Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Causa Groer“: Ein kardinaler Fehltritt …
… ein katholisches Glaubwürdigkeitsproblem … und die öffentliche Bewältigung.
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„Causa Groer“: Ein kardinaler Fehltritt …
Ein österreichischer Kardinal und ehemaliger Wiener Erzbischof hat es mit der christlichen Bruderliebe übertrieben und die pastorale Seelsorge mit unfrommen Schäferstündchen gewürzt. Weil diese Auslegung der Nächstenliebe nach katholischer Dienstauffassung nicht zur Ehre des Allerhöchsten gereicht, ist sie 1. verboten und 2. im Fall des Wiener Kardinals von den Stellvertretern des Herrn zehn gute Jahre lang vertuscht worden.
Daran ist nichts weiter ungewöhnlich – im Gegenteil: Die katholische Kirche verfügt über eine lange Tradition an Manifestationen der Fleischeslust ihrer Gottesmänner, die allesamt ausgesprochen peinlich ausfallen; nicht, weil sie übermäßig abartig wären, sondern weil sie der Institution, die ihren Beamten Unkeuschheit verbietet, und ihnen selbst in dem Maße, wie sie ihre Verpflichtung zu einer vorbildlichen Ehe exklusiv mit dem Herrn Jesus ernstnehmen, ganz ausgesprochen peinlich sind; die also im Verborgenen, mit schlechtem Gewissen und unter selbstquälerischen Bemühungen um eine geistliche Rechtfertigung stattfinden, die nicht so einfach zu haben ist. Jedes bißchen sexueller Lust ein Abgrund, jeder Umgang damit ein Kampf mit Satanas persönlich – das kann ja nichts Gescheites werden und wird erst recht nicht besser, wenn die Begierde sich zusätzlich auf vorgestellte Vergnügungen mit dem Herzen Jesu oder der Gottesmutter verlagert. Auch da ist übrigens der Kardinal mit gutem Beispiel vorangegangen, hat sich als „Legionär Mariens“ ausgerufen und genüßlich protokolliert, daß er der alten Dame aus Bethlehem seine ganze Liebe weiht.
Wenn ein guter Hirte trotz inniger Zuwendung zu den Heiligen, trotz Exerzitien, Rosenkranz, Fasten und kalten Duschen den fleischlichen Versuchungen doch erliegt, dann müssen die Sündenfälle entsprechend bewältigt, also vertuscht und abgestritten werden. Vor allem wenn die Unkeuschheit im Amt publik wird, ist es mit Beichte, Reue und Buße nicht getan. Schließlich steht ja nach Auffassung der Kirche mit den Fehltritten ihrer Belegschaft auch gleich die Glaubwürdigkeit des ganzen Vereins auf dem Spiel.
Auch die kardinalen Fehltritte wären wohl wie all die Jahre zuvor trotz des Sperrfeuers der Sensationspresse bis zum Jüngsten Gericht gemeinsam mit unkeuschen Pfarrersköchinnen und in Sünde gezeugten Pfarrerskindern diesen christlichen Entsorgungstechniken anheimgefallen, wenn nicht die hauseigene Konkurrenz mit dieser schönen Tradition gebrochen hätte. Den zuvor mit Kirchenbann belegten „Aufdeckern“ wurde öffentlich recht gegeben und der Erzbischof in Pension geschickt. Das ist in der Tat ungewöhnlich und hat vielmehr mit Kirchenpolitik zu tun als mit „Mut zur moralischen Wahrhaftigkeit“ und „gelebter Solidarität mit den verführten Opfern“.
… ein katholisches Glaubwürdigkeitsproblem…
Schon bald nach der Einsetzung Groers durch Johannes Paul
II begannen sich bei den österreichischen Bischöfen und
anderen prominenten Kirchenrepräsentanten ernsthafte
Zweifel zu regen, ob der frömmelnde Marienverehrer der
zeitgemäße Frontmann für die „moralische Institution
Kirche“ sei, die sich einer zunehmenden Konkurrenz von
säkulären und kirchlichen Sinngebungsvereinen ausgesetzt
sieht. Wie bei diesem Verein so üblich, war nicht die
christliche Glaubenslehre Gegenstand des Kirchenstreits.
Groers Kontrahenten mit der Bischofsmütze sind ebenfalls
gestandene christliche Dogmatiker. Abweichungen in
umstrittenen Fragen wie dem Zölibat, der Schwulenehe oder
der Frauen- und Laienpriesterschaft fürchten sie wie der
Teufel das Weihwasser. Die sogenannten Konservativen und
Reformer reiben sich ausschließlich über katholische
Marketingfragen aneinander. Angesichts wachsender
Kirchenaustritte und einer angeblich zunehmenden
Gleichgültigkeit gegenüber dem katholischen
Glaubensangebot
(KathPress) wird um die öffentliche
Selbstdarstellung gestritten, die die moralische
Führerschaft der katholischen Kirche glaubwürdig
verkörpern und festigen sollte.
Von den eigenen Spezeln wurde deswegen dem Erzbischof moralische Führungsschwäche angelastet, weil er sich mit Vorliebe auf Marienwallfahrten herumtrieb und im Unterschied zu seinem hochgeschätzten Vorgänger sich zu den aktuellen „gesellschaftlichen Problemen“ zumeist verschwieg. Wenn sich Groer einmal der Arbeitslosigkeit, der Drogensucht, der Promiskuität oder anderer Übel des weltlichen Jammertales annahm, dann reduzierte er das Glaubensgeheimnis treffsicher auf seine ganze Schlichtheit. Den Sündern riet er, sich den Geboten Gottes unterzuordnen, die „Schicksalsschläge wie Arbeitslosigkeit, Hunger und Not“ auszuhalten, den „Versuchungen des Teufels“ zu widerstehen, dabei „Trost im innigen Gebet“ zu suchen und sich immer daran zu erinnern, daß neben Guido auch der liebe Gott alle lieb hat. Daran ist glaubensmäßig nun wirklich nichts zu beanstanden, ist es doch das Wesen des christlichen Glaubens, alle Fährnisse als Chance anzunehmen, sich an ihnen als guter Christ zu bewähren und für das ewige Heil zu qualifizieren. Die kirchenobere Kritik zielte daher auch nie auf die Inhalte, die der alte Sünder abließ, sondern auf seine Performance. An den Appellen zur Unterordnung unter die zehn Gebote vermißte man die zeitgemäße Aufbereitung, die den Opfern die nötige Anerkennung nicht versagt und bisweilen auch Anklagen erhebt, die niemandem wehtun.
„Wir müssen den Globalisierungsverlierern wieder deutlicher zeigen, daß die Kirche Heimat ist. Und wir müssen klar zwischen Tätern und unschuldigen Opfern unterscheiden. In einer Zeit, in der hemmungsloses Profitdenken und moderner Turbokapitalismus immer mehr Menschen an den Rand der Gesellschaft, in Armut und Not drängt, muß die Kirche klar aufzeigen, daß sie auf der Seite der Opfer steht.“ (Groernachfolger Schönborn)
Wie als Beweis für die agitatorischen Unzulänglichkeiten Groers wurde ein zahlenmäßig eindrucksvolles Kirchenvolksbegehren „Wir sind die Kirche“ gestartet, in dem Katholiken ihre Sehnsucht demonstrierten, sich ihre Kirche mit ein bisserl demokratischer Mitbestimmung (Mitsprache der Gemeinde bei der Wahl des Bischofs), mit der Anerkennung weiblicher Priesterschaft und mit recht viel „gläubigen Miteinanders statt kalter Obrigkeitskirche“ heimelig ausgestalten zu dürfen. Zwar durfte sich im Ernst keine der strategischen Streitparteien durch dieses Begehren des Kirchenvolkes bestätigt fühlen, und in der inhaltlichen Ablehnung dieses Angriffs moderner Sinnhubereien war sich die Bischofskonferenz auch immer einig. Während Groer und sein forscher Mitstreiter Krenn eindeutig auf der Unvereinbarkeit katholischer Dogmatik mit den Forderungen der Volksbegehrer beharrten und mit Exkommunikation drohten, weil sie in jedem Moment von Nachgiebigkeit die Preisgabe ihres institutionalisierten Weltanschauungsgebäudes sahen, wollte die andere Fraktion auf gewisse demokratiepolitische Anleihen beim Einseifen der Basis nicht verzichten. „Auf einander im Geiste der Brüderlichkeit zugehen“, „Gräben zuschütten statt aufzureißen“, hieß die Devise, wie man die renitenten Schäfchen auf die Linie Roms zurückbringen wollte. Dieser Fraktion erschien der Groersche Umgang mit der unbotmäßigen Basis wie eine „erzbischöfliche Aufforderung zum Religionsverzicht“.
Auch die Politik konnte mit diesem Kirchenfürsten wenig anfangen und stellte bisweilen die Frage, „ob die österreichische Kirche unter ihrer jetzigen Führung und mit ihrer allzu konservativen Ausrichtung die ihr gebührende Rolle im Gemeinwesen erfüllen kann.“ (Nationalratspräsident Fischer). Nicht selten wurde bei offiziellen Anlässen, bei denen Politik, Gewerkschaft und Öffentlichkeit auf den kirchlichen Segen nicht verzichten wollten, der Alterzbischof König dem Groer vorgezogen.
Als dann, nicht zuletzt angestachelt durch die kircheninternen Querelen, die Berichte über unreine Handreichungen im Beichtstuhl, im Presbyterium und in der Klosterdusche nicht verstummen wollten, war auch die oberste Instanz im Vatikan bereit, Groer die wohlverdiente Pension in einem Frauenkloster(!) zu gönnen.
… und die öffentliche Bewältigung
Daß der Erzbischof zum öffentlichen „Fall“ erklärt und seine sündigen Taten zum pikanten „Sexskandal“ gemacht wurden, den Chefredakteure, Politiker, Soziologen und Psychiater über Jahre hinweg unter großer medialer Anteilnahme diskutieren, hat seinen Grund in der gesellschaftlichen Stellung des Katholizismus. Wie selbstverständlich sind alle Beiträge des vielgepriesenen Meinungspluralismus zu Variationen eines allgemein geteilten Leitmotivs geraten: der Sorge um die Glaubwürdigkeit der Kirche. Dafür muß keiner der Diskutanten selber praktizierender Christ sein. Am Christentum schätzen aufgeklärte Chefredakteure die Funktion der Sinnstiftung, ohne die nach Auffassung fachmännischer Agitatoren das Leben in der modernen Klassengesellschaft schwer auszuhalten ist. Die Meinungsprofis, die sich kontinuierlich an nicht wenigen christlichen Dogmen reiben, weil deren Aufrechterhaltung angeblich die sinnstiftende Kraft und die Verbreitung des Glaubens beeinträchtigt –
„Die eigentliche Frage angesichts des Kirchenvolksbegehrens muß aber lauten: Wie paßt eine Glaubensgemeinschaft in eine aufgeklärte Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die Frauen und sexuelle Minderheiten ausgrenzt und ihre Priesterschaft einem, selbst im Kirchenrecht kaum abgesicherten Sexualverzicht unterwirft.“ (Standard) –,
haben im „Fall Groer“ ihre Bedenken zugunsten einer prinzipiellen Ehrenrettung der ins Zwielicht geratenen Glaubensgemeinschaft nobel hintangestellt. Sehr rasch mündete das Geheul über die „unschuldigen Opfer“ in besorgte Ratschläge, wie die Kirche es denn anstellen müsse, um aus dem Schlamassel wieder heil herauszukommen. Mit Ausnahme von Groer und Weihbischof Krenn nahm die Kirchenführung diesen professionellen Trost und Rat nach einigen Startschwierigkeiten an.
Eines war dabei von vornherein klar: Mit dem stillen Abgang Hans Hermann Groers in die Pension läßt sich keine Exkulpation durch die weltlichen Instanzen erringen. Ein öffentliches Schuldbekenntnis ist da verlangt. Und darin hat die Kirche bisher nicht nur wenig Erfahrung; sie sah sich auch durch sehr grundsätzliche Vorbehalte bei dem geforderten Canossagang gehemmt. Die Dialektik von Schuldbekenntnis und Erlösung ist der Kirche zwar durch Glaubensrituale wie die Beichte bestens bekannt, und ihren Schäfchen verlangt sie auch regelmäßig die Beichte ab. Da man sich aber als institutionalisierte Hüterin der Wahrheit Christi mit einem unfehlbaren Capo versteht, ist diesem Dogmatikerverein die Nutzanwendung dieser Technik auf sich selbst wesensfremd.
Groer hat sich ganz in diese dogmatische Tradition gestellt. Er schwieg und ließ seinen Anklägern durch seinen Adlatus Krenn mitteilen, daß ein Erzbischof nur dem lieben Gott und seinem Stellvertreter auf Erden Rechenschaft schuldig ist. Der Vatikan und die österreichische Kirchenführung sah das im Prinzip genauso und hat eine vatikanische Supervision am Ort der Sünde veranstaltet, deren Ergebnis geheimgehalten wurde. Das hat die Verstimmung der weltlichen Kritiker freilich überhaupt nicht ausgeräumt. Doch der liebe Gott hatte ein Einsehen und der neue Erzbischof Schönborn war auf die öffentliche Reinwaschung scharf genug, um über seinen dogmatischen Schatten zu springen. Da der alte Sünder sich erst gar nicht und im zweiten Versuch nicht glaubwürdig genug entschuldigte, hat eben der neue Kirchenführer dieses Kreuz auf seine Schultern geladen. Und siehe da, die demokratische Absolution ließ nicht lange auf sich warten:
„Kardinal Schönborns Entschuldigung …Ein würdiges Wort zum Abschluß einer unwürdigen Affäre. Schönborn locutus, Causa Groer finita.“ (Kurier)