Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
BGH-Urteil zur familiären Unterhaltspflicht
„Füreinander einstehen“ – sittliche Pflicht als vollstreckbarer Titel

Im Februar 2014 sorgt ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) für Furore: Ein mittlerweile erwachsener Sohn soll Unterhaltsleistungen für seinen alten Vater erbringen, obwohl dieser schon vor Jahrzehnten jeden Kontakt zum Sohn abgebrochen und diesen sogar enterbt hat. An dem Urteil stößt sich das Rechtsempfinden vieler Leute – es ist für sie unvereinbar mit ihrer Auffassung von familiärer Verbundenheit. Höchste Zeit also für eine Klarstellung seitens des hohen Gerichts.

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BGH-Urteil zur familiären Unterhaltspflicht
„Füreinander einstehen“ – sittliche Pflicht als vollstreckbarer Titel

Im Februar 2014 sorgt ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) für Furore: Ein mittlerweile erwachsener Sohn soll Unterhaltsleistungen für seinen alten Vater erbringen, obwohl dieser schon vor Jahrzehnten jeden Kontakt zum Sohn abgebrochen und diesen sogar enterbt hat. An dem Urteil stößt sich das Rechtsempfinden vieler Leute – es ist für sie unvereinbar mit ihrer Auffassung von familiärer Verbundenheit. Höchste Zeit also für eine Klarstellung seitens des hohen Gerichts.

Eine staatliche Nötigung …

Was auch immer die Menschheit mit „Familie“ verbindet – vom fröhlichen Miteinander über gern und selbstverständlich geleisteten Beistand bis hin zu eher zähneknirschend wahrgenommenen Aufgaben – was wirklich gilt, bekommt sie mit letztinstanzlichem Urteil vorbuchstabiert: Mit der Macht des Gesetzes sind Eltern bzw. Kinder lebenslang dazu verdonnert, füreinander aufzukommen, sofern sie ihr Leben nicht selber finanzieren können. Deshalb muss in dem konkreten Fall der Sohn Teile seines Einkommens für einen Mann abliefern, der ihm nicht näher steht als ein beliebiger Fremder.

Mit dem Urteil und seiner Begründung ist einmal mehr festgestellt, dass die Staatsgewalt sich nicht an den Moralvorstellungen ihrer Bürger orientiert, sondern ihre eigenen Kriterien bei der rechtlichen Organisation von Familienangelegenheiten hat. Die Richter verweisen auf § 1601 BGB – Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. – gestehen sogar zu, dass das Verhalten des Vaters eine Verfehlung war, bestimmen aber, dass dadurch die Unterhaltspflicht des Sohnes keineswegs erloschen sei.

Das Urteil stellt also klar: Die Gründung einer Familie ist nicht einfach eine Privatangelegenheit, die von den Beteiligten nach Belieben angefangen und auch wieder gelassen werden kann. Dafür sorgt der Staat, indem er den privaten Wunsch nach Partner- und Nachkommenschaft zum Anknüpfungspunkt für sein Interesse an einer „Keimzelle der Gesellschaft“ macht. Er macht seinen Liebesleuten ein Angebot, das sie massenhaft annehmen: Dem Wunsch nach Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit ihrer Beziehung verschafft er Gültigkeit und öffentliche Anerkennung durch die Erhebung in den Stand der Ehe. Dadurch ist die Liebschaft zur Rechtsgemeinschaft geadelt und die Vermählten können sich ab sofort nicht nur über ihren neuen Familienstand, sondern zusätzlich über eine günstigere Steuerklasse freuen, beitragsfreie Mitversicherung bei der Krankenkasse beanspruchen und am Ende einer Hinterbliebenenrente entgegensehen. Mit dem Glückwunsch des Standesbeamten sind jedoch weitere rechtliche Konsequenzen besiegelt. Denn kaum haben zwei den „Bund fürs Leben“ geschlossen, sind sie vom Staat auch als Sozialverband definiert, dem die Versorgung und Betreuung von Familienmitgliedern jeden Lebensalters obliegt. Aber damit nicht genug: Diese Rechtspflichten treffen auch die erst zukünftigen Produkte der elterlichen Beziehung, die Kinder, die zum Zustandekommen der Familie gar nichts beigetragen haben, sondern nur das passive Ergebnis der Neigung ihrer Eltern sind. Auch sie werden, dessen ungeachtet, einfach per Geburt Zwangsmitglieder dieser famosen Haftungsgemeinschaft.

Die damit verbundenen Zumutungen kommen so richtig zum Tragen, wenn mit der Trennung von Eheleuten oder Streitigkeiten zwischen Kindern und Eltern die Abwicklung und fernere Handhabung des eingerichteten familienrechtlichen Pflichtenwesens auf die Tagesordnung kommt. Da zeigt sich, wie vorausschauend die staatliche Betreuung ihre privaten Keimzellen geregelt hat, wenn sie das familiäre Füreinander-Einstehen“ durch dünn und vor allem durch dick, in guten wie in schlechten Tagen, gerade nicht vom Willen der Beteiligten und ihrer subjektiv empfundenen Verbundenheit abhängig macht. Als Pflicht in Gesetzesform übersteht der Unterhaltsanspruch zwischen ehemaligen Eheleuten und missratenen Eltern und Kindern deren schwankende Gemütszustände und nagelt sie nach Recht und Gesetz auf ihre Zahlungspflichten fest.

… ihre Überhöhung zum „ewigen Band“

Der „Zeitung für Deutschland“ gefällt die Unerbittlichkeit des Richterspruchs. Unter der gefühlvollen Überschrift „Füreinander Einstehen“ wird er mit einem Leitartikel als überfällig begrüßt und dem Publikum nahegebracht. (alle Zitate aus FAZ vom 13.2.2014)

„Was ‚Familie‘ genau bedeutet, weiß man in diesen Zeiten weniger denn je. Die große Koalition ist sich da auch nicht sicher.“

Der Leitartikler allerdings weiß es offenbar sehr wohl. Schon lange werden „wilde Ehe“, Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Partnerschaften und was sie sonst noch so als Lotterleben ausmacht, von der FAZ missbilligend beäugt. Da kommt das Machtwort des BGH dem konservativen Blatt gerade recht. Es soll aber nicht einfach als Machtwort genommen werden, sondern als dankenswertes Insistieren auf einer vernachlässigten höheren Sittlichkeit:

Der Bundesgerichtshof hat jetzt auf der Grundlage ziemlich alter Vorschriften und noch älterer Traditionen daran erinnert, dass Familie nicht irgendwie überall da ist, wo gerade Kinder sind – sie ist ein ewiges Band.“

Familie ist eben etwas Höheres, wahlweise Tieferes, jedenfalls Wertvolleres als die modernen Lebensgemeinschaften, die zunehmend gesellschaftliche Normalität sind und von der Großen Koalition auch noch legalisiert werden. Ehe und Familie sind vielmehr ein unaufhörlich wirksames Band, das sträflich in Vergessenheit geraten ist. Insofern ist der Sohn, der zum Zahlen verurteilt wird, für die FAZ der genau passende Fall, um in diesen Zeiten wieder einmal auf dem einschlägigen Höchstwert zu bestehen.

… und – zahlen bitte!

Die FAZ wäre nicht das Blatt aus Deutschlands Bankenmetropole, wenn sie über der hemmungslosen Idealisierung des staatlichen Zwangs den ganz prosaischen Staatsmaterialismus vergessen würde. Von den Gipfeln menschlich-sittlicher Höchstwerte aus behält sie jedenfalls auch den finanziellen Nutzen der ewigen Bande fest im Blick:

„Irgendwer muss den riesigen Sozialstaat ja auch noch tragen.“

Klar ist jedenfalls, dass es auch in einem der reichsten Länder der Welt eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen ist, Kinder und Alte durchzufüttern. Um das zu schaffen, müssen natürlich Beitragszahler auch ohne Rücksicht auf bestehende Blutsbande rekrutiert werden, was die Systemrelevanz der guten alten Keimzelle umso wichtiger erscheinen lässt:

„Aber die Kinder, ohne die das ganze System zusammenbricht, die bringt nur die traditionelle Familie hervor.“

Dass Kinder aus Patchwork-Familien oder Schwulenehen das System zum Wanken bringen, ist uns allerdings bisher leider noch nicht aufgefallen.