Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Bund Deutscher Tafeln
Ein Lückenbüßer beschwert sich über seine Funktion
Angesichts des marktwirtschaftlichen Phänomens, dass Lebensmittel zwar im Überfluss vorhanden, aber zum Verkaufen da sind, weshalb alle diejenigen, die sich das Essen nicht leisten können, hungern müssen, hat der Bundesverband Deutsche Tafel (BDT) eine bestechende Idee für ein gutes Werk: Er sammelt auf der einen Seite Lebensmittel ein, die zum Wegwerfen bestimmt sind, weil mit ihnen kein Geld (mehr) zu verdienen geht, deren Eigentümer aber zu spenden bereit sind, weil das ihr Geschäft nicht schädigt, um sie auf der anderen Seite an Bedürftige zu verteilen. Das tut der Verband seit 1993 – und verzeichnet seitdem nicht nur ein stetes Wachstum der Nachfrage, so dass er heute mit mehr als 900 Tafeln bundesweit regelmäßig über 1,5 Millionen Bedürftige versorgt; auch hinsichtlich des sozialen Charakters ist sein Empfängerkreis deutlich bunter geworden: Waren anfangs noch Obdachlose die Hauptabnehmer, so sind es inzwischen z.B. ALG-II-Empfänger, Alleinerziehende, Studenten, Beschäftigte, Flüchtlinge und, nicht zuletzt, viele viele Kinder.
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Bund Deutscher
Tafeln
Ein Lückenbüßer beschwert
sich über seine Funktion
Angesichts des marktwirtschaftlichen Phänomens, dass Lebensmittel zwar im Überfluss vorhanden, aber zum Verkaufen da sind, weshalb alle diejenigen, die sich das Essen nicht leisten können, hungern müssen, hat der Bundesverband Deutsche Tafel (BDT) eine bestechende Idee für ein gutes Werk: Er sammelt auf der einen Seite Lebensmittel ein, die zum Wegwerfen bestimmt sind, weil mit ihnen kein Geld (mehr) zu verdienen geht, deren Eigentümer aber zu spenden bereit sind, weil das ihr Geschäft nicht schädigt, um sie auf der anderen Seite an Bedürftige zu verteilen. Das tut der Verband seit 1993 – und verzeichnet seitdem nicht nur ein stetes Wachstum der Nachfrage, so dass er heute mit mehr als 900 Tafeln bundesweit regelmäßig über 1,5 Millionen Bedürftige versorgt; auch hinsichtlich des sozialen Charakters ist sein Empfängerkreis deutlich bunter geworden: Waren anfangs noch Obdachlose die Hauptabnehmer, so sind es inzwischen z.B. ALG-II-Empfänger, Alleinerziehende, Studenten, Beschäftigte, Flüchtlinge und, nicht zuletzt, viele viele Kinder.
Die Arbeit geht dem BDT also absehbarerweise nicht aus – aber eine Gefahr bei der flächendeckend organisierten Mildtätigkeit entdeckt sein Vorsitzender Jochen Brühl schon:
„Die Politik darf sich nicht auf dem Engagement der Zivilgesellschaft ausruhen.“ (SZ, 27.5.)
Offenbar tut sie es. Offenbar entdecken diejenigen, die
ihrer Gesellschaft eine Wirtschaftsweise aufherrschen, in
der nur ein zahlungsfähiges Bedürfnis zu dem
Seinen kommt, in der privat initiierten Mildtätigkeit
gegenüber den vielen Armen, die sich notwendigerweise
ansammeln, eine sehr begrüßenswerte Sache. Solche aus
persönlichen Beweggründen zustande gebrachten
Hilfsdienste bringen nämlich keinen einzigen Sachzwang
der Marktwirtschaft durcheinander, entlasten aber den
Staat ein Stück weit von Kosten und Aufwand der
Verwaltung verelendeter Volksteile. Die Tugend braver
Bürger, angesichts der notorischen gesellschaftlichen
,Missstände‘ Privatinitiative zu ergreifen und
ehrenamtliches Engagement zu zeigen, wird deshalb von
oberster Stelle goutiert, z.B. mit der Vergabe des
Verdienstorden des Bundespräsidenten oder durch die
Schirmherrschaft der Kanzlerin. Der BDT weiß
also um diesen zynischen Umgang der Politik mit der
privaten Mildtätigkeit; er durchschaut die
Funktionalisierung von Vereinen wie dem seinen für die
Entlastung des Staatshaushalts von Almosen für die Armut,
wenn er die Obrigkeit anklagt, dass sie sich auf dem
ehrenamtlichen Engagement ausruhen
würde.
Das ist das eine. Das andere ist der Standpunkt gegenüber
der Staatsgewalt, den der BDT zugleich sehr selbstgewiss
mit seiner modalen Wendung darf sich nicht …
zum
Ausdruck bringt und geltend macht: dass die Obrigkeit
nämlich eigentlich damit beauftragt wäre, die Ursachen
von Armut
zu bekämpfen und eine soziale
Verantwortung und Fürsorgepflicht
zu praktizieren,
aus der sie sich nicht stehlen dürfe. Der negative Befund
über die wirkliche Praxis des Regierens, zu dem der BDT
selber gelangt; sein eigenes Bewusstsein davon, dass
Vereine wie der seine gerne als nützliche Idioten
billiger Armutsbetreuung funktionalisiert werden,
widerspricht zwar diesem der Staatsgewalt zugesprochenen
sozialen Auftrag ziemlich fundamental, und verweist
darauf, dass sie ihre Macht ganz anderen Dingen widmet.
Das hält der Verband aber überhaupt nicht für einen
Einwand gegen seinen Maßstab, an dem er den Staat misst,
sondern für ein Dokument dessen, dass die praktizierte
Politik sich an dem vergeht, was sie eigentlich zu tun
hätte. Nämlich dem idealistischen Bild von Herrschaft zu
entsprechen, in welchem der BDT diese als ,Bekämpferin‘
von Armut zeichnet:
„Die Tafeln können Armut nur lindern, aber nicht ihre Ursachen bekämpfen. Das ist Aufgabe des Sozialstaates.“ (Vorsitzender Brühl, Pressemitteilung 26.5.)
Die Erkenntnis über die Macht des Staates, dass diese so ungleich viel nachhaltiger auf gesellschaftliche Verhältnisse einwirkt als es privat organisierte Mildtätigkeit je vermag, führt beim BDT deshalb nie und nimmer zu dem Schluss, dass Armut dann möglicherweise das Resultat ihres Wirkens ist. In dem idealistischen Bild vom ,Sozialstaat‘ steht laut Auskunft des Verbandes der menschenfreundliche Auftrag dieser Machtinstanz über bürgerliche Lebensbedingungen felsenfest, und erklärt sich die Tatsache, dass sich immer mehr Menschen um seine Tafeln drängeln, ganz aus der Verantwortungs- und Tatenlosigkeit der Obrigkeit. In der Anklage der praktizierten Politik, der er gar nicht genug Schlechtes nachzusagen weiß, drückt er so sein fundamentales Vertrauen in den Staat und dessen ,eigentliche‘ Ziele und Zwecke aus.
Das hat genau eine praktische Konsequenz. Nicht für die Ausübung der Staatsgewalt, aber für das Aufgabenspektrum und das Auftreten des BDT. Arme werden nicht mehr bloß gefüttert, sondern sorgfältig gezählt und katalogisiert, damit der Verband mit diesem Material seiner Obrigkeit als ihr schlechtes Gewissen und sie belehrende Instanz gegenübertreten kann:
„Wir erleben, dass Armut und Armutsbedrohung weiter in der Gesellschaft verbreitet sind als die Bundesregierung in ihrem Armuts- und Reichtumsbericht vermittelt… Die Tafeln sind eine Kompassnadel für gesellschaftliche Entwicklungen. Bei uns wird die Not der Menschen sichtbar… Die Politik darf hier nicht einfach wegsehen.“ (Ebd.)
Der tiefere Sinn der Dauerübung, einer Instanz, der man
bescheinigt, Armut zu beschönigen oder einfach
wegzusehen
, noch drastischere Armutszahlen und die
Aufdeckung vielfältiger gesellschaftlicher
Fehlentwicklungen öffentlich entgegenzuhalten, liegt
einzig und allein darin, den unbezweifelbar guten Auftrag
der Herrschaft dadurch zu bezeugen, dass man zeigt, wie
sehr er von der Obrigkeit mal wieder nicht verwirklicht
worden ist.