größer der Bedarf nach stichhaltigen Beweisen für die Existenz des „kritischen Dialogs“ und seiner Erträge.
Die deutsche Politik sieht sich offenbar in der Not, Beweise dafür abzulegen, daß der „kritische Dialog“ nicht bloß eine heuchlerische Namensgebung für die guten Beziehungen, die man nicht stören lassen will, sondern ernst gemeint ist, also die Beziehungen bestimmt. Die noch viel zu gleichberechtigt klingende Namensgebung wird zu einer erklärtermaßen einseitigen „kritischen Einwirkung“ umbenannt. Das Attentat im Restaurant Mykonos und die vorhandenen Beweismittel werden zum Anlaß genommen, eine sichtbare, die Beziehungen schwer belastende Bezichtigung des iranischen Handelspartners in die Welt zu setzen. Nicht um den Iran auf einen anderen Weg zu bringen, sondern um die Einsprüche der USA gegen die deutsch-iranischen Beziehungen abzuwehren. Für diese Distanzierung wird freilich schweres Geschütz aufgefahren: Die Staatsterroristen verletzen ihren guten deutschen Partner, wenn sie noch nicht einmal vor seiner Hoheit Respekt zeigen und mitten in Deutschland verüben, was ihnen die Kritiker der deutsch-iranischen Zusammenarbeit immer vorwerfen.
Damit die Beziehungen weitergehen können, wird vom Iran
eine Buße verlangt. Er muß den Willen zeigen, sich zu
bessern; Deutschland gibt sich ultimativ: Die
Gestaltung des zukünftigen Verhältnisses zu Iran hängt
jetzt ganz von der iranischen Führung ab. Zentral für uns
ist, daß Iran keine völkerrechtswidrigen Handlungen mehr
begeht.
(Kinkel, FAZ
30.4.97) Den geforderten „Besserungswillen“ hat
der Iran sichtbar zu machen, indem er die Berliner
Verurteilung nicht als feindlichen Akt Deutschlands
nimmt, sondern sich die Definition als völkerrechtlicher
Outlaw gefallen läßt, also seine Aufsichtsbedürftigkeit
als Basis des künftigen Verkehrs akzeptiert. Künftige
Beziehungen haben auf sein eingeräumtes Unrecht und das
deutsche Recht zu gründen, über die Rechtmäßigkeit
iranischer Politik zu befinden.
Der Mullah-Staat wehrt sich
Durch ihr ultimatives Auftreten hat die BRD die Fortsetzung der nach wie vor gewünschten Beziehungen zu Iran von der Bereitschaft des Iran abhängig gemacht, die Verurteilung auf sich sitzen zu lassen. Diese Bereitschaft, so meint die erpressende Seite, müßte doch wohl vorhanden sein, angesichts der Druckmittel, die die EU-Führungsmacht gegenüber dem Partner aufzufahren vermag, der viel mehr auf den Handel- und Kreditverkehr[4] mit Deutschland und Europa angewiesen ist als umgekehrt. Zum anderen unternimmt man zur Förderung dieser Bereitschaft einiges: So wenig sich Deutschland durch drohende und werbende Interventionen von der Bezichtigung der höchsten Autoritäten des islamischen Staates als Auftraggeber von Mord abbringen läßt, so intensiv gerät die diplomatische Bemühung, in den letzten Tagen vor der Verurteilung die iranischen Reaktionen vorweg unter Kontrolle zu bringen. Man versucht sich über das für den Iran erträgliche Maß der Beschuldigung seiner Führer – ihre Eigennamen dürften auf keinen Fall genannt werden – und das für Deutschland erträgliche Maß iranischer Proteste gegen das Urteil zu verständigen. Später vom Außenministerium dementierte Meldungen besagen, daß man nun glaube, auf alle möglichen Formulierungen des Urteils vorbereitet und bezüglich der beiderseitigen Reaktionen berechenbar zu sein.
Die Bereitschaft, das Urteil zu akzeptieren, existiert jedoch nicht. Der Iran weist den Affront zurück und zeigt, daß er nicht auf Deutschland angewiesen ist. Die Mullahs organisieren antideutsche Massendemonstrationen, auf denen Deutschland beschimpft und die Rücknahme des Urteils gefordert wird. Freilich achten auch sie dabei auf ein diplomatisch vertretbares Maß an Verärgerung: Übergriffe der Demonstranten auf die deutsche Botschaft und deutsche Staatsbürger werden verhindert. Rafsandschani richtet seine Angriffe vornehmlich auf die USA und Israel; Deutschland wirft er Dummheit und Schwäche gegenüber den Zionisten vor. Er besteht auf einer deutschen Entschuldigung und auf seinem „Recht“ zu anti-amerikanischer und anti-israelischer Politik, die andere Terror nennen. Gegen den deutschen Spagat verlangt er ein Bekenntnis zur Partnerschaft von seiten Deutschlands. Schließlich setzt er auf die deutsche Verschlechterung der Beziehungen eine eigene und antwortet mit einer Gegeneskalation: In dem Augenblick, in dem Deutschland und die EU sich mit der Demonstration ihrer Distanz zum Iran zufrieden geben, auf dieser Basis zur „Normalität“ zurückkehren wollen und ihre Botschafter wieder in Richtung Teheran in Marsch setzen, wird der deutsche Botschafter ausgeladen.
Dadurch hebt der verurteilte Terrorstaat den Konflikt mit
Deutschland auf eine neue Ebene. Zum ersten Mal wird mit
dem „kritischen Dialog“ ernst gemacht, und dann wird das
deutsche Recht dazu bestritten. Das Land, das
rücksichtslos gegenüber der Selbstachtung des
Mullahregimes vorgegangen ist, sieht nun die eigene
nationale Ehre herausgefordert und muß sich die Frage
stellen, ob es sich gefallen lassen darf, daß ein Staat
von der Kategorie des Iran ihm gegenüber nicht kuscht.
Die Sache gewinnt dadurch an Schärfe, daß dieser halbe
Paria der Staatenwelt Deutschland auch noch auf die
Brüchigkeit seiner Druckmittel stößt: Der Iran, dem die
Rolle des Kontrollobjekts zugedacht war, stellt die
Festigkeit der europäischen Einheit auf die Probe und die
fällt sofort uneindeutig aus.[5] Die deutsche Außenpolitik ist
blamiert; sie hat alle Hände voll zu tun, die
innereuropäische Konkurrenz um Geschäft und Einfluß in
Persien weiterhin zu unterbinden, und hat damit doch noch
lange keinen neuen Kurs zur Verteidigung der nationalen
Ehre gefunden. Der Außenminister der Partei, die den
Konflikt eskaliert hatte, „deeskaliert“ nun, und
„erklärt“ die „Beleidigung Deutschlands“ durch
Revolutionsführer Khamenei mit dem Wahlkampf, der in Iran
gerade stattfindet; er versichert, man lasse sich nicht
provozieren, werde abwarten und nach der Wahl die Lage in
Ruhe bewerten: Beziehungen, die über ein Jahrhundert
aufgebaut wurden, gibt man nicht wegen aktueller
Schwierigkeiten auf.
Ein andermal setzt er selbst
wieder eines drauf: Wir werden Teheran unseren
Botschafter nicht aufdrängen.
Die Botschaft zielt
ersichtlich nicht auf Abbruch der Beziehungen; sie ist
die Eröffnung eines neuen Konflikts um den Modus der
Beilegung des vorherigen.
Das imperialistische Selbstbewußtsein der Nation: Sich bloß nichts bieten lassen!
Die journalistischen und politischen Repräsentanten der deutschen Öffentlichkeit steigen gleich auf der Ebene der nationalen Ehre auf das Thema ein. Sie begrüßen am Urteil des Kammergerichts begeistert, daß unsere Werte endlich über den Krämergeist der Außenhändler gesiegt haben; daß Deutschland den Mut gefunden hat, Mord Mord zu nennen, und Feigheit nun eine Sache der Österreicher und Franzosen geworden ist, bei denen Attentäter ins nächste Flugzeug und nicht wie bei uns ins Gefängnis gesteckt werden. Unverkennbar gilt die gute Stimmung nach dem Urteil einem Deutschland, das als Macht auftritt, die Maßstäbe setzt, andere Staaten schurigelt, sich nichts gefallen läßt und dabei auch die Konfrontation nicht scheut. Das imperialistische Selbstbewußtsein sieht Deutschland nach dem Affront des Iran andererseits doppelt beleidigt und fordert Konsequenzen. Nachdem es sich die Mullahs erlaubt haben, klare Worte von „uns“ zurückzuweisen, erkennt die Öffentlichkeit nämlich die ganze bisherige Iranpolitik des Außenministers als schändliche Leisetreterei gegenüber dem Unrecht. Am Maß der Demütigung zeigt sich das Maß der gewachsenen deutschen Ansprüche: So etwas darf Deutschland sich von Staaten der dritten Kategorie nicht bieten lassen. Es ist kein Wunder, daß es gerade der alternative Außenminister von der grünen Partei ist, der diese nationalistische Aufwallung anführt. Er hat endgültig den imperialistischen Kern der einst idealistisch gemeinten Forderung nach Demokratie und Menschenrecht überall entdeckt und bekennt sich zu diesem.
„Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Fischer warf Kinkel jahrelange Anbiederei gegenüber Iran vor. Der kritische Dialog sei in Wahrheit ein kriecherischer Dialog gewesen. Kinkel trage für das Debakel die Verantwortung und sollte diese endlich auch übernehmen und zurücktreten. Jetzt sei dem Ansehen Deutschlands und der EU weiterer Schaden zugefügt worden. Nach den blutigen Morden an iranischen Oppositionellen in Berlin und anderswo in Europa wird die Bundesrepublik und die EU durch die Teheraner Entscheidung dem Spott und der Lächerlichkeit preisgegeben. … Fischer spottete, es sei nicht eine Änderung der deutschen Iran-Politik, wie sie alle Fraktionen des Bundestags verlangt hätten, sondern die Ausladung des deutschen und dänischen Botschafters durch die Gewaltherrscher in Iran gewesen, die dieser Politik der Anpassung einen Riegel vorgeschoben habe. Europa hat sich damit selbst gedemütigt und lächerlich gemacht.“ (FAZ 2.5.97.)
Es ist nichts übrig geblieben von den idealistischen Phrasen außer eben einem gewissen Ton der Konsequenz, der von niemandem mehr falsch verstanden wird, sondern Fischer in diesem Fall sogar einen Bonus für außenpolitische Kompetenz einbringt: Wer hat es denn schon immer gesagt, daß wir rücksichtlos auf unseren Werten beharren sollen, anstatt zu taktieren? Der alternative hat den amtierenden Außenminister bei einer Schlappe erwischt und klagt ihn an, Deutschlands Ansehen und Gewicht durch Weichheit beschädigt zu haben. Mit berechnender Scharfmacherei qualifiziert er sich für den Posten des Außenministers einer Macht, deren Erfolgsweg immerzu Versuche einschließt, mit Staaten ins Geschäft zu kommen, die Amerika ausgrenzt.
[1] Zur Ideologie wie zur Funktionalität dieser Trennung siehe den Kommentar zum Mykonos-Prozeß in GegenStandpunkt 1-97, S.23, darunter S.33-37.
[2] Mit ungefähr dem gleichen Recht kehrt Iran den Vorwurf des Staatsterrorismus gegen Deutschland und Europa: Diese Staaten hätten kein Recht, den Iran anzuklagen; sie selbst machten sich der Förderung des Terrorismus schuldig; seit Jahrzehnten würden sie den anti-arabischen Terror Israels decken, außerdem würden sie Feinde der islamischen Republik beherbergen, die in Iran Mordanschläge verübten.
[3] Genaugenommen haben 14 EU-Staaten ihre Botschafter „zur Berichterstattung“ zurückbeordert. Der griechische Botschafter hat in einer schönen Kombination von Abweichung und Vermeidung des direkten Ausscherens „einen längeren Urlaub angetreten“.
[4] Die deutsche Presse
ist sich über die Eignung des Handels zur Erpressung
des anderen politischen Willen vollkommen im Klaren und
kann sich überhaupt nicht vorstellen, daß die
fanatischen Mullahs sich gegen so überzeugende
Argumente stur stellen könnten: Allerdings ist
Deutschland trotz eines zurückgehenden
deutsch-iranischen Geschäfts immer noch Handelspartner
Nummer eins der Perser. Während der gegenseitige Handel
für die deutsche Seite nicht vorrangig ist, sind die
Iraner darauf angewiesen. Außerdem sind sie laut
Außenministerium mit zwölf Milliarden Mark bei
deutschen Banken verschuldet. Eine Weigerung, diese
Schulden zu begleichen, würde Iran international
vollends isolieren. Das wissen die Mullahs.
(SZ 10.4.97) Interessant
ist noch die Unterstellung über die Erpreßbarkeit eines
Staates durch seine Auslandsschulden; von einer
Weigerung des Iran, Schulden zu begleichen, oder einer
derartigen Drohung, war nämlich nichts zu hören. Ob
Schulden bedient werden oder nicht, entscheidet
offenbar der gute Wille des Gläubigers.
[5] Die Verweigerung
der Rückkehr des deutschen und dänischen Botschafters
habe gezeigt, daß Iran die Europäer rasch wieder
spalten wolle. Um der Zukunft einer gemeinsamen Außen-
und Sicherheitspolitik willen dürfe kein Land aus der
Solidarität ausscheren. Wer jetzt einen Sonderkurs
einschlage, der wolle keine gemeinsame europäische
Außenpolitik
(FAZ
2.5.97.) Der italienische Botschafter ist so
schnell nach dem Rückkehrbeschluß der EU Außenminister
nach Teheran geflogen, daß die iranische Zurückweisung
des deutschen und dänischen Botschafters und der
darauffolgende Beschluß der EU-Kommission, nun sollten
alle Botschafter wegbleiben, zu spät kam. Heimfahren
mag er nun auch nicht mehr.