Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Streit um den ‚blauen Brief‘ für die deutsche Haushaltspolitik:
Deutschland besteht auf einer Sonderrolle in Europa und rückt den ‚Stabilitätspakt‘ zurecht

Die EU-Kommission beschließt gemäß den Grundsätzen des europäischen Stabilitätspakts eine Mahnung an die deutsche Adresse und fordert dafür die notwendige Bestätigung der versammelten Finanzminister. Der Bundeskanzler bezweifelt daraufhin öffentlich die Kompetenz der Brüsseler Kommissare und unterstellt ihnen unlautere Motive. Die deutsche Regierung bringt schließlich mit Unterstützung der großen Länder den Antrag auf ‚Frühwarnung‘ zu Fall und lässt sich nur zu einer vagen ‚Selbstverpflichtung‘ auf eine künftige Senkung der Staatsverschuldung herbei.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Der Streit um den ‚blauen Brief‘ für die deutsche Haushaltspolitik:
Deutschland besteht auf einer Sonderrolle in Europa und rückt den ‚Stabilitätspakt‘ zurecht

Die EU-Kommission beschließt gemäß den Grundsätzen des europäischen Stabilitätspakts eine Mahnung an die deutsche Adresse und fordert dafür die notwendige Bestätigung der versammelten Finanzminister. Der Bundeskanzler bezweifelt daraufhin öffentlich die Kompetenz der Brüsseler Kommissare und unterstellt ihnen unlautere Motive. Die deutsche Regierung bringt schließlich mit Unterstützung der großen Länder den Antrag auf ‚Frühwarnung‘ zu Fall und lässt sich nur zu einer vagen ‚Selbstverpflichtung‘ auf eine künftige Senkung der Staatsverschuldung herbei. Die deutsche Öffentlichkeit aber räsoniert in seltener Einmütigkeit über den Schaden, den Schröder mit seinem ‚europa-skeptischen Populismus‘ angerichtet hat. Offensichtlich stellt die Berliner Regierung mit ihrem erfolgreichen Kampf gegen den ‚Blauen Brief‘ aus Brüssel die nationalen Ansprüche in Sachen Europa nicht zufrieden.

1. Wenn es darum ginge, sich über eine unbefriedigende Haushaltslage und die für notwendig gehaltenen Konsequenzen zu verständigen – Bundesregierung und Brüsseler Kommission wären sich einig:

„Das Ausmaß der Zielabweichung (der Haushaltsschulden von den Prognosen um mehr als 1%) und die Nähe der Neuverschuldung zum Referenzwert von 3% des Bruttoinlandsprodukts machen klar, dass das Budget 2002 wie geplant implementiert werden muss. Falls nötig, etwa bei einer weiteren Konjunkturverschlechterung müssen zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden. Sobald die Konjunkturerholung gesichert ist, sollten weitere Sparmaßnahmen beschlossen werden, um 2004 den Haushaltsausgleich zu erreichen.“ (zitiert nach NZZ, 31.11.)

So oder so ähnlich wie diese dann doch nicht abgeschickte ‚Frühwarnung‘ der Kommission geben Politiker ihre Unzufriedenheit mit dem Zustand der nationalen Finanzen zu Protokoll. An der Differenz von erwünschtem und wirklichen Stand der Haushaltsbilanzen registriert eine Regierung, die für die Beförderung nationaler Konkurrenzerfolge und für die Bedürfnisse ihrer Macht staatlichen Kredit mobilisiert, dass der beabsichtigte Ertrag ausgeblieben ist, dass keine ausreichende geschäftliche Verwendung des Kredits stattgefunden hat, so dass sich die vermehrten Staatsschulden nicht durch wachsende Staatseinnahmen rechtfertigen. Mit solchen Statements über die Lage des nationalen Haushalts gibt eine Regierung zugleich ihre Entschlossenheit kund, dann erst recht mit ihrem finanzpolitischen Gebaren Wachstum befördern und ihre Haushaltsposten entsprechend durchsortieren zu wollen. Der deutsche Finanzminister kündigt im Gefolge der Affäre daheim auch prompt die demnächst fälligen Maßnahmen in Sachen ‚Haushaltskonsolidierung‘ an: Einsparungen bei der Arbeitslosenhilfe, im Gesundheitswesen… Dass der deutsche Haushalt die sozialstaatlichen Aufwendungen keinesfalls mehr verträgt, so weit herrscht volle Übereinstimmung zwischen Berlin und Brüssel.

Wenn es um die einvernehmliche Verfolgung des gemeinsamen Ziels ginge, dem nach allgemeiner Auskunft der Stabilitätspakt dienen soll: die Solidität des Staatskredits zu verbürgen, mit dem jetzt 12 Nationen gemeinschaftlich wirtschaften, dann wären sich Berlin und Brüssel schon wieder einig. Es ist die Pflicht der EU-Kommission, das Finanzgebaren jedes Euro-Landes an festen Relationen von Neuverschuldung zu Bruttosozialprodukt, von Haushaltsplandaten zu absehbarer wirklicher Haushaltsentwicklung zu überprüfen und im Falle zu großer Abweichung von den ausgemachten Verschuldungsmargen bei der betreffenden Regierung Haushaltsdisziplin anzumahnen, egal um welches Land es sich handelt. So ist es bei der Einführung der Gemeinschaftswährung festgelegt und gerade von deutsche Seite als Beweis für deren absolute Vertrauenswürdigkeit gefeiert worden.

Aber so ist der Stabilitätspakt, den die damalige deutsche Regierung als vorläufigen Ersatz für die noch nicht vorhandene staatliche Einheit angepriesen hat, dann doch nicht gemeint. Das stellt die Nachfolgeregierung in ihrer Auseinandersetzung mit der Kommission jetzt nachdrücklich klar.

2. Wie die organisierte Überprüfung des nationalen Haushaltsgebarens, die der vormalige Finanzminister Waigel dauerhaft in das Programm der europäischen Währungsunion eingebaut hat, von deutscher Seite aus gedacht ist, daran hat schon die Vorgängerregierung wenig Zweifel aufkommen lassen. Mit der Selbstverpflichtung der Euro-Staaten auf feste Grundsätze nationalen Haushaltens institutionalisiert der Pakt das Recht der Euro-Nationen, über die Haushaltspolitik der anderen nach festgelegten Kriterien und Verfahrensweisen zu befinden, sie gut zu heißen oder zu kritisieren und auf praktische Korrekturen zu dringen – also sie ein gutes Stück mitzuentscheiden. Auf dieses Recht hat es Deutschland abgesehen – und zwar als sein Vorrecht. Der vormalige DM-Hüter sieht sich berufen, für die Stabilität des Euro zu sorgen, indem er für seine Qualität mit den Mitteln bürgt, die nach seiner Auffassung schon die DM zu einer unschlagbaren Erfolgsgeschichte gemacht haben: mit einer Geldpolitik, die sich ganz der Sicherung des Geldwerts verschreibt. In diesem Geist haben die deutschen Euro-Konstrukteure mit dem Stabilitätspakt eine Zulassungsprüfung und ein dauerhaftes Kontrollinstrument geschaffen, das an den Daten des deutschen Haushaltswesens aus den Zeiten erfolgreicher deutscher Durchsetzung auf dem Weltmarkt Maß nimmt, sie in den Rang einer verlässlichen Stabilitätsgarantie erhebt und für alle anderen zur Verpflichtung macht, über die gemeinschaftlich gewacht wird – natürlich unter deutscher Oberleitung. Mit dem Fanatismus des Vorreiters Europas, der schließlich die größte Wirtschaftskraft und das gefragteste Geld repräsentiert und sich das als Werk seiner besonders gelungenen Wirtschafts- und Finanzpolitik anrechnet, haben die Vorgänger der jetzigen deutschen Regierung bei ihrer Konstruktion des Stabilitätspakts damit drei Dinge in eins gesetzt, die für sie selbstverständlich in eins fielen: die ökonomische Macht Deutschlands, eine besondere Kompetenz in allen Fragen erfolgreichen Wirtschaftens und eine daraus quasi sachgesetzlich erwachsende deutsche Wächterrolle über das europäische Geld. In Form eines verlässlich organisierten gemeinschaftlichen Aufsichtswesens über die haushaltspolitischen Versuchungen ausgabenfreudiger nationaler Regierungen hat die Nation, die sich notorisch die besten Bilanzen zugerechnet hat, ihren Anspruch auf Führung institutionalisiert. So war der Stabilitätspakt von deutscher Seite geplant und so ist er bei der Zulassung zum Euro-Club von Deutschland auch ausgiebig gehandhabt worden – unbeschadet dessen, dass Deutschland bei der Einführung des Gemeinschaftsgeldes seine Haushaltsbilanzen selber euro-stabilitätsgerecht zurechtgerechnet hat.

3. Insofern war der jetzt eingetretene Fall, dass die Brüsseler Aufsichtsbehörde gegen Deutschland tätig wird, von deutscher Seite einfach nicht vorgesehen. Denn so viel ist ja klar. Aufgeflogen ist damit die Anmaßung, dass bei Deutschland wirtschaftlicher Erfolg, solides Haushalten und europäische Führerschaft einfach in eins fallen müssen. Ökonomisch bekommt auch die erfolgreichste europäische Nation zu spüren, dass es nicht in ihrer Macht liegt, mit ihrem Kredit automatisch die Wachstumsfortschritte nationalen Geschäfts zu garantieren, auf die sie mit ihrer schlagkräftigen Kapitalistenmannschaft selbstverständlich rechnet und die sie nach Kräften fördern will. Es ist ja überhaupt, und im Krisenfall schon gleich nicht das Gängige, dass sich Nationen in ihrem Verschuldungsgebaren Fesseln auferlegen. Erst recht eine Nation wie die deutsche leistet sich da im Bewusstsein ihrer ökonomischen Macht einen ausgiebigen Gebrauch ihrer Geldhoheit. Ob sich darüber aber zufrieden stellende Bilanzen und ein gefragtes Geld einstellen das ist Ergebnis der Konkurrenz, die die Kapitalisten veranstalten und die die Staatsführungen im Interesse ihres nationalen Wachstums entscheiden wollen. Auch der selbst ernannte Lehrmeister in Sachen gutes Geld ist jetzt zu dem Eingeständnis genötigt, dass das Wachstum zu wünschen übrig lässt, dass er deshalb gegen wachsende Haushaltsnöte nicht gefeit ist, also nach allen von ihm selbst in die Welt gesetzten Kriterien ‚unsolide‘ wirtschaftet. Und dieses Eingeständnis soll ihm, dem von ihm selbst institutionalisierten Stabilitätspakt gemäß, auch noch in Gestalt einer Brüsseler Mahnung präsentiert werden. Ausgerechnet der oberste europäische Beaufsichtiger droht damit zum ersten handfesten Betroffenen gemeinschaftlicher Haushaltsaufsicht zu werden, statt dass Deutschland die von ihm ausgemachten Problemfälle unsolider Haushaltspolitik in Europa gemeinschaftlich zur Ordnung rufen lässt. Die Kommission mag ihre ‚Frühwarnung‘ noch so zurückhaltend formulieren und versichern, das sei keine Kritik an Eichels KursDie deutsche Politik ist korrekt. Die Abweichung ist nicht Folge einer schlechten Politik. Wichtig ist, dass nun der Haushalt einfach so durchgeführt wird wie vorgesehen. –; das Instrument deutscher Europa-Führung wendet sich damit gegen seinen Erfinder. Neben dem ökonomischen Schaden droht also weit Schlimmeres: die Beschädigung der deutschen Führungsrolle. Die Frage der europäischen Hierarchie steht auf der Tagesordnung.

Der deutsche Kanzler sieht es jedenfalls so: Es werden Zweifel an Deutschlands Sonderstellung genährt, wenn Berlin – so fasst er es auf, so wollen deutsche Politiker schließlich selber den Stabilitätspakt handhaben – ‚an den Pranger gestellt‘ wird; da maßt sich die Kommission eine Kompetenz an, über Deutschlands Politik zu richten, die ihr nicht zusteht. Damit ist es an der deutschen Regierung, politischen Schaden abzuwenden und die europäische Rangordnung klarzustellen, wenn es denn sein muss auch gegen den selber eingerichteten europäischen Aufsichtsmechanismus, gegen die Kommission und gegen die kleineren EU-Mitglieder, die hier eine Gelegenheit sehen, ihr Eigengewicht in Gemeinschaftsfragen zu demonstrieren. Den von Finanzminister Eichel favorisierten Weg, die Mahnung der Kommission, durchaus im Einvernehmen mit dieser, als Bestätigung der selber verkündeten Notwendigkeit einer Haushaltskonsolidierung aufzufassen und sich damit als besonders glaubwürdiger europäischer Stabilitätswächter zu profilieren, lehnt der Kanzler entschieden ab. Er hat schließlich an mehr als die leidigen Finanzfragen zu denken. Das ‚Vertrauen in den Euro‘ hängt nach seiner Auffassung zuallererst an einer unbestrittenen deutschen Führungsposition in Europa; und wenn das europapolitische Instrumentarium, das diese Position zementieren soll, diesen Dienst versagt, dann steht eine Korrektur an. Also stellt er selber innereuropäisch die Machtfrage und bringt gegen die Kommission das ganze ökonomische und politische Gewicht Deutschlands zur Geltung. Mit dem drohenden Verweis auf den Schaden, den Europa nimmt, wenn der größte ‚Nettozahler‘ gegen seinen Willen kritisiert wird, weist er das Brüsseler Ansinnen als eine einzige Zumutung und antideutsche Intrige zurück, schmiedet gegen die Kommission und die sie unterstützenden kleinen Mitgliedsländer so offen, wie es einem europäischen Großen eben zusteht, eine Koalition der entscheidenden Nationen und bringt damit die Initiative zu Fall – nicht ohne gleich noch in ein paar anderen Punkten die abgrundtiefe Unzufriedenheit mit Brüsseler Beschlüssen zu Protokoll zu geben und generell auf mehr Respekt vor ökonomischen und politischen Interessen Deutschlands zu dringen. Der Außenminister sekundiert mit der Auskunft, was sich vom deutschen Standpunkt aus europäisch gehört und was nicht:

„Es braucht ein leistungsfähiges Deutschland, wenn man sich die kommenden Herausforderungen in Europa anschaut, zum Beispiel die Osterweiterung der EU. Es geht nicht, dass man dem wichtigsten Nettozahler Deutschland immerzu sagt, du darfst dieses nicht, du darfst jenes nicht; dass man ihm zusätzliche Lasten aufbürdet und am Ende den Zeigefinger wegen des Defizits hebt. Das macht keinen Sinn.“ (Die Welt, 12.2.)

So macht sich die deutsche Regierung um Aufklärung verdient: Es ist nicht Deutschlands besondere finanzpolitische Befähigung, die es zur europäischen Führung qualifizieren, es ist die ökonomische und politische Macht, die deutsche Führungsansprüche in Europa begründet. Der Kanzler bringt mit seinem als ‚Wahlkampf an der unpassenden Stelle‘ kritisierten ‚europa-skeptischen Populismus‘ eine Wahrheit in Erinnerung: Die Fortschritte der EU beruhen letztlich auf der Durchsetzung von Über- und Unterordnungsverhältnissen, denen gemäß die europäischen Gemeinschaftsmechanismen ausgestaltet werden. Auch und gerade unter Krisenbedingungen sind die geld- und standortpolitischen Entscheidungen, die den Gemeinschaftskredit tangieren, mithin eine innereuropäische Konkurrenz- und Hierarchiefrage. Wenn die deutsche Regierung ökonomisch mit Krisenlasten zu schaffen hat, dann pocht sie deshalb erst recht auf ihren Anspruch, außerhalb der Konkurrenz zu stehen, und verbittet sich von ihren europäischen Partnern jede Kritik. Und wenn die sich das nicht ohne weiteres nehmen lassen, dann ist für den deutschen Kanzler klar, dass in Europa etwas grundsätzlich falsch läuft. Dann muss Deutschland unmissverständlich klarstellen, wer in Europa was zu sagen, wer wen zu kritisieren hat. In diesem Geist weisen die deutschen Vorkämpfer für ‚mehr politische Einheit‘ und ‚mehr Kompetenzen für Brüssel‘ die Kommission und die Länder, die deren Anwendung des Stabilitätspakts unterstützen wollen, in die Schranken und blamieren offensiv die Auffassung, alle europäischen Regierungen hätten sich im Interesse des Euro einem gemeinschaftlichen Kontrollregime unterzuordnen.

Den Anspruch auf deutsche Zuständigkeit für die Stabilität des europäischen Geldes, den Standpunkt besonderer währungspolitischer Aufsichtskompetenz, kündigt die Schröder-Regierung damit nicht auf. Als Anwalt deutscher Führungsmacht ringt sie vielmehr darum, ihre Vorreiterrolle in Sachen Euro-Stabilität materiell wiederherzustellen und damit die Führungsposition Deutschlands auch ökonomisch unstrittig zu machen. Deswegen belässt sie es nicht bei ihrer machtvollen ‚Intrige‘ gegen die Kommission, sondern demonstriert, wie ernst sie selber schon die schlechten Bilanzen nimmt und wie entschieden, aber eben in eigener Verantwortung, sie die deutschen Haushaltsprobleme anzugehen gewillt ist. Mit einem rigorosen Programm der Haushaltskonsolidierung, das sie demonstrativ mit dem Gütesiegel ‚nationaler Stabilitätspakt‘ versieht, macht sie sich für die Verbesserung der nationalen Rechnungen stark. Das berechtigt Deutschland selbstverständlich, jetzt erst recht auf grundsätzlichen Korrekturen am gesamteuropäischen Haushalt im deutschen Sinne zu bestehen… Es geht schließlich um mehr als nur um Haushaltsfragen.

5. Das doppelte Bemühen um deutsche Führungsstärke trifft daheim auf viel Kritik. Öffentlichkeit und Opposition halten dem Kanzler das schlechte Beispiel vor, das jetzt Schule machen wird, und beklagen, dass ein Grundpfeiler der Währungsunion: der Stabilitätspakt eingerissen worden ist, ausgerechnet durch den Erfinder dieser Einrichtung. Die einen halten unverbrüchlich an der Mär vom Stabilitätspakt als der Garantie eines guten Geldes fest und beklagen, dass die Verhinderung des blauen Briefes die Aufsichtstechnik unterminiert, die von deutscher Seite den anderen aufgenötigt worden ist. Den anderen kommt die Affäre zupass, weil sie der Regierung das Auseinanderfallen von deutschem Führungsanspruch und tatsächlich ausgeübter Aufsicht über den Gang Europas zur Last legen können. Gemeinsam beklagen sie, dass es der ökonomische Vorreiter Europas überhaupt dahin gebracht hat, selber zum Fall europäischer Haushaltsaufsicht zu werden. Im machtbewussten Vorgehen der Regierung dagegen entdecken sie eine einzige Schwächung der deutschen Führungsrolle. Wenn Deutschland sich mit denen verbünden muss, die gegen die deutsch inspirierte Aufsicht über ihr Finanzgebaren immer schon Einwände hatten, wenn Deutschland deren abweichenden Berechnungen Raum geben muss, statt aus der fraglos anerkannten Position des ökonomisch Stärksten den Standpunkt ordentlicher Haushaltsführung gegen sie geltend machen zu können, dann liegt Versagen auf der ganzen Linie vor:

„Deutschland, dessen frühere Regierung die Gemeinschaftswährung aus gutem Grund in ein strenges Stabilitätsregime eingebettet wissen wollte, führt sich auf wie das sprichwörtliche große Mitglied, das nach Belieben die europäischen Regeln befolgt – oder es auch bleiben lässt. Es macht die Sache um keinen Deut besser, dass Frankreich, Italien oder Spanien ins Berliner Horn stoßen und damit aller Welt und vor allem jenen Ländern, die es mit der Haushaltsdisziplin genau nehmen, vorführen, wie der Stabilitätspakt machtpolitisch verbogen werden kann. Wer glaubt, das werde ohne Nachahmungsversuche bleiben, irrt sich. Es wird weitere Profiteure dieses Sündenfalls geben, besonders unter jenen, die im Schuldenmachen geübt sind.“ (FAZ, 7.2.) „Wer soll sich jetzt noch diesem Regime beugen wollen, da demonstriert wurde, dass es keine Sanktionen kennt, wenn diese der betroffenen Regierung nicht passen.“ (FAZ, 13.2.) „Künftig werden sich auch alle anderen Haushaltssünder auf das Berliner Beispiel berufen können.“ (SZ, 13.2.)

Die Kritiker stehen also genauso felsenfest wie die Schröder-Regierung auf dem Standpunkt, dass Deutschland zu machtvoller europäischer Führung berufen ist. Deswegen vermissen sie das gelungene deutsche Regime in Europa, ohne das die deutschen Anhänger der europäischen Gemeinschaft einfach nicht zufrieden sind und gleich ganz Europa in Gefahr sehen.