Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Protestmarsch der Bergarbeiter in Rumänien
Ein Streik ums Überleben – muss mit allen Mitteln niedergeschlagen werden

Rumäniens Transformation zur Marktwirtschaft, angeleitet vom IWF, deckt auf, dass die gesamte Industrie marode ist und flächendeckend abgewrackt gehört und dass sich dieser Staat sein Volk nicht mehr leisten kann. Dagegen protestieren Bergarbeiter und marschieren nach Budapest. Die einzige Frage der kritischen Beobachter aus dem Westen lautet da sofort, ob dieser Staat den Reifetest besteht und jeden Widerstand niederbügelt.

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Protestmarsch der Bergarbeiter in Rumänien
Ein Streik ums Überleben – muß mit allen Mitteln niedergeschlagen werden

Seit Ende Dezember streiken die Bergarbeiter aus dem Schiltal gegen die Regierung in Bukarest. Der Streik findet Mitte Januar seinen Höhepunkt im Marsch auf Bukarest. Nachdem diverse Abschreckungsmanöver der Polizeikräfte ihn nicht zu stoppen vermögen, droht die rumänische Regierung damit, den Ausnahmezustand zu verhängen und die Armee einzusetzen. Erstmalig seit dem Einzug von Demokratie & Kapitalismus im ehemaligen Ostblock stehen sich in einem Transformationsland Armee und protestierende Arbeiter gegenüber. Die Drohung, militärisch zuzuschlagen, zeigt Wirkung: Die Bergarbeiter gehen mit der Regierung Verhandlungen ein. Das Verhandlungsresultat unterliegt einer vierwöchigen Schweigepflicht, beide Seiten allerdings geben mit (in dieser Lage offenbar gebotener) Diplomatie bekannt, daß es keine „Sieger“ und keine „Verlierer“ gibt.

Der Westen ist über diese Wende – „Am offenen Bürgerkrieg ist Rumänien gerade noch vorbeigeschrammt (FR 25.1.)“ – keineswegs erleichtert. Kaum sind die Panzer zurückgerufen, wird darüber gerechtet, ob der „Kompromiß“ zwischen den Bergarbeitern und der rumänischen Regierung in Ordnung geht, und spekuliert, die Regierung hätte vermutlich einen unvertretbar hohen Preis für die nichtmilitärische „Lösung“ bezahlt. Wo es um die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Sachgesetze geht, darf es bei der Anwendung staatlicher Gewalt keinerlei Skrupel geben!

Der Protestgrund: ein staatliches Abwicklungsprogramm zur Abwendung des Staatsbankrotts

Die Bergarbeiter streiken gegen den Beschluß der rumänischen Regierung, den Kohlenbergbau flächendeckend und binnen eines Jahres abzuwickeln. Das Programm der sogenannten Bergbausanierung hat bereits 1998 von 180000 Arbeitern 90000 ihre Existenz gekostet, im Schiltal wurden von 36000 Bergarbeitern 18000 mit einer Abfindung auf die Straße gesetzt. Im Dezember 1998 hat die Regierung mitgeteilt, daß im „Rahmen des Abbaus unrentabler Betriebe“ binnen eines Monats zahlreiche weitere Zechen – im Schiltal zwei – geschlossen werden sollen und daß ab dem Jahr 2000 überhaupt jegliche finanzielle Unterstützung der noch verbleibenden Bergwerksbetriebe eingestellt wird. Der rumänische Staat bezeichnet dieses Programm als „Schocktherapie in der letzten Minute“.

Der „Abbau unrentabler Betriebe“ erstreckt sich mittlerweile auf beträchtliche Sphären der Nationalökonomie. Er umfaßt „41 der schlimmsten staatlichen Verlustbetriebe“, Ex-Kombinate, an denen ihrerseits wieder x Betriebe, Zulieferer, Händler, Reparaturwerkstätten, Krankenhäuser und Kantinen hängen. Daß nach vollzogener Abwicklung der Kohlezechen, der Petrochemie, der Stahlwerke und der verarbeitenden Industrie irgend etwas passiert, was den freigesetzten Arbeitern eine Erwerbschance bieten könnte, behauptet keiner. „Umstrukturierungen“ sind für diese „Verlustbetriebe“ genauso wenig vorgesehen wie neue Investitionsprojekte, „Beschäftigungsprogramme“ so wenig wie ein sonstwie geartetes Hilfsprogramm zum Überleben. Für das Schiltal waren als „Ersatz“ gerade mal 100 Plätze in der Stadtreinigung im regierungsamtlichen Angebot.

Was hier „therapiert“ wird, ist also weder der Bergbau, die Grundstoffindustrie noch sonst irgendeine Industriebranche, die werden ja gerade liquidiert. Ein Schock, und zwar ein heilsamer, soll das sein für die rumänische Volkswirtschaft: Deren produktives Fundament wird für unfähig befunden, kapitalistisch Überschüsse zu realisieren – und das spricht nicht gegen den Zweck, vor dem mehr oder weniger die gesamte gesellschaftlich verrichtete Arbeit versagt, sondern für das Gebot, als erstes die industrielle Basis der Nation mitsamt ihren menschlichen Anhängseln als überflüssige Kostenbelastung zu definieren und einzusparen. „Therapiert“ wird so die Finanznot des Staates, der mit seinem „aufgeblähten“ Haushalt vor dem „finanziellen Kollaps“ (NZZ 17.12.) steht – woraus nach allen Regeln der Haushaltskunst glasklar folgt, daß der Staat sich sein Volk nicht mehr leisten kann: Eine Bevölkerung, die – nach bürgerlichen Maßstäben gerechnet – zu 68% unter der Armutsgrenze lebt, ist für die Nation schlicht zu teuer. Also wird im Interesse vertretbarer Staatshaushaltsziffern schon mal eine ganze Arbeiterklasse für überflüssig erklärt und von ihrer Obrigkeit als abzuwickelnde Erblast behandelt.

Zu diesem Übergang hat die Staatsgewalt in Rumänien sich nicht allein und aus freien Stücken entschlossen.

Der Beitrag des Westens

Seit Rumänien sich zum Westen bekennt, wird das Land als Teil der weltweiten Marktwirtschaft anerkannt, als potentielle Geschäftssphäre durchgemustert, von IWF und Weltbank als Kreditempfänger von begrenzter Verschuldungsfähigkeit ins internationale Geschäftsleben einsortiert – und für insgesamt ziemlich untauglich befunden. Daß die Staatsgewalt nichts anderes als den Anschluß an EU und NATO will und sieht, ist recht; Alternativen gibt es ohnehin nicht; aber ein willkommener Zuwachs ist ihr Land nicht – und es bekommt auch keine Chance, sich zu einem solchen zu entwickeln. Anders als im Fall Ungarn, Polen und Tschechien, die das zweifelhafte Glück genießen, von der EU als Anschlußkandidaten behandelt und einem Programm der Zurichtung zu einer minimalen Geschäftsfähigkeit als EU-Partner unterworfen zu werden, ist das Urteil über die kapitalistischen Potenzen der Rumänen negativ: Dort ist alles marode, dort wird überall Verlust produziert, also ist dort alles Verlust. Soll das Land jemals zu einem ehrenwerten Schuldnerstaat werden – und eine andere Rolle kommt sowieso nicht in Frage –, dann darf es sich solche „Verlustbringer“ schon mal gar nicht länger leisten. Und weil weit und breit kein kapitalistischer Reichtum in Sicht ist, dessen Manager bereit wären, auch noch diesen Erdenwinkel als Wachstumsquelle auszubeuten und dafür das Nötige zu investieren, gerät die Zurichtung Rumäniens für den Weltmarkt zu einem einzigen Abwrackprogramm.

Die Begründung läßt an zynischer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Was Rumänien sich vor der „Transformation“ an Industrie zugelegt hat – und womit es da noch recht und schlecht über die Runden gekommen ist –, das war von Anfang an überdimensioniert. Alle maroden, Verluste produzierenden Staatsbetriebe sind entstanden, als unter Nicolae Ceausescu Rumänien weit über seine Verhältnisse industrialisiert wurde. (FR 25.1.)

Wie sich die Zeiten doch ändern! Ein ganzes Jahrzehnt lang hat es immerhin einmal im Westen die allerbesten Noten für Ceausescus Industrialisierungspolitik gegeben. Die Herstellung einer weitgehenden nationalen Autarkie vor allem im Energiebereich wurde positiv gewürdigt: als Indiz für den lobenswerten Drang nach nationaler Unabhängigkeit, als materiell untermauerte Fähigkeit zur Insubordination gegen die Sowjetunion. Mit Staatsbesuchen erster Klasse wurde der Conducator in seinem Unabhängigkeitskurs bestärkt, als Spaltpilz im RGW und Warschauer Pakt hofiert. Nun, nach der Auflösung des Gegenblocks, ist ein „nationaler Sonderweg“ Rumäniens gegenstandslos. Das Land ist als Anhängsel westlicher Geldmacht eingeordnet und als Hinterhof dritter Klasse in Europa definiert. Unter dem neuen Regime entpuppt sich das vorhandene industrielle Inventar als schierer Luxus, den sich das Land gar nicht leisten kann – ja eigentlich, nach den geltenden Maßstäben ökonomischer Vernunft, auch schon in der Vergangenheit nicht hat leisten können!

„Marode“ – das heißt, daß die Förderung von Kohle für den nationalen Bedarf ohne Zuschüsse aus dem Staatshaushalt nicht auskommt, „folglich“ ist sie „unrentabel“, und die einzig vernünftige Schlußfolgerung lautet: Liquidation. So stur, so ignorant, so rücksichtslos wird der Dreisatz aufgesagt, welcher vom Habenichtsstaat Rumänien (und etliche anderen solchen Kandidaten im europäischen Osten) zu beherzigen ist. Sachverständig rechnen Wirtschaftsexperten vor, daß Importkohle allemal billiger wäre als die vom Schiltal. Sachfremd wäre dagegen der Einwand, daß sich der Rest der rumänischen Industrie, die anderen „Verlustbetriebe“ jene Importkohle wohl kaum leisten können, die dort ansässigen Arbeiter und Bauern schon gleich gar nicht, für die der Staat keine Devisen hat. Erst recht sachfremd wäre der Verweis auf die Lebensnotwendigkeiten der nun zu Lohnarbeitern transformierten Werktätigen des Ceausescu-Staats. Schließlich ist mit dem Befund „unrentabel“ definiert, was sich Rumänien leisten kann und was eben nicht.

Die umwerfende Einsicht, daß die heutigen Betriebe deshalb „marode“ sind, weil sich Rumänien seinerzeit viel zu viel an solchen nützlichen Fabriken geleistet hat, verbrämt eben auch nur den gültigen Standpunkt, daß das Programm der Privatisierung in diesem Fall mehr oder weniger mit Schließung zusammenfällt. Und zwar deshalb, weil der Betrieb einer landeseigenen Volkswirtschaft keinen rumänischen Kredit kosten darf, westlicher Kredit aber nur für Schließung zu haben ist. Zur verbindlichen Vorschrift gemacht wird dieser pur negative Standpunkt von seiten des IWF, auf dessen Unterstützung zur Bedienung der Außenschuld Rumänien angewiesen ist. Die letzte böse Tat des Diktators, der seinerzeit noch den Schuldenstand auf Null gebracht hatte, um sich der damit verknüpften Erpressung zu entziehen, ist nämlich, kaum hat sich das Land dem weltweiten Kapitalismus geöffnet, schon wieder rückgängig gemacht. Seitdem kämpft Rumänien mit der Abwendung des Staatsbankrotts; seitdem bekundet der IWF seine Unzufriedenheit mit den rumänischen „Reformanstrengungen“, und mittlerweile ist auf allen Kapitalmärkten und bei allen Ratingfirmen der Welt aktenkundig, daß „ohne Finanzhilfen der Zusammenbruch praktisch sicher ist“. (Dajanu, Finanzminister bis 9/98 in NZZ 21.1.)

Verschleppte Reformen, das ist es, was der IWF seit Jahren an Rumänien auszusetzen hat. Da die geforderte „Privatisierung“ auf die Forderung nach flächendeckender Liquidation hinausläuft, kann es keine Regierung den Aufsichtsinstanzen recht machen. Die Vorgängerregierung unter Präsident Iliescu wurde mit dem Verdacht belegt, die notwendige Politik der „Reformen“ überhaupt nur zu hintertreiben. Nach der intimen Landeskenntnis der westlichen Presse war sie vorrangig mit der Rehabilitierung der Apparatschiks beschäftigt und hat an die Strukturen kaum gerührt. Fortdauernden rumänischen Größenwahnsinn galt es also zu bekämpfen, wenn nicht Schlimmeres wie Krypto-Stalinismus. Und auch der sogenannten Reformregierung, 1996 ins Amt gewählt und vom Westen heftig beklatscht, wird vorgeworfen, sie ging, wenn überhaupt, dann höchstens halbherzig an die Aufräum-Arbeit (FR 25.1.). Zwar hat diese Regierung mit ihren „Reformen des trockenen Brotes“ allein im Bergbau 1998 die Beschäftigtenzahl halbiert, aber gemessen an den westlichen Ansprüchen, was die erforderlichen Aufräumarbeiten angeht, ist das alles noch nichts! Und so wird sie im Dezember 1998 ultimativ dazu aufgefordert, nun endlich den Standpunkt des IWF zu exekutieren:

„Der Staatspräsident erhält von einem Abteilungsleiter des IWF einen Brief, in dem ihm in unangemessenen Ton mitgeteilt wird, daß innerhalb kürzester Zeit 41 Unternehmen im Land geschlossen werden müßten, sonst gebe es keine Gespräche mehr zwischen dem IWF und Bukarest.“ (Jeffrey D. Sachs, der inzwischen zum IWF-Kritiker mutierte amerikanische Transformationsberater, SZ 1.2.)

Die amtierende Regierung beugt sich der Drohung:

„Rumäniens Premierminister Radu Vasile hat seine Entschlossenheit bekräftigt, die vom Staat gedeckten Verluste in der Wirtschaft durch die sofortige Schließung einer Reihe von unrentablen Betrieben einzudämmen und die sozialen Folgen in Kauf zu nehmen. Die Zeit drängt, weil bei Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds Mitte Januar die Kreditwürdigkeit des Landes auf dem Spiel steht… im bevorstehenden Jahr werden im Schuldendienst größere Kreditrückzahlungen fällig.“ (NZZ 17.12.)

Die vom Westen eingeforderte Reform besteht in der Zumutung, daß sich eine ganze Nation samt Inventar wegen und im Namen ihres Schuldnerstatus als tote, rein für nichts lohnende Kost definiert. Genaugenommen ist nicht nur das Überleben der Arbeiterklasse, sondern der ganze Staat zu teuer. Insofern steht auch a priori fest, daß rumänische Regierungen für den Geschmack der Geberländer nie genügend Tatkraft an den Tag legen. Gönnerhaft nimmt man bei der Ankündigung der „Schocktherapie“ im Dezember 1998 zur Kenntnis, daß Vasile immerhin kapiert hat, wohin er sein Land hinzutransformieren hat und ein paar Schritte in die richtige Richtung unternimmt:

„Die vom Premierminister angekündigten Schritte haben zum Ziel, die wirtschaftlichen Verluste des Staates um 15 Prozent zu vermindern. Das mag bescheiden tönen, bedeutet aber unter den landeseigenen Verhältnisses doch ein ehrgeiziges Vorhaben. Ehrgeizig darum, weil Proteste der Gewerkschaften und heftiger Widerstand von Arbeitnehmern bereits eingesetzt haben, obwohl die vollständige Liste der zu schließenden Betriebe amtlich noch gar nicht veröffentlicht wurde.“ (NZZ 17.12.)

Gemessen an den gültigen Finanzprinzipien zur Sanierung von Staatshaushalten fällt der projektierte Kahlschlag zwar immer noch bescheiden aus; wenn die marktwirtschaftlichen Betreuer aber einmal einen kurzen Blick auf die landeseigenen Verhältnisse werfen, können sie dem Staatschef das Kompliment nicht vorenthalten, daß der sich eine ehrgeizige Aufgabe vorgenommen hat: Es ist ihnen nicht unbekannt, welche Gegensätze zwischen Regierung und Arbeiterschaft ihre Vorschriften in Rumänien auf die Tagesordnung setzen.

Der westliche Standpunkt: Widerstand ist nicht zu dulden

Mit der Erwartungshaltung der Gläubigernationen ist aber für die rumänische Regierung, ebenso wie für die ganze westliche Öffentlichkeit ausgemacht, was von einem Arbeiterprotest gegen das Abwicklungsprogramm zu halten ist.

Den Forderungen der rumänischen Bergbaugewerkschaft, die auf eine Schadensbegrenzung bei der Ruinierung ihrer Mitglieder zielen –

„Abschreibung der Schulden der Bergbaubetriebe, weitere Subventionierung, Lohnerhöhungen für die Arbeiter, die ihre Stellen behalten und eine Abfindungssumme in der Höhe von 10000 Dollar für jeden Entlassenen“ –,

darf nicht „nachgegeben“ werden. Je unausweichlicher sich Januar 1999 eine „soziale Kraftprobe“ abzeichnet, um so eindeutiger wird von der rumänischen Regierung gefordert, sie auszufechten und zu bestehen:

„Demgegenüber kann die Exekutive, der Mitte dieses Monates entscheidende Verhandlungen mit dem IWF bevorstehen, in der Hauptsache nicht nachgeben und an ihrem Plan zur Schließung von defizitären Staatsbetrieben ohne Verlust ihrer Glaubwürdigkeit keine Abstriche vornehmen“. (NZZ 6.1.)

Es ist der Westen, der einen Glaubwürdigkeitsbeweis der rumänischen Regierung verlangt. Dieser Glaubwürdigkeitsbeweis besteht darin, daß es der Regierung gelingt, die Ansprüche der Bergarbeiter souverän niederzubügeln. Entschlossenheit bei der Unterwerfung der streikenden Bergarbeiter ist angesagt. Wie – das ist den Agenturen des Westens, die in ihren eigenen Ländern vom hohen Wert des sozialen Friedens und Konsens faseln, keine Frage. Sie prognostizieren „Bürgerkrieg“, um zugleich die rumänische Regierung mit dem Verdacht zu traktieren, sie habe wohl Skrupel, die „zu erwartenden Arbeiterunruhen“ mit der nötigen und erforderlichen Härte abzuräumen. Mit allen Manieren der Erpressung wird die rumänische Regierung daran erinnert, daß ihre internationale Glaubwürdigkeit daran hängt, daß sie diese „Kraftprobe“ wie auch immer, d.h. mit allen gebotenen Mitteln der Gewalt, gewinnt.

Die rumänischen Bergarbeiter führen sich ganze zwei Tage als Gegenmacht auf und lassen die Tugend vermissen, die sich weltweit für Arbeiter und Arbeitslose und schon gar für solche schickt, die an einer stabilen Verelendung im ehemaligen Ostblock mitzuwirken haben. Sie haben zwar keine Mittel als Lohnarbeiter: Einen Staat, der sie als überflüssig definiert, kann man tatsächlich kaum mit Arbeitsverweigerung erpressen. Sie schicken gleichwohl keine ohnmächtigen Bettelbriefe an die Adresse ihrer Regierung, auch Menschenketten, Lichterketten, Hungerstreiks oder andere Versinnbildlichungen der Anerkennung ihrer Abhängigkeit fallen ihnen nicht ein. Sie marschieren nach Bukarest.

Die Polizeikräfte schaffen es nicht, trotz der Blockierung des Eisenbahnverkehrs, Straßensperren, Prügel und Tränengas, den Marsch aufzuhalten. Im Gegenteil, Beobachter vermelden mangelnde Einsatzbereitschaft und Zuverlässigkeit auf seiten der Sicherheitskräfte, registrieren also den Umstand, daß auch die nicht unbedingt einsehen, wofür sie den Kopf hinhalten sollen, zumal der Protestmarsch weiteren Zulauf erhält. Schließlich stellen sich auch bei der Regierung selber Zweifel ein, ob sie eine bürgerkriegsähnliche Zuspitzung riskieren will.

Vor diesem Hintergrund setzt eine ideelle westliche Intervention ein, die sich gewaschen hat. Die Schreibtischtäter aller öffentlich-rechtlichen Institutionen können sich gar nicht mehr fassen in ihrer Entrüstung, daß es der rumänischen Staatsmacht nicht gelingt, die Bergarbeiter fertigzumachen. Politische Gründe und Berechnungen der Regierung, in dieser Lage nicht ohne jede Rücksicht auf die Folgen zu eskalieren, können sie ihr einfach nicht zubilligen. Gebieterisch verlangen sie Vollzug der Gewaltexekution, die sie anordnen. Die TAZ, die sich gelegentlich noch eine distanzierte Haltung zu Polizeieinsätzen gegen Arbeiterdemonstrationen, Fabrikbesetzungen in den kultivierten Mutterländern des längst überwundenen Manchesterkapitalismus leistet, kennt im Falle Rumänien nur eine Klassenkampfkritik, als wollte sie ihre nationale Läuterung eigens beweisen: Der Klassenkampf von oben wird von der Regierung nicht mit der gebotenen Härte geführt:

„Wie konnten diese überhaupt nur aus dem Schiltal hinaus gelangen? Wie konnten diese überhaupt nur mehr als die Hälfte der Strecke bewältigen?“ (TAZ 23.1.)
„Wie sehr es an Entschlußkraft, Koordination und Erfahrung in den Ministerien fehlt, hat das zögerliche, taktisch schlechte Vorgehen der Polizei gegen die gewaltbereiten Demonstranten gezeigt“. (FAZ 25.1.)
„…katastrophale Schwäche der rumänischen Ordnungskräfte. Sie hatten nur Tränengas, Plastikschilde und Schlagstöcke zur Verfügung. Kein einziger Wasserwerfer stand bereit. Rumäniens Rechtsstaat steht auf schwachen Beinen“. (SZ 23.1.)

Ganze Heerscharen von Demokratiefreunden und Diktaturhassern überbieten sich in Zeitungsartikeln und Fernsehreportagen darin, der rumänischen Regierung die Gleichung von Rechtsstaat und Wasserwerfern vorzubuchstabieren. Der TAZ bleibt es vorbehalten, ganz ausdrücklich der rumänischen Regierung vorzurechnen, was für den Staat Rumänien auf dem Spiel steht:

„Sollten die Bergarbeiter wieder einmal – wie schon 1990 und 1991 – Bukarest verwüsten und eine Regierung stürzen, dann wäre das nicht nur ein negatives Signal an die dringend benötigten Auslandsinvestoren. Auch die ohnehin geringen Aussichten auf eine euroatlantische Integration Rumäniens würden ganz schwinden.“ (TAZ 20.1.)

Wenn schon die rumänische Regierung nicht kapieren will, was zur Europareife alles gehört, unsere Medien sorgen für Aufklärung. Im Namen des gebotenen Feindbilds sind alle Mittel recht, um zu bestreiten, daß das, was sich dort in Rumänien zu Wort meldet, auch nur das geringste mit geschädigten Arbeiterinteressen zu tun hat, und umgekehrt ungefähr alles Verwerfliche damit zu assoziieren, was einem bei der Gelegenheit nur einfallen mag.

Entwicklungshilfe in Sachen Bürgerkriegsmoral

Das Gegeifer läßt überhaupt nur eine Frage zu, wieso nehmen die sich das heraus? Und natürlich werden die Freunde und Befürworter echter Arbeiterinteressen fündig. Not und Elend, also jene Lage, die das überaus handhabbare Ohnmachtsbewußtsein verbürgt, kann hier nicht am Werke sein:

„Die bereits unter Ceausescus gehätschelten Aristokraten des Proletariats wurden nach der Wende auch von den neuen Machthabern mit Privilegien überhäuft.“ (Die Presse 23.1.)

Man mag gar nicht fragen, worin die Hätschelei bestehen soll, wenn noch nicht mal ein 20fach so hoher Lohn hinreichen würde, die Lebensnotwendigkeiten und Bedürfnisse eines Bergarbeiters halbwegs zu befriedigen, der sich mit Inflationsraten von 150% (1997) und 47% (1998), mit einem zusammenbrechenden Gesundheitssystem, kaum bezahlbaren Benzin etc. etc. herumzuschlagen hat, angestellt bei einer Bergbaugesellschaft, die sich zunehmend mehr Grubenunglücke leistet und sich noch nicht einmal die Schutzkleidung ihrer Arbeiter ihr Geld kosten läßt. Das Dogma der Fanatiker negativer Gerechtigkeit lautet: Sie verdienen mehr, nämlich einen „doppelt so hohen Lohn im Vergleich zum rumänischen Durchschnittsverdiener“. Sie haben „also“ ohnehin zuviel, „also“ erstens schon einmal gar keinen Grund, aufzumucken. Wenn sie es zweitens dann doch tun, dann geht es ihnen folglich nicht um materielle Anliegen, sondern nur um ihre Privilegien.

Und für dieses Verdikt gibt es bereits das passende Schimpfwort: Arbeiteraristokratie! Eine schöne bürgerliche Anleihe bei Lenin, nämlich die Umdrehung der Fragestellung: Lenin war seinerzeit mit der Frage befaßt, warum Arbeiter ihre Erpressung mit Lohn & Arbeitsplatz überhaupt hinnehmen, und hat sich diese mit „überdurchschnittlichen Löhnen“, mit denen sich Teile des Proletariats die guten Gründe für die Revolution angeblich „abkaufen“ lassen, falsch beantwortet. Moderne Denker legen sich genau das umgekehrte Problem vor: Wie kann denn so etwas in unserer besten aller Welten überhaupt möglich sein, daß sich Arbeiter nicht als gehorsame Manövriermasse der „Wirtschaft“ und der Staatsnotwendigkeiten in Beschlag nehmen lassen?! Kaum geben Arbeiter einmal eine Grenze an, was sie sich nicht bieten lassen wollen, denunziert der bürgerliche Sachverstand den Streikgrund als ein verkehrtes, weil Arbeitern nicht zustehendes Selbstbewußtsein. Und die qua Arbeitsplatz in Redaktionen ausgewiesenen elitären Vordenker hetzen auf die Streikenden als elitäre Typen, die sich wohl für etwas Besseres als Arbeiter halten, wenn sie sich nicht an die Pflichten halten, wie sie jedem bürgerlichen Stand eingeschrieben sind.

Es geht den Bergarbeitern also erstens viel zu gut. Zweitens haben sie sich einen falschen Führer ausgesucht und geben, wie man hört, nur ihm das Verhandlungsmandat und nicht dem Zuständigen der regierungsnahen Gewerkschaft, und das spricht schon wieder gegen sie! Ein interessanter Vorschlag: Sollen sich die Bergarbeiter, gerade damit konfrontiert, daß die Regierung sie fix und fertig machen will, deren Gewerkschaft in die Arme werfen?! Hätten sie sich etwa von der Regierung oder der FAZ-Redaktion die passenden Führer stellen lassen sollen?

Unisono hetzt die gesamte hiesige Öffentlichkeit auf den Führer, dem die Bergarbeiter eben jenen Gehorsam abliefern, der doch nach ihrer maßgeblichen Auffassung einzig und allein zur Erfüllung der IWF-Gebote gefragt ist. Und überhaupt: Miron Cozma ist kriminell und vorbestraft! Ohne eine Sekunde zu zögern, wird der Versuch der rumänischen Regierung, den Protest durch die Disqualifizierung seines Anführers und durch weitere Strafandrohungen zu erledigen, als Argument kolportiert gegen dessen – ja was? polizeiliches Leumundszeugnis? Wäre er denn ohne ein Vorstrafenregister genehm? Ginge sein Anliegen dann etwa in Ordnung? Die Experten in Sachen Arbeitskampf nach dem Muster der deutschen Tarifautonomie merken nicht einmal, wie sie daneben langen, wenn sie sich anklagend auf die Kriminalisierung eines Arbeiterführers berufen. Sie erklären dessen Amtsinhaberschaft einfach für unverträglich mit Anstand und Sittlichkeit, wie sie unsere Öffentlichkeit wohl auch andernorts beim Erledigen von Arbeiterinteressen verlangen kann.

Damit der Steckbrief komplett ist, kommt das Argument, daß es den Bergarbeitern noch viel zu gut geht, noch einmal ad personam zur Anwendung, kombiniert mit dem Etikett Verbrecher: Cozma, der Mafiachef, der kriminelle Pate des Schiltals. Nun wird zwar in der Presse überhaupt nicht verschwiegen, daß Cozma seinen Knastaufenthalt einer Streitfrage verdankt, die zwischen Schiltal und der damaligen Regierung Roman 1991 ebenfalls per „Marsch auf Bukarest“ ausgetragen wurde. Nur rückt diese Information keineswegs das Bild eines gewöhnlichen Gangsters zurecht, vielmehr wird die Anklage wegen niederer Motive und gewöhnlicher Verbrechen um die nächsthöhere Kategorie vermehrt und gesteigert: politisches Verbrechen! Die Bergarbeiter unter seiner Führung haben 1991 „die Hauptstadt Bukarest verwüstet“; der Führer steht also in einer „Tradition der Gewalt“, der unbedingt mit der überlegenen Gewalt der Regierung zu begegnen ist.

Als müßten die professionellen Hetzer höchstpersönlich die Spaltung zwischen dem bösen Führer und seinen Anhängern herstellen, die sie vermissen, entlarven sie Cozma auf allen Etagen: Der Mann ist eigentlich gar nicht Protestführer, sondern nützt für eigene, „keineswegs soziale Anliegen“ die „Not der Menschen schamlos aus“. (NZZ, 23.1.) Cozma „manipuliert“ die Arbeiter für seine ganz und gar andersgearteten politischen Interessen. Für die Not der Leute – denen man gerade noch mit dem Etikett „Arbeiteraristokratie“ abgesprochen hat, überhaupt so richtig arm zu sein – könnte man ja ganz viel Verständnis erübrigen. So aber – wenn sie sich glatt dagegen wehren wollen und zu einem Marsch in die Haupstadt aufbrechen, den die Regierung verbietet – müssen die hiesigen Scharfmacher den Verdacht in die Welt setzen, nach dem ein „Staatsstreich“ der eigentliche Zweck der ganzen Sache sein muß. Während die Bergarbeiter damit zu tun haben, ihren Marsch nach Bukarest an den Polizeisperren vorbei zu schleusen, entlarvt der Westen das Vorhandensein einer Großrumänischen Partei, deren Mitglied Cozma war, und schon ist die Lage klar: Der Arbeitskampf ist eine einzige großrumänische Machenschaft:

„Der Streik der Kumpel ist ganz offensichtlich weit mehr als ein gewöhnlicher Arbeitskampf. Hinter ihnen stehen Kräfte im Lande, die das Rad der Geschichte zurückdrehen und Rumänien erneut vom Westen abschotten wollen.“ (NZZ 23.1.)

Jetzt herrscht nun einmal Demokratie in Rumänien, und in der melden sich „Kräfte“ im Namen Rumäniens, Nationalisten also – was denn auch sonst? Der proletarische Internationalismus ist doch zur allgemeinen Zufriedenheit beerdigt worden. Nationalisten pflegen sich gemeinhin zu rühren, wenn sie sich die Auffassung zulegen, daß ihr Vaterland unter die Räder kommt. Da die Politik der Reformen und der Anpassung an Europa auf nichts anderes als einen nationalen Kahlschlag hinausläuft, bekommt die einschlägige rumänische Partei Auftrieb. Und nach den gewöhnlichen Berechnungen demokratischer Parteienkonkurrenz ist sie darauf aus, den Arbeiterprotest für sich zu vereinnahmen, wendet sich mit einem Offenen Brief an die Bergarbeiter und ruft zum Generalstreik auf. Das genügt, um die Hetze zu komplettieren.

Zwar wird in der Presse „die Unzufriedenheit der Kumpel“ formell von den „eigentlichen Drahtziehern“ geschieden, dies aber nur, um die Bergarbeiter zur möglicherweise naiven, möglicherweise verführten, aber umso gefährlicheren fünften Kolonne zu stilisieren. Wenn die Drahtzieher und Nutznießer erst einmal dingfest gemacht worden sind, braucht man über die Gründe der Unzufriedenheit erst recht kein Wort mehr zu verlieren. So hetzt man auf die Großrumänische Partei und fordert von der rumänischen Regierung die Abräumung des Bergarbeiterprotests. „Putschisten marschieren gen Bukarest“; an die „Methoden Mussolinis“ will sich die Rundschau erinnern lassen, und schließlich bemühen alle gemeinsam ihr Erinnerungsvermögen, um den Protest auch noch der alten Securitate anzuhängen.

Nun ist diese Staatsabteilung schon seit etlicher Zeit aufgelöst; deren alte Mitglieder dürften sich irgendwo in Rumänien herumtreiben und sehr wahrscheinlich großrumänisch denken. Aber was hat das weiter zu besagen? Weil Ceausescu seinerzeit im Schiltal Securitate-Leute eingeschleust, die Bergarbeiter damals mit Hilfe seiner Verfassungsschutzleute fertiggemacht hat, deshalb sollen sie heute federführend unterwegs sein? Die Beweisführung paßt wie die Faust aufs Auge, was aber gar nichts ausmacht. Andere Stimmen haben wiederum für das Versagen der Sicherheitskräfte deren Unterwanderung durch die Securitate verantwortlich gemacht, letztlich hat sich also die Securitate Straßenschlachten mit sich selbst geliefert.

Wenn die freiheitlichen Beobachter auf allen Seiten das Fortleben der Securitate ausmachen wollen –

„Die Unzufriedenheit der Bergleute ist die Gelegenheit, auf die die demagogisch geschulten Kommunisten gewartet haben“ (SZ 22.1.) –;

wenn sie in eigentlich allen Staatsabteilungen „Kräfte“ vermuten, die das Rad der Geschichte zurückdrehen und Rumänien erneut vom Westen abschotten wollen, dann deshalb, weil sie zur Kenntnis genommen haben, daß es in Rumänien neben der Unzufriedenheit der Arbeiter auch eine ziemliche nationale Unzufriedenheit mit den glorreichen Resultaten der Westtransformation gibt. Und weil nach ihrer Auffassung diese Unzufriedenheit heutzutage ebenso verboten gehört wie damals der Kommunismus, handelt es sich auch schon um einunddieselbe Sache. Widerspruch einlegen kann ja sowieso niemand.

Quintessenz sämtlicher Haßtiraden ist, daß die Zerschlagung des Aufruhrs unbedingt geboten ist und auf alle Fälle die Richtigen trifft. Damit weiß dann auch jeder dieser Tage, wie die Unterstützungserklärungen für die rumänische Demokratie, die aus Washington und Brüssel eintreffen, zu verstehen sind.

Bilanz und Perspektive

Die rumänische Regierung hat sich auf Verhandlungen eingelassen und den Militäreinsatz vermieden. Der Generalstreik, mit welchem die drei größten Gewerkschaftsföderationen gedroht hatten für den Fall, daß die „Exekutive mit den Bergarbeitern nicht verhandele, sondern Gewalt einsetze“, wurde nicht ausgerufen. Miron Cozma hat – entgegen den im Umlauf befindlichen Feindbildern – in Verhandlungen eingewilligt und seine Bergarbeiter zum Rückzug bewogen.

Das hat an der intransigenten Haltung der westlichen Instanzen gegenüber der Regierung kein Stück geändert. Der Anspruch, daß die notwendigen Opfer der „Reformen“, wenn es sein muß, gewaltsam niederzuhalten sind, bleibt bestehen. Die rumänische Regierung muß mindestens täglich zweimal versichern, daß sie Cozma in den Verhandlungen keine Straffreiheit für sich und die Bergarbeiter zugesichert hat. An der Verachtung der Bergarbeiter hat sich ebenfalls kein Jota geändert. Ein Lob für ihre Kompromißbereitschaft wäre völlig verfehlt, eine letzte Hetze gehört sich dagegen unbedingt: „Im Schiltal schlafen die Leute ihren Rausch aus.“ (FAZ 25.1.)

Der Westen kann und will mit dem erreichten Stand nicht zufrieden sein. Der „Kompromiß“ ist – unabhängig davon, ob den Bergarbeitern überhaupt irgend etwas zugestanden wurde – der Fehler, der der rumänischen Regierung anzukreiden ist. Daß sie mit unzufriedenen Arbeitern auch nur verhandelt, ist schon der Sündenfall, weil sie damit den Interessen, die niedergemacht werden müssen, auf völlig fehlerhafte Weise eine Art von Berechtigung zuspricht:

„Es wird nicht ausgeschlossen, daß nun auch andere Berufsgruppen, die unter den sozialen Härten der längst überfälligen Reformen leiden, Morgenluft schnuppern und die Regierung unter Druck setzen.“ (Die Presse 25.1.) Der Kompromiß könnte „die Begehrlichkeit derer wecken, die ohne Nebenjob ihr Leben kaum fristen können.“ (FR 25.1.)

Die „Begehrlichkeit“, ausgerechnet in Rumänien ausgerechnet überleben zu wollen, kann nach zivilisierter deutscher Meinung gar nicht offensiv genug bekämpft werden. Mit brutaler Offenheit wird die produktive Leistung eines exemplarischen Gewalteinsatzes gegen die Bergarbeiter vermißt: Allen Hungerleidern und Elendsgestalten, zu denen in Rumänien die ganze Arbeiterklasse zählt, hätte gefälligst ein für allemal jeder Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Interessen verleidet werden sollen. Nicht einmal die Rücksichtnahme auf so etwas wie politische Stabilität ist ein Gesichtspunkt, der einer Regierung in einem Transformationsland wie Rumänien zugestanden wird, wenn die Erledigung der sozialen Frage angesagt ist.

Nachtrag

Zwei Wochen nach der gütlichen Einigung zwischen den aufrührerischen Arbeitern und der demokratisch-marktwirtschaftlichen Regierung über die alsbaldige Schließung etlicher Zechen erhöht Rumäniens neuerdings unabhängige Justiz die noch von 1991 herrührende Gefängnisstrafe für den Anführer Cozma von 18 Monaten auf 18 Jahre und steckt ihn postwendend in den Knast. Die freie und immer wohlinformierte Öffentlichkeit regt sich auf – über den Skandal, daß die Bergarbeiter den Knastbruder zum „Märtyrer“ stilisieren und mit einem erneuten „Marsch auf Bukarest“ dagegen protestieren wollen. Der Marsch wird demonstrativ brutal gestoppt – eine Grußadresse an die IWF-Delegation, die gerade in Bukarest einläuft. Den Zusammenhang stellen übrigens die westlichen Kommentatoren her, die es gut meinen mit der demokratischen Macht in Bukarest.

Was das Urteil selber betrifft: Für die nationalistische Wendung, die Cozma dem von ihm angeführten Streik zuletzt gegeben hat – jedenfalls ging die westliche Berichterstattung in diese Richtung –, wird der Mann sicher nicht weggesperrt. Die Botschaft geht klar und unmißverständlich in die entgegengesetzte Richtung: Wenn die rumänische Regierung ihrem Proletariat einen puren Existenzkampf aufzwingt, ist das die Rechtslage und folglich in Ordnung. Wenn die Betroffenen den Existenzkampf führen, ist das Gewalt, also verboten und wird bestraft. Wer dagegen aufbegehrt, den bestraft die frisch ausgerüstete rumänische Polizei mit Tränengas und Knüppeln – und die freie Weltmeinung mit Ächtung. So kommt die Freiheit doch endlich auch bis Bukarest.