Der eigentliche Skandal: Die CDU übernimmt die Verantwortung für so genannte Fehler, die begangen worden sind, und zieht die fälligen Konsequenzen
Stichworte einer demokratischen Skandalbewältigung

Was sind schon ein paar unterschlagene Spenden-Millionen gegen die Schönheiten demokratischer Skandalbewältigung: Die CDU gesteht Fehler beim Verbuchen von Spendengeldern ein, gibt die Schuld einem dubiosen „System Kohl“ und überführt den Skandal damit in das Bedürfnis nach einer neuen, sauberen Führung. Die Öffentlichkeit stellt sich nur eine Frage: Schafft es die neue Führung, die Partei zu einen, ihre Durchsetzungsfähigkeit zu demonstrieren und damit Glaubwürdigkeit wiederherzustellen?

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Der eigentliche Skandal: Die CDU übernimmt die Verantwortung für so genannte Fehler, die begangen worden sind, und zieht die fälligen Konsequenzen
Stichworte einer demokratischen Skandalbewältigung

Der CDU sind Fehler passiert. Sie hat Spendengelder nicht richtig verbucht, und das ist aufgekommen. Der Schaden ist beträchtlich: Ihre Glaubwürdigkeit als Rechtsstaatspartei, die stets mit ihren „großartigen Grundwerten“ angibt, hat gelitten; ihre Chancen beim Wähler sind geschwunden, das Wiedererringen der Regierungsmacht kann sie sich womöglich auf Jahre abschminken. Der Fall muss bereinigt werden.

Nachdem alle Versuche der Eingrenzung auf einzelne Vergehen einzelner Personen, untere Chargen möglichst, gescheitert sind, macht das Stichwort vom

System Kohl

die Runde. Demokraten jeglicher Couleur, nicht zuletzt die aus der christlichen Union, sind fassungslos, wie es in dieser angesehenen demokratischen Partei zugegangen ist: Ein autoritärer Führungsstil, dass es der Sau graust; unzählige Duckmäuser, die sich einem „Patriarchen“ an ihrer Spitze aus schnöden Berechnungen untergeordnet haben; ein florierendes innerparteiliches Intrigenwesen; rücksichtsloses Ringen um Machtpositionen; Kauf und Käuflichkeit von Loyalitäten ganzer Landesverbände; verbotene Finanzpraktiken in großem Stil; mit krimineller Energie ins Werk gesetzte geheimbündlerische Machenschaften etc. Das alles summiert sich für sie auf zu einem Gesamtbild, das das böse Wort ‚System‘ rechtfertigt. Sicher, wenn Demokraten von einem System sprechen, ist das so wörtlich nun auch wieder nicht gemeint. Von einer Notwendigkeit der Art, dass Vereine, die immerhin nicht weniger als die Herrschaft im Lande anstreben bzw. ausüben und regelmäßig um die Ermächtigung zum souveränen Gebrauch der politischen Macht konkurrieren, auch nach innen etwas anders organisiert sind, als man es im Sozialkundeunterricht gelernt hat, wollen sie nichts wissen. Doch den denkbar härtesten Vorwurf, den sie im Repertoire haben, wollen sie mit ‚System‘ schon in die Welt gesetzt haben.

Diesen Vorwurf gilt es für die CDU aufzuarbeiten, und der erste und richtungsweisende Schritt dazu besteht darin, dem System einen Namen zu geben: Kohl. Man operationalisiert die aufgeworfene Systemfrage gewissermaßen, indem man sie als Schuldfrage behandelt, und erarbeitet sich so den Leitfaden der Skandalbewältigung: Von dem in der Rede vom „System Kohl“ enthaltenen Eingeständnis, dass der erlauchte Typ an der Spitze der CDU, der geschichtsträchtige Kanzler der Einheit, nicht weniger als der Repräsentant eines Systems unlauterer Machenschaften gewesen ist, gilt es wegzukommen und in der Öffentlichkeit sowie in der eigenen Partei die umgekehrte Lesart durchzusetzen: Kohl hat Vertrauen verspielt, die Partei ist davon betroffen. Womit wir endgültig ein System vor Augen haben, an dem aber auch nicht die Spur von einer Systematik festzustellen ist. Bei einem „System“, das dermaßen untrennbar am Namen einer einzelnen Person hängt, kann es sich um keine Erscheinung handeln, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit das lebendige Innenleben einer demokratischen Partei auszeichnet; es muss eine bedauerliche Ausnahme sein. Eine Ausnahme, deren herausragende Singularität man vor allem dann ermessen kann, wenn man sich vor Augen führt, dass Kohl immerhin 16 Jahre unangefochten Regierungschef war und noch viel länger der umjubelte Chef seiner Partei. Richtig betrachtet heißt das nämlich, dass der Mann jede Menge Zeit und Macht hatte, sein „System“ auszubauen. Dass dieses System in nichts anderem bestand als eben in seiner Partei, wer wollte das einer ehrenwerten demokratischen Volkspartei zur Last legen, die jetzt feststellen muss, dass sie mit einer demokratischen Ausnahmeerscheinung namens Kohl konfrontiert war und darunter gelitten hat?! Apropos „feststellen“: Wer von all seinen aufgeweckten Parteifreunden hätte in all den Jahren der Regentschaft Kohls denn überhaupt bemerken und monieren können, dass hier bei Lichte betrachtet ein verhängnisvolles „System“ am Walten war? Hätte da nicht im Herbst 99 irgendein Staatsanwalt in Augsburg den Stein ins Rollen gebracht und sich dann die gesamte Öffentlichkeit begeistert an die Aufdeckung von lauter unsauberen Geldschiebereien der CDU gemacht, die CDU wüsste doch bis heute noch nicht, unter welchem „System“ sie jahrzehntelange Schaden genommen hat. Woran man letztlich auch nur wieder sehen kann, wie raffiniert dieses „System Kohl“ war. Man kann es also gar nicht oft genug sagen: Die Partei ist erschüttert; die Partei ist betroffen; die Partei tut ihr Bestes zur Bewältigung eines ihr wesensfremden Systems… Kurz: Die Partei verspricht: Was sie als Partei betrifft, bleibt sie, wie sie ist.

Das ist zweifellos ein mutiges Programm, dazu braucht es Vorkämpfer, die sich glücklicherweise in den vorderen Reihen der CDU finden: Lauter Ziehsöhne und -töchter des großen Vorsitzenden, die selbstredend am meisten betroffen sind und die aufgedeckten Machenschaften natürlich zu allerletzt begreifen können, stellen sich den bohrenden Fragen der Öffentlichkeit. Sie wissen, was sie der Demokratie, ihrer Partei und sich schuldig sind, sehen der harten Realität ins Gesicht, übernehmen Verantwortung und rufen eine

Krise der CDU

aus. Das soll ihnen ein erwischter Ladendieb erst einmal nachmachen. Kaum ist heraus, dass die christliche Partei speziell in Geldfragen gerne mal Fünfe gerade sein lässt, ist für die Damen und Herren, die im Unterschied zum gemeinen Ladendieb in der komfortablen Lage sind, die Gesetze, an die sie sich dann nicht halten, selber zu erlassen, glasklar, wo bei diesem inkriminierten Gesetzesverstoß das Opfer anzutreffen ist: Die Partei, die die Schweinereien begangen hat, ist in einer Krise – und darf bedauert werden. Täter und Opfer fallen hier also gewissermaßen zusammen, womit wir schon den zweiten fundamentalen Unterschied zum Ladendieb hätten. Und falls noch einer wissen will, warum die gestandenen Law-and-Order-Fanatiker von den C-Gruppen plötzlich nicht mehr zwischen Opfern und Tätern unterscheiden können, klärt uns unsere christliche Volkspartei selbstverständlich gerne auf: Es kommt eben nicht darauf an, dass einer sich einen Gesetzesbruch geleistet hat, sondern wer dabei erwischt wird. Eine große demokratische Partei, die kann ja wohl, wenn sie bei krummen Touren auffällig wird und deshalb von Vertrauensverlust, also der Gefahr eines längeren Ausschlusses von der Regierungsmacht bedroht ist, auf anteilnehmendes Verständnis für ihre Sorgen pochen. Denn – dies der dritte ganz entscheidende Unterschied zum Ladendieb: Sie hat einen Auftrag für die Demokratie, für den Wähler, für die Nation! Wo kommen „wir alle“ hin, was wird aus „unserer demokratischen Landschaft“, „unserer sprichwörtlichen demokratischen Stabilität“, wenn die CDU als eine Bande von Geldschiebern dasteht? Dass einer etablierten Stütze unserer Demokratie die Ehre abgeschnitten wird – das kann niemand wollen! Es sei denn, er ist ein Feind der Demokratie! Das wollen wir doch alle nicht, dass wegen der nachgewiesenen, allseits bedauerten Machenschaften dieser großen demokratischen Partei ein schlechtes Licht auf das „System Demokratie“ fällt. Das wäre ja glatt undemokratisch.

So die christdemokratische Krisenanalyse. Und siehe da – es ertönt kein schallendes Gelächter quer durch die Republik. Alle verantwortungsvollen Kommentatoren und Leitartikelschreiber haben die Problemlage kapiert, die die CDU-Führung der Nation vordefiniert hat: Es geht bei weitem nicht um die banale Tatsache, dass clevere Finanzmanager ihres Amtes gewaltet und etliche Millionen auf Schwarzkonten verschoben haben. Es geht um unser aller Wohl. Und dazu gehört essentiell, dass die CDU das ihr zweifelsohne zustehende Vertrauen zurückerobert. Wie? Auch da kennen die Profis vom CDU-Vorstand sich aus: Nichts ist wichtiger als

Aufklärung,

die Schäuble, Merkel & Co. aus gutem Grund entschlossen – brutalst möglich – gleich selbst in die Hand nehmen. Sie wissen nämlich, dass der Erfolg der Veranstaltung entscheidend davon abhängt, wer aufklärt. Derjenige, dem es gelingt, sich zum ‚Herrn des Verfahrens‘ zu machen, sichert sich damit die Definitionshoheit darüber, was es aufzuklären gilt. Nämlich das, was mit dem Leitfaden der Skandalbewältigung von vornherein feststeht: Es gilt, Kohl als denjenigen dingfest zu machen, der das Vertrauen der Partei verspielt hat. Doch da müssen die Aufklärer von der CDU erst noch hinkommen.

Also starten sie eine Veranstaltung, für die ‚Aufklärung‘ und ‚Wahrheit‘ – wer erinnert sich da nicht an Kant – schon sehr große Worte sind. Aufgeklärt wird nämlich mehr nach dem Muster polizeilicher Ermittlungen: Das ganze Erkenntnisinteresse richtet sich auf gewisse Aktennotizen, mit denen sich hieb- und stichfest nachweisen lässt, wer Spenden nicht vorschriftsmäßig verbucht bzw. davon gewusst hat. Und die, die die Ermittlungen „brutalstmöglich“ an sich gezogen haben, dringen mit jedem ge- wie misslungenen Nachweis schon mal auf die uneingeschränkte Anerkennung ihrer Glaubwürdigkeit.

Deswegen ist es überhaupt kein Glücksfall für die Protagonisten der Aufklärung – die nicht oft genug wiederholen können, wie hoch man es ihnen anzurechnen hat, dass sie sich in diese Pose werfen –, dass just in ihre eifrige Suche nach Belegen die Nachricht von

Stasi-Akten

fällt, die haufenweise interessante Informationen darüber zu enthalten versprechen, wer wo mit wem gesichtet worden ist. Das hat ihnen gerade noch gefehlt. Schließlich haben sie schon ohne Stasi-Akten genügend damit zu tun, dass sie in ihren Aufklärungsbemühungen nicht jeden Tag von den Fakten überholt werden, die ans Tageslicht kommen. Also erinnern die Aufklärer, die darauf pochen, dass sie und sonst keiner hier aufklärt, erst einmal daran, wer hier auf der Seite der über jeden Zweifel erhabenen Rechtschaffenheit und Ehrbarkeit steht – ja wohl sie – und wessen Akten dem Zweck der Wahrheitsfindung einfach Hohn sprechen. Bei dem System – dem von drüben nämlich – kann man sich ja noch nicht einmal sicher sein, dass es nicht dermaßen verkommen war, dass der Geheimdienst die Führung absichtsvoll mit falschen Informationen über den Klassenfeind versorgt hat. Wie dem aber auch sei, jedenfalls wäre es das Letzte, deutschen Politikern, die sich selbstlos im Dienste des Rechtsstaats und der Demokratie aufarbeiten und sich dabei höchstwahrscheinlich ziemlich genauso aufführen, wie es die verflossenen realsozialistischen Stamokap-Theoretiker schon immer vermutet hatten, mit Aufzeichnungen zu kommen, die in einem Unrechtsstaat angefertigt worden sind. Zumal die Verwendung der Stasi-Akten in astreinen rechtsstaatlichen Gesetzen hierzulande genauestens geregelt ist. Nach diesen demokratisch hieb- und stichfesten Regeln muss bei der Auswertung von Stasi-Erkenntnissen ganz strikt zwischen Tätern und Opfern unterschieden werden – und „Täter“ auf westdeutschem Boden sind nach dieser Gesetzeslage nunmal einfach nicht vorgesehen. Weil diese Argumentation auch den hochanständigen Politikern der Konkurrenzparteien mehrheitlich einleuchtet – auch die hatten sich nämlich begreiflicherweise bei der Verabschiedung der Stasi-Akten-Auswertungsgesetze nicht in der Rolle der „Täter“ vorgesehen –, können die C-ler diese Klippe unbeschadet umschiffen.

Von dem Skandal, der immerhin in der Ungeheuerlichkeit eines ganzen „Systems“ unlauterer Machenschaften bestanden haben soll, ist unterdessen aber ohnehin nur mehr der Vorwurf einer nicht immer ordnungsgemäßen Buchführung übrig geblieben. Das ist das erste Ergebnis des wegweisenden brutalen Aufklärungseifers der CDU-Führung, der sich strikt auf die Anwendung von Rechtsmaßstäben im engeren juristischen Sinn konzentriert. Auch das führt übrigens nicht zu homerischem Gelächter bei den verantwortungsvollen Beobachtern von der freien Öffentlichkeit, sondern zu extrem spannenden Fragen des Kalibers: Wer könnte wann von welchem Konto wie viel gewusst haben?

Für diese Sorte Fragen gibt es selbstverständlich eine hervorragende Adresse: Die um Aufklärung bemühte, ja geradezu ringende CDU-Obrigkeit. Schäuble und Merkel, die nichts wissen, ruhen und rasten nicht. Sie wollen partout „die ganze Wahrheit“ auf den Tisch bringen. Und die besteht in den

Namen der Spender,

die sie nicht kennen, der, der sie kennt, aber nicht sagt:

„Das Verhältnis zwischen Kohl und seiner Partei muss wieder normal werden. Aber dazu muss zunächst die ganze Wahrheit auf den Tisch… Die CDU darf nicht aufhören, Kohl dazu zu drängen, alles aufzudecken. Wenn die Partei sich damit abfindet, dass Kohl die Namen der Spender nicht preisgibt, dann bleibt ein Damoklesschwert über der Union… Auch wenn es unbequem ist: Ohne die ganze Wahrheit bleibt jeder Neuanfang unvollständig.“ (Friedbert Pflüger, MdB; FAZ vom 6.4.)

Damit ist die Sache erfolgreich so hingedreht, wie der Aufklärungsbedarf von Anfang an definiert war, so dass die Partei mit einer Distanzierung von ihrem Ehrenvorsitzenden den endgültigen Beweis ihrer Glaubwürdigkeit erbringen kann – wer die durch weiteres Herumwühlen in alten Akten in Frage stellt, outet sich damit als einer von denen, die ihr Interesse an der Aufklärung der Vorgänge nur heucheln, aber in Wahrheit nur nutzen wollen, um die CDU Deutschlands kaputt zu machen (Merkel-Erklärung; FAZ vom 22.12.99). Das sitzt!

Jetzt gibt es nur noch ein Problem. Der dicke Alte muss sich in die Rolle fügen, die die Regieanweisung Schäubles für ihn vorsieht: Kohl übernimmt die volle persönliche Verantwortung für das „System Kohl“, Schäuble übernimmt im Gegenzug das von seinem Schandfleck gereinigte „System CDU“. Und die CDU-Basis, die vielleicht noch ein bisschen muckscht, weil sie ihren „Kanzler der Einheit“ liebt, macht gefälligst das, was ihr als Basis zusteht: Sie gewinnt den neuen Vorsitzenden und Partei-Krisenbewältiger lieb. Doch dazu später. Bevor die Basis vorschriftsgemäß ihres Amtes walten kann, muss die CDU noch einigen Schlamassel bewältigen. Der Alte zieht nämlich nicht mit: Kohl geht zum Gegenangriff über und rührt damit die innerparteiliche Auseinandersetzung auf. Den Vorwurf, die durch ihn eingeräumten Vorgänge haben der Partei Schaden zugefügt (ebd.), lässt er nicht auf sich sitzen. Dazu hat er viel zu viel

Politikerehre

im Leib. Parteischädigendes Verhalten: Das ihm! Er hat „sein Lebtag der Partei gedient“, weshalb er mit gutem Recht und treudoofen Augenaufschlägen ein ums andere Mal verspricht, sich weiterhin „in deren Mitte“ brettelbreit niederlassen zu wollen. Und wenn gewisse undankbare Zöglinge, „die ihm alles verdanken“, das nicht ganz so sehen, dann überrascht er eben die Nation und beeindruckt seine Partei mit einer Aktion, die seine unnachahmlichen politischen Fähigkeiten unter Beweis stellt.

Er sammelt von privaten Mäzenen der Partei – darunter er selbst – 6 Millionen DM ein, die seine Partei für die von ihm am Parteiengesetz vorbeigeschleusten und für sinnvolle Unterfangen ausgegebenen 2 Millionen voraussichtlich bezahlen muss, und macht mit ihnen den Schaden wieder gut, den seine Partei durch ihn erlitten hat – so, wie er ihn verstanden haben will. Dass seine innerparteilichen Kritiker weniger über den finanziellen Verlust klagen als über eine Beschädigung der Glaubwürdigkeit ihrer Partei als Rechtsstaatspartei, weiß er zwar auch ganz genau. Er hat allerdings in seiner langen Berufslaufbahn gelernt, dass es bisweilen von Vorteil ist, sich absichtlich blöd zu stellen. Immerhin gelingt ihm so die eindrucksvolle Demonstration, dass er in Sachen Glaubwürdigkeit seinen parteiinteren Widersachern nach wie vor meilenweit überlegen ist. Denn welche Politikerpersönlichkeit außer ihm wäre wohl in diesem Land in der Lage, in Null Komma Nix ein paar Millionen für die CDU locker zu machen?! Na eben! Womit ja wohl hinreichend bewiesen wäre, dass unmöglich Kohl derjenige sein kann, der der Partei Schaden zugefügt hat, sondern umgekehrt die Schmach der Partei in der Beschädigung seiner Person besteht, die ihm von Schäuble und Co. zugemutet wurde. Er kann es gar nicht oft genug sagen: „Es ist ganz und gar lächerlich und infam“, dass ihm, dem treuen Diener der Partei, ihm, dem geschichtsbuchträchtigen „Kanzler der deutschen Einheit“, bloß weil man ihn ein bisschen beim Bescheißen erwischt hat, dermaßen am Lack gekratzt wird! So kämpft der Mann mit vollem Einsatz und 6 Millionen DM für seine Ehre und seinen Platz in deutschen Geschichtsbüchern.

Dass er damit seinem Nachfolger die Tour vermasselt, ist nicht zu vermeiden. Eher schon beabsichtigt. Denn Schäuble hat sich nunmal zur Rettung seiner Politikerehre und -karriere dazu entschlossen, Aufklärungselan und berechnende Distanz zum Alt-Kanzler zu demonstrieren. Seinen Aufklärungselan lässt Kohl alt aussehen: Der Altkanzler schmeißt lieber seinen Partei-Ehrenvorsitz hin, als dass er sich seinem Nachfolger im Amt des Parteivorsitzenden fügt und die Namen der Spender preisgibt. Und auch mit der demonstrativen Distanz zum alten Chef, auf die Schäuble wert legt, ist das so eine Sache. Anfangs läuft die Angelegenheit ja ganz passabel. Denn es will immer noch niemand im Lande laut lachen, wenn der Ex-Kohl-Adlatus ein ums andere Mal treuherzig versichert, dass er partout nichts, aber auch gar nichts gewusst hat von all dem, was sich um ihn herum im ominösen „System Kohl“ alles so zugetragen hat. Als dann aber tatsächlich ein Umschlag mit Spendengeld auftaucht (oder sogar zwei?) und sich die Ex-Schatzmeisterin plötzlich völlig anders an gewisse Begebenheiten erinnern will als Schäuble, da sind „harte Fakten“ da, die der Partei und der Öffentlichkeit zu denken geben. Die Ehre Schäubles ist angegriffen, als Ehrenretter der Partei ist der Mann ab jetzt eine eindeutige Fehlbesetzung. Zwischen dem Aufklärer und dem „System Kohl“ steht es unentschieden.

Das (Partei)Leben geht weiter – und über beide hinweg. Wolfgang Schäuble erweist sich zwar noch einmal als Mann von dem Charakter, den wir an den Schalthebeln der Macht brauchen: Ganz selbstlos, immer das Wohl der Partei und der Nation im Auge, beteiligt er sich an der Suche nach einer neuen Führungskraft; und nur ganz nebenbei benutzt er jede Gelegenheit, seinem Ex-Männerfreund und Förderer, dem er jahrelang als „Kronprinz“ hinterhergedackelt ist, eine reinzuwürgen:

„Seinen Einsatz für Angela Merkel als künftige CDU-Vorsitzende will Schäuble zwar nicht als Rache an Kohl verstanden wissen. Doch er fügt hinzu: Es mildert wenigstens den Triumph, mich umgebracht zu haben.“ (SZ, 6.4.)

Seine Niederlage im parteiinternen Machtkampf ist allerdings nicht mehr aufzuhalten – obwohl der Mann wirklich einiges unternommen und nichts unversucht gelassen hat, Kohls Ehre zu beschädigen und die seine ins beste Licht zu rücken. Dabei sind ihm sogar einige schöne Klarstellungen gelungen. Zum Beispiel, was die Kunst der

innerparteilichen Diskussion

betrifft. Dabei gilt es nämlich Folgendes zu beachten – nicht zuletzt für die Frage, warum er eigentlich das ganze grauenhafte „System Kohl“ mitgetragen hat:

„Auch die Medien verlangen ständig mehr Offenheit in innerparteilichen Debatten. Belohnt wird in Wahlen immer Geschlossenheit. Jeder demoskopische Befund sagt: Nichts ist für eine Partei besser, als geschlossen zu wirken. Nichts ist schädlicher, als wenn der Eindruck von Uneinigkeit entsteht.“ (Schäuble, taz, 6.4.)

So ist das also bei den Unions-Christen gewesen: Die haben einfach nie offen und ehrlich miteinander gestritten! Dabei hätte ihr Interims-Chef das – wenn wir ihn da richtig verstehen – für seinen Teil gerne gewollt und würde es auch jetzt glatt tun. Wer hat sie gehindert? Wer hindert Schäuble jetzt? Soll er doch mal loslegen und frisch von der Leber weg ganz frei diskutieren in diesem freien Land. Soll er doch seine sicherlich profunden Kenntnisse über das „System“ einer durch und durch auf Loyalität eingestimmten Partei der interessierten Öffentlichkeit mitteilen. Aber nein, es geht nicht, der Wähler, der Blödmann, will es nicht. Der Wähler – das hat ihm Frau Nolle-Neumann von der Abteilung Demoskopie erklärt – verlangt hermetische „Geschlossenheit“ von einer demokratischen Partei. Und der Wähler – der ist doch wohl der Souverän im Lande, dem sich ein überzeugter Demokrat, so sehr er auch ganz persönlich vielleicht anders möchte, zu beugen hat.

Da soll nochmal einer sagen, Politiker würden, um sich beliebt zu machen, komplizierte Sachverhalte in unerträglicher Weise vereinfachen und dem Wahlvolk mit primitiven Parolen kommen. Genau umgekehrt ist es: Die kompliziertesten polit-methodischen Berechnungen werden ausgebreitet, wenn es darum geht, um Verständnis für Politiker zu werben, die es auch nicht immer leicht haben. Das geht ungefähr so: Erst setzt man als Parteistratege hartnäckig den Maßstab durch, dass nichts so wichtig ist für die Partei wie das Erscheinungsbild der „Geschlossenheit“. Und dann kommt man daher und beruft sich auf dieses Gütesiegel einer gelungenen Selbstdarstellung der Partei im demokratischen Konkurrenzkampf als objektiven, quasi naturgegebenen Sachzwang, der einem leider, leider nicht immer die Freiheiten gestattet, die man ansonsten natürlich jederzeit gerne wahrgenommen hätte. Eine reichlich verdrechselte Tour, den eigenen Unwillen, über bestimmte unangenehme Parteiinterna zu diskutieren, zu Protokoll zu geben. Aber offensichlich wirksam – denn es lacht immer noch keiner der ausgefuchsten Interview-Partner.

Einen ähnlich aufschlussreichen Beitrag hat Schäuble zum Thema

Loyalität

geliefert:

„Auch eine Partei braucht, bei aller innerparteilichen Demokratie, Führung. Anders ist sie nicht handlungsfähig. Wenn die Partei demokratisch geführt werden soll, ist die Führung auf Loyalität angewiesen. Die Entscheidungen der Gremien zu Sachthemen wie zu Personen müssen also Unterstützung finden. Dies habe ich gelebt. … Der Gegensatz zur Loyalität in der Führung einer Partei ist übrigens Abhängigkeit, Seilschaft, Druck oder Intrige. Deshalb werbe ich sehr für Loyalität.“ (ebd.)

Wie praktisch, dass es Fremdworte gibt. Mit denen kann man die brutalsten Sachverhalte so hübsch formulieren, dass sie richtig ergreifend klingen. Loyalität zum Beispiel ist so ein Wort, es kommt aus dem Französischen und heißt – laut Duden – „Regierungstreue“. Was sagt uns dieser Meister der Loyalität also in seinen wohlgesetzten Worten anderes als: Innerparteiliche Demokratie hin, Sachthemen her, das Leben einer demokratischen Partei besteht in Führung und Gefolgschaft! Die Führung führt, die Basis pariert, sonst ist es aus mit der schönen Demokratie, und es macht sich „Handlungsunfähigkeit“ breit. Damit meint Schäuble wohl jenen demokratisch ganz und gar unerträglichen Zustand, wenn eine Partei ein Bild der „Zerrissenheit“ abgibt. Nein, das macht in einer lebendigen Demokratie keinen guten Eindruck, die Partei hat ein „Bild der Geschlossenheit“ abzugeben, und für das hat die Führung mit allen Mitteln zu sorgen. Das meint der Mann, so sagt er es aber nicht. Er redet viel lieber von „Loyalität“ als einer Tugend, die den wirklich charakterfesten Parteigenossen – so einen wie ihn zum Beispiel – adelt. Das klingt hochanständig, so ganz ohne üblen Beigeschmack, und erübrigt jede weitere Begründung, warum das Parteivolk auf Biegen und Brechen zusammenhalten sollte. Gefolgschaft als Charaktereigenschaft: dass der Mann dafür ehrlich eintritt, das glauben wir ihm gerne. Davon hat schließlich schon der große Vorsitzende Stalin geträumt.

Bleibt eigentlich nur noch die Frage, wie es mit dem Verhältnis der durch und durch begrüßenswerten Tugend der Loyalität zu ihrem verachtenswerten „Gegensatz“ steht. Könnte es sein, dass der Umkipper der „pflichtbewusst bis zur Selbstaufgabe“ (Schäuble über Schäuble) treuen Loyalität in widerliche „Abhängigkeit, Seilschaft, Druck oder Intrige“ ungefähr an dem Punkt angesiedelt ist, wo sich die parteiinterne Tugend dummerweise beim Geldverschieben erwischen lässt? Wäre doch mal eine interessante Arbeitshypothese. Von der will Schäuble aber mal wieder nichts wissen. Er denkt hartnäckig nur an das Eine bzw. an den Einen in der Partei, der ihm noch nicht einmal „1 Prozent der Loyalität“ zurückerstattet hat, mit der er seinerseits den Andern die ganzen Jahre über so reich beschenkt hatte.

Ist halt blöd gelaufen für die alten Männerfreunde: Kohl ist abgehalftert; Schäuble muss zurücktreten und murmelt etwas von „krimineller Energie“ – er wird den Laden, dem er so loyal gedient hat, schließlich kennen. Die christliche Partei ist, was sie schon die ganze Zeit ist: betroffen! Sie ist mit sich noch nicht im Reinen; es wird öffentlich nachgetreten. Es gibt also noch etliches in Ordnung zu bringen. Eine Vermittlung steht an: Das Volk – das „draußen im Lande“ wie das in der Partei – braucht Interpretationshilfen zum Verständnis der Lage. Und die CDU-Führung lässt das Volk da selbstverständlich nicht orientierungslos hängen. Sie versucht es mit der Kategorie der

Tragik:

„Und sofort hieß es auch, vielleicht liege in diesem Ende der Ära Kohl auch eine Chance. So schnell kann aber nur sprechen, wer das volle Ausmaß dieser Tragik nicht an sich heranlässt – der Tragik für Helmut Kohl, der Tragik für die CDU.“ (Merkel)

Na gut, warum auch nicht?! Wenn die Republik angesichts des Theaters, das da in den oberen Etagen der Machthaber gegeben wird, noch immer nicht von Lachkrämpfen erschüttert wird, dann lassen wir eben unerschrocken nicht nur „die Tragik“ an sich, sondern auch deren „volles Ausmaß an uns heran“. Wir sind ganz Ohr und erinnern uns an unseren Literaturunterricht: Das Tragische, mit dem sich schon die alten Griechen ausgekannt haben – Antigone und so –, besteht bekanntlich darin, dass der Held der Handlung ohne eigene Schuld in eine Situation gerät, in der zwei ehrenwerte Prinzipien gegeneinander stehen, sodass er nicht handeln kann, ohne schuldig zu werden; womöglich ereilt ihn dann auch noch eine Strafe, die in keinem irgendwie vertretbaren Verhältnis steht zu der Schuld, die er, in den unauflösbaren moralichen Widerspruch verstrickt, auf sich geladen hat. Ob die alten Griechen „das Ehrenwort“ gekannt haben? Wahrscheinlich! Schmiergelder? Gut möglich! Geldwaschanlagen und das Parteispendengesetz? Eher unwahrscheinlich! Ist aber auch egal! Die Anwendung dieser altehrwürdigen literarischen Form auf einen sturzbanalen Spendenskandal, das hat was. Das gibt der Sache doch gleich ein gewisses Etwas, einen richtungsweisenden Touch sozusagen. Sieht man das trostlos Banale nämlich mit der gebotenen Entschlossenheit und der nötigen Sensibilität fürs Tragische an, dann erschließen sich einem völlig neue Welten des Kunstgenusses: Wo es eben noch um eine nicht übermäßig geheimnisumwitterte Angelegenheit ging – ein paar Leute aus „der Wirtschaft“ schieben einem dicken Kanzler ein paar Kröten rüber, und der kauft sich damit, wann immer er es für nötig hält, ein bisschen Loyalität in den Reihen seiner Partei –, da haben wir plötzlich ein schicksalhaftes und wahrhaft ergreifendes Geschehen vor uns: Schuld und Sühne, Antigone – wir erwähnten die Dame schon – und all so Sachen eben; mein Gott, wer wollte da den ersten Stein werfen; im Leben ist nun einmal nichts so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht. So kann man natürlich auch ausdrücken, dass die Distanzierung vom Skandal-Verursacher auf gar keinen Fall dazu führen darf, den Personenkult als solchen, der ihm in seiner Eigenschaft als erfolgreicher Parteivorsitzender gegolten hat, in Misskredit zu bringen: Unterwürfigkeit und loyales Intrigantentum sollen schließlich nicht desavouiert, sondern umgewidmet werden.

Die Affäre wäre damit aber sehr schön eingeordnet. Täter in dem Sinn sind weit und breit nicht in Sicht; irgendwie sind nur lauter tragische Opfer unterwegs. Und mit diesem schlüssigen Interpretationsangebot hat jetzt endlich einmal Ruhe einzukehren. Wer meint, er müsste die Sache immer noch anders sehen, wird daran erinnert, dass sich die CDU endlich wieder ihren eigentlichen Aufgaben widmen muss. Man muss es einfach einmal klar und deutlich sagen: Es ist nicht länger zu verantworten, dass weiter auf ihr herumgetrampelt wird. Nicht bloß die CDU hat die Schnauze voll; den Menschen – denen „draußen im Lande“ wahrscheinlich – ist der Skandal nicht länger zuzumuten; die sind „das Thema leid“; „die Spendenaffäre ist abgehakt“, „darauf haben die Menschen ein Recht“.

*

Damit ist Halbzeit. Die tragische Szene „Die Christen-Union zwischen Geld und Ehre“ ist abgeschlossen. Ohne Pause geht es weiter mit dem epischen Lehrstück: „Die Auferstehung der CDU“.

*

Der Eröffnungszug heißt: „Wir“, will sagen: die Leute von der CDU, brauchen unbedingt einen

Neuanfang.

Das leuchtet ein. Aber was geht das eigentlich den Rest der Menschheit an? Ganz viel, meint die Partei. Denn schließlich sollen alle, und vor allem die verprellten Wähler, merken und es gut finden, dass die Union „wieder Tritt fasst“ und völlig „neu anfängt“. Womit, was, wie – das wiederum geht den Rest nichts an. Das behält die Parteileitung sich vor. Genau genommen steht das überhaupt nicht zur Debatte. Womit sollte die CDU denn schon „neu anfangen“ – außer mit dem, was sie bisher schon immer getrieben hat: die Organisation auf Vordermann bringen, eine Führungscrew aufbauen, um die Macht im Land konkurrieren, und dann endlich wieder die „Kraft im Lande“ sein, die dessen Einwohnern vorschreibt, wie gelebt, gearbeitet und dem Gemeinwohl gedient gehört – ? Das braucht man wirklich niemandem zu erklären. Alles, was länger als die drei Silben dauert – Neu-An-fang! –, weckt höchstens Zweifel an dem entschiedenen Willen der Partei, wieder da weiterzumachen, wo man vor dem Skandal schon mal war, und von dessen Wirkungen endlich nicht mehr betroffen zu sein. Das will die Partei unbedingt; und zwar: von der Öffentlichkeit, dieser immer währenden, allgegenwärtigen demokratischen „Sonntagsfrage“. Deswegen gibt die CDU nicht bloß bekannt, dass sie die Folgen ihrer Affäre los werden will: An alle, die sie wählen sollen, stellt sie den zutiefst berechtigen Anspruch, dass die sie gefälligst wieder so akzeptieren sollen, als wäre nichts gewesen. Dafür steht „Neuanfang“.

Und dafür hat die Partei auch was zu bieten:

Inhalte.

Denn, so der in Sachsen regierende Professor, der es schließlich wissen muss:

„Nur mit neuen Inhalten findet die CDU aus ihrem Dilemma.“ (Biedenkopf, FAZ vom 3.3.)

Schön, dass man aus berufenem Munde wieder einmal erfährt, was Inhalte in der Politik sind. Das, was die staatstragenden Parteien mit der Macht, die ihnen zu Gebote steht, laufend ins Werk setzen, jedenfalls wohl nicht. Sonst bräuchte der Parteiretter, der sich da zu Wort meldet, die Inhalte ja nicht erst zu suchen oder zu erfinden. Aber auch das macht er ja gar nicht – obwohl ihn bestimmt niemand daran hindert. Statt wegweisende Inhalte zu präsentieren, meldet er das Bedürfnis danach an, was nicht ganz dasselbe ist. Und er sagt gleich dazu, worum es ihm dabei geht: „Inhalte“ sind Mittel zum Zweck, nämlich um sich mit ihnen im demokratischen Kampf um die Macht vorteilhaft in Szene zu setzen. Hier also dazu, der CDU aus dem unguten „Dilemma“ herauszuhelfen, dass ihr Erscheinungsbild heftig gelitten hat und bis zu den nächsten Wahlterminen unbedingt wieder publikumswirksam restauriert werden muss. Das Dilemma besteht darin, dass die „politischen Inhalte“ dann auch dementsprechend ausschauen. Das Thema ‚Spendenaffäre der CDU‘ z.B., mit dem sich der auf die Frage ‚Dürfen die das?‘ abonnierte Verstand der ganzen Republik ein halbes Jahr lang dermaßen vereinnahmen lässt, dass der Eindruck entsteht, die Politik bestünde aus gar nichts anderem mehr, ist selbstverständlich ein ganz ausgezeichneter solcher Inhalt – nur eben nicht für die CDU. Die kann diesen Inhalt überhaupt nicht brauchen.

Was machen wir da? Wir fordern neue Inhalte! Solche, mit denen die CDU ankommt. Völlig überflüssig, da noch einen zu benennen. Schließlich ist mit der Forderung schon klar und deutlich gesagt, worauf es jetzt ankommt: Die Partei muss es endlich wieder schaffen, sich, ihren Anspruch auf Führung im Lande, auf Macht über das Land, zum beherrschenden „Thema“ zu machen. Diesen „Inhalt“ muss sie durchsetzen; damit wäre ihr schon ein schlagender Beweis gelungen, dass sie noch immer oder inzwischen wieder die entscheidende Kraft im Lande ist, die den Leuten verbindlich zu sagen vermag, „was Sache ist“.

Gesagt, getan. Das „Sachthema“ findet sich ganz von allein: Wenn man es schon dahin gebracht hat, dass die Partei in der Öffentlichkeit als bedauertes Opfer ihrer eigenen Skandale dasteht, dann wird man die Welt doch auch noch für die logisch daran anschließende konstruktive Sachfrage interessieren können, welche

neue Führung

die gute alte C-Partei braucht, um aus ihrer Krise wieder herauszukommen. Ein heißes Thema auf alle Fälle; eines, das jeden engagierten Wahlbürger zu problematisierender Stellungnahme herausfordern dürfte. Denn da gehört abgewogen; ein wenig Dialektik ist gefragt: Eine neue Führung muss her; und das kann selbstverständlich nur jemand sein, der weit genug oben in der Partei angekommen ist und ihre Gremien und Würdenträger gut genug im Griff hat, um sich auf dem Stuhl des Vorsitzenden etablieren zu können. Aber: neu muss die Führung auch sein; der Verwandtschaft mit dem „System Kohl“ unverdächtig; nicht so kontaminiert und zugleich durch mächtige Gegner heruntergewirtschaftet wie Schäuble, den besagtes „System“ erst aufgebaut und dann mit der ihm eigenen „kriminellen Energie“ wieder aufgerieben hat.

Eine schwierige Stellenbeschreibung – für die sich dann aber doch überraschend einfach eine ungemein passende Kandidatenfigur findet, so dass man glatt auf die Idee kommen könnte, die Ausschreibung wäre eigens für die Figur erfunden worden. Der benötigte Neuanfang findet seinen gegenständlichen Ausdruck in Gestalt der

Persönlichkeit

der Angela M. – und das so perfekt, dass man glatt auf die Idee kommen könnte, irgendwer hätte sie eigens für diesen Job zusammengesetzt. Nämlich aus einer Karriere im „System Kohl“, dessen erster unglücklicher Erbe sie zur Generalsekretärin und zweiten Chefin des Ladens gemacht hat, und Distanz zu dem dort herrschenden Lifestyle: Frau, protestantisch, ziemlich jung, aus dem Norden, mehr noch: aus den neuen Bundesländern, und dann sogar noch Physikerin von Profession. Also als Persönlichkeit so sehr das augenscheinliche Gegenteil zum dicken Pfälzer, dass die Nachfrage nach dem Neuen am Neuanfang restlos bedient ist und es folglich in allen anderen Hinsichten, was das „System Kohl“ angeht, gar nicht bruchlos genug weitergehen kann, die C-Gruppe mit ihrer vom großen Ex-Vorsitzenden geerbten demokratischen Kultur also auf keine weiteren Neuerungen mehr gefasst sein muss. Diese Kombination, das steht fest, adelt die unterwürfige Parteikarrieristin, die sonst noch nie mit einem besonders schlauen Inhalt aufgefallen ist, zur Persönlichkeit, die wie durch ein Wunder aus ihrem mecklenburgischen Elternhaus haargenau das mitbringt, was die CDU jetzt braucht, und für die es nicht einmal ein Makel, sondern – angesichts des vielen Neuen, was an ihr dran ist – nachgerade ein Vorzug ist, als „Kohls Ziehtochter“ zu gelten.

Zur wirklich großen Persönlichkeit fehlt ihr allerdings noch eins – denn sonst ist es noch kein besonderes persönliches Verdienst, ganz „persönlich“ zu sein, was man ist: Die Partei muss sie als Antwort auf ihren Führungsbedarf begreifen und anerkennen, sie muss ihr nachlaufen – am besten eben so unverbrüchlich treu, so „systematisch“ eben, wie dem Mann aus Oggersheim, dem sie zwei Jahrzehnte die Treue gehalten und dadurch zu seiner enormen Persönlichkeit verholfen hat, die erst jetzt, zwei Jahre nach ihrem Machtverlust, so richtig zerbröckelt. Die Partei muss merken, was sie an der Person der Angela M. für eine Persönlichkeit hat, und sie dazu machen.

Damit wäre der politische Inhalt auf der Tagesordnung, den die CDU braucht, um aus ihrem Dilemma allmählich herauszukommen. Die Öffentlichkeit ist eingeladen – und sie braucht gar nicht erst eingeladen zu werden, um sich begeistert mit der unendlich faszinierenden Frage zu befassen: Schafft sie’s? Oder schafft sie’s nicht? Reicht ihre Persönlichkeit aus für den erfolgreichen Sprung an die Parteispitze? Oder ist es nicht am Ende doch ein unüberwindlicher Mangel, dass es der Mecklenburgerin – auf einmal weiß das jeder und findet das, Skandal hin, Neuanfang her, demokratisch ungemein bedeutend! – an einer gescheiten

Hausmacht

fehlt? Das ist schon interessant: Völlig ungerührt kommt der anteilnehmende Sachverstand, so als wollte er alles öffentliche Gerede über die Rolle der überzeugenden Persönlichkeit in der demokratischen Weltgeschichte öffentlich seiner Lächerlichkeit überführen, auf die banalen Kriterien zu sprechen, nach denen tatsächlich über politische Führungsposten entschieden wird: Wie stehen die Kräfteverhältnisse zwischen den rivalisierenden Parteigruppierungen? Wie laufen die Intrigen? Wer hat genügend parteiinterne Befürworter und öffentlichkeitswirksame Spin-Doctors hinter sich und im Entscheidungsgremium, auf dem Parteitag, den größten Stimmenblock im Sack? Mit der schlichten Anspielung auf das schlicht Selbstverständliche: dass ein demokratischer Politiker eine heimische Mannschaft braucht, die ihn mit ihrer Gefolgschaft erst groß macht, ist auf einmal alles wieder präsent, was an dem soeben noch heftig gescholtenen „System Kohl“ wirklich System war, die ganze Hausmachts- und Seilschaften-Wirtschaft – und keiner, kein noch so skeptisch anteilnehmender Begutachter, findet etwas dabei. Im Gegenteil: Jedes demokratische Gemüt findet darin – endlich wieder – den Stoff, aus dem nach seinem Verständnis Politik sowieso „bloß“ verfertigt wird: Wer von den Mächtigen macht mit wem was aus? Wer hat wen in der Hand? Wer setzt wen mit wessen Beihilfe matt? Denn dass – um diese unpassende Erinnerung hier mal wieder einzuflechten – am Ende solcher Kungeleien über so Kleinigkeiten wie den Lebensstandard der Massen der Gesellschaft oder allerlei Gewalteinsätze im Innern und nach außen entschieden wird, das gehört einfach nicht da her, wenn der Mensch als Wähler und die Öffentlichkeit als ideeller Gesamt-Dauerwähler sich gerade die Sorgen der Großen machen.

Dennoch und andererseits: Nichts von dem ganzen Sumpf parteitaktischer Machtkämpfe, dem die angelegentlichste öffentliche Anteilnahme gilt, ist in der Lage, den komplementär dazugehörigen Schwindel von der persönlichen Qualifikation, die sich in all dem widerwärtigen Gerangel unfehlbar Respekt verschafft, weil sie einfach so klasse ist, nachhaltig zu zerstören. Zunehmende Bewunderung begleitet vielmehr die neue Führungsperson auf ihrem Weg durch die Parteigliederungen, mit dem sie – unterstützt durch den noch amtierenden Parteichef und viele, die sich von ihren Stärken wie vor allem ihren Schwächen im parteiinternen Machtpoker persönliche Karrierechancen versprechen – das Manko des fehlenden Rückhalts in einem starken CDU-Landesverband auszugleichen sucht, um zur Führungspersönlichkeit zu reifen. Denn das hat Angela M. sich als Erfolgsmethode ausgedacht: Sie veranstaltet in Form von Regionalkonferenzen einen mehrwöchigen Dauerparteitag, den sie unter das Motto stellt, das sei er nun,

der neue Politikstil,

mit dem die CDU alle alten Erblasten endgültig hinter sich lasse und zu neuen Ufern schreite: Vor jeder Entscheidung über die neue Führung besteht sie als Generalsekretärin darauf, gemeinsam mit dem eigentlich schon abgehalfterten Schäuble „in die Partei hineinzuhören“ und dieser, endlich einmal!, Gelegenheit zu geben, sich frei und ohne Gängelung, „von unten nach oben“, eine Meinung darüber zu bilden, welchem Namen sie in Zukunft systematisch hinterherlaufen will. Damit die ungewohnte Übung auf Anhieb wunschgemäß klappt, bringt die Führung das Drehbuch, nach dem sie „in die Partei hineinhört“, gleich selber mit: Das Podium – Schäuble, Merkel und eine lokale Größe – teilt mit, dass es nicht um „Macht- und Personalfragen“, sondern um den „Zustand der Partei“ geht. Schäuble und Merkel bekennen sich mit verteilten Rollen zur Dialektik von „Fehler aufklären“ und „Erbe bewahren“. Merkel überlässt dem rachsüchtigen Schäuble den Part der Aufklärung und zieht vor diesem Hintergrund eine Betroffenheitsshow ab, dass es jedem Uneingeweihten die Socken auszieht. Das beginnt mit einer Feststellung, die ans Herz rührt: „Die Partei hat eine Seele“; setzt sich fort, man ahnt es schon, in dem den Nerv der Partei treffenden Befund, dass es zwei Seelen sind, die, ach, in ihrer Brust wohnen; und landet schließlich beim Trennungsschmerz, der jedem in der großen Partei-Familie verständlicherweise furchtbar an die Nieren gehen, nun aber auch überwunden werden muss:

„Die Partei muss also laufen lernen… Sie muss sich wie jemand in der Pubertät von zu Hause lösen, eigene Wege gehen und wird trotzdem immer zu dem stehen, der sie ganz nachhaltig geprägt hat – vielleicht später sogar mehr als heute.“

Das eine muss man der neuen christlich-demokratischen Show-Größe lassen: Ihr Bild von einem emanzipatorischen Prozess größten Kalibers, den die Partei durchmachen muss, zeugt von Humor. In der Politik wäre ein neuer Chef also so etwas wie eine neue Liebe, und ihm hinterherzulaufen, das ist das neue Leben, zu dem man sich emanzipiert; allerdings nicht frohgemut, sondern schweren Herzens, weil einem der alte Chef so sehr wie ein Vater ans Herz gewachsen ist, dass der anstehende unvermeidliche Abschied mit einem Trost versüßt werden muss… Das ist ja fast Satire! Aber wieder mal lacht keiner.

Immerhin, das Eine ist damit ganz im Ernst klargestellt: Eine richtige Umstellung, ein Abschied vom alten Führerkult, so etwas Unmenschliches wird der Partei nicht zugemutet. Sie muss nur der neuen Führung ein wenig dankbar dafür sein, dass die ihr solchen Trennungsschmerz erlässt; sie muss nur begreifen, dass sie sich und ihrer alten Anhänglichkeit in Wahrheit nur treu bleiben kann, wenn sie den Adressaten ihrer Anhänglichkeit mal endlich definitiv austauscht; sie muss zugeben, dass sie genau den „Aufbruch“ braucht, den die Führung da vorn ihr vorbuchstabiert; dann darf alles so bleiben wie bisher.

Anschließend an dieses Rührstück geht es dann voll in die Sachthemen: Schäuble und Merkel greifen gemeinsam die Regierung an und sagen künftige Wahlsiege für die CDU voraus. Das ist natürlich ganz was anderes als die banale Feststellung, dass es auf gar nichts anderes ankommt als darauf, Wahlsiege zu erringen: So beweist die Führung ihrem Fußvolk und dem Rest der Welt vielmehr die

Zukunftsfähigkeit

der Partei. Man könnte natürlich auch ‚Angeberei‘ dazu sagen. Aber soviel weiß man inzwischen längst, mit oder ohne Scientology, in den letzten Untergliederungen der C-Partei, dass nur der Erfolg hat, der sich ihn zutraut. Der muss dann nämlich bloß noch allen anderen so penetrant einreden, dass er ganz bestimmt Erfolg hat und sie mit ihm, dass die ihn entweder ins Irrenhaus schaffen oder als ihren Heilsbringer anerkennen. Im letzteren Fall ist der Erfolg da, die prophezeite Zukunft eingetreten und damit schlagend bewiesen, dass der Chef und sein ganzer Club – nun ja: irgendwie glatt zur Zukunft fähig sind…

So „hört“ die neue Vorsitzende in spe aktiv genau das „in die Partei“ hinein, was sie aus ihr heraushören will: den Ruf nach einem Neuanfang. Das langt schon. Denn wer könnte besser geeignet sein, dieser Notwendigkeit zu genügen, als jene Persönlichkeit, die es schafft, die Partei auf eben diese Notwendigkeit einzuschwören! Das ist schon Merkels ganzer banaler demokratischer Trick: Sie lässt ihr Fussvolk ganz aus eigenem Antrieb nach exakt der Vermittlung zwischen den zwanzig großen Jahren unter Kohl und dem neuen Anfang verlangen, als deren Personifikation sie auftritt. Indem sie die Heuchelei strikt durchhält, es ginge einstweilen einzig darum, dass die Partei sagt, was sie will, Personalentscheidungen kämen erst später, und indem sie den Fehler vermeidet, sich oder womöglich so etwas wie ein Programm, das in der gegebenen Situation doch nur spaltend wirken könnte, explizit anzupreisen, stellt Angela M. schlagend ihre enorme, nun endgültig an den großen Alt-Vorsitzenden Kohl gemahnende

Integrationsfähigkeit

unter Beweis. Diese politische Tugend liegt nämlich genau dann vor, wenn es der Führungsperson gelingt, von allen Seiten Zustimmung zu sich einzusammeln und dabei jeder Seite das befriedigende Bewusstsein zu vermitteln, mit ihren politischen Vorlieben und Standpunkten willkommen zu sein – sind sie ja auch wirklich, sofern sie sich bloß den einen richtigen Vers darauf machen, sich bei der Führungsperson gut aufgehoben finden und ihr dafür Akklamation zuteil werden lassen. Ein klares Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die Führung bekennt sich als respektvolle Verehrerin aller ihrer Anhänger – die Anhängsel lohnen die freundliche Geste mit wahrer Anhänglichkeit an ihre Führung. So geht ‚Integrieren‘. Wem das gelingt, der ist dazu offensichtlich fähig und hat damit einen dicken Pluspunkt auf seinem Persönlichkeits-Konto. Darauf jedenfalls versteht sich die Neue. Und was soll man sagen:

Die Basis

spielt mit! Mitglied um Mitglied erscheint massenhaft bei dem Basis-Verhör, dem die Führung ihre Partei unterzieht. Gestandene Ortsvereinsvorsitzende geben fernseh-öffentlich bekannt, wie glücklich sie sind, endlich „mitreden zu dürfen“, nachdem sie „dreißig Jahre lang auf diese Chance gewartet“ haben, und merken gar nicht, was sie damit bekennen: Jahrzehntelang in Treue fest das Maul gehalten! Und jetzt tun sie es auf, weil’s so gewünscht ist! Was kann da anderes herauskommen als begeisterte Zurufe an die Frau Angela M., dass man sie einfach großartig findet – wo sie einem schon die Chance gibt, das frei heraus zu bekennen! Von unten nach oben!! Also folgt langanhaltender Beifall. Nach jeder gelungenen Parteikonferenz mehr. Denn die Basis ist ja nicht blöd. Der muss niemand sagen, wer neuer Chef werden soll – die merkt das glatt von allein, wenn ihr von oben eindringlich genug nahe gebracht wird, wie das mit dem Neuanfang geht, und wenn die Parteigenossen von der letzten Regionalkonferenz auch schon gemerkt haben: Genau der Jemand, der den Bedarf an Neuanfang so schön erklärt, der – nein: die muss die Lösung sein. Am Ende merkt es die Basis an sich selbst: Sie traut sich da ja was – wie gesagt: Frau! Jung! Von drüben! Und die jubelt man zur CDU-Chefin hoch – was wäre ein Neuanfang, wenn nicht das!

Und wie’s so geht: Von Konferenz zu Konferenz reift Angela Merkel zusehends zur

Führungspersönlichkeit

heran. Die Akklamation, die sie erfolgreich herbeiorganisiert, prägt sich zur Charaktereigenschaft aus. Umgekehrt wächst mit deren glaubwürdiger Inszenierung – Charisma nennt man das, wenn das Publikum sich davon beeindrucken lässt – der Applaus. Am Ende kommt es, wie es kommen muss: Nach den Führungszirkeln findet auch der Parteitag, dass Angela unschlagbar ist, und kann sie gar nicht hochprozentig genug wählen.

Da kann dann auch die kritischste Öffentlichkeit endgültig nicht mehr anders. Sie muss nicht einmal selbst in Jubelstürme ausbrechen, um der neuen CDU-Vorsitzenden ihr höchstes Kompliment zu machen, nämlich

Öffentlichkeitswirksamkeit

zu bescheinigen. Denn das hat sie ohne Zweifel geschafft: Sie hat die Öffentlichkeit wirksam mit einem neuen CDU-Inhalt versorgt, wie ihn Professor Biedenkopf sich nicht besser wünschen konnte: mit sich. Dass sie das geschafft hat, beeindruckt die Vertreter dieser Öffentlichkeit noch alle Mal am allermeisten, auch wenn sie sonst keine besonderen Sympathien für die Partei der Frau Merkel haben. Wenn ein demokratischer Beobachter zu allem Überfluss noch sowieso für die CDU ist und mit ihr unter dem tragischen Skandal von neulich gelitten hat, dann lautet der abgeklärte Kommentar – garantiert ganz unsatirisch gemeint – so:

„Die CDU hat die Wahl ihrer neuen Vorsitzenden Merkel zum Zeichen eines Neuanfangs genommen und daraus den Anspruch abgeleitet, wieder Selbstbewusstsein zeigen zu können und wieder an ihrer Sachpolitik gemessen zu werden.“ (Erster Satz des Parteitagsberichts in der FAZ vom 11.4.)

Wochenlang hat die Partei sich nicht mehr getraut, Selbstbewusstsein zu zeigen, und musste andere Maßstäbe gegen sich gelten lassen als ihren puren „sachpolitischen“ Willen, Deutschland wieder zu regieren. Aber nach Austausch der obersten Leitfigur ist sie wieder obenauf. Eine Partei, die wieder weiß, auf wen sie zu hören und wem sie zu folgen hat, lässt sich den selbstbewussten Willen zur Macht über andere nicht mehr nehmen. Mit Angela ‚Grüß Gott, ich bin der Neuanfang‘ geht es wieder vorwärts zum alten Ziel. Und Genosse Stoiber gratuliert im Namen aller Biertische dazu.

Apropos Stoiber. Kaum sind Skandal und Parteiführungsfrage abgehakt, kommt natürlich die Frage auf: Schafft Führungspersönlichkeit Merkel auch noch den nächsten Schritt, zur Kanzlerkandidatur? Und schon geht die ganze Leier von vorn los. Kaum ist die Frau gewählt, erkundigt sich schon wieder ein Vertreter der kritischen Zunft:

„Wie gehen sie damit um, über keine Hausmacht zu verfügen?“

Und die wohl wollendsten Kritiker machen sich bereits Sorgen um Frisur und Figur: Soll die C-Partei in ihrer bekannt christlichen Duldsamkeit tatsächlich dem toleranten Wahlvolk statt einem intellektuellen Rollstuhlfahrer einen protestantischen Ostsee-Krapfen zumuten? Stimmt ja: Da fehlt doch noch was. Die Partei hat ihren neuen Kohl. Aber das System, das dem die unangefochtene Führung gesichert hat, das hat die Neue noch nicht fertig. Und wahre wählerwirksame Schönheit kommt auch nur dann von innen, wenn die Macht ihre Demokraten erotisierende Potenz entfaltet; dabei verfügt sie noch nicht einmal über eine gescheite Hausmacht. Wie soll die arme Frau da Führungsstärke beweisen? Aber sie steht ja auch noch am Anfang.

*

Die „Tragödie“ war die Farce; der zweite Teil ist eher keine. Da variiert die CDU die alte Grundsatzfrage nach echter Führung, übersetzt sie in die demokratische Tonart des Bedürfnisses von unten nach guter Repräsentation und passender Führungspersönlichkeit – und siehe da, heraus kommt eine neue Führung. Und an die stellt die überhaupt nicht gleichgeschaltete Öffentlichkeit unter Aufbietung all ihrer Freiheit nur noch eine einzige Frage: Schafft sie’s?

Was sind dagegen schon ein paar unterschlagene Millionen? Was ist der ganze Spendensumpf-Skandal – gegen seine Bewältigung!