Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Betreuungsgeld“ oder „Herd- und Fernhalteprämie“?
Ein demokratischer „Kulturkampf“ um das richtige „Familienbild“ in Deutschland
Es gibt einen Streit um das Betreuungsgeld. Die CSU und Teile der CDU wollen, dass alle Eltern, die ihr Kleinkind zu Hause betreuen, ab August 2013 im Monat erst 100, später 150 Euro ausbezahlt bekommen, sozusagen als staatliche Anerkennung ihrer Erziehungsleistung daheim, wenn denn schon im Gegenzug alle Eltern einen Rechtsanspruch auf einen kostenlosen staatlichen Kita-Platz haben.
Diese neue Sozialleistung im Umfang von sage ein bis zwei Milliarden Euro findet der Rest der politischen Welt in Deutschland ziemlich daneben. Zuständige aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaft und Kultur melden sich zu Wort und schimpfen – auf die unmögliche „Herdprämie“, diesen unsäglichen „Rückschritt in der Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Familienpolitik“ (aus der gemeinsamen Presserklärung des BDA und des DGB), der nichts als staatliche „Fehlanreize“ schafft. Nicht uninteressant, was diese amtlichen und halbamtlichen Familien- und Frauenbeauftragten und ihre konservativen Widersacher aus der CSU da in ihrem kritischen Dialog zu Protokoll geben – über die modernen Zustände in deutschen Familien einerseits und ihre Ansprüche an Frauen, Familien und Erziehung andererseits.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
„Betreuungsgeld“ oder „Herd- und
Fernhalteprämie“?
Ein demokratischer „Kulturkampf“ um das
richtige Familienbild
in
Deutschland
Es gibt einen Streit um das Betreuungsgeld. Die CSU und Teile der CDU wollen, dass alle Eltern, die ihr Kleinkind zu Hause betreuen, ab August 2013 im Monat erst 100, später 150 Euro ausbezahlt bekommen, sozusagen als staatliche Anerkennung ihrer Erziehungsleistung daheim, wenn denn schon im Gegenzug alle Eltern einen Rechtsanspruch auf einen kostenlosen staatlichen Kita-Platz haben.
Diese neue Sozialleistung im Umfang von sage ein bis zwei
Milliarden Euro findet der Rest der politischen Welt in
Deutschland ziemlich daneben. Zuständige aus Politik,
Wirtschaft, Gewerkschaft und Kultur melden sich zu Wort
und schimpfen – auf die unmögliche „Herdprämie“, diesen
unsäglichen Rückschritt in der Arbeitsmarkt-,
Bildungs- und Familienpolitik
(aus der gemeinsamen Presserklärung des BDA und
des DGB), der nichts als staatliche
Fehlanreize
schafft. Nicht uninteressant, was
diese amtlichen und halbamtlichen Familien- und
Frauenbeauftragten und ihre konservativen Widersacher aus
der CSU da in ihrem kritischen Dialog zu Protokoll geben
– über die modernen Zustände in deutschen Familien
einerseits und ihre Ansprüche an Frauen, Familien und
Erziehung andererseits.
*
Dass die Damen und Herren Kapitalisten ihres handfesten Interesses wegen gegen eine staatliche Belohnung für’s Erziehen daheim sind, ist klar:
„Ein Betreuungsgeld wäre ein neuer Anreiz zum Ausstieg aus dem Beruf und würde das Problem des Fachkräftemangels weiter verschärfen. Wir sollten im Gegenteil alles unternehmen, damit Frauen Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren können.“ (ebd.)
Für einen Hunderter im Monat als Facharbeiter(in) aus dem Beruf aussteigen? Verdienen Frauen tatsächlich so wenig, dass das Betreuungsgeld eine Alternative zum Arbeiten ist? Eine verräterische Problemsicht derjenigen, die so niedrige Löhne zahlen, dass sie wegen des Betreuungsgeldes gleich um ihre Fachkräfte bangen. Das Problem reicht jedoch schon etwas tiefer. Mit den durchgesetzten Niedriglöhnen sind Doppelverdiener in den Familien zur regelmäßigen Notwendigkeit geworden. Damit und mit den alltäglichen Leistungsanforderungen, die moderne Betriebe an ihre Beschäftigten stellen, haben Unternehmer Kindererziehung und Geldverdienen unvereinbar gemacht. Deswegen verlangt die Wirtschaft von ihrer Regierung, mit moderner Familienpolitik dafür zu sorgen, dass der Nachwuchs und seine Betreuung den Totaleinsatz der Eltern für den Betrieb nicht behindern.
Immerhin ist in dieser Richtung in den letzten Jahren mit
dem Ausbau der staatlichen Krippen einiges Richtige auf
den Weg gekommen. Unmöglich also, diese vielleicht
läppische, aber eben doch Prämie auszuloben, die
Mütter vom Arbeitsmarkt fernhält
(eine Arbeitsmarktexpertin vom HWWI), wo
die deutschen Unternehmer heutzutage längst einen Gutteil
der Frauen als willige und oftmals besonders billige
Dienstkräfte erfolgreich in Beschlag genommen haben.
Die AnwältInnen der modernen Frau sehen das
ungefähr so ähnlich, auch wenn die auf der anderen Seite
des Beschäftigungsverhältnisses steht: Die
Herdprämie
sei ein Rückschlag für das moderne
Frauenbild
und die Gleichberechtigung der
Geschlechter
. Was auch immer sich die Damen auf den
höheren Sprossen der Karriereleitern über ihre
Selbstverwirklichung im modernen Berufsleben
einbilden mögen, die Berufstätigkeit der Frauen in den
unteren Gehaltsklassen gibt eigentlich keinen Anlass, ein
Hohelied auf die Gleichberechtigung anzustimmen:
Arbeitende Frauen sind Teil eines Lohnsystems, das sie
zum Mitarbeiten fürs Familieneinkommen zwingt, und in dem
sind sie für die Arbeitgeber als billige Zuverdiener
eingeplant. Verschwiegen wird auch das nicht, wenn von
Teilzeitfallen
und drohender Altersarmut
die Rede ist. Die Kritikerinnen der „Herdprämie“, die auf
lückenlosere weibliche Erwerbsbiografien plädieren,
werben mit Argumenten, die auch nicht besonders gemütlich
klingen: Wenn alleinerziehende Mütter und Frauen bis zur
Rente mehr arbeiten, erspart das der
„Solidargemeinschaft“ soziale Unterstützungsleistungen.
Bedenkliche Fehlanreize
vermelden auch die
Sozial- und Bildungsexperten der Republik. 100
oder 150 Euro im Monat über ein, zwei Jahre allein dafür,
die Kinder daheim zu lassen, u. U. also für’s Nichtstun.
Das, da kennen sich unsere Experten aus, ist eigentlich
nur ein Anreiz, der bildungsferne und
einkommensschwache Familien
in ihren Entscheidungen
über Familie, Erziehung und Arbeit beeinflusst. Und wir
kennen ja unsere Pappenheimer: Den „Bildungsfernen“ und
Arbeitslosen, ob Deutsche oder Migranten, ist ohne
weiteres zuzutrauen, ihre Kinder als lebendes
Portemonnaie
(HB, 17.4.)
zu missbrauchen, am Ende gar neue Kinder allein wegen des
Betreuungsgeldes in die Welt zu setzen, das sie dann zu
Hause vor dem TV flott verjuxen, während ihre Kinder
unbeaufsichtigt vor sich hin verwahrlosen. Es ist schon
interessant, womit Experten aus Wissenschaft und Politik
hinter den Wohnungstüren zahlloser Familien
rechnen, was im Übrigen auch die zuständige
Familienministerin Schröder frank und frei bestätigt,
wenn sie die Auszahlung der Prämie an den Nachweis
frühkindlicher Vorsorgeuntersuchungen knüpfen will. Dass
Schröder und die anderen damit ihrer ach so famosen
Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts ein ziemlich übles
Zeugnis ausstellen, was die sozialen Verhältnisse angeht,
wenn sie so schonungslos auf die (sub-)proletarische
Verelendung deuten, das kümmert die zuständige Elite
nicht. Die Verantwortungsfrage für diese Verhältnisse ist
nämlich eindeutig geklärt: Das familiäre Glück
Kindererziehung ist ein Bildungspflichtprogramm,
dessen Erfüllung der Staat von den Eltern einfordert und
das die Vermittlung von Kompetenzen wie
Aufmerksamkeit, Selbstmotivation, Hartnäckigkeit und
Selbstbewusstsein
(HB,
17.4.) umfasst. Dass die Vermittlung dieser
Karrieretugenden gescheiterte Existenzen einfach nicht
draufhaben können, dieses fundamentale
Misstrauen der Elite in ihre Prekariatsfamilien
da unten hat sich schon ziemlich festgesetzt: Armen wirft
man also auf keinen Fall Geld, die reale Freiheit in der
Marktwirtschaft, hinterher, den Armen nimmt man eher die
Kinder weg, wenn man sie schon für den öffentlichen
Erziehungsauftrag nicht mehr in die Pflicht nehmen kann:
Bildung muss in der Kita beginnen. Dann müssen wir
aber auch sicherstellen, dass alle Kinder da sind, statt
eine Prämie für Kinder zu zahlen, damit sie
fernbleiben.
(Hannelore Kraft,
FAS, 29.4.)
*
Dieser Art von Einwänden, die von einem soliden Misstrauen in die Funktionalität der Familie für die nationale Konkurrenzgesellschaft künden, hat die CSU, die Erfinderin der ganzen Chose, mit einem Spitzeneinfall schon ziemlich die Luft rausgelassen: Die Armen, die Bedürftigen bekommen das Geld sowieso nicht! Schließlich haben wir doch schon ein geniales Grundsicherungsprogramm, das klar definiert, was ein Leben in Würde für Erwerbslose in der deutschen Marktwirtschaft bedeutet und auf dessen beinhartes Regime sich die Politik als unumstößliche Gesetzeslage berufen kann:
„Die neue Leistung wird zwangsläufig (!) auf Hartz IV genauso anzurechnen sein wie jede andere staatliche Zusatzleistung auch. Beim Kinder- und Elterngeld wird ja ebenso verfahren. Das liegt an der Systematik von Hartz IV als reiner Grundsicherung für den Lebensunterhalt. Andernfalls würde es zu einer nicht gewollten Addition von Unterstützungsleistungen kommen.“ (CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt)
Geld für verlotterte Arme, dafür hat selbstverständlich auch die CSU nichts übrig. Sozialhilfeempfängern soll man nicht auch noch beim Kinderkriegen helfen. Für die besser verdienenden Familien besteht die CSU aber schon auf ein paar Idealvorstellungen über Familie, in deren Namen sie sich glatt ein paar kritische Töne über die Konkurrenzgesellschaft erlaubt, für deren Segnungen sie ansonsten einsteht:
„Wir haben in Deutschland leider ein schwieriges Verhältnis zur Familie, auch unter den Politikern. Die einen kommen aus der Sozialpolitik und sehen nur die Problemfälle, die anderen kommen aus der Schulpolitik und schauen auf Ein- und Zweijährige wie auf Schüler. Dazu kommen Stimmen aus der Wirtschaft, die, sehr kurzsichtig, nur das Fachkräftepotenzial junger Väter und Mütter im Blick haben. Und all das wird von den meisten Medien weitgehend kritiklos nachgeplappert. Ein Land, das die Bedürfnisse seiner Kleinstkinder in Konkurrenz mit dem elterlichen Arbeitsplatz stellt, übt einen unverantwortlichen und familienfeindlichen Druck auf junge Eltern aus und beraubt sich so seines eigenen Nachwuchses … CSU-Familienpolitik stärkt die Leistung von Familie, anstatt sie strukturell zu behindern. Weil uns eines immer bewusst sein muss: Der Staat kann nur Geld, niemals Liebe schenken! Der Staat kann Familie niemals ersetzen.“ (Bayer. Familienministerin Haderthauer, in: Bayernkurier, 5.5.)
Ein Land und sein Nachwuchs – darum geht es also der CSU
mit ihrem Plädoyer für junge Eltern, die ihren Kindern
daheim in der Familie Liebe schenken
. Und sie
stellt die Diagnose, dass, wenn schon nicht die Kitas
selbst, dann doch der politische Geist, aus dem
heraus sie gefordert und gefördert werden, die
Ursache der Unvereinbarkeit von Erwerbsarbeit
und Kinderbetreuung wäre – und nicht deren notwendige
sozialpolitische Konsequenz: Kindermangel in Deutschland,
das gäbe es irgendwie und letztlich wegen dieser
modernen Familienpolitik.
So, dass die Freisetzung und Unterstützung der Eltern von
den Betreuungspflichten gleichsam per se Teufelszeug
wäre, meint die CSU ihren Einspruch natürlich
andererseits nicht. Wie auch, der
funktionalistische Blick der Sozialpolitik auf
den Nachwuchs ist ihr ja nicht fremd. Sie will ihn nur um
die Beachtung des staatlichen Nachwuchsbedarfs ergänzt
wissen. Darauf besteht sie dann aber mit allem
ideologischen Aplomb: Diese Staatsfanatiker sind
eben auch reaktionäre Familienpolitiker, die es
überhaupt nicht aushalten, dass ihre Vorstellung von
Familie und Erziehung entwertet wird. Sie mobilisieren
ihr Rest-Ressentiment gegen die Verallgemeinerung von
Erwerbsarbeit auf Frauen und v.a. gegen den Ausbau
staatlicher Kleinkinderziehung, weil in ihrem
Familienbild
der Liebe, die Eltern ihren Kindern
schenken
, gleich eine unentbehrliche
Funktion zukommt: Für Haderthauer und Co ist sie
immer noch der verlässlichste, natürliche, quasi
vorstaatliche Garant für die gelungene Bildung eines
anständigen und möglichst erfolgreichen Volksnachwuchses:
„Nicht Krippe, Kindergarten oder Schule, sondern das Elternhaus ist der wichtigste Bildungsort. Damit später Bildung gelingen kann, muss in den ersten drei Lebensjahren das Grundbedürfnis nach verlässlicher Bindung gestillt werden. Daher müssen wir Eltern ermutigen: Ihre Zeit und Zuwendung sind die beste Bildungsinvestition für ihre Kinder. Nicht umsonst hat es die Natur so eingerichtet, dass das nächste Kind in der Regel erst mit einem gewissen Abstand auf die Welt kommt.“(Haderthauer)
Die Eltern dazu ermutigen, was die Natur
im
biologischen Zusammenhang von Vater/Mutter und Kind
eigentlich sturzvernünftig eingerichtet
hat, damit
in einer verlässlichen Bindung
aus Säuglingen
tüchtige Kinder geformt werden – das steht dem Staat
allenfalls zu. Was ihm überhaupt nicht zusteht, ist, sich
mit seinem groß angelegten Kita-Ausbau ins Urfamiliäre
einzumischen. Wer die Eltern mit solch
verführerischen Angeboten von ihrer familiären Pflicht
ablenkt, sie geradezu nötigt, ihre Kinder in
Staatskrippen abzuschieben, der will eine Art DDR
light
und sich die Hoheit über die
Kinderbetten
sichern. (A. Dobrindt, in: SZ, 30.4.)
Soweit ist es gekommen. Damit in Deutschland das
christlich-fundamentale Familienbild
nicht
untergeht, muss die CSU den an Werteverfall grenzenden
Tendenzen der Staatserziehung ihre Familienwerte
entgegenstemmen, damit die Eltern überhaupt noch echte
Wahlfreiheit
zwischen häuslicher und Krippenerziehung
haben! Und wie ermutigt
dann die CSU die Eltern
zur Familie? Durch eine Art politisches
Kompensationsgeschäft, wie es nur demokratische
Politiker zuwege bringen: Die CSUler lassen sich ihre
sittlichen Bedenken gegen Staatserziehung durch eine
in Geld bezifferte Prämie abkaufen, die
staatsoffiziell die positive Leistung der Familie als der
Keimzelle des Staates bezeugt. Einerseits
durchaus systemgerecht – ihr moderner Staat regiert mit
Geld und mischt sich über Elterngeld usw. längst
in die intimsten Entscheidungen von Paaren ein, damit
deren private Kalkulation mehr gutes deutsches
Volk hervorbringt. Andererseits ist das
Betreuungsgeld mickrig genug, um den Eltern den
wertvollen Aufopferungscharakter einer jahrelangen
Bornierung auf die eigenen Kinder im Dienste einer
gelungenen Erziehung unter Beweis zu stellen.
*
Die eine Sache ist, dass die CSU den Tauschwert für die
Rettung ihres Familienbildes mit 100 bis 150 Euro
ziemlich niedrig ansetzt. Die andere, dass sie den
demokratischen Preis deutlich höher
veranschlagt: Eine politische Haupt- und Staatsaktion
wird aus dem Streit ums Betreuungsgeld über die
Profilierung der CSU als Regierungspartei. Das
Betreuungsgeld ist ihr „Steckenpferd“, ihr
Alleinstellungsmerkmal, mit dem sie sich von den anderen
Parteien unterscheidet; ob sie sich damit wirklich
profiliert, das hängt allein an der erfolgreichen
Durchsetzung gegen CDU und FDP. Daher baut sie
sich als unverzichtbarer Machtfaktor auf und stellt den
beiden Parteien ziemlich ultimativ die Koalitionsfrage:
Nach dem Motto Ausgemacht ist ausgemacht!
beruft
sie sich ganz schlicht auf den Koalitionsvertrag, droht
damit, die Regierung platzen zu lassen, wenn CDU und FDP
das Vorhaben der CSU scheitern lassen wollen, und macht
Merkel eine Ansage:
„Eine Regierung, die ihre eigenen Beschlüsse nicht umsetzt, braucht man nicht.“ (Horst Seehofer, in: Bild, 22.4.)
Ob das mit der Familie usw. der CDU-Chefin nun einleuchtet oder nicht: Geschlossenheit der Regierung, Demonstration machtvoller Handlungsfähigkeit – diese demokratischen Werte müssen doch eine Kanzlerin überzeugen.