Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
BILD als Event-Manager der Demokratie: WIR sind Wahlvolk!

Mit 41 Mio. Gratis-Exemplaren einer Sonderausgabe tritt BILD am Vortag der Bundestagswahl 2013 mit folgender Schlagzeile an die Leser heran:

„Prost Wahlzeit! Ab ins (Wahl-)Lokal! Ran an die Urne – Eintritt ist frei! So jung wählen wir nie wieder zusammen! Wer nicht wählt, wird Wirt!“

Da steht also der Termin an für die turnusgemäße Neubesetzung der Regierungsstellen im Land durch Wahlen, bei denen der Bürger frei, gleich und geheim entscheiden soll, welche der konkurrierenden politischen Parteien seine Stimme kriegt – und der BILD-Leser findet sich fertig eingemeindet in eine Mannschaft von vorgeglühten Demokratiefans, die die Wahl als humorige Gute-Laune-Veranstaltung begehen.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

BILD als Event-Manager der Demokratie: WIR sind Wahlvolk!

Mit 41 Mio. Gratis-Exemplaren einer Sonderausgabe tritt BILD am Vortag der Bundestagswahl 2013 mit folgender Schlagzeile an die Leser heran:

„Prost Wahlzeit! Ab ins (Wahl-)Lokal! Ran an die Urne – Eintritt ist frei! So jung wählen wir nie wieder zusammen! Wer nicht wählt, wird Wirt!“

Da steht also der Termin an für die turnusgemäße Neubesetzung der Regierungsstellen im Land durch Wahlen, bei denen der Bürger frei, gleich und geheim entscheiden soll, welche der konkurrierenden politischen Parteien seine Stimme kriegt – und der BILD-Leser findet sich fertig eingemeindet in eine Mannschaft von vorgeglühten Demokratiefans, die die Wahl als humorige Gute-Laune-Veranstaltung begehen. Heuer also mal keine Schicksalswahl – BILD legt gar nicht erst nahe, dass der Wahlakt diesmal wunder was für Weichen stellen würde –, dafür ein Spaß-Event für Patrioten. Alle Unterschiede und Gegensätze, Meinungen und Urteile im Volk und in seinem Verhältnis zur Politik sind einfach verschwunden und ersetzt durch die Ansage, dass „Wir alle“ jetzt ein feucht-fröhliches Wahlvolk bilden, welches ausgerechnet im einsamen Akt des Kreuzchen-Malens in Wahlkabinen ein großartiges ,Gemeinschaftsgefühl‘ genießt. Das ist dann die eigentliche Bedeutung dieser Wahl laut BILD: Ein Wahlsonntag als Gelegenheit für die Bürger des Landes, sich zu einer Wahl-Volksgemeinschaft zusammenzuschließen.

Mag BILD den Leser die Wahl zukünftiger Amtsträger der Nation auch als eine patriotische Party und Feier ans Herz legen – Witze macht die Zeitung nicht. BILD kann auch bitter ernst:

„Ja, es stimmt. Politik ist kompliziert und zäh. Oft fehlt der Glanz, nicht selten die klare Kante. Auch BILD übt dann harte Kritik, manchmal vielleicht zu harte. Aber Politik und Demokratie können nur funktionieren, wenn die Bürger sich nicht abwenden, nicht frustriert oder gleichgültig mit den Achseln zucken. Politik ist keine Einbahnstraße, auf der immer nur die Politiker auf die Bürger zukommen. Auch die Bürger müssen sich kümmern. Politik ist das große Selbstgespräch des Landes. Am Wahltag besonders. Also: Bleiben Sie nicht stumm. Deutschland ist es wert.“

Das angesprochene Gemeinschaftsgefühl und die entsprechende Identifikation der Bürger mit dem Staat vermag die Politik leider oft nicht zu erzeugen. Mit ihrem ewigen Streit, ihrem Gefeilsche und den daraus folgenden Kompromissen stoßen Politiker identifikationssüchtige Volksgenossen eher ab: Ihre Entscheidungen sind weder klar noch einfach, und wecken selten Begeisterung. BILD bezichtigt sich, selbst durch Kritik zur Politikverdrossenheit der Bürger beigetragen zu haben. Eine Entschuldigung fürs Beiseitestehen darf das aber nicht sein: Man darf – belehrt BILD den Leser – nicht immer nur fordern und von der Politik enttäuscht sein. Der Bürger muss sich vielmehr engagieren und „der Politik entgegenkommen“ wie diese ihm. Politik ist das große Selbstgespräch, in dem Volk und Führung zusammenfinden.

Die Wahl ist ein ganz besonderes dieser nationalen Selbstgespräche: Welche der Parteien, die um die Macht konkurrieren, man wählt, ist völlig egal. Erst recht egal ist, dass nichts ungesprächiger und stummer ist als ein freier, gleicher und geheimer Wahlakt. Worauf es aber unbedingt ankommt, ist, dass jedermann sein Kreuz setzt: dieses Bekenntnis seiner Bürger hat Deutschland verdient! Es reicht nicht, dass sie sich das Regiertwerden passiv gefallen lassen; sie schulden ihrer Nation die ausdrückliche Billigung all dessen, was die braucht und fordert – einschließlich aller Härten und Enttäuschungen, die damit verbunden sind.

So verkündet BILD fast die Wahrheit über die Wahl. Und eine implizite Mahnung gibt sie dem Leser auch mit auf den Weg: Wer da nicht mitmacht, grenzt sich aus.