Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Spaltung der bürgerlichen Rechten in Frankreich
Schwierigkeiten des nationalistischen Sumpfes mit seinen radikalen Blüten

Frankreichs bürgerliche Rechte spaltet sich in der Frage des zweckmäßigen Umgangs mit einer faschistischen Alternative, für deren Programm sie selbst die Vorlagen geliefert hat.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Spaltung der bürgerlichen Rechten in Frankreich
Schwierigkeiten des nationalistischen Sumpfes mit seinen radikalen Blüten

Die Regionalwahlen in Frankreich bescheren der Linken, bestehend aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen, deutliche Stimmengewinne in den traditionell von Rechten dominierten Regionalparlamenten, und in einigen Regionen spielt nun der Front National, Frankreichs antibürgerliche Rechte, die auf stolze 15 Prozent der französischen Wählerstimmen verweisen kann, das Zünglein an der Waage bei der Wahl der Präsidenten. Fünf Politiker des rechten Parteienbündnisses UDF und der gaullistischen RPR lassen sich mit den Stimmen des FN in Amt und Würden wählen. Die maßgeblichen Führer der UDF und RPR reagieren scharf: Sie fordern diese Provinzstatthalter zum Rücktritt auf und drohen ihnen andernfalls ein Parteiausschlußverfahren an. Frankreichs rechter Präsident hält eine Rede an die Nation, in der er vor der „Kompromittierung“ der gesamten französischen Politik durch „eine Zusammenarbeit mit einer rassistischen und fremdenfeindlichen Partei“ warnt. Die LePen-Partei soll geächtet bleiben.

Die betroffenen Politiker in den Regionalparlamenten, unter ihnen auch zwei ehemalige Minister, die den FN für die demokratische Rechte und gegen den zunehmenden Einfluß der Linken funktionalisieren wollen, sind ebenso wie ihre Gefolgschaft überrascht von der Vehemenz der Reaktion auf ihre Wahlmanöver. Auf kommunaler Ebene arbeiten FN und demokratische Rechte seit längerem zusammen und einigen sich zu beiderseitigem Nutzen auch auf die Vergabe von Ämtern; sogar die Wahl von Regionalpräsidenten mit FN-Stimmen ist beim letzten Mal ohne größeres Aufsehen toleriert worden. Deshalb trifft der Vorwurf aus dem eigenen Lager, die mit den Stimmen des FN gewählten Politiker seien „Opportunisten der Macht“, auf ihr tiefes Unverständnis. Immerhin, so argumentieren sie, haben die Demokraten die Stimmen der Faschisten bekommen und nicht umgekehrt. Außerdem bleiben sie an der Macht, statt sie der Linken zu überlassen, die sie als ihren Hauptkonkurrenten betrachten. Für große Teile der UDF und RPR und die jetzt ausgeschlossenen Regionalpräsidenten ist die Zusammenarbeit mit dem FN durchaus mit der ihnen abgesprochenen „demokratischen Prinzipienfestigkeit“ vereinbar. Sie finden es „unerträglich, daß man alle Parteigänger der extremen Rechten ausschließt“, und plädieren dafür, sie alle wieder in die rechte Bewegung einzugliedern, denn der FN hat alles auf dem Gebiet der Werte beseitigt, was uns stört. (Le Monde, 26. und 31.3.98) Und auch demokratisch untadelige Kommentatoren aus der Schweiz können an den Forderungen des FN beim besten Willen nichts Verwerfliches finden.

„Als merkwürdig bescheidene Gegenleistung (zur Wahl der Kandidaten der Rechten) wurden (vom FN) nur ein Versprechen zur Steuersenkung, eine Politik der Priorität für die Gewährleistung der inneren Sicherheit sowie eine solche der Verteidigung der nationalen und regionalen kulturellen Identität verlangt.“ (NZZ 19.3.)

Die entscheidenden Führer des rechten Bündnisses sehen das alles anders. Beeindruckt von den Wahlergebnissen betrachten sie den Versuch als gescheitert, durch das Wechselspiel von kommunaler Benützung und nationaler Ausgrenzung des FN die eigene Position zu stärken. Der FN hat sich nämlich bei 15 Prozent Wählerstimmen stabilisiert, anstatt, wie erhofft, sich durch eine Politik der konsequenten Ausgrenzung zu erledigen. Während ein Teil der Rechten daran festhält, daß die „Bekämpfung des Sozialismus in Frankreich“ das Hauptanliegen zu bleiben habe und eine Spaltung der Rechten nur der Linken nütze, fürchten die Kritiker der Kooperation mit dem FN, zwischen ihm und der Linken aufgerieben zu werden. So planen die einen die Gründung einer „Partei der Mitte“, die sich explizit anti-frontistisch definiert; sie soll die derzeitige Zersplitterung in viele kleine Rechtsparteien beenden und der bürgerlichen Rechten den ihr zustehenden Einfluß auf die französische Politik zurückgewinnen. Dafür können sie sich eine Partei nach dem Strickmuster der deutschen CDU/CSU vorstellen, die immerhin schon seit 16 Jahren regiert und rechts von sich bislang wenig Raum für noch rechtere Parteien gelassen hat. Der andere Teil der Rechten will dem nicht nachstehen und plant, die rechten Wähler Frankreichs unter dem Signum „Die Rechte“ zu sammeln und, statt im FN aufzugehen, den FN in sich aufgehen zu lassen.

So spaltet sich Frankreichs bürgerliche Rechte in der Frage des zweckmäßigen Umgangs mit einer faschistischen Alternative, für deren Programm sie selber die Vorlagen geliefert hat – sie vertritt schließlich selber den Standpunkt, daß die französische Ausländerpolitik auch nach der kürzlich ergangenen Verschärfung immer noch viel zu viel Aufhebens mit dem unerwünschten zugereisten Volk macht; sie verlangt selber die Aufrüstung der Polizei, Durchsetzung von Recht und Ordnung, Einsparung an den von der Konkurrenz Aussortierten, Sauberkeit als originär französische Tugend; und bei aller pro-europäischen Staatsraison pflegt sie selbst, zumindest in Teilen, eine gehörige Portion Abneigung gegenüber einem Europa, in dem die Grande Nation immer mehr an Souveränität verliert. Nun ist sie, logischerweise, mit einer politischen Bewegung konfrontiert, die haargenau dieselben „Mißstände“ anprangert, aber nicht bloß die neuerdings regierende Linke, sondern auch die altgediente Rechte dafür haftbar macht und Radikalismus einklagt: tatkräftigen Einsatz von Gewalt – der staatlichen; und der staatsbürgerlichen von unten, wo die von oben versagt.

Beim Blick auf die politischen Umtriebe rechts von ihnen schauen Demokraten also auch in Frankreich in einen Spiegel, der ihre eigenen politischen Vorstellungen und Forderungen bis zur Kenntlichkeit verzerrt. Aber wo ihre Macht auf dem Spiel steht, wissen sie sich zu wehren. Auch gegen Rechtsradikale kennen aufrechte Demokraten, rechte wie linke, solange sie noch in der Mehrheit sind, ein probates Mittel: den effektiveren Einsatz der Staatsgewalt. Präsident und Regierungschef überbieten sich mit Gesetzesvorlagen, die dem FN Einhalt gebieten sollen. Ein Reformpaket zur „Modernisierung des politischen Lebens in Frankreich“ ist beschlossen, dessen wesentlicher Punkt die Wiederabschaffung des Verhältniswahlrechts zugunsten des Mehrheitswahlrechts vorsieht und damit sicherstellen will, daß der FN aus den Parlamenten ferngehalten wird. Auch die französische Justiz sieht sich in ihrer politischen Verantwortung für die Nation herausgefordert und hat zwei bemerkenswerte Urteile gegen den FN gefällt. Le Pen, der eine sozialistische Politikerin bei einer Gegendemonstration verhauen hat, entzieht sie für zwei Jahre das passive Wahlrecht, und einen Tag später verbietet sie zwei FN-Gewerkschaften, bezeichnenderweise eine Polizei- und eine Gefängniswärtergewerkschaft, mit der für Frankreich sehr fadenscheinigen Begründung, daß Berufsgewerkschaften mit politischer Ausrichtung nicht zulässig seien.

Demokraten verstehen sich eben wie sonst keiner darauf, unliebsame Konkurrenten mit den Mitteln freiheitlicher Gesetzgebung auszugrenzen.