Geistige Führung
Rechtsstaatlicher Totalitarismus gegen Konkurrenten und Abweichler
Ausländerfeindliche Verstöße gegen das staatliche Gewaltmonopol beunruhigen Regierung und Öffentlichkeit. Die Diagnose lautet ebenso demokratisch wie totalitär „zu wenig Führung“, die Mittel der Bekämpfung sind entsprechend: mehr Aufsicht und Kontrolle im Rechtsstaat, freie Medien, die totschweigen sollen, was sie nicht widerlegen können, ein Schulterschluss von Volk und Führung in Fragen des Anstands und die Kriminalisierung unliebsamer Parteienkonkurrenz.
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Geistige Führung
Rechtsstaatlicher Totalitarismus gegen Konkurrenten und Abweichler
Deutschland hat den Dienst der Rechtsradikalen, die auf Ausländer losgehen, genossen. Deutschland hat sich einleuchten lassen, daß es sich bei diesen Demonstrationen um nachdrückliche Hinweise handelt, die sich Regierende zu Herzen nehmen müssen; Hinweise auf Versäumnisse beim sachgerechten Umgang mit denen, die zu viel sind.
Deutschland hat dazugelernt, es hat nach dem Genuß Reue gezeigt. Es hat zur Kenntnis genommen, daß die Fingerzeige auf die Unterlassungssünden der Politiker auch Schaden anrichten: am Bild der Deutschen im Ausland, am Gewaltmonopol und vor allem hinsichtlich der Wahlaussichten derer, die bis jetzt so wunderbar regiert haben.
Also hat sich die Nation zu einer Offensive gegen den Rechtsradikalismus entschlossen.
Die demokratische Antwort auf den Rechtsradikalismus: mehr Führung
Dafür war denn auch wieder sofort die deutsche Öffentlichkeit zu haben, teilt sie doch im Grundsatz die Sorgen und Nöte der Machthaber und sieht in Schönhuber und Co keine erfolgversprechende Alternative, ja trampelt auf den Bonner Machern doch nur herum aus Sorge um die nationale Erfolgsbilanz.
Als Titel für die Kampagne einigte man sich auf die Parole „Lehren aus Weimar ziehen“. Schäuble stellte gleich klar, wie die Offensive gemeint ist:
„Er halte es nicht für richtig, den ‚nationalen Begriff‘ den Rechtsradikalen zu überlassen.“ (SZ 11.12.92)
Das hat zwar keiner der Bonner Verantwortlichen je gemacht, der Satz soll aber klarstellen, zu was man sich herausgefordert sieht: Die regierenden Demokraten müssen den rechtsradikalen Kräften und ihren Sympathisanten beweisen, wie überflüssig sie sind. Führungsschwäche lassen sie sich nicht nachsagen.
In der programmatischen Debatte im Bundestag Mitte Dezember waren sich alle Parteien in ihrer Analyse der Fehlentwicklungen im Volk einig: Die Menschen im Lande identifizieren sich nicht unbedingt so mit dem Staat, wie sie es als anständige Deutsche sollten, einigen von ihnen fehlt sogar das Allerelementarste: der nötige Respekt vor dem Gewaltmonopol des Staates.
„Die Menschen seien sich der Grundlage der staatlichen Gemeinschaft nicht mehr sicher. Diese müßten deutlicher gemacht werden…Die Menschen müßten möglicherweise mehr gefordert werden. Dazu gehörten Offensiven an den Schulen, mit denen den Schülern beigebracht werde, daß Gewalt bei ihnen tabu sein müsse.“ (Schäuble, nach FAZ und SZ 11.12.92)
Was not tut, sind wieder „feste Wertmaßstäbe“ und „Orientierung“, die hat man in der Vergangenheit schleifen lassen. Da klopft sich der Kanzler gerne „selbstkritisch“ – als wäre er je Anhänger „emanzipatorischer Erziehung“ gewesen! – an unsere Brust:
„Wir müssen auch selbstkritisch die Frage stellen, ob nicht viele der sogenannten Reformversuche im Bildungswesen an Stelle des erhofften Ziels vielfach das Gegenteil erreicht haben. Statt des ‚herrschaftsfreien Diskurses‘ erleben wir jetzt immer mehr gewalttätige Auseinandersetzungen.“ (Kohl, Bulletin 11.12.92)
„Möglicherweise hätten sich die Menschen nach dem Krieg zu sehr um den wirtschaftlichen Aufbau gekümmert und hätten deswegen nun das Gefühl, jeder geringste Verlust an Besitzstand betreffe ihre soziale Existenz.“ (Schäuble, ebd.)
Angesichts der „Herausforderungen des Rechtsradikalismus“ fällt den Oberdemokraten also nur ein Gedanke ein: mehr Zucht und Ordnung muß her, Schluß mit dem Anspruchsdenken und dem kritischen Rummachen. Insofern unterscheiden sie sich in ihrer „politischen Philosophie“ kein bißchen von der der Rechtsradikalen, für die die Bundesbürger schon immer zu egoistisch und pflichtvergessen waren und an den Schulen zu wenig auf Disziplin und Werte-Erziehung geachtet wurde. Heutzutage sind die Erziehungsziele Freiheit = Unterordnung und Mündigkeit = fraglose Anerkennung bestehender Autoritäten und Regeln Gemeingut aller Demokraten. Bei den Grünen bezichtigt man sich inzwischen vergangener Torheiten:
„Es war unsere Revolte, die viele Wertsysteme hat zusammenbrechen lassen. Waren wir es nicht, die gegen alle Normen angekämpft haben? Wir haben jede Autorität in Frage gestellt, wollten die Familien am liebsten auflösen. Haben wir als Erziehende unseren Kindern nicht zu selten die Chancen zur Auseinandersetzung gegeben? Wir ließen sie diskutieren, bestimmen und entscheiden. Wir setzten möglichst wenig Grenzen, sprachen ungern Verbote aus… Statt der mündigen, sozial und ökologisch engagierten, politisch hochmotivierten Jugend hat unsere Erziehung eine Spezies hervorgebracht, die zum überwiegenden Teil egozentrisch, konsumorientiert und im schlimmsten Falle sogar gewalttätig und fremdenfeindlich ist.“ (Grünen-Abgeordnete Scheffler, Spiegel 4/1993)
Da werden eben nicht frühere Erziehungsvorstellungen kritisiert und mit Argumenten verworfen, sondern Todsünden angeprangert, um das Plädoyer für „Mut zur Erziehung“ als wohl begründete Schlußfolgerung eines mühsamen Erkenntnisprozesses aufzumotzen. Dabei ist die Logik, daß rechtsradikale Jugendliche die Frucht antiautoritärer Lehrer und Eltern sind, furchtbar schlagend, denn unbestreitbar gilt doch: früher gab es solche Erziehungstheorien und heute haben wir den Salat. Daß die Kinder rechtsradikal handeln, weil sie das heute gängige rechte Gedankengut im Kopf haben, auf den einfachen Schluß kommen solche Pädagogen nicht, weil sie erstens überhaupt nicht wissen, was rechtes Gedankengut ist – sie erkennen es höchstens, wenn es in eindeutiger Nazi-Phraseologie daherkommt. Und zweitens verstehen sie unter Erziehung ohnehin nicht, sich mit unvernünftigen Vorstellungen argumentativ auseinanderzusetzen, sondern ein Programm, den Willen des Kindes dahin zu bringen, daß er im Sinne der gesellschaftlichen Anforderungen funktioniert. Weil sie das Ideal und die Vorstellung von Erziehung als Beeinflussung, Manipulation, haben, kann die deterministische Deutung, gewalttätige Schüler seien das Produkt führungsunwilliger Lehrer, überhaupt nur verfangen. Dabei muß man natürlich auch noch ein wenig übertreiben, als hätte die emanzipatorische Pädagogik in Deutschland je dem „Mut zur Erziehung“ den Garaus gemacht.
Die nach Zucht und Ordnung rufen, lieben es, sich als kleine Minderheit hinzustellen, die sich kaum noch trauen kann, gegen die Masse der zügellosen, pflichtvergessenen, linken Dogmatiker anzugehen. Dauernd werden sie unterdrückt und mundtot gemacht. So war auch Frau Scheffler tief beleidigt, als ihr ein paar Parteigenossen sanft zu verstehen gaben, daß ihre Ausführungen „ein konservatives Zerrbild der pädagogischen Reformbestrebungen“ seien, das sie nicht unbedingt als offizielle Parteilinie gelten lassen möchten. Und sogleich eilt die vereinte freie Presse der armen Frau zur Hilfe und tituliert in ihren Kommentaren die Kritiker als „grüne Gesinnungspolizistinnen“ (taz), spricht von „SED-würdigem parteiinternem Umgang“(SZ), „Stalinismus“. Schließlich hat die Abrechnung mit linkem Gedankengut von ehedem immer in Ordnung zu gehen. Wer dagegen was hat, ist ein Meinungsterrorist, befinden die grundrechtlich geschützten Zensoren.
Inzwischen ist es richtig Mode geworden, die randalierende Jugend zum Vorwand zu nehmen, gegen alles zu hetzen, was einem als Zersetzung der Volksmoral vorkommt, und nach dem Staat zu rufen, er möge endlich einmal dieser himmelschreienden Libertinage ein Ende setzen:
„Jetzt fragt alle Welt, wie das möglich wurde. Dabei beginnt auch die Ahnung zu dämmern, daß eine Gesellschaft der selbstauferlegten Verbote und Restriktionen bedarf. Jahrelang waren die Anwälte solcher Einschränkungen die Spottfiguren eines Zeitgeistes, der jeden Verstoß gegen Konventionen, Regeln oder auch nur Stil und Geschmack als Gewinn neuer Freiheiten bejubelte. Die Kulturetats hätschelten jede vom Kunstvorbehalt notdürftig verhüllte Barbarei, sofern sie nur vorgab, das zu demolieren, was als Form, Takt, Anstand und damit verkrustete Struktur, auch als unbefragte Autorität im allgemeinen Verruf stand: in der Literatur, im Film und mit Vorliebe im Traumbezirk enthemmter Stadtväter, auf dem Theater…“ ( Für Mölln etc. sei wohl kaum eine rechtsradikale Ideologie verantwortlich zu machen ) „Viel eher ist da Orientierungslosigkeit am Werk, die von der permissiven Gesellschaft selber erzeugt wird, sowie der Wille, ihr die Konsequenzen ihrer prinzipienlosen Idee von Freiheit vor Augen zu führen.“ (Joachim Fest, FAZ 30.1.93)
Da versteht der Kommentar zum „Tag der Machtergreifung“ die Rechtsradikalen sehr gut. Orientierungslosigkeit soll der Grund ihres Handelns sein, und das offenkundig gleich in doppeltem Sinne. Erstens führt sie zu der Randale und zweitens zu dem darin steckenden Aufschrei: Die Gesellschaft ist orientierungs- und prinzipienlos, das darf nicht so weitergehen! Und mit dieser Forderung – befindet der freiheitliche Journalist – liegen die Rechtsradikalen goldrichtig. Er selbst sieht genauso Gefahr für Deutschland in der Entartung der Kunst, der „prinzipienlosen Idee von Freiheit“ und den aufgeblasenen, aber verantwortungsscheuen Politikern. So werden heutzutage als „Warnung vor dem Faschismus“ und „Lehren aus Weimar“ lupenrein faschistische Gedanken vorgetragen.
Die Gewerkschaft als traditioneller Antifa-Verein hat zum 30. Januar auch etwas beizusteuern: In ihrem Flugblatt warnt sie – „Lehre aus Weimar“! – vor der „Geringschätzung der Demokratie“, also unseres Staates wie er nun einmal ist, und vor der „inneren Zerrissenheit der Nazigegner“, als wollte sie sich jede Differenz zu Kohl und Stoiber verbieten.
„Lehren aus der Vergangenheit; Geschichte wiederholt sich nicht. Wir leben heute in Deutschland in einer demokratischen, offenen Gesellschaft. 1933 und 1993 gleichzusetzen würde dies verleugnen und gleichzeitig die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlosen. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß heute wieder Neonazis ihr Unwesen treiben, daß rassistische Angriffe gegen Ausländer und Asylbewerber nahezu an der Tagesordnung sind.“ (Demoaufruf „Der 30.Jan 1933 mahnt“, DGB München)
Also kriegt diesmal offenbar unsere schöne Demokratie ganz allein einen Ausländerhaß hin, für den sich vor 60 Jahren noch die Nazis ins Zeug legen mußten. Genau den Schluß darf man aber nicht ziehen; damit hätte man verbotenerweise einst und heute gleichgesetzt. Wenn man etwas gleichsetzen darf, dann die Sorgen, die sich die Gewerkschaft um verelendende Volksteile macht:
„Durch Sozialabbau und Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Zukunftsangst verunsicherte Menschen klatschen Beifall oder schauen weg.“ (ebd.)
Armut schafft seelische Probleme, die untergraben die rechte Staatsgesinnung; und dabei kann die Gewerkschaft nicht zusehen. Ihr Auftrag an den Staat: Nimm uns ruhig unser Geld, aber gib „den Menschen wieder eine Perspektive“!
Da möchte man dann doch ganz gerne einmal nachfragen, warum diese Leute so sehr auf dem „Anti“ vor dem „fa“ beharren.
Was all die guten Demokraten von Politik und öffentlichem Leben an den Rechtsradikalen auszusetzen haben, ist eben nicht deren Nationalismus und Staatsfanatismus, darin sind sie selbst nicht zu übertreffen. Was sie stört, ist, daß diese an sich erfreuliche Gesinnung sich nicht konstruktiv betätigt. Da gibt es Leute, die aus ihrem nationalistischen Denken heraus denen, die ein Anrecht auf Gefolgschaft haben, diese einfach kündigen. Statt ihren angestammten Führern nachzulaufen, fallen sie glatt auf Möchtegern-Führer herein. Statt sich unterzuordnen, erlauben sie sich, selbst in die Hand zu nehmen, was sie als nationale Notwendigkeiten ansehen. Beleidigt wird durch solche Haltung das Gewaltmonopol – und zwar in seiner Eigenschaft als Besitzstand der Parteien, die sich in der Rechtsnachfolge des Reiches bewährt haben – und keine einzige andere demokratische „Wertvorstellung“. Darum ist die „geistige Auseinandersetzung“ der Demokraten mit den Rechtsradikalen auch so argumentlos. Gegen deren Ideale und politische Lagebeurteilungen haben sie nur eines vorzubringen: daß sich darum doch längst die Richtigen kümmern. Wer das nicht anerkennt und in dieser Frage eine Konkurrenz aufmacht, der erfährt das einzig schlagende Argument der Demokratie, die Gewalt, in Form von Verfassungsschutz und Justiz. Diejenigen, die immer nach mehr Staatsgewalt gegen alle nationalen Schädlinge rufen, kriegen den Vorwurf samt Drohung zurück: Ihr seid selber welche, weil Ihr nicht bei den Richtigen mitmacht! Wie ungerecht es ist, uns Zimperlichkeit zu unterstellen, werdet Ihr schon noch merken – und zwar am eigenen Leib!
Die offizielle Antwort auf den um sich greifenden Rechtsradikalismus sieht also doch ein wenig anders aus, als sich Demokratieidealisten vielleicht erträumt haben. Oder haben die Mahner vor Rechtstendenzen, die angesichts der Randale an die Staatsgewalt appelliert haben, sie möge endlich ordentlich durchgreifen, womöglich selber schon das faschistische Erziehungsideal von der rechtzeitig verabreichten Tracht Prügel im Sinn gehabt? Haben sie vielleicht nichts anderes gewollt als das Zuschlagen des Gewaltmonopols gegen Nestbeschmutzer, als Beweis der Wehrhaftigkeit unserer sauberen Demokratie? Diesen Beweis haben sie jedenfalls jetzt bekommen in Form einer Klarstellung durch die Macher in Bonn, daß die sich ein Monopol auf rechtsradikales Vorgehen vorbehalten und lästige Konkurrenten auf dem rechten Terrain ebenso abservieren wie alle sonstigen Unruhestifter, die ihre Kreise stören. Hinsichtlich dieser ihrer Absicht haben Kanzler & Co allerdings auch nie jemandem etwas vorgemacht. Kohl hat von Beginn der Kampagne an keinen Hehl daraus gemacht, daß er den Titel „Kampf gegen rechts“ nicht mag. Unangefochten von allen Zeitungskommentaren, die meinten, gegenwärtig brauche man von einer Bedrohung von links nicht mehr zu reden, beharrte Kohl stur auf seiner Kampfansage gegen den Radikalismus von links und rechts. Ihm lag daran, von vornherein klarzustellen, daß es ihm mit seiner Offensive gegen „Extremismus und Gewaltbereitschaft“ um etwas ganz anderes und viel Prinzipielleres geht: Jeder, der sich gegen den Staat etwas herausnimmt, soll als Gewalttäter zur Rechenschaft gezogen werden. Er und seine politischen Freunde nehmen die Randale gegen Ausländer zum willkommenen Anlaß, sich als Staatsgewalt alle diejenigen vorzunehmen, die nicht spuren wie sie sollen:
„Die oft zu beobachtende Erosion des Rechtsbewußtseins hat insbesondere auch dazu geführt, daß sich rechts- und linksextremistische Gewalttäter zur Konfrontation mit dem Staat ermutigt fühlen. Es wäre ein falsches Verständnis von Liberalität, wenn der Rechtsstaat an der Verfolgung politisch motivierter Terroristen gehindert würde. Ein Staat, der das nicht mehr durchsetzt, verliert das Vertrauen seiner Bürger. Wo die Sicherheit der Bürger gefährdet ist, steht immer auch ihre Freiheit auf dem Spiel.“ (Bulletin 11.12.92)
So verspricht er seinem Volk feierlich, peinlich darauf zu achten, daß keiner gegenüber den Regierenden frech wird. Das ist er seinen Bürgern und ihrer Freiheit einfach schuldig. Mit den gewachsenen Ansprüchen der Nation auf Erfolg wachsen nunmal auch die auf bedingungslose Gefolgschaft. Je größere Probleme die Nation sich zur Bewältigung vorgenommen hat, desto mehr fühlt sie sich durch die bislang ihren Bürgern zugestandenen Freiheiten bedroht. Ihrer sich daraus bedrohlich abzeichnenden Ohnmacht will die Politik darum gründlich vorbauen. Und bei der Verfolgung dieses Ziels brauchen die Herrschaften in Bonn noch nicht einmal als diejenigen auftreten, die gegen die Interessen der Bürger ihre Machtinteressen durchsetzen. Die Stimmung im Lande ist genau umgekehrt. Die Meinungsmacher sind sich mit sämtlichen Stammtischen einig: Mehr Führung tut not!
Die Nachrüstung des Rechtsstaats
„Nach unserer Verfassung verfügt nur der Staat über das Gewaltmonopol. Dieses Grundprinzip unserer demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung darf nicht angetastet werden. Wer dies versucht, muß die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Polizei, Justiz und alle in unserem Lande müssen jetzt gemeinsam und entschlossen jeder Form von Gewalt entgegentreten…“ (Kohl a.a.O.)
Soweit das Programm, die Ausführung ist in vollem Gange. Kaum wurden die Zündler an Asylantenheimen nicht mehr als nützliche Idioten betrachtet, sondern als Terroristen, wurden die bisherigen Argumente für milde Strafen – wie z.B.: „Jugendstrafen dürfen nicht vom Abschreckungsgedanken bestimmt sein“ – bei der Justiz praktisch aus dem Verkehr gezogen. Zuschlagen heißt das Gebot der Stunde, was schert uns da noch das Geschwätz von gestern. Doch ein wenig Mißtrauen, daß die unabhängigen Richter nicht wissen, welche Urteile sie ab sofort zu fällen haben, ist geblieben. Jedenfalls sehen sich Politiker wie Journalisten ständig veranlaßt, öffentlich der „dritten Gewalt“ Ratschläge zu erteilen, welche „restriktiven“ Auslegungen bestimmter Tatbestandsmerkmale bei den einschlägigen Delikten endlich einmal abgestellt werden sollten, und eindringlich ans Herz zu legen, das mögliche Strafmaß voll auszureizen.
Die verschärfte Anwendung bestehender Gesetze allein ist der Bonner Mannschaft allerdings zu matt. Sie läßt keine Gelegenheit aus – wenn sich die öffentliche Meinung nun schon mal so aufgeschlossen gegenüber dem staatlichen Zuschlagen zeigt –, sich weitere Handhaben gegen alle, die ihr lästig sind, zu genehmigen. Die konkurrierenden Vereine überstürzen sich geradezu beim Erfinden neuer rechtlicher Handhaben:
– FDP-Solms plädiert dafür, §§ 86 u. 86a StGB (Verbot der Verbreitung und Verherrlichung von Nazisymbolen) zu verschärfen: Abwandlungen der Symbole sollen nicht mehr vor Strafe schützen, der uniformierte Aufmarsch solle bereits als Aufruf zu Rassenhaß gewertet werden können. (FR 4.12.92)
Extremer Nationalismus gehört nämlich unter Strafe gestellt, sobald er das Bedürfnis nach Identifikation jenseits der offiziellen Symbolik und der von oben angesetzten Aufmärsche verspürt. Endlich soll die Justiz das Vergehen, sich als deutsche Alternative nach außen kenntlich machen zu wollen, ahnden können, ohne daß ihr der Nachweis durch formelle Tricks dieser Neonazis erschwert werden kann.
- Außerdem, fordert der Oberliberale, müsse die Wiederholungsgefahr als Haftgrund bis zur Verhandlung in die StPO aufgenommen werden. (ebd.)
- Die CSU will die Möglichkeiten der Telefonüberwachung erweitern und auch den bloßen Verbleib in einer gewalttätigen Menschenmenge unter Strafe stellen (Erweiterung des Landfriedensbruchparagraphen). (FAZ 9.1.93)
- Gerster fordert Erhöhung des Strafmaßes bei allen einschlägigen Delikten, derer die Rechtsradikalen derzeit beschuldigt werden.
- Die Kronzeugenregelung wird im Hinblick auf den Rechtsradikalismus bis ’95 verlängert.
Wobei klar ist, daß diese Gesetzesänderungen zwar anläßlich der rechten Randale über die Bühne gehen, aber nicht nur für deren Bekämpfung ersonnen werden und zur Verfügung stehen; das Erledigen der Randale geht ja längst mit bereits vorhandenen Mitteln. In Bonn macht man auch kein Geheimnis daraus, daß man keineswegs nur Skins und Neonazis auf dem Kieker hat, sondern einerseits das ganze rechte Spektrum, das sich getrennt von etablierten Parteien zu sammeln sucht, und andererseits alles, was noch irgendwie mit Sozialismus liebäugelt. Dazu kommt noch das „organisierte Verbrechen“ und was zu dessen Umfeld zählt. Für all das verschafft sich der Staat sämtliche erdenklichen Mittel und hält dann selbst ein aufschlußreiches Dementi für erforderlich:
„Der Innenminister verwahrte sich dabei (Ankündigung der gesetzlichen Regelung des „großen Lauschangriffs“) gegen die ‚verfälschende und verzerrende‘ Darstellung, der Staat wolle sich einen Freibrief verschaffen, alle seine Bürger zu belauschen. Der Einsatz technischer Mittel sei kein ‚Angriff‘ auf unsere Demokratie und die grundgesetzlich gewährten Rechte.“ (FAZ 26.1.93)
Nein, alle Bürger belauschen will der Staat wirklich nicht, nur die, die ihm irgendwie verdächtig vorkommen. – Übrigens: Der total ergebene Untertan hat auch in keiner Diktatur etwas zu befürchten!
Angesichts des nach oben offenen Katalogs zusätzlicher Repressionsmittel, der zur Zeit in der Diskussion ist, erinnert sich ein SZ-Kommentator an die entsprechenden Debatten in den 70er und 80er Jahren anläßlich der linken Umtriebe:
„Fast alle Vorschläge, die zur Abwehr des Terrors von rechts gemacht wurden, gleichen auf fatale Weise den Reaktionen, mit denen vor zehn, fünfzehn Jahren konservative Politiker auf den Terror von links antworten wollten. Diese Reaktionen wurden damals vielfach als antidemokratisch, rechtsstaatsfeindlich, günstigstenfalls als autoritär beschimpft. Nicht selten waren Vorwürfe wie rechts, präfaschistisch oder gleich faschistisch.“ (Busche SZ 9./10.1.93) –,
und will keineswegs darauf hinaus zu zeigen, daß wir heute schon wieder so weit sind: Der Staat baut sich rechtsradikal auf – nur diesmal anläßlich der Neonazis. Erst recht will er Linke nicht vor der Wiederholung des Fehlers bewahren, immer dann vor einem Abgleiten der Demokratie in den Faschismus zu warnen, wenn diese gerade deutlich macht, wie viel sie in ihren Methoden mit ihm gemein, und wie wenig sie ihn darum als Alternative nötig hat. Busche verfolgt den ganz entgegengesetzten Zweck, er will der „kritischen Intelligenz“ gleichsam prophylaktisch schon einmal die rote Karte zeigen: Sie soll nur ja nicht den Fehler von damals wiederholen und dem gewaltbereiten Staat übel nachreden. Damals hätte dieser „kleine, aber wichtige Teile der Öffentlichkeit“ bereits bewirkt, daß der Staat sich nicht getraut hat, die nötigen Maßnahmen zur „Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität“ zu ergreifen, „weil man den Aufschrei der linksliberalen Verteidiger des Rechtsstaates“ fürchtete (da kommen einem ja die Tränen!). Jetzt, wo es gegen die DVU-Freys und Konsorten geht, sollten sie sich spätestens dafür schämen und hinter die Ohren schreiben:
„Soll Repression gegen rechts Ergebnisse zeitigen, muß sich das Verhältnis auch der kritischen Intelligenz zu Institutionen wie dem Verfassungsschutz ändern.“ (SZ 30.11.92)
Wenn es schon gegen die Rechten geht, kann man den Linksintellektuellen doch getrost abverlangen, daß sie sich in die rechtsradikale Phalanx aller guten Demokraten einreihen, zumindest angesichts der Hochrüstung des Rechtsstaats die Schnauze halten. Dann wäre selbst ein Busche nicht mehr unbedingt nachtragend und würde dafür plädieren, mit dem neuen Repressionsinstrumentarium nicht noch „nebenbei Rechnungen von gestern zu begleichen“.
In Sachen freie Meinungsäußerung stellen die zuständigen staatlichen Stellen zur Zeit klar, daß die FdGO nicht dahingehend mißverstanden werden sollte, daß man – solange man nicht rechtswidrig handelt – politisch denken dürfe, was man möchte. Sich Urteile über die Politik zu bilden, sie zu äußern und für sie zu werben, ist keineswegs Privatsache. Im Lehrbuch über die bürgerlichen Freiheitsrechte mag das zwar so stehen, der demokratische Staat aber, der sich dem Schutz dieser Freiheiten bekanntlich verschrieben hat, läßt da lieber nichts anbrennen. Er will möglichst alles unter Kontrolle haben, auch wenn noch nicht im entferntesten abzusehen ist, daß aus einer abweichenden Ansicht je einmal eine politische Kraft werden kann, die der Machtverteilung im Lande praktisch hinderlich wird.
Der Verfassungsschutz ist in diesen Fragen schwer auf der Hut, aber nicht nur auf der rechten Seite des politischen Meinungsspektrums, sondern – gerechtigkeitshalber – auch bei den Freunden des Sozialismus. Das läßt sich jedenfalls seinen Berichten entnehmen, mit denen er – auch außer der Reihe – die Öffentlichkeit ständig versorgt:
„Als … Organisation ehemaliger Stasi-Leute wird in dem Bericht ein ‚Insider-Komitee‘ genannt… (Dieses) wolle nach eigenem Bekunden als gleichberechtigter Partner an ‚einer kritischen Erforschung und Darstellung‘ der Tätigkeit des MfS mitarbeiten. Der Verfassungsschutz vertritt die Auffassung, daß dieses ‚Insider-Komitee‘ einen Teil der kommunistischen Kampagne gegen die Aufarbeitung der DDR-Geschichte bilde, die von der PDS sowie von der DKP und anderen kommunistischen Organisationen als Schwerpunkt ihres ideologischen Kampfes angesehen werden.“ (FAZ 26.1.93)
Das geht ja wirklich nicht an, daß sich Leute um ihren Ruf kümmern, die dazu gar kein Recht haben. Schließlich ist die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit unseren Eppelmännern übertragen worden; und damit machen sich alle, die andere Vorstellungen davon haben, selbst zu Observationsobjekten unserer Stasi und müssen sich weitere Konsequenzen selbst zuschreiben.
So tritt die Demokratie in Deutschland auf, als wolle sie den Nachweis führen, daß sie auch in Sachen Recht auf Meinungsführerschaft des Staates und Kontrolle der Dissidenten den verblichenen Sozialismus lässig in die Tasche steckt.
Und in einer Hinsicht ist sie dem realen Sozialismus ohnehin überlegen: Schließlich verfügt sie nicht nur über das Mittel Geheimdienst, sondern auch über jede Menge freiwilliger Mitarbeiter in der Gesellschaft, die weder IM heißen noch als solche geführt werden müssen, dafür aber umso wirkungsvoller sich darum kümmern, politisch falsch Tickenden keine Chance zu geben.
Das Bündnis des Anstands
Wenn der Kanzler erklärt:
„An alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes richte ich den Appell, die Polizei und die Justiz in ihrem Kampf gegen den Terror politischer Extremisten nach Kräften zu unterstützen. Ich bleibe dabei: Wer abseits steht oder wegschaut, trägt dazu bei, Gewalttaten zu fördern…“ (Kohl, a.a.O.) –,
sekundieren die Sozis:
„großes Bündnis des Anstands gegen die Gewalt von rechts… dem Bündnis sollten sich Parteien, Gewerkschaften, Unternehmer, Vertreter der Kirchen, der Medien, der Kultur und der Verbände anschließen. Der Anfang sei bereits gemacht. Jetzt müsse die Gegenwehr der großen Mehrheit so lebendig und stark fortgeführt werden, wie sie begonnen habe. Der Terror müsse schon bekämpft werden, wenn er in den Köpfen junger Menschen entstehe.“ (Engholm, SZ 28.12.92)
Und die, die angesprochen sind, wissen schon vorher, was sie zu tun haben. Die Print- und sonstigen Medien überschlagen sich darin, vom Staat genau das zu fordern, was der sich gerade vornimmt. SZ-Kolumnist Busche tritt in die vorderste Front, wenn es gilt, über den Erfolg der Repressionsmaßnahmen zu spekulieren. Da fiebert er geradezu mit und macht sich seine strategischen Gedanken:
„Die rechtsstaatliche Bekämpfung des von dort (Neonazis) geübten Terrors muß beachten, daß sie es nicht – wie bei den Linken – mit eindeutigen an Zielen und Rechtfertigungen erkennbaren, rationalen Strukturen zu tun hat. Das macht vieles, zumal bei der Ermittlung der Täter schwerer. Andererseits sind da die Instrumente, die gegenüber Linken stumpf blieben, z.B. Repression und Abschreckung, womöglich wirksam, weil es mit der Persönlichkeitsstärke der Täter nicht weit her ist. Bei der Prävention allerdings reicht es nicht, Einzelpersonen zu schützen, denn rechtsextremer Terror schlägt unvorhersehbar zu. Hier muß Überwachungsarbeit – etwa von Versammlungsstätten geleistet werden, für die wahrscheinlich doch neue Gesetze notwendig sind, sofern die Sorge um den Schutz potentieller Opfer ernstgenommen wird. Wichtig ist – und das können nur Politik und Strafverfolgung leisten –, daß bei den Rechtsextremen das Gefühl der Sicherheit in der Masse zerstört wird: der einzelne Rechtsextremist ist ein Feigling.“ (ders. SZ 28./29.11.92)
Bei den Rechten ist Draufhauen das einzig Richtige, und zur Begründung seines Plädoyers für Gewalt, läßt sich der Schreiberling noch glatt ein rassistisches Täterprofil der Randalierer einfallen. Feiglinge sind sie, die noch nicht einmal für ihre verkehrte Gesinnung einstünden, wenn sie aus dem Schutz der Masse rausgeholt würden. Aber das wundert ja nicht, weil diese „sozial und ideologisch Deklassierten“ „wohl mehr gefühlsmäßig als intellektuell ihre gemeinsame Außenseitersituation begriffen“ haben. Für die ist Gewalt die einzige Sprache, die ihrem Naturell entspricht.
Die Rechtfertigung und Verplausibilisierung der Staatsmaßnahmen ist aber nur eine Aufgabe des für die korrekte Bürgermeinung verantwortlichen Journalismus. Eine andere ist, Feindbilder zu vermitteln, damit die Bürger nicht den falschen auf den Leim gehen. An dieser Aufgabe ist nach allgemeiner Auffassung Thomas Gottschalk vor einigen Wochen in seiner RTL-„Late Night Show“ kläglich gescheitert. Hat er doch Schönhuber interviewt, ohne ihn vorführen zu können. Zwar hat er ihm in seinen Fragen lauter Bekenntnisse zur geistigen Vaterschaft rechter Randale abverlangt, der hat in seinen Antworten aber bloß stinknormal gegen Scheinasylanten und Wohnungs- und Arbeitsplatzklauer gehetzt, so daß sämtliche Demokraten seine Ansichten sehr verführerisch fanden. Seitdem wird dieser Vorfall in der Öffentlichkeit ausgiebig nachtarockt und exemplarisch die Methode diskutiert, wie man mit ausgemachten Demokratiefeinden in der Welt der Medien umzugehen hat. Was hat Gottschalk also falsch gemacht? Dazu Bednarz:
„Herrn Schönhuber sollte man nicht in eine live-Sendung einladen, weil alle Erfahrung zeigt, daß er jedes Forum, das ihm live geboten wird, in einer schamlosen Weise mißbraucht, um Lügen und Stammtischparolen unter die Leute zu bringen. Selbst wenn Sie versuchen argumentierend zu konterkarieren – und Sie müssen ihm dabei hin und wieder auch ins Wort fallen, weil er ein Medienprofi ist und sich sofort des Forums und der Szene annimmt –, werden Sie bei seinen Anhängern den Märtyrereffekt evozieren, d.h. es kommt sofort der Vorwurf an den Interviewer: Warum laßt ihr diesen Mann nicht ausreden? Ich glaube, es ist vergleichsweise unverantwortlich und in großen Stücken Selbstüberschätzung und auch eine Fehleinschätzung der Wirkung der Medien, Herrn Schönhuber in live-Sendungen einzuladen.“ (WDR-Sendung: „Umgang der Medien mit den Rechtsradikalen, Totschweigen oder Anprangern?“ 21.1.93)
Eine schöne Lektion über Meinungs- und Pressefreiheit und journalistische Verantwortung. 1. Wenn einer wie Schönhuber öffentlich seine Ansichten kundtut, mißbraucht er das ihm gewährte Forum. Der beliebige Gebrauch ist nämlich unseren Medienprofis Kohl und Konsorten vorbehalten. 2. Ein freiheitlicher Journalist käme nie auf die Idee, einen politisch anders Denkenden zu kritisieren; Anprangern und Vorführen heißt die Devise. 3. An Schönhubers Äußerungen fällt den versammelten Redakteuren auch gar nichts Kritikables auf, weswegen sie ihn einen Lügner nennen, „der Kreide gefressen“ hat, oder wie der anwesende Horst Richter psychoanalysierte:
„Er sagt genau das Gegenteil, von dem, was er meint, aber das so geschickt eingepackt, daß die Leute suggestiv in die Irre geleitet werden – sog. Orwell-Effekt (Methode des Liebesministeriums).“
Als Gruselstory mag diese Vorstellung ja literarisch wertvoll sein, aber als Theorie ist sie doch ein wenig unglaubwürdig. Was Richter – und nur er ist seiner Meinung nach zu so etwas fähig – Gott sei Dank als perfide Verführungskunst durchschaut hat, ist etwas ganz anderes und geht sehr simpel. Schönhuber behauptet nämlich gar nicht das Gegenteil von dem, was er meint, sondern ist tatsächlich gegen „Scheinasylanten“ „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Überfremdung“, und er meint auch, daß die Bundesregierung auf die Mißstände, die die Republikaner seit ewigen Zeiten anprangern, zu spät und halbherzig reagiert hat. Und selbst wenn er – augenzwinkernd – sagt, Deutschland solle lieber dafür sorgen, daß die Hungerleider in den Heimatländern bessere Lebensbedingungen vorfinden, als sie mit Sozialhilfe hierhin zu locken, versteht es noch jeder Stammtischbruder richtig: „Ausländer raus!“, wird dadurch also kein bißchen „irregeleitet“, sondern in seiner nationalistischen Idiotie bestätigt.
Es ist aber auch kein Geheimnis, warum der nationale Seelenwart auf die fixe Idee von der geheimen Verführungskunst Schönhubers kommt: Weil er nicht nur Schönhubers glatte Worte für das Gegenteil dessen hält, was der meint, sondern weil er Schönhubers Programm für das Gegenteil vom Asylkompromiß hält. Der Inhalt dessen, was der Rep-Führer sagt, interessiert Richter nämlich überhaupt nicht, er hält ihn schlicht für einen unmöglichen und gefährlichen Politiker. Die, die dran sind und ihre Ausländerhetze gleich in die entsprechenden Gesetze gießen, die den Hals bei der Sammlung immer neuer Machtinstrumente nicht voll kriegen und Schönhuber damit blamieren, daß er ja bloß Reden halten kann, bewundert dagegen der Herr Professor sehr und hat viel Zutrauen zu ihnen.
4. Statt sich mit schlagfertigen Verführern anzulegen, sollten sich die Journalisten lieber an den Parteimitläufern vergreifen – so ein allseits gut geheißener Vorschlag –, deren unbedachte Äußerungen lassen sich eher entlarven. – Darum treibt sich das Fernsehen ja auch ständig beim CSU-Ortsverein Hintertupflingen herum, weil ihnen die glatten Reden des „Paradevorsitzenden“ Waigel zuwider sind.
5. Den Saft abdrehen: Das hat man natürlich immer noch im Repertoire, aber wer das nicht souverän beherrscht, sollte lieber gleich zum Anprangern in Abwesenheit des Beschuldigten übergehen. Das war auch Gottschalks Konsequenz, in der darauffolgenden Sendung präsentierte er einen Zusammenschnitt all seiner denunziatorischen Fragen, bei dem die Schönhuber-Antworten rausgeschnitten waren. So war’s dann recht.
Wenn die versammelte Journalistenmafia selbstquälerisch darüber lamentiert, daß noch viel zuwenig erforscht sei, wie die Medien jeweils wirken, und es deshalb oft so schwer sei, sich zwischen „Anprangern und Totschweigen“ zu entscheiden, geben sie ihr demokratisches Ideal von Meinungsbildung preis: Den Lesern/Zuschauern darf man es wirklich nicht überlassen, sich eine eigene Meinung zu bilden, die muß schon von den dazu bestallten Verantwortungsträgern gemacht sein. Ein Propagandaministerium à la Goebbels ist dagegen eine matte Erfindung. Viel effektiver ist es doch, wenn sich die freien Mitarbeiter der öffentlich rechtlichen und privaten Anstalten gleich allesamt wie kleine Propagandaminister aufführen und sich dabei auch wechselseitig auf die Finger schauen. Dann brauchen nur noch ganz gelegentlich Aufsichtsräte oder Werbeträger die wenigen schwarzen Schafe, die sich im Ton vergreifen oder ungeschickt anstellen, zur Raison zu rufen, ansonsten geht alles ganz zwanglos.
Für geistige Hygiene fühlen sich aber nicht nur die berufenen Medienwarte zuständig, mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln kämpfen auch andere gesellschaftliche Gruppen im „Bündnis des Anstands“. Die Unternehmerverbände und die IG Textil-Bekleidung schließen z.B. folgende Vereinbarung:
„Wir sind uns einig, daß Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zu Fremdenhaß aufrufen oder gewalttätig handeln, den Betriebsfrieden unerträglich stören. Von solchen Beschäftigten müssen wir uns trennen.“ (SZ 29.12.92)
Sollen sie ruhig alle mit dem Rausschmiß bedrohen, bei denen selbst deutsche Unternehmer und sogar die gewerkschaftlichen Betriebsräte merken, daß sie ihren Nationalismus wirklich ernst meinen. Ob es aber in Deutschlands Textilbetrieben gemütlicher wird, wenn dort erst einmal die Gewohnheit einreißt, die Äußerungen der politisierenden Mitarbeiter unter die Lupe zu nehmen, das ist doch schwer die Frage. Die Ausländerfeindlichkeit gerät da im Endergebnis zum Anlaß für eine Neuerung, die viel allgemeinerer Natur ist: Die Privatwirtschaft führt in Kooperation mit der Gewerkschaft hochoffiziell Berufsverbote für unliebsame politische Meinungen ein. Bislang hatte man Entlassungen aus politischen Gründen – in aller Regel traf es in den letzten Jahren Linke – juristisch verbrämt. Und wenn einer sagte, worum es tatsächlich gegangen ist, wurde ihm „böswillige Diffamierung“ vorgeworfen. Jetzt, wo die Zeiten andere sind und es zudem um eine allseits unstrittig gute Sache geht, ist die Gelegenheit da, mit dieser Heimlichtuerei Schluß zu machen. Und man erfährt, daß der Rechtsstaat dafür längst das nötige Instrumentarium bereitgestellt hat. Den Ausführungen eines hohen Richters in der Süddeutschen Zeitung konnte man kürzlich entnehmen, wie man solche Entlassungen aus politischen Gründen formal sauber über die Bühne bringt.
Die Zivilcourage der Saubermänner, anderen wegen abweichender Meinungen kurzerhand die Reproduktionsgrundlage zu entziehen, ist weder „Selbstjustiz“ noch „verbotene Eigenmacht“, sondern – nicht bloß gerechtfertigt, vielmehr – wünschenswert. Sie liegt genau auf der Linie, die die amtierenden Gewaltmonopolisten vorgegeben haben. Wer will da noch „formalistisch“ um Zuständigkeiten etc. rechten.
„Beschäftigte in Druckereien und Verlagen sollten sich nicht an der Herstellung von ausländerfeindlichem Material beteiligen, sondern notfalls die Arbeit verweigern. Es ist höchste Zeit, Zeichen zu setzen für die Erhaltung von Demokratie, Freiheit und Menschenwürde.“ Hensche (IG Medien)
Das wäre ja mal was, wenn die Arbeiter nicht einfach druckten, was der Chef ihnen aufträgt, sondern erstmal nachschauten, ob da auch nichts Ausländerfeindliches und Nationalistisches drinsteht. Dann hätten sie allerdings viel zu zensieren und wenig zu drucken. Aus der Asylmißbrauchsdebatte samt Begründung und Kommentar zum Kompromiß würden weiße Spalten. Die Berichte über die Serben, die Saddams, die Japsen, die Amis etc. landeten im Papierkorb. Und fingen Drucker erst mal an, den Nationalismus, die Grundlage der Ausländerfeindlichkeit, sich vorzunehmen, dann würden auch noch Sport-, Polit-, Wirtschafts-und Kulturteil storniert. Reklame und, mit Einschränkungen, das Wetter blieben gerade mal übrig.
Aber so war’s ja gar nicht gemeint. Den ansonsten mit Arbeitsverweigerung höchst sparsam operierenden Hensche hat lediglich sein nationalistisches Pflichtgefühl gedrängt, seinen lieben Kollegen nahezubringen, sich in Zukunft als Saubermänner vor Ort zu betätigen und frech gegen die zu werden, die der Nation und ihren Machern auf den Geist gehen.
Soweit der gute Vorsatz, die Post handelt bereits danach, indem sie sich weigert, Werbematerial der DVU auszutragen – nach dem Motto: Wenn der Verfassungsschutz die Partei für verfassungsfeindlich erklärt, aber nicht verbietet, dann machen wir ihr eben selbst das Leben schwer. So finden sich überall vorbildliche Demokraten, die auch ohne Amtsbefugnis zensieren und ein bißchen schikanieren, wo ihnen Leute unterkommen, die nicht auf Linie liegen. – Bei einer ganzen Gesellschaft, die engagiert und couragiert die Staatsinteressen gegen unruhestiftende Bürger schützt, wären Blockwarte wirklich eine lächerliche Einrichtung.
Es gibt freilich genug gutwillige Demokraten und Linke, die in dieser Saubermannstour die beste Methode sehen, rechtsradikale Positionen zu bekämpfen. Sie täuschen sich nur. Es ist nämlich eine Sache, rechtsradikale Arschlöcher als Feinde anzusehen, die man ohne Gewalt vielleicht gar nicht gebremst kriegt, eine andere, sich mit denen gemeinzumachen, die wegen ihrer eigenen machtgeilen Ziele und ihres eigenen nationalistischen Erfolgswahns die Freys und Schönhubers als Konkurrenten, die das gleiche verfolgen, mit ihren eigenen rechtsradikalen Methoden kleinkriegen wollen. Die Feinde der Neonazis, die was gegen deren Staatsfanatismus haben, sollten sich mal anschauen, was Kohl & Co denn angesichts der rechtsradikalen Herausforderungen machen, bevor sie sich einbilden, diese Leute wären Anwälte und Helfershelfer ihres Anliegens. Die Christen, die Sozis und auch sämtliche geistigen Führer zwischendrin haben nur ein Bedürfnis: die Schönhubers zu ersetzen. Von ihnen selbst geht der Nationalismus und Ausländerhaß im Lande noch allemal aus. Sie verbreiten erst mal die rechte Gesinnung und bekämpfen sie dann, wenn die falschen Leute, am falschen Ort und zur falschen Zeit, sich dieses Gedankenguts bedienen wollen. Dies könnte jedem doch spätestens dann auffallen, wenn ausgerechnet Stoiber, der Erfinder des Spruchs von „der durchmischten und durchrassten Gesellschaft“, sich als der größte Scharfmacher in Sachen Republikaner-Deckeln aufführt.
Der Preis für die Zerschlagung rechtsradikaler Grüppchen durch die Staatsgewalt ist doch ein wenig hoch, wenn dafür der Staat den politischen Anliegen der Rechten recht gibt und auf einen allgemeinen Konsens drängt, der ungefähr so totalitär ausfällt wie ein rechtsradikales Gleichschaltungsprogramm.
Es ist schon klar, daß Leute, die sich dieser Einheitsfront „Der Demokratie den Rücken stärken gegen rechts“ verweigern, bei allen unangenehm auffallen: 1. bei denen, die als Regierende oder deren Sympathisanten alle Bürger auf das existierende Gefolgschaftswesen einschwören wollen, und 2. bei denen, die meinen, der Schulterschluß mit den regierenden Demokraten sei die zeitgemäße Betätigung für linke Restbestände. Und wenn dann diese Ohnemichel auch noch die Maßnahmen des Staates gegen die Rechten als staatlichen Rechtsradikalismus kritisieren, dann steht für die Einheitsmichel eindeutig fest: Da solidarisiert sich jemand mit den Rechten. Die Schützer der Verfassung im Regierungssessel und am Redaktionscomputer kennen ohnehin nur ein Unterscheidungskriterium: Wer ist bedingungslos ergebener Volksgenosse, wer nicht und darum lästig. Weitere Unterscheidungskünste benötigen sie auch nicht in ihrem Amt. Der zweiten Abteilung geht dagegen ein bißchen ihr Moralismus durch: Wer nicht den Schulterschluß mit der Regierung sucht, wo die doch auf die Richtigen einschlägt, ist in den Augen dieser Leute selber verdächtig. Für sie ist die Parteinahme angesagt nach dem schlichten Sortierungsschema: Wer sind die Bösen, wer die Guten? Da die Neonazis bekanntermaßen häßliche Dinge tun, ist die Frage, gegen wen man sein muß, schon beantwortet. Weil die Regierenden die Rechtsradikalen bekämpfen, gehören sie zu den Guten, also muß man für sie sein. Diese Sortierung bedarf keiner Untersuchung dessen, was die einen bzw. die anderen wollen und weswegen sie sich gegenseitig nicht mögen. Weil keine Beurteilung der politischen Zwecke stattfindet, entsteht auch überhaupt keine Gegnerschaft gegen politische Ansichten und Vorhaben. Statt dessen setzt man gegen die mißratenen Bürger die Phalanx der aufrechten Demokraten. Durch die Klarstellung: Ihr seid ganz wenige, wir die vielen! sollen die Abweichler gründlich blamiert werden. Sieht das nicht nach einem moralischen Triumph des regierungstreuen Opportunismus aus?!
Die demokratische Erledigung unliebsamer Konkurrenz
Privatinitiativen von Saubermännern sind in Deutschland zur Zeit gern gesehen, nur auf deren Wirken allein will sich der Staat selbstverständlich nicht verlassen. Bei der Bekämpfung der falschen Fuffziger – auch der fehlgeleiteten Liebhaber der Staatsgewalt – setzt er schon selbst die Maßstäbe und gibt die Richtung vor.
Um zu unterstreichen, daß die Schnauze aufmachen dürfen ein staatlich gewährtes Privileg ist, für das man dankbar zu sein hat, hat er kürzlich gegenüber zwei Neonazi-Anführern die Anwendung des Art.18 GG (Verwirkung von Grundrechten) beim Bundesverfassungsgericht beantragt und ein paar Vereine dichtgemacht. – Nun ist die Erledigung von Skins und Neonazis leicht zu haben, nehmen sie sich doch gezielt Rechtsverletzungen und Provokationen vor, die nach geltenden Regeln sofort geahndet werden können. Auch ihre Identifizierung als Abweichler fällt leicht wegen ihres Hangs zur Nazisymbolik und zum Vokabular der Hitlerzeit. Da sind die Strafrechtsparagraphen problemlos zur Hand, mit denen man in dieser Szene aufräumt.
Allerdings stören rechte Parteien die regierenden Vereine viel mehr, weil die nicht nur die Oberhoheit über die Stammtische, sondern auch ein paar Sitze in Bonn/Berlin anstreben. Die besitzen jedoch die Frechheit, sich von der Randale zu distanzieren, auf Nazi-Klimbim zu verzichten, ihre Ausländerhetze genauso seriös zu formulieren wie Stoiber & Co und bei ihren antieuropäischen Warnungen vor deutschem Ausverkauf einfach Gauweiler zu imitieren (oder ist es umgekehrt?). Und damit haben sie auch noch Erfolg bei den Massen. Das können die Demokraten am allerwenigsten leiden, schließlich sind sie auf Wahlerfolge abonniert und lassen sich nicht von „selbsternannten Volkstribunen“ die Butter vom Brot nehmen. Begnügte man sich also bisher damit, Republikaner und DVUler als Ewiggestrige mit brauner Vergangenheit, finsteren Geldquellen, undurchsichtigen Kontakten und rüden innerparteilichen Verkehrsformen zu denunzieren, so reicht das jetzt nicht mehr. Es ist zwar nicht ausgemacht, ob man deswegen auf das bisher übliche Kungeln – wenn Not am Mann ist, sich (heimlich) ein paar Parlamentsstimmen ausleihen – in Zukunft ganz verzichten will. Da hat schließlich der Wähler noch ein Wörtchen mitzureden, vielleicht braucht man die Rechten dann doch noch für die Mehrheit – und für den Fall hat die CDU ihren Lummer u.a. Aber unabhängig davon ist fürs erste einmal erbitterter Kampf gegen die Stimmenklauer angesagt.
Ab sofort gelten sie offiziell als Verfassungsfeinde und soll der Verfassungsschutz mit sämtlichen nachrichtendienstlichen Mitteln – Abhören, V-Leute etc. – gegen sie vorgehen (Beschluß der Innenministerkonferenz Mitte Dezember).
Womit sie das verdient haben? Kohl und Co haben das beschlossen, und der gesamten deutschen Öffentlichkeit hat das als entschlossener Akt geistiger Führung sofort eingeleuchtet. Neue verfassungsschutzmäßige Erkenntnisse waren jedenfalls nicht der Anlaß, die offiziell zusammengetragenen Vorwürfe sind nach bisher gültigen Rechtsmaßstäben mehr als fadenscheinig:
Da heißt es, mit „ihrer sehr aggressiven ausländerfeindlichen Haltung“ verstießen sie gegen die FdGO. Als Belege werden gebracht:
- ein Flugblatt mit „dem neuen Deutschlandlied“, das von dem Vorwurf lebt, die Ausländer plünderten unsere Sozialkassen. – Da fragt sich allerdings, ob das Lied über den Mißbrauch wirklich schlimmer ist als die 25%ige Sozialhilfekürzung für Asylanten. Wahrscheinlich kann man als Neger mit den Kürzungen zehnmal besser zurechtkommen als mit dem Lied!
- der Gebrauch der Begriffe: „Überfremdungsmafia“ und „menschlicher Einheitsbrei“ (vgl. FAZ 17.12.92). Stoiber sieht hierin wohl den Tatbestand des Plagiats erfüllt. Im übrigen stehen in derselben Woche in der Süddeutschen Zeitung und im Spiegel-Zitate aus einer Lummer-Rede (vor Burschenschaftlern) und Redebeiträgen auf einem CSU-Parteitag – von denen sich die Führung keineswegs distanzierte –, die die inkriminierten Äußerungen eindeutig in den Schatten stellen.
Von daher muß der objektive Beobachter den Eindruck gewinnen, bei der Exkommunikation der Republikaner – deren heftigster Verfechter der bayerische Innenminister ist – handele es sich weniger um die Abgrenzung von Demokraten zu Faschisten als um die Ausgrenzung der Strasser/Röhm-Fraktion aus der Bewegung.
Die demokratische Öffentlichkeit sieht das natürlich anders: Bei CSU/CDU/ SPD/FDP handelt es sich bei ihren ausländerfeindlichen Gesetzen um Tatkraft, und bei den Sprüchen um bedauerliche – aber wegen der Konkurrenz zu den Reps verständliche – Entgleisungen, die dazu angetan sein könnten, unsere „politische Kultur“ ein wenig zu ramponieren; während es sich im Falle der Republikaner um Volksverhetzungsdelikte von eindeutigen Überzeugungstätern handelt, den geistigen Sumpf von Hoyerswerda, Rostock und Mölln.
Die Bemühungen der Republikaner, seriös in der politischen Konkurrenz aufzutreten, werden gleich als „die Maske des Biedermanns“ entlarvt, und schon hat man den zweiten Beweis ihrer Verfassungsfeindlichkeit: Sie verstellen sich.
Damit sitzen sie in der Falle, die der Verfassungsschutz jedem, den er im Visier hat, stellt. Entweder läßt der Observierte sich dabei erwischen, offen demokratie- oder rechtswidrige Äußerungen bzw. Handlungen begangen zu haben, dann ist die Sache klar. Oder er ist, wenn er sich an die Spielregeln hält, darauf achtet, daß man ihm nichts nachweisen kann, erst recht überführt: Er verstellt sich, hat also was zu verbergen. Und dann ist erwiesen, daß alles, was man ihm vorwerfen will, seine Berechtigung hat.
Schließlich, befinden die Staatsschützer, ist die Zusammenarbeit der REPs mit rechtsextremen Parteien längst erwiesen. Zwar sind die Abgrenzungsbeschlüsse der Schönhuber-Partei gegen NPD und DVU allgemein bekannt, aber zum Glück hat sich die NPD nicht von den Republikanern distanziert, sondern ’89 in Berlin eine Wahlempfehlung zugunsten dieser Partei abgegeben und an anderer Stelle verlauten lassen:
„Die Programmpunkte, die die Republikaner aufgenommen haben, die haben wir schon seit zwanzig Jahren.“ (Schäfer NPD)
Außerdem hat der Verfassungsschutz herausgefunden,
„daß jeder fünfte Parteifunktionär der Republikaner früher bei der NPD, der DVU oder einer anderen rechtsextremen Organisation tätig“ war,
und ist nicht bange, gefragt zu werden, wieviele von ihnen denn aus der CDU/CSU und SPD kommen, oder wie die Migration umgekehrt aussieht.
Und behaupten die Republikaner nicht wahrheitsgetreu, daß die Koalition in Sachen Asyl jetzt endlich die Linie verfolgt, die sie schon vor Jahren gefordert haben?
Letztes Indiz des Staatsschutzes: Die Republikaner distanzieren sich nicht korrekt vom Nationalsozialismus. Das inkriminierte Zitat aus einem Schönhuber-Buch lautet:
„Wäre er (Hitler) historischen Erkenntnissen gegenüber aufgeschlossener gewesen, hätte er sich nicht schon sechs Jahre nach der Machtergreifung in einen Krieg treiben lassen.“ –
und löste helle Empörung beim Verfassungsschutz aus. Dabei scheint man dort ganz vergessen zu haben, daß der späte Graf Stauffenberg ziemlich genauso gedacht hat und als erstklassiger deutscher Widerstandskämpfer in die Annalen einging. Aber auch heute noch fällt allen guten deutschen Nationalisten – pardon: Patrioten – als die Kritik an Hitler ein, daß er Deutschland in einen ziemlichen Schlamassel gestürzt hat. Und es war nicht Schönhuber, sondern der ehrenwerte Historiker Nolte, der aus seiner Sympathie für Hitlers antibolschewistisches Programm keinen Hehl machte, den anderen kapitalistischen Nationen vorwarf, uns im Stich gelassen zu haben, und die „singulären Massenverbrechen“ aus dem notwendig „überschießenden Charakter“ einer „Gegenideologie“ erklärte. Aber der ist ja auch anerkannter Fachmann für unser Geschichtsbild und kein anerkannter „nationalistischer Hetzer“, der stiehlt ja auch keine Stimmen.
Zusammenfassend lautet das vernichtende Urteil der Demokraten über Schönhuber & Co folgendermaßen:
„Auch wollten die Republikaner ‚durch Diskriminierung der Repräsentanten und Institutionen der Demokratie‘ das Vertrauen der Bürger in den Staat schwächen.“ (FAZ a.a.O.)
Sie müssen bekämpft werden, weil sie ihr rechtsradikales Staatsprogramm gegen das längst praktizierte, die Einheit von Volk und Staat, geltend machen. Sie versuchen, den existierenden Schulterschluß von Volk und Führung zu untergraben, um ihn selber zu machen, und schwächen damit die Nation, den von den amtierenden Herrschaften in ihrem Sinne eingerichteten Laden. Der Vorwurf an die Adresse der Reps lautet also nicht auf rechtsradikale Gehässigkeiten, sondern rechtsradikal auf Distanzierung gegenüber der Führung, Schwächung der Nation, Wehrkraftzersetzung eben.
So eine Konkurrenz brauchen sich die altbewährten Machtinhaber nicht gefallen zu lassen. Und wenn die Schönhubers ausgerechnet mit dem Vorwurf „Schwäche“ aufwarten, führt die geschmähte Führung gerne auch an ihnen den Beweis, daß sie sehr wohl ihre Machtmittel zu gebrauchen versteht.
Kaum ist der Beschluß zur Observierung gefallen, fordern sämtliche Parteien die Anwendung des Radikalenerlasses auf Republikaner und DVU, und die Justiz wird angehalten, auch mal ein paar Zeichen setzende Strafurteile zu produzieren. So wies baden-württembergische Justizminister Schäuble seine Staatsanwaltschaft in Freiburg an zu überprüfen, ob man den Verfassern folgender Sätze in einer Republikaner-Schrift nicht Volksverhetzung reinreiben könnte:
„Arbeitslosigkeit, rasant steigende Mieten und Lebenshaltungskosten und ein unaufhörlicher Strom von Asylbewerbern, von denen 95% Asylbetrüger sind“ hätten Menschen enttäuscht. „Der Volkszorn“ brauche „keine Souffleure; wenn das Maß voll ist, dann kocht er über.“ (SZ 12.12.92)
Und dann heißt es weiter:
„Schäuble stellt in seiner Weisung an die Staatsanwaltschaft ausdrücklich auf den Gesamtzusammenhang und nicht auf einzelne Sätze der Republikaner-Schrift ab.“
Weil der Wille der regierenden Demokraten feststeht: „Kleinkriegen!“, ist der Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit und des Vergehens gegen das Strafgesetz reine Formsache, auf die Überzeugungskraft der Beweise kommt es wirklich nicht mehr an, doch mit „Gesinnungsjustiz“ hat das natürlich überhaupt nichts zu tun. Nach einhelliger Meinung aller Demokraten trifft es nämlich die Richtigen, dienen die Aktionen einem guten Zweck.
Wenn Schönhuber konstatiert, was die Konkurrenten mit seiner Partei vorhaben:
„Einschüchtern, stigmatisieren, kriminalisieren gehört zum Rüstzeug dieses Kampfes, Hitler läßt grüßen.“ –
gibt ihm die demokratische Öffentlichkeit im Prinzip durchaus recht, nur findet sie das Vorgehen unserer „wehrhaften Demokratie“ völlig korrekt und angebracht:
„So nimmt sich die ostentative Ankündigung des einstimmig erteilten Auftrags an den Verfassungsschutz vorerst ein wenig als das aus, was Schönhuber – zieht man seinen Worten das Absurde und Übertriebene ab – als Getroffener darin auch sehen will: ‚einschüchtern, stigmatisieren, kriminalisieren‘ mit administrativen Mitteln. Ginge es darum, jemanden einer einmaligen Missetat zu überführen, weil damit ein Übel aus der Welt geschaffen werden könnte, wäre eine heimliche, zumindest unauffällige Vorgehensweise richtiger. Im politischen Fall aber geht es um eine laute Warnung, die Arglose hören mögen, wenn sie sich versucht fühlen, den ‚Republikanern‘ zu folgen, ohne vorher sorgfältig in die Verfassung gesehen zu haben. Der Art. 1 des GG sagt: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘. Sicherlich, mit diesem Artikel wird in der politischen Tagesauseinandersetzung einiges an Schindluder getrieben, aber es kann wohl nicht falsch sein, Schönhubers potentielle Gefolgsleute darauf zu stoßen, wie sich die ekelhaften Sprüche der ‚Republikaner‘ zum Gebot schon dieses GG-Artikels verhalten. Für die Aktivisten der Partei brechen jetzt ungemütliche Zeiten an. Wer gern als reputierlich gilt zwischen Stammtisch und Schrebergarten, aber gleichzeitig nichts dabei findet, politisch zu unterstützen, was man als den legalen Arm der Hetzer und Brandstifter vor Asylbewerberheimen bezeichnen möchte, der könnte bald erleben, daß korrekte Beamte sich bei Nachbarn und Arbeitskollegen sorgsam erkundigen, was er so treibt. Da wird es für die ‚Republikaner‘ schwer, Kandidaten für Ämter und Wahllisten, auch nur vorzeigbare Redner zu finden. So soll es sein. Repression ist eine scharfe Waffe. Die demokratischen Innenminister verfügen über sie als eine Prämie auf den Machtbesitz und machen hier den richtigen Gebrauch davon. Sie werden dabei reichlich kontrolliert.“ (Busche in SZ 17.12.92)
Daß Repression eine Prämie auf den Machtbesitz ist, stimmt zwar für die Demokratie, trotzdem sind solche Klarstellungen neue Töne. In Sozialkundebüchern wird das Wesen der Demokratie immer noch ein wenig anders beschrieben. Leute vom Schlage Busche bekennen sich ungeniert dazu, daß ihr famoses Gemeinwesen in nichts besser ist als das, wovon Schönhuber träumt. Sämtlichen Diktaturen auf der Welt wurde und wird – wenn sie uns nicht passen – vorgehalten, mittels Repression würden sie ihre Macht erhalten. Soll man ab sofort die Saddams und Mobutus – mit Busches Erlaubnis – als „stinknormale Politiker“ einordnen dürfen? Oder fehlt ihnen dazu Busches „Kontrolle“?
Aufschlußreich die liebevolle Ausmalung der demokratischen Praktiken, wie Konkurrenzvereine ausgeschaltet werden: durch Denunziation, Bespitzelung und Berufsverbote wird potentiellen Sympathisanten der Weg gewiesen. D.h. Über diesen Verein klappt keine Karriere und der Weg zur Macht schon gar nicht, der paßt uns nämlich überhaupt nicht in die Rechnung. Wenn schon, müßt ihr zu uns kommen.
Lehrreich auch die Ausführungen zum Art. 1: Wenn Sozial- und Innenminister gesetzlich definieren, was mit der Würde des Menschen alles vereinbar ist, dann sind unsere Pressefritzen großzügig und kommen mit der Generalabsolution „Schindluder wird natürlich damit getrieben“ daher, aber Äußerungen, die eben diese Taten einfordern, vom Falschen sind geradezu „ekelhaft“.
Spitzenmäßig schließlich das Argument mit der Kontrolle. Daß Innenminister irgendetwas lassen, weil Journalisten dagegen sind, kann der SZ-Mann selber nicht glauben (er braucht bloß seinen Kollegen Prantl zu fragen, der seit längerem die Innenminister beim Gebrauch des Asylrechts „kontrolliert“). Andersherum geht die Rechnung auf: Wenn Journalisten wollen, was die Innenminister tun, ist die Gewaltenteilung perfekt. Applaus ist die beste Kontrolle. Das Aufpassen unserer Öffentlichkeit auf die Regierenden – laut Sozialkunde die Funktion der „4. Gewalt“ in der Demokratie – geht eben nach dem beliebten Muster, daß der Dschugaschwili dem Stalin, der Mussolini dem Duce und der Führer dem Adolf auf die Finger schaut.
Verfassungsschutz und Justiz als Hüter der korrekten Moral
Der Ordnungsfanatismus von Politik und Öffentlichkeit geht aber noch etwas weiter. Die Fahndung nach der Devise „Wer sich hierzulande etwas herausnimmt, was uns verdächtig vorkommt, dem müssen wir viel mehr hinterhersteigen bzw. gleich das Handwerk legen“, ergreift sämtliche gesellschaftlichen Bereiche. Und Maßstab für Eingriffe seitens Justiz, Gesetzgebung und Verfassungsschutz ist längst nicht mehr bloß Mißachtung des staatlichen Gewaltmonopols, demokratischer Spielregeln und Autoritäten. Neuerdings befaßt sich der Verfassungsschutz in Kooperation mit Politik und Massenmedien mit gewissen religiös-psychologischen Vereinen (Scientology Church und VPM).
Dabei hört man recht eigenartige Vorwürfe, z.B. aus einem CDU-Strategie-Papier zur Scientology-Vereinigung:
„Oberstes Ziel der Scientology ist ein rücksichtsloser Gelderwerb;… fortlaufend verletze Scientology die Freiheit und Würde ihrer Mitglieder, verfolge ihre Kritiker in aggressiver, teilweise sogar formell rechtswidriger Weise;… schätze die Demokratie gering und mißachte die geltende Rechtsordnung fortlaufend;… die von ihnen angewandte Psychotherapie stelle eine unmenschliche Prozedur dar, die die Betroffenen der Gefahr eines Mißbrauchs persönlicher Daten aussetze. Menschen würden von der Organisation unter Druck gesetzt und in ihrer Würde verletzt. Die Scientology-Church führe Menschen in eine wachsende Abhängigkeit von der Organisation. Dieser Weg in die Unfreiheit … sei begleitet durch ein Wechselspiel von psychischer Labilisierung und Stabilisierung durch die Organisation;… Lehre und Praxis … wirken nicht nur familienzerstörend, sondern stünden auch im Widerspruch zu solidarischem Verhalten und christlicher Nächstenliebe … totalitäres, menschenverachtendes Gedankengut.“ (FR-Zitate aus CDU-Papier 15.12.92)
„Nach Auffassung der Verfassungsschützer kann die SC keine Volkssouveränität … keine Gewaltenteilung … keine Unabhängigkeit der Gerichte anerkennen,… keine Verantwortlichkeit der Regierung akzeptieren … letztlich das Mehrheitsprinzip und damit auch das Mehrparteienprinzip und das Oppositionsrecht und die Chancengleichheit der Parteien nicht anerkennen, sondern muß diese abschaffen. Denn damit würde die Zielsetzung der SC als ablösbar anerkannt und somit relativiert… Das wäre mit dem Absolutheitsanspruch der SC nicht vereinbar.“ (Spiegel 50/1992)
Es ist schon komisch, daß „rücksichtsloser Gelderwerb“ in der Marktwirtschaft neuerdings als Verbrechen eingestuft wird, „christliche Nächstenliebe“ als Verfassungsgut zählt, Mißachtung der demokratischen Spielregeln innerhalb eines Vereins eine Staatsaffäre ist und das Wechselspiel von Labilisierung und Stabilisierung durch den Therapeuten einen Mißbrauch der Psychotherapie darstellt. Ausgerechnet C’ler schließen aus dem Unfehlbarkeitsanspruch einer Religionsgemeinschaft messerscharf auf die tatkräftige Untergrabung der FdGO. Was ist da los?
Würden diese Maßstäbe von nun an vorurteilsfrei an sämtliche Parteien, Burschenschaften, Lions-Clubs, Kirchen, Unternehmen, Orden, Managerschulungen, Marathons, Drogentherapien etc. angelegt, würde der Verfassungsschutzbericht dicker als der große Brockhaus. Nur, das steht gar nicht auf der Tagesordnung. Niemand will der katholischen Kirche einen Strick daraus drehen, daß sie weder ein konstruktives Mißtrauensvotum gegen den Papst noch die Abhaltung von Konzilen nach der GO des Bundestages im Codex Juris Canonici verankert hat. Ihr soll auch keineswegs der Religionsgemeinschafts-Status entzogen werden, weil sie eine Banca di Santo Spirito hat und die Bistümer mit Grundstücksspekulationen befaßt sind. Die schöne Sitte, daß sämtliche Unternehmen Mitarbeiter, die gegen sie vor’s Arbeitsgericht gezogen sind, wegen Wegfall der Vertrauensbasis kündigen, soll auch nicht abgeschafft werden. Niemand will den Existenzgrund „Vitamin B“ der Studentenverbindungen zum Anlaß nehmen, diese Seilschaften vom Verfassungsschutz bespitzeln zu lassen. Und noch viel weniger sollen Zeichen dagegen gesetzt werden, daß der Besitz des richtigen Parteibuchs im öffentlichen Dienst und auch sonst die Karrierevoraussetzung ist.
Was stört die C’ler und die anderen Demokraten dann eigentlich an diesen Sekten? Nach eigenem Bekunden hauptsächlich die Bevormundung der Leute, die Mißachtung ihrer Privatsphäre und persönlichen Entscheidungs- und Entfaltungsfreiheit. Und die Privatautonomie ist laut Sozialkunde ja auch das höchste demokratische Gut, das der Staat zu schützen hat. Nur, wäre tatsächlich der Hauptinhalt der Demokratie die Gewährleistung einer möglichst freien Entfaltung der Persönlichkeit, dann müßte man heutzutage – auch gerade angesichts des vorliegenden Falles – endgültig zu dem Befund kommen: Die Demokratie schützt sich zu Tode. Alles will sie unter Kontrolle haben. Kaum entscheiden sich Leute für weltanschauliche Vereine, in denen alternative Formen der Lebensbewältigung praktiziert werden, tauchen Staatsschützer mit Lizenz zu kleinem und großem Lauschangriff auf. Kaum entdecken Gemeinschaften eine Form, erfolgreich zu existieren und zu wirtschaften, indem sie sich eigene Moralregeln ausdenken, fragen Politiker nach dem politischen TÜV-Stempel. Um freie Entfaltungsmöglichkeiten für alle Bürger kann es bei dem Spitzelwesen also gar nicht gehen. Worum dann?
Geld machen, Karriere machen, sich dabei verrückt machen, sich Erfolgsstrategien antrainieren, Beziehungen herstellen, sich aus Schöpfungs- und Erlösungsgeschichten einen Sinn des Lebens herholen, Therapien gegen Drogenkonsum und Spielzwang aufsuchen, all das sind in unserer Gesellschaft anerkannte Bedürfnisse. Für sie alle gibt es auch schon anerkannte Institutionen, die sich um ihre Befriedigung kümmern: Die GmbH & Co KGs und die Anlagenberater bei den Banken, die Studentenverbindung im Cartelverband und die Golfclubs, die Psychologen im Verband der Psychologen, die Volkshochschulen, die grundrechtlich geschützten Kirchen, die Sozialarbeiter von der Caritas und die Heilsarmee.
Und da kommt eine Sekte daher und bietet sich als Alternative auf dem schön säuberlich aufgeteilten Dienstleistungssektor an. Die normale Folge ist, daß die behelligte Konkurrenz sich ärgert und die Neueinsteiger madig macht. Dazu gehört es auch, beim Staat nachzufragen, ob sie überhaupt die amtliche Genehmigung haben oder ob die vielleicht gar keine brauchen. Damit hatten die Sekten immer schon zu tun, und ihr Erzfeind war der Sektenbeauftragte der Kirchen, der auf Tournee durch die Schulen ging und sich einen Schreibtisch in den Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung einrichtete. Damit war aber auch schon in der Regel die staatliche Unterstützung der Sektengegner erledigt.
Heutzutage sieht das anders aus. Weil’s der Nation um schwer zu erringende Erfolge geht und nationale Formierung ansteht, befindet der Staat auch in dieser Sphäre, die Gesinnungs- und Loyalitätsprüfung bisher ein wenig lasch gehandhabt zu haben.
Inzwischen kommt ihm die exklusive Gemeinschaft der Scientologen, die nie von ihm eine Lizenz bekommen hat, einen eigenen Verhaltenskodex für die Mitglieder aufstellt, ökonomische Erfolge und ausreichend Zulauf hat, verdächtig vor. Die regierenden Christen beschleicht das mulmige Gefühl, da könnten Einflußmöglichkeiten entstehen, die man nicht unter Kontrolle hat, die die eigenen und die der verläßlichen Freunde in Wirtschaft und öffentlichem Leben womöglich beschränken. Egal was die Scientologen tatsächlich vorhaben, man wittert die Gefahr, daß die nützlichen Institutionen, die man sich zum guten Funktionieren des Ladens und zum eigenen Machterhalt geschaffen hat, unterwandert werden könnten.
Und aus dieser Befürchtung heraus entwirft man ein Bild vom ausgemachten Gegner, das haarscharf ein Abziehbild dessen ist, worauf sich gute Demokraten bei ihrer Sorge um den Besitz und Erhalt ihrer Führungsfunktionen stützen: Da gibt es Seilschaften, persönliche Abhängigkeiten, Unterwanderung, Kontrolle, Erpressung. Und aus diesem selbstgestrickten Feindbild ziehen sie wiederum den messerscharfen Schluß, hier versuche jemand, Positionen zu usurpieren, die nur uns zustehen. Also muß man sie ausschalten.
Da ist man dann sehr auf der Hut und entwickelt und setzt Planspiele in Gang, wie man sich solcher Gruppierungen entledigen kann. An den Scientologen wird exemplarisch entwickelt, wie Abweichler in einer anspruchsvollen Demokratie Marke vereintes Deutschland behandelt werden.
Angefangen wird bei Aufklärungskampagnen an den Schulen und einer „zentralen Informations- und Dokumentationsstelle des Bundes zum Problemfeld der Sektengefahren“, wo jeder denunzieren und Denunziationen abrufen kann. Im Fernsehen gibt’s Entlarvungssendungen – neulich in Pro 7 –, die die oben genannten Vorwürfe runterbeten, Opfer, die sich über die psychische Vergewaltigung in der Sekte beklagen (nachdem sie freiwillig ein- und ausgestiegen sind !), und schließlich werden gleich die Firmennamen und -sitze zum Mitschreiben verlesen, die Anhänger dieses Vereins besitzen. Nach dem Motto: „Kaufe nicht bei…“.
Das CDU-Papier sieht weiterhin die Rückgängigmachung der Eintragung ins Vereinsregister vor und den Entzug des Gemeinnützigkeits- und Religionsgemeinschafts-Status (Art.4 GG), solche Privilegien kommen doch diesen Leuten nicht zu. Den staatlichen Instanzen und der Treuhand will man verbieten, öffentliches Eigentum an Scientologen zu verkaufen: Bei denen ist auf einmal klar, daß Privateigentum Macht über andere Leute bedeutet.
„Die öffentlichen Verwaltungen sollten alle Möglichkeiten ausnutzen, den Einfluß der Scientologen zurückzudrängen. So sollten die Finanzbehörden, die Datenschutzbeauftragten und die Gewerbeaufsicht in die Überwachung der Scientology einbezogen werden .“ (CDU, FR a.a.O.)
Ganz selbstverständlich verfährt der Staat mit dieser Sorte Bürger so, wie er behauptet, daß diese sich an ihren Mitgliedern vergehen. Er benutzt ihre persönlichen Daten, um sie unter Druck zu setzen, verweigert ihnen die volle Nutzung ihrer Rechte und läßt sie spüren, daß sie seiner Macht ausgeliefert sind. Gegen ihre Kooperation in der Gemeinschaft als „Seilschaft“ setzt er die Zusammenarbeit seiner sämtlichen Behörden als Staatsschutzholding.
So werden von den Scientologen „der Würde beraubte“ Menschen demokratisch befreit, indem die Anhänger Jesu vorexerzieren, daß sie die Methoden, die sie den Jüngern Hubbards vorwerfen, noch ganz anders beherrschen.
Der Verfassungsschutz wird natürlich auch auf diese Leute angesetzt, der Verein schließlich offiziell als verfassungsfeindlich eingestuft (die Innenministerkonferenz befaßt sich inzwischen mit diesem Vorschlag).
Damit – soweit jedenfalls die CDU-Planung – wäre der Verfassungsschutz nun endlich auch um das letzte ihm noch fehlende Element, um offiziell als anständige Staatssicherheit fungieren zu können, bereichert: Nach der Ausweitung des Arbeitsfeldes von der Bespitzelung politischer Gegner der Demokratie auf die Bekämpfung des „organisierten Verbrechens“ als verlängerter, geheimpolizeilicher Arm der Kripo nun auch die nachrichtendienstliche Behandlung sämtlicher Subjekte und Vereine, die in Verdacht stehen, die rechte staatsnützliche Gesinnung und Lebensweise vermissen zu lassen.
Phantasie ist auch wieder in Sachen Strafrecht gefragt und vorhanden:
„Ergänzung des StGB um einen Paragraphen gegen Herbeiführung psychischer Abhängigkeit“; „Änderung des bereits vorhandenen ‚Wucherparagraphen‘ 302a… Formulierungsvorschlag: ‚Wer psychische und physische, sexuelle oder religiöse Abhängigkeit eines anderen dazu ausnutzt, ihn zum Abschluß von Geschäften von nicht nur geringfügig vermögenswirksamer Art mit sich oder Dritten zu verleiten und dadurch den anderen in wirtschaftliche Not bringt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten bestraft.‘ Schon der Versuch soll strafbar sein.“ (CDU laut SZ 14.12.92)
Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt bereits wegen Verdachts auf kriminelle Vereinigung (laut Spiegel 14.9.92), usw.
So totalitär die Ansprüche der bundesdeutschen Demokratie an die bedingungslose Gefolgschaft der Bürger sind, man beachte bitte die nicht zu übersehenden Unterschiede:
„Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder dienen wahrlich nicht der Ausspähung friedlicher Bürger, sondern der Verteidigung unserer freiheitlichen Demokratie. Wer in diesem Zusammenhang – lassen Sie mich das sagen – von einer ‚neuen Stasi‘ spricht, der weiß nicht, wovon er redet. Eine Institution zur Bekämpfung der Todfeinde der Demokratie ist nicht das gleiche wie eine Geheimpolizei zur Sicherung einer totalitären Diktatur.“ (Kohl, Bulletin a.a.O.)
Wer an diesen Unterschied nicht glaubt, verdient auch nicht, daß er ihn merkt.