Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die Causa Guttenberg und die „scientific community“:
Die „redliche“ Wissenschaft setzt sich zur Wehr
Es kommt heraus, dass der Freiherr zu Guttenberg für seine Doktorarbeit viele Texte aus fremden Quellen übernommen hatte, ohne diese Anleihen durch Anführungszeichen und Fußnoten kenntlich gemacht zu haben. Für die Kanzlerin, die meisten regierenden Politiker und für das hinter der Bild-Zeitung versammelte Volk ist dies nicht so schwerwiegend, als dass deswegen der Mann von seinem Amt als Verteidigungsminister zurücktreten müsste: „Ich habe keinen wissenschaftlichen Assistenten, sondern einen Verteidigungsminister berufen“, verlautbart die Regierungschefin, und in der „scientific community“ ist man entsetzt. Weit über 60 000 ihrer Mitglieder und Sympathisanten unterzeichnen einen „Offenen Brief“ und wollen sich diese Geringschätzung akademischer Würden nicht bieten lassen:
„Mit dieser Vorgehensweise beschädigen die Bundesregierung und die Abgeordneten der Koalition nicht nur sich selbst, sondern viel mehr. … Durch die Behandlung der Causa Guttenberg als Kavaliersdelikt leiden der Wissenschaftsstandort Deutschland und die Glaubwürdigkeit Deutschlands als ‚Land der Ideen‘.“ (Offener Brief vom 24. Februar 2011)
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Die Causa Guttenberg und die „scientific community“: Die „redliche“ Wissenschaft setzt sich zur Wehr
Es kommt heraus, dass der Freiherr zu Guttenberg für
seine Doktorarbeit viele Texte aus fremden Quellen
übernommen hatte, ohne diese Anleihen durch
Anführungszeichen und Fußnoten kenntlich gemacht zu
haben. Für die Kanzlerin, die meisten regierenden
Politiker und für das hinter der Bild-Zeitung versammelte
Volk ist dies nicht so schwerwiegend, als dass deswegen
der Mann von seinem Amt als Verteidigungsminister
zurücktreten müsste: Ich habe keinen
wissenschaftlichen Assistenten, sondern einen
Verteidigungsminister berufen
, verlautbart die
Regierungschefin, und in der „scientific community“ ist
man entsetzt. Weit über 60 000 ihrer Mitglieder und
Sympathisanten unterzeichnen einen „Offenen Brief“ und
wollen sich diese Geringschätzung akademischer Würden
nicht bieten lassen:
„Mit dieser Vorgehensweise beschädigen die Bundesregierung und die Abgeordneten der Koalition nicht nur sich selbst, sondern viel mehr. … Durch die Behandlung der Causa Guttenberg als Kavaliersdelikt leiden der Wissenschaftsstandort Deutschland und die Glaubwürdigkeit Deutschlands als ‚Land der Ideen‘.“ (Offener Brief vom 24. Februar 2011)
Als Grund für ihren Einspruch führen sie an:
„Wir tun dies nicht, weil wir ‚Fußnotenfanatiker‘ sind oder im ‚Elfenbeinturm‘ sitzen und nicht wissen, was im wahren Leben zählt. Es geht uns schlicht darum, das Verständnis dafür weiterzugeben, dass wissenschaftlicher und damit gesellschaftlicher Fortschritt allein dann möglich ist, wenn man sich auf die Redlichkeit in der ‚scientific community‘ verlassen kann.“ (Ebd.)
Interessant: Als erste und alles entscheidende Bedingung
dafür, dass der Erkenntnisgewinn voran kommt,
fällt den Männern der Wissenschaft die rechte
Gesinnung beim Forschen ein; die moralisch
integre Stellung zum Theoretisieren gilt ihnen
als die Produktivkraft bei der Wahrheitsfindung
in ihrem Gemeinschaftswerk ‚Wissenschaft‘
(Walter-Drop in der SZ vom
19.02.2011), und da verstehen sie keinen Spaß.
*
Zur Vertiefung des Verständnisses dafür, wie der
Forschungsprozess in einem ethisch fundierten Kollektiv
aussieht, lässt Dr. Gregor Walter-Drop stellvertretend
für die community am Fall der Fußnoten wissen, dass die
nun überhaupt nichts mit ‚Fanatismus‘ zu tun haben, dass
hier also kein abartiger Selbstzweck vorliegt. Das ist
sicher gut und löblich. Andererseits sind diese
speziellen Textteile auch nicht mit sachlich-nüchternen
Angaben der Lehrmeinungen zu verwechseln, zu denen man
irgendwie Stellung nimmt, und das ist seltsam:
Ausgerechnet das, was unter oder hinter dem Text steht,
ist an dem die Hauptsache – Fußnoten sind Ausweis für
sorgfältige wissenschaftliche Arbeit.
(Ebd.) Von der kann dem Vernehmen nach
überhaupt erst dann die Rede sein, wenn der Autor mit
seinen Fußnoten deutlich gemacht hat, auf wen er sich bei
seiner Arbeit bezogen hat. Ohne diese Sorgfalt
sieht sich die wissenschaftliche Gemeinde außerstande,
die aufgestellten Behauptungen selbst
nachzuvollziehen, zu überprüfen und die Qualität des
Vorgehens, der Argumentation und der Ergebnisse zu
bewerten
(ebd.) – also
steht und fällt mit dem Fußnotenwesen für diese Denker
die ganze Wissenschaft! Der Nachweis der
wissenschaftlichen Kompetenz, auf die ihr Stand
seine Autorität gründet und die man mit einem
Doktortitel bescheinigt bekommt, mit dem man dann
seinerseits als Vertreter der Wissenschaft auftreten und
entsprechenden Respekt verlangen kann, ist offenbar
wesentlich daran gebunden, dass der Proband seine
Meisterschaft im gewissenhaften Zuordnen von
Namen und Lehrmeinungen unter Beweis stellt. Er muss in
einer Arbeit dokumentieren, dass er sich auskennt darin,
wer in seiner Wissenschaft was gesagt hat und
wie viel der Betreffende damit zählt; er muss denjenigen
seine Reverenz erweisen, die es in ihr zu einer
anerkannten Lehrmeinung gebracht haben, und die
Anerkennung, die er den Vertretern der konkurrierenden
Ansätze zollt, so gewichten, dass er dem Urteil der
wissenschaftlichen community darüber gerecht wird, für
wie bedeutsam die jeweiligen Lehrmeinungen zu halten
sind. Ob, wie und in welchem Umfang da die vom
Doktorvater vertretenen Ansichten zu würdigen sind und
dessen Auffassung darüber, wessen Ansatz für maßgeblich
und bedeutsam zu halten ist – auch das sind dann ernste
Fragen, an denen der wissenschaftliche Nachwuchs nur
wachsen kann. In hochgeistigen Tätigkeiten dieses
Kalibers besteht ganz wesentlich die Leistung, die in
einer Doktorarbeit zu erbringen ist, und das wirft ein
erstes Licht auf die Wissenschaft, in der sich da einer
als kompetent erweisen will: In der scheint ausgerechnet
die Partikularität derjenigen, die sie treiben
und repräsentieren, von herausragender Bedeutung zu sein
– was im Widerspruch zu jeder vernünftigen Wissenschaft
steht; schließlich geht es in der immer noch um objektive
Erkenntnis, um die Erklärung eines Gegenstandes,
um seine Bestimmung, weswegen die Person, die
dieses Geschäft betreibt, in einer Veranstaltung, die den
Namen Wissenschaft verdient, von keinerlei Belang ist.
*
Mit einer derart demonstrierten Versiertheit bei der
anerkennenden Bezugnahme auf anerkannte Lehrmeinungen
erwirbt sich ein Denker in dieser Wissenschaft
seinerseits die Anerkennung als würdiges Mitglied der
wissenschaftlichen Gemeinde, darf seine erwiesene
Kompetenz als Namenszusatz führen – und worauf die
zurückgeht, wird in den Äußerungen des graduierten
Wissenschaftlers Walter-Drop schon deutlich. Es ist ja
kein Zufall, dass die einzig senkrechte Frage, die sich
ein Gedanke gefallen zu lassen hat – nämlich die, ob er
stimmt! – in seinem Verfahren der
Qualitätsprüfung nicht vorkommt. An der abgelieferten
Gesamtleistung des forschenden Privatsubjekts will der
Fachmann vor allem nachvollziehen
können,
was da wem zuzuordnen ist, was da eine
eigene und was eine fremde Leistung
ist, und die wissenschaftliche Arbeit
, die derart
bewertet wird, ist von eigentümlicher Beschaffenheit. Mit
Wissenschaft hat sie allein insoweit zu tun, als die eben
der Stoff, das Instrument ist, mit dem einer
seine Qualifikation für die nächsthöhere Leitersprosse
seiner akademischen Karriere unter Beweis stellt. Für die
entsprechende Würdigung seiner Leistung
sind
Promotionsordnungen und andere Rechtsvorschriften
einschlägig, also nichts, was den Gehalt der
Erkenntnisse selbst betrifft – und zugleich wird mit dem
Zeugnis, das einer im Erfolgsfall in Händen hält, alles
gewürdigt, was das Attribut wissenschaftlich
betrifft, mit dem sich die geprüfte Leistung schmückt:
Wer es sich redlich erwirbt, hat damit auch einen
wertvollen Beitrag zur Wissenschaft geleistet! Allein mit
diesem Quidproquo hat es nicht sein Bewenden, wenn das
Recht in der freien Wissenschaft Einzug hält und
die Sitten und Gebräuche auch noch beim Denken normiert.
Einer, der es in ihr zu etwas gebracht hat, genießt auch
in Bezug auf seine Gedanken als Eigentümer
Rechtsschutz; ihm steht nicht nur die exklusive
wirtschaftliche Nutzung seines geistigen Eigentums
(Patent- und Urheberrechte) zu, sondern auch die Achtung
dieses Eigentums im wissenschaftlichen Verkehr: Es ist
zum allgemeinen Gebrauch freigegeben, allerdings zwingend
verbunden mit der Auflage, ihm als Urheber per
Namensnennung ausdrücklich Respekt zu bezeugen. Diese
penible Unterscheidung in mein und dein, eigen und fremd
auf dem Feld des Denkens ist einigermaßen pervers; sie
besteht auf dem Prinzip der ausschließenden Verfügung
auch da, wo der Verstand gar nicht anders kann, als in
seinen Urteilen und Schlüssen Allgemeines zu
produzieren – Gedanken eben, die, einmal in der Welt, von
jedem nachgedacht werden können. Aber auf genau diese
Perversion kommt es der modernen Wissenschaft an, und
zwar gar nicht nur an den Fakultäten, deren Produkte des
Denkens patentiert und auf dem Wege geldwerte
Verkaufsartikel werden. Der Respekt vor den Rechten, die
einer als Urheber seiner Gedanken genießt, bestimmt die
Welt des Geistes in allen ihren Abteilungen –
und genau das bekommt einer in dem Titel beurkundet, mit
dem er renommieren kann: Ihm ist es gelungen, sich beim
Nachdenken über die Geistesprodukte anderer ein
unverwechselbar ihm zurechenbares Produkt
ausgedacht zu haben, was er eben dadurch dokumentiert,
dass er alles kennzeichnet, was andere Denker sich als
ihren exklusiven geistigen Besitzstand zurechnen dürfen,
und den verbliebenen Rest mit gutem Recht und noch
besserem Gewissen für sich reklamiert.
*
Auch noch die geistige Produktion nach den Maximen des Eigentums und das Schaffen von Wissen als Erwerb exklusiver Verfügungsrechte zu organisieren. Das ist für diesen Betrieb dermaßen verpflichtend, dass seine Repräsentanten ihre Achtung vor dem Recht glatt zur Generaltugend der Forschung erheben. Ihr wissenschaftliches Verbrechen, die Person, die sich etwas ausdenkt, vor den Inhalt des Gedankens zu stellen, setzen sie konsequent fort und knüpfen die wissenschaftliche Würdigung des Gedachten an die Bedingung, dass es sich zweifelsfrei der Person zuordnen lässt, die von sich behauptet, es wäre ausschließlich von ihr. Weil an der erfolgreichen prüfungsrechtlichen Beglaubigung dieser Prätention die Krönung der wissenschaftlichen Karriere hängt, mit ihr zugleich ein wissenschaftlich wertvoller Beitrag zertifiziert wird, an den Rechtsfolgen geknüpft sind, kommt es folgerichtig auch noch zur Inthronisierung der Moral der Beteiligten als letzte Instanz aller Wissenschaftlichkeit:
„Ohne akademische Integrität ist Wissenschaft kaum zu machen, weil Quellen und Ergebnisse nicht mehr zugeordnet werden können und weil es gänzlich unmöglich ist, alle Forschung zu kontrollieren.“ (Ebd.)
Das hat seine BGB-wissenschaftliche Logik: Wer beim
Nachdenken fremder Gedanken nicht kenntlich macht, dass
er nicht die eigenen denkt, zerstört die Wissenschaft –
weil die offenbar ihren Hauptzweck darin sieht, auf ihre
Weise als Schutzmacht des geistigen Eigentums zu
fungieren und dementsprechend ihr Hauptproblem darin, die
Ergebnisse
, die sich das Prädikat
‚wissenschaftlich‘ verdienen wollen, den forschenden
Persönlichkeiten zuordnen zu können, die sie erfunden
haben wollen. Das ist dort, wo es um den
Nachweis wissenschaftlicher Kompetenz und den Erwerb des
entsprechenden Doktortitels geht, die
Hauptsache, und das aus gutem Grund. Schließlich
geht es den Aspiranten bei der Produktion ihrer
wissenschaftlichen Erkenntnisse auch um nichts anderes
als deren exklusive Nutzung für das Erringen des feinen
Titels und die mit ihm verbundenen Rechte und Ansprüche
in der inner- wie außerwissenschaftlichen Konkurrenz. So
kommt in diesem Zirkus noch ein schönes Quidproquo
zustande: Wenn die Mitglieder dieser wissenschaftlichen
community an ihre wissenschaftliche Kompetenz
den Anspruch knüpfen, einem Stand anzugehören, der eine
Autorität in der Gesellschaft darstellt und darin
anerkannt zu werden verdient, dann erwächst dieser
Anspruch überhaupt nicht naturwüchsig daraus, dass einer
etwas weiß: Respekt genießt ein Vertreter der
Wissenschaft, weil die dafür Zuständigen ihm ausweislich
einer eindeutig ihm zurechenbaren Leistung
bescheinigen, dass er ihn sich verdient hat. Von
diesem Zirkel, aus dem sich mit Erfolg alles heraus
kürzt, was einer sich da gedacht hat, lebt der
Fortschritt dieser Veranstaltung. Deswegen hat
aufgeflogener Betrug im pluralistischen Wettbewerb der
geistigen Eigentümer, und nicht etwa nachgewiesener
Blödsinn beim Vergleichen von Verfassungen, den Freiherrn
um die Würde gebracht, die einem Doktor zukommt – der
amtliche Vorwurf lautet auf angemaßte
Autorenschaft
–, und deswegen waren im
Wissenschaftsstandort Deutschland
die spannendsten
Fragen die nach dem Umfang und den Rechtsfolgen des
Abschreibens.
*
Und als hätte es noch des ausdrücklichen Hinweises darauf
bedurft, dass diese Wissenschaft ihre Autorität definitiv
nicht in der Richtigkeit von wissenschaftlichen Gedanken
hat, sie das Ansehen, das sie genießt und in Anspruch
nimmt, vielmehr allein aus der Geltung und Beachtung der
Verfahrensregeln bezieht, die sie bei sich fürs
Zustandekommen und Bewerten ihrer
Forschungsergebnisse
eingerichtet hat, pochen ihre
Vertreter in der Causa Guttenberg gegenüber der
politischen Führung des Landes auf mehr Respekt
–
vor den Denksitten, nach denen bei ihnen die
Wahrheitsfindung zu laufen hat! Zutiefst empört gibt sich
die Gemeinde darüber, dass Teile der politischen Elite
sich wenig beeindruckt geben von allem, was die von ihr
so hoch in Ehren gehaltene akademische Integrität
ausmacht, und der Herr Wagner von der Bild-Zeitung die
Kritik an seinem politischen Liebling ungestraft mit
einem herzhaften Scheiß-Doktor!
abwürgen darf. Die
aufgebrachten Akademiker meinen gar, der Staat würde sich
selbst schaden, wenn nicht auch er seine abgrundtiefe
Achtung davor bezeugt, dass Autorität und Ansehen dieser
Institution auf der Einhaltung der sittlichen
Anstandsregeln beruhen, die die Wissenschaftlichkeit des
in ihr Gedachten verbürgen – und wo sie recht haben,
bekommen sie ihr Recht letztlich dann auch. Denn so
absolut verkommen dieser Antrag auf herrschaftliche
Würdigung der moralischen Integrität von Denkern für
einen Betrieb auch sein mag, der sich Wissenschaft nennt
und als solche auf der Suche nach der Wahrheit
von Gott und der Welt unterwegs ist: Für die
Veranstaltung, die der Staat sich da als Ausbildungs- und
Rekrutierungsfonds seiner Elite eingerichtet hat, ist ein
derartiges Verlangen äußerst sachgerecht. Denn hinter der
gesellschaftlichen Autorität, die die approbierten
Mitglieder des Standes genießen dürfen und sich
entsprechend herausnehmen, steht in letzter Instanz eben
doch die des Staates. Es ist die hoheitliche
Approbation dieses Standes in Gestalt von beamten- und
sonst wie rechtlich normierten höheren Laufbahnen und
Ämtern, die seine Mitglieder zu solchen der
gesellschaftlichen Elite macht, die dann auch
auf Respekt vor sich und ihrer Institution und allem
pochen dürfen, was zum Funktionieren ihres Innenlebens
gehört, den Ehrenkodex zur eigenverantwortlichen
Betreuung des Schutzgutes des geistigen Eigentums ihrer
Denker eingeschlossen. Insofern sind die Akademiker mit
ihrem Verlangen nach Respekt, dass man unsere Arbeit
ernst nimmt
(Offener
Brief), beim politischen Dienstherren dieser
Denker schon an der richtigen Adresse – und die Welt der
Wissenschaft für sie auch wieder repariert, wenn sich in
den Reihen der Machthaber die politischen Berechnungen
ändern, die zuständige Ministerin sich öffentlich für den
Fehltritt ihres Amtskollegen schämt
und der selbst
irgendwann auch einsieht, dass es der aufgeflogenen
Plagiate sogar für so einen perfekten Blender wie ihn
wohl zu viel
gewesen sein möchten.