Bilder aus dem Alltag der sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts
Der Mensch hat einen Job, mit dem er Geld verdient. Er kauft davon, was er für sich und ggf. seine Familie braucht. Um alles davor (Jugend in Ausbildung), danach (Rentner-Dasein) und den ganzen Rest kümmert sich der Staat. So ungefähr sieht die heimische Welt, ökonomisch, für die Einwohner der modernen Marktwirtschaft aus.
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Bilder aus dem Alltag der sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts
Der Mensch hat einen Job, mit dem er Geld verdient. Er kauft davon, was er für sich und ggf. seine Familie braucht. Um alles davor – Jugend in Ausbildung –, das Danach – Rentner-Dasein – und den ganzen Rest kümmert sich der Staat. So ungefähr sieht die heimische Welt, ökonomisch, für die Einwohner der modernen Marktwirtschaft aus. Stimmt ja auch, irgendwie: Geld verdienen oder aus einer öffentlichen Kasse beziehen, es ausgeben, das sind schon die ergreifend schlichten Bestimmungen, aus denen sich die Lebensführung von unsereinem in ihrer knallbunten Vielfalt zusammensetzt. Im Prinzip.
Eben deswegen lohnt sich ab und zu ein Blick auf die paar Unterschiede, die in dieser Dreieinigkeit von Job, Einkaufen und staatlicher Betreuung systembildend enthalten sind. Denn die sind einerseits auch sehr schlicht und elementar. Andererseits sind sie der ebenso notwendige wie hinreichende Grund für die wirklich maßgebliche Diversität der Existenzbedingungen und Lebensarten, die die moderne Welt so unübersichtlich macht, dass sie für den Hausgebrauch wie für das öffentliche Bewusstsein mit griffigen Unterscheidungen zwischen gut und böse, anständig und unanständig, Erfolg und Opfer wieder überschaubar gemacht werden muss. Und gemacht wird.
Die erste, alles entscheidende materielle Diversifizierung zwischen ‚uns‘ – den Angehörigen des großen ‚Wir‘, von dem die Sage geht, es hätte sich die Marktwirtschaft als ‚unsere‘ Lebensform herausgesucht – ist die, die im Stichwort ‚Job‘ oder ‚Beruf‘ ganz grundsätzlich verloren geht: der Unterschied, ob man eine Geldquelle hat, oder ob man eine ist. Oder genauer: Ob man so viel Geld hat, dass es glatt als Einkommensquelle für ein anständiges Leben reicht; oder ob man sein Einkommen damit verdient, dass man im Wesentlichen nur sich selber hat und daraus eine Einkommensquelle macht, indem man diesen Besitz – Fähigkeiten, Kraft, Lebenszeit – stückweise verkauft. An welche, die dafür bezahlen, dass sie Fähigkeiten, Kraft und Lebenszeit anderer Leute als ihre Erwerbsquelle nutzen.
Von den Letzteren soll in diesem Heft einmal nur am Rande die Rede sein. In ihren diversen individuellen wie vor allem kollektiven Ausprägungen – als Industrieunternehmen, Aktiengesellschaften, Finanzmärkte, und auf ihre Weise gehört auch die Staatsgewalt dazu – kommen sie sowieso laufend vor; allein deshalb, weil sie die Märkte machen, nach denen die Marktwirtschaft ihren Namen hat. Stattdessen wird in den folgenden Aufsätzen erst einmal daran erinnert, in welche trostlosen Formen der Erwerbsarbeit sich in „unserem reichen Land“ das Massenschicksal auffächert, das aus dem banalen Umstand folgt, nur über sich selbst als Geldquelle zu verfügen. Wie affirmativ, berechnend, kaltblütig, dabei engagiert und menschlich zugewandt die Inhaber der öffentlichen Gewalt mit den bittersten Formen der Einkommenslosigkeit umgehen, die zum Dasein als Einkommensquelle geldkräftiger ‚Arbeitgeber‘ notwendigerweise gehört, erläutert der anschließende Artikel über die neueste deutsche sozialdemokratische Errungenschaft des Bürgergelds. Von der Variante, wie der französische Staat den Lebensunterhalt der Leute organisiert hat und aktuell umorganisiert, denen er aus Altersgründen eine finale Auszeit vom Dasein als leibhaftige Erwerbsquelle zugesteht, vom Widerstand der Betroffenen gegen die laufende Reform und von der Antwort der Staatsgewalt berichtet der Artikel über die französische Rentenreform. Den Abschluss der kleinen Serie bildet ein Blick auf eine beliebig herausgegriffene Woche deutschnationaler Meinungsbildung durch das Presseorgan, das sich dafür eine ziemlich exklusive Zuständigkeit erobert hat – eben dafür, das Dasein in Deutschlands nationaler Marktwirtschaft samt ausgewählten Zumutungen und Bewältigungsstrategien Woche für Woche moralisch durchsichtig zu machen.