Die Botschaft von drei Landtagswahlen
Deutschland im Konflikt zwischen konservativem und reaktionärem Anpassungswillen
Ist die deutsche Demokratie – ausgerechnet! – in Sachsen-Anhalt besonders christlich? Oder in Baden-Württemberg extra öko? In Rheinland-Pfalz womöglich ganz außerordentlich sozial? Das behaupten nicht einmal die Sieger des „historischen“ Wahlsonntags im März in den drei Ländern. Die geben vielmehr unumwunden, ja mit Stolz zu Protokoll, dass nicht die verschiedenen Parteien mit ihren Programmen, sondern ihre jeweiligen Galionsfiguren sich durchgesetzt haben; und zwar deswegen – sagen ihre Anhänger, sogar im Fall des „farblosen“ Schwarzen –, weil sie so prima Galionsfiguren sind. Dabei ist es, auch ihnen selbst, gar kein Geheimnis, was den schwarzen Anhaltiner Sachsen, die rote rheinländische Pfälzerin und den grünen Onkel aus dem Südwesten tatsächlich zu Wahlsiegern gemacht hat: Sie waren schon vorher dran! Ihr Wahlsieg ist ein Triumph des „Amtsbonus“ – womit der demokratische Sachverstand die Gewohnheit wahlberechtigter Untertanen bezeichnet, die gewohnte regierende Führung tendenziell für so ziemlich die richtige zu halten, für diejenige, der Amt und Macht auch zustehen, einfach deswegen, weil sie Amt und Macht schon hat.
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Die Botschaft von drei
Landtagswahlen
Deutschland im Konflikt zwischen
konservativem und reaktionärem Anpassungswillen
Ist die deutsche Demokratie – ausgerechnet! – in Sachsen-Anhalt besonders christlich? Oder in Baden-Württemberg extra öko? In Rheinland-Pfalz womöglich ganz außerordentlich sozial? Das behaupten nicht einmal die Sieger des „historischen“ Wahlsonntags im März in den drei Ländern. Die geben vielmehr unumwunden, ja mit Stolz zu Protokoll, dass nicht die verschiedenen Parteien mit ihren Programmen, sondern ihre jeweiligen Galionsfiguren sich durchgesetzt haben; und zwar deswegen – sagen ihre Anhänger, sogar im Fall des „farblosen“ Schwarzen –, weil sie so prima Galionsfiguren sind. Dabei ist es, auch ihnen selbst, gar kein Geheimnis, was den schwarzen Anhaltiner Sachsen, die rote rheinländische Pfälzerin und den grünen Onkel aus dem Südwesten tatsächlich zu Wahlsiegern gemacht hat: Sie waren schon vorher dran! Ihr Wahlsieg ist ein Triumph des „Amtsbonus“ – womit der demokratische Sachverstand die Gewohnheit wahlberechtigter Untertanen bezeichnet, die gewohnte regierende Führung tendenziell für so ziemlich die richtige zu halten, für diejenige, der Amt und Macht auch zustehen, einfach deswegen, weil sie Amt und Macht schon hat. Was da von den jeweiligen Regierungsparteien gepflegt, erwünscht, propagiert, den Regierten vorgesagt und am Ende in der Wahlkabine abgerufen wird, ist ein Schluss, den die freien Mitglieder einer funktionierenden Klassengesellschaft irgendwie Tag für Tag hinkriegen und als Lebenseinstellung praktizieren: den Schritt von der praktisch aufgenötigten Gewohnheit, sich in vorgegebenen Verhältnissen einzurichten, von der alltäglichen Übung, sich auch mit Vorgesetzten zu akkomodieren, zur Anerkennung, zur – wenn’s verlangt ist – ausdrücklichen Affirmation gegebener Verhältnisse und Autoritäten. Dabei handelt es sich bei demokratischen Machthabern gar nicht mal um objektive „Gegebenheiten“, mit denen der Mensch sich einfach arrangieren müsste, vielmehr um ausdrücklich auswechselbare Repräsentanten der ausdrücklich nicht auswechselbaren Machtverhältnisse, mit denen der einzelne Bürger tatsächlich klarkommen muss. An den Personen darf, ja soll er seine Unzufriedenheit, seine „Wut“, seine Besserwisserei festmachen und im Wahlakt ausleben; auch und gerade dann, wenn eigentlich klar ist, dass die Personen nicht die Ursache der anfallenden Ärgernisse sind, sondern Repräsentanten der Verhältnisse, in denen diese anfallen. Aber wenn es dann in die Wahlkabine geht, dann lässt der freie Bürger sich ganz im Sinne der demokratischen Veranstaltung nicht bloß dazu anstacheln, ein Kreuzchen bei „Protest“ zu machen, sondern auch ernsthaft fragen, ob andere, neue Regenten denn wirklich die besseren Sachwalter der gewohnten Verhältnisse und Missverhältnisse sind als die, die er schon kennt und gewohnt ist. Und für die Beantwortung dieser Frage gilt im demokratischen Gemeinwesen die Tatsache, dass jemand es in ein Wahlamt geschafft hat, schon als ziemlich gutes Argument dafür, dass er das auch wieder schaffen wird und die Alternativangebote nur zweite Wahl sind.
Bei den „historischen“ März-Wahlen in drei Bundesländern hat sich dieses Argument wieder einmal bewährt. Aber das ist nur knapp die halbe Wahrheit.
Die andere Hälfte der Sache ist die, dass den kleineren Regierungsparteien wie den jeweils auf nicht mehr und nicht weniger als die Ablösung der alten Mannschaft programmierten Oppositionsparteien die AfD als neue Opposition den Rang abgelaufen und die siegreichen Führungsfiguren zu neuen Koalitionen genötigt hat. Mit bemerkenswert großem – im Urteil der Konkurrenten: schrecklich viel – Erfolg hat die neue Rechtspartei dem Wähler eine Regierungskritik angeboten, die nicht bloß vom Versprechen, das Gewohnte besser zu machen, sondern von einem, und zwar einem einzigen großen Vorwurf lebt: Merkels Republik ist nicht mehr das gute alte Deutschland, das sich dadurch auszeichnet, dass es exklusiv den guten Deutschen gehört, die sich ihrerseits dadurch auszeichnen, dass ihnen Deutschland und ihr exklusives Recht darauf über alles geht. Statt Deutschland zu bewahren, wie es sich gehört, übt die ganz große Koalition der etablierten Parteien unter Merkels Führung Verrat, verkauft es an fremde Mächte – „Europa“, fremde Sitten, „Schwule und Islamisten“, überhaupt an Fremde, „Scheinflüchtlinge“ –. Mit dieser Generalabrechnung klagt die AfD nicht irgendwelche bestimmten Lebensverhältnisse ein, schon gar nicht solche, die den angesprochenen Wählern ihr Zurechtkommen materiell erleichtern sollten. Sie erstattet Fehlanzeige über ein Deutschland, das definiert ist durch das exklusive Anrecht seiner Eingeborenen, ihm anzugehören und sich darin ganz „unter uns“ einzurichten. Anpassung daran, Einverständnis mit dem Stück Welt, in das es einen verschlagen hat, wird vorstellig gemacht als Privileg, das man gegen alle und alles Fremde hochzuhalten hat; wobei „fremd“ für gar keinen besonderen Befund, sondern für die generelle Vorstellung steht, dass Deutschlands angestammtem Volk die Exklusivität seines Eingehaustseins in seiner Nation bestritten wird – der vom Tonband abgespielte Ruf des Muezzin, die Hautfarbe und Fremdsprache mancher Passanten, vor allem die Zahlen über Zuwanderer von sonstwoher sind der Beleg. Beleg eben für das Grundsätzliche, dass Deutschland schon fast nicht mehr den wahren Deutschen gehört, denen also ihre Heimat genommen wird.
Mit der AfD triumphiert in den drei Landtagswahlen also eine Partei, die den konservativen demokratischen Konsens der Nation – die politischen, ökonomischen und sonstigen gesellschaftlichen Verhältnisse sind, wie sie sind und wie sie von den Verantwortlichen gestaltet werden; alternativ sind die Figuren, die die Regierungsämter besetzen und das Fällige mehr oder weniger gut exekutieren – aufkündigt und eine Alternative zu dem etablierten Politikbetrieb insgesamt zur Wahl stellt. Inhalt dieser Alternative ist andererseits nichts anderes als die empörte Diagnose, dass der etablierte demokratische Konsens der Nation schon längst nicht mehr konservativ genug und damit das Einverständnis der Nation mit sich selbst in Gefahr ist. Anklang findet dieser Befund weit über den zweistelligen Prozentsatz an Wählern hinaus, die sich mit ihrem demokratischen Wahlkreuz dazu bekennen. Gebremst wird der Wahlerfolg der Alternative wiederum durch das Gegenangebot der etablierten Amts- und Würdenträger, man sollte sich in Sachen Konsens in der Nation und und Einverständnis mit ihrer Herrschaft besser nicht auf Abenteuer mit erklärten Abweichlern einlassen. Bekenntnis zur gewohnten Herrschaft versus Grundreinigung des nationalen Einvernehmens von Überfremdung, „keine Experimente“ beim Führungspersonal versus „keine Experimente mehr“ in Sachen Heimat: an der Alternative durfte das Wahlvolk sich scheiden.
Und hat genau das glatt hingekriegt.